Das Streichquartett C-Dur KV 465 führt den Beinamen "Dissonanzen-Quartett". 1785 entstanden, musste es sich wegen seiner kühnen Vorhaltstechnik die harsche Kritik von Mozarts Zeitgenossen gefallen lassen. Der herbe, chromatische Ton beherrscht das ganze Quartett. Mozart ist hier weniger Meister kontrapunktischer Verstrickungen, als vielmehr souveräner Beherrscher der motivisch-thematischen Technik.
Mozart schrieb sein Klarinettenquintett A-Dur KV 581 für Anton Stadler, den renommierten Klarinettisten der Wiener Kaiserlichen Hof-Musikkapelle. Es ist ein Stück, in dem sich Mozarts feiner Sinn für Registrierungen und Mischungen offenbart: voller Klangsinn verbindet Mozart das Blasinstrument mit den Streichern. Schon der erste Satz ist ein Musterstück für einen wichtigen Aspekt des Mozartschen Spätwerkes: Kontrapunktik als eher antiquiertes Stilmittel geht restlos ein in den klassisch-ausgewogenen Stil. Das Larghetto - ein lyrischer, überaus zarter Satz - leitet über zum Menuett mit zwei Trios. Ein schlichter, heiterer und dabei höchst kunstvoll gearbeiteter Satz beschließt das Stück, welches, was die Besetzung (Klarinette und Streichquartett) angeht, in der Musikgeschichte eine Neuheit darstelite.
Das Streichquartett D-Dur KV 499 erhielt seinen Beinamen „Hoffmeister“ nach dem Herausgeber, bei dem es 1786 im Druck erschien. Mozart schrieb das Quartett in zeitlicher Nachbarschaft zu so bedeutenden Werken wie dem "Figaro" und der "Prager Sinfonie". Einem, von kontrapunktischer Kombinierlust geprägten, ersten Satz folgt ein ausdrucksstarkes Menuett. Der langsame Satz - ein Adagio - ist erfülit von weit ausgebreiteten Kantilenen und vom vollen Klang der Streicher. Das Finale - ein lebendiges Allegro - basiert auf drei Themenkomplexen und einer unaufhörlichen Triolenbewegung.
Budapest String Quartet. Photograph, boldly signed by all four members: Joseph Roisman (1932-1967), Jascha Gorodetzky (1949-1955), Boris Kroyt (1936-1967), and Mischa Schneider (1930-1967). From the Spring Catalogue 2011 of Schubertiade Music LLC |
In den drei späten Wiener Sonaten für Klavier und Violine, zu denen auch die Es-Dur Sonate, KV 481 gehört, erreicht Mozart die vollständige Gleichberechtigung der beiden beteiligten Instrumente. Sowohl das Klavier, als auch die Violine können hier ihre klanglichen und spieltechnischen Besonderheiten entfalten. So wie in den beiden anderen Sonaten (KV 454 und 526) ist auch in der vorliegenden Es-Dur Sonate der virtuose Duktus einem vertiefteren Musizieren gewichen. Der Reiz der feinen Abwandlungen und Kombinationen, verbunden mit ungewöhnlichen harmonischen Fortschreitungen bestimmen den Reiz des Stückes.
Quelle: Ein Anonymus im Booklet
An dieser Stelle sei auf den Kammermusikführer der Villa Musica verwiesen, dem ich die meisten Links zu den hier besprochenen KV-Nummern verdanke.
CD 1 Track 5: Streichquartett C-Dur, KV 465, II. Andante Cantabile
WOLFGANG AMADEUS MOZART CHAMBER MUSIC CD 1 Quartett F-Dur, KV 370 Quartet for Oboe and Strings in F major, K. 370 01. I: ALLEGRO 6:45 02. II: ADAGIO 3:14 03. III: RONDO 4:31 Leon Goossens, Oboe / oboe - Jenö Léner, Violine / violin Sandor Roth, Viola / viola - Imre Hartman, Cello / cello recorded in: 1933 Streichquartett Nr. 19 C-Dur, KV 465 'Dissonanzen-Quartett' String Quartet No.19 in C major, K. 465 'Dissonant' 04. I: ADAGIO. ALLEGRO 7:21 05. II: ANDANTE CANTABILE 7:33 06. III: MENUETTO (ALLEGRETTO) 4:23 07. IV: ALLEGRO MOLTO 4:24 Budapester Streichquartett: Josef Roisman, Violine / violin - Alexander Schneider, Violine / violin Istvàn Ipolyi, Viola / viola - Mischa Schneider, Cello / cello recorded in: 1932 Klarinettenquintett A-Dur, KV 581 Quintet for Clarinet and Strings in A major, K. 581 08. I: ALLEGRO 5:53 09. II: LARGHETTO 5:31 10. III: MENUETTO 6:16 11. IV: ALLEGRETTO CON VARIAZIONI 8:38 Benny Goodman, Klarinette / clarinet Budapester Streichquartett: Josef Roisman, Violine / violin - Alexander Schneider, Violine / violin Boris Kroyt, Viola / viola - Mischa Schneider, Cello / cello recorded in: 1938 Total Time: 64:50 CD 2 Streichquartett D-Dur, KV 499 'Hoffmeister' String Quartet No.20 in D major, K. 499 'Hoffmeister' 01. I: ALLEGRETTO 6:57 02. II: MENUETTO (ALLEGRETTO) 3:18 03. III: ADAGIO 8:52 04. IV: ALLEGRO 4:32 Budapester Streichquartett: Josef Roisman, Violine / violin - Alexander Schneider, Violine / violin Istvàn Ipolyi, Viola / viola - Mischa Schneider, Cello / cello recorded in: 1934 Sonate für Klavier und Violine e-moll, KV 304 Sonata for Piano and Violin in E minor, K. 304 05. I: ALLEGRO 4:24 06. II: MENUETTO 4:49 Nikita Magaloff, Klavier / piano - Joseph Szigeti, Violine / violin recorded in: 1937 Sonate für Klavier und Violine Es-Dur, KV 481 Sonata for Piano and Violin in E flat major, K. 481 07. I: ALLEGRO MOLTO 6:40 08. II: ADAGIO 12:10 09. III: ALLEGRETTO 6:40 Artur Schnabel, Klavier / piano - Joseph Szigeti, Violine / violin recorded in: 1948 Total Time: 58:44 (P) + (C) 2002
CD 2 Track 9: Violinsonate Es-Dur, KV 481, III. Allegretto
Eine brüchige Synthese
Max Klingers Monumentalgemälde "Christus im Olymp"
Max Klinger, Christus im Olymp, 1890-97, Hauptbild, Öl auf Leinwand, 362 x 722 cm, Österreichische Galerie Belvedere, Wien, seit 1938 als Dauerleihgabe im Museum der bildenden Künste Leipzig. |
Was hier die wilhelminische (und habsburgische) Großkritik um 1900 an Panegyrik absonderte, galt nicht einem Manet, van Gogh oder Cezanne, sondern dem Leipziger Akademieprofessor Max Klinger (1857-1920) und seinem 1890-97 entstandenen Hauptwerk "Christus im Olymp", einem opulenten Gesamtkunstwerk aus Malerei, (Rahmen-)Architektur und Skulptur. Auch wenn man heute über dieses Bild nur mehr den Kopf schütteln kann, es als "hybrides Konstrukt" begreift, das sich in seiner "Hypertrophie und Überanstrengung letztlich selber ad absurdum" führt und "in der nicht gelungenen Einlösung (seines) Anspruchs zugleich ungewollt komisch" wirkt - um nur einige Negativ-Urteile aus dem letzten Jahrzehnt zu zitieren -, auch dann gilt der von einem seiner Verächter kürzlich geäußerte Satz: "... man muß sich mit (ihm) auseinandersetzen, will man die Epoche begreifen".
Klingers Werk kann nur im Rahmen seiner Idee vom Gesamtkunstwerk verstanden werden, das er nach Richard Wagners Vorbild im Bereich der bildenden Künste verwirklichen wollte und in der 1891 publizierten Schrift "Malerei und Zeichnung" propagierte." Es sollte aber, wie wir gleich sehen werden, viel mehr wiedervereinigt werden als bloß einige Kunstgattungen. Der "Christus im Olymp" ist der Versuch einer Synthese zur Potenz, die Versöhnung aller Gegensätze im Großreich der Kunst. Von Ausmaßen und Anspruch stellt dieses Bild die Summe der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts und die Übertrumpfung der darin führenden Franzosen dar. Auf fünfeinhalb mal neun Metern ist nichts weniger als der Gründungsakt der abendländischen Kultur zu sehen:
Die Aufhebung der heidnischen Antike durch das Christentum. Klingers Kühnheit (oder, wie man heute sagen muß: Aberwitz) besteht darin, diesen kulturgeschichtlichen und machtpolitischen Prozeß als historisches Meeting von Christus und den olympischen Göttern aufzufassen. Und um diesem Treffen maximale Glaubwürdigkeit und Lebensnähe zu verleihen, sind die Figuren mit einem das damalige Publikum teilweise schockierenden Naturalismus dargestellt, der die mythologischen und allegorischen Gestalten aktualisiert, zu modernen Zeitgenossen werden läßt (in dieser ebenso naiven wie effektvollen Kombination von Naturalismus und Phantastik war Klinger gewissermaßen der Steven Spielberg seiner Zeit). Die Anwendung der bisher nur bei Landschaften und profanen Genrebildern üblichen impressionistischen Hellmalerei soll dieser Aktualisierung dienen, wobei Klinger aber nicht so weit geht wie seine französischen Kollegen, auch die Konturen aufzulösen. Der buntfleckige Farbauftrag dient vielmehr der plastischen Modellierung der Figuren, die wie lebendige Statuen in einer atmosphärisch duftigen, durchaus impressionistischen Landschaft stehen.
Max Klinger, Christus im Olymp, 1897, Öl auf Leinwand, 550 x 900 cm, Österreichische Galerie Belvedere, Wien, seit 1938 als Dauerleihgabe im Museum der bildenden Künste Leipzig. |
Wie bereits bei seinem "Parisurteil" und der "Kreuzigung" hat Klinger den Bildraum im wesentlichen als flache, bühnenartige Terrasse gestaltet, die hier als elysische Blumenwiese mit Hecken und Bäumen erscheint, mit dem bewaldeten Gipfel des Olymp und weitem Meerblick als Prospekt. Durch den Freskoton, die friesartige Reihung der Figuren und die architektonische Fassung erinnert das zunächst an die zeitgleiche Wiederbelebung der Quattrocento-Wandmalerei durch Puvis de Chavannes oder Hans von Marées. Die impressionistische Natürlichkeit und psychologisierende Vergegenwärtigung der Personen hebt aber das Theatralische hervor, verlebendigt die Wandkunst zum monumentalen Spektakel. Gesteigert wird der Bühneneffekt durch die horizontale Abtrennung eines niedrigen Sockelstreifens, der wie eine dunkle Unterbühne oder ein Orchestergraben wirkt:
Hier befindet sich der Tartaros, die Hölle der Antike. Vom Hauptbild sind außerdem durch geschnitzte Palmstämme zwei kleine Seitenteile abgetrennt, hinter denen die Landschaft aber weiterläuft. Das unterstreicht nochmals den Fenster- oder Guckkastenbühnen-Effekt und vervollständigt zusammen mit dem Sockelgemälde und den flankierenden Marmorskulpturen die Assoziation zum Altarflügelschrein, dem kirchlichen "Gesamtkunstwerk" der frühen Neuzeit mit Mitteltafel, Seitenflügeln und Predella. Diesen christlich geprägten Bildtypus verschränkt Klinger mit dem Historienbild antiker Prägung, was durch das betonte Breitformat, die friesartige Reihung der Figuren und schließlich den Mäander des abschliessenden Gebälkstreifens zum Ausdruck kommt. Eine Begegnung oder Synthese von Antike und Christentum wird also bereits durch die eigentümliche Bildform thematisiert.
Max Klinger, Das Urteil des Paris, um 1885-87, Öl auf Leinwand, Holz, 370 x 720 cm, Österreichische Galerie Belvedere, Wien. |
Am besten gelang dies im Jahre 1899 bei der Präsentation des Bildes in der Wiener Secession: "In einem ansonsten in leichtes Dämmer getauchten Raum erstrahlte das Gemälde allein in hellem Licht; der Besucher wurde durch eine Allee von Lorbeerbäumchen darauf zugeführt, dunkle Vorhänge umrahmten den Aufbau: Man befand sich an einem Ort der Andacht, Festspielhaus und Panoptikum in einem." Und die Rechnung ging auf, wie Ludwig Hevesi berichtet: "In langer Reihe sitzen die Leute davor, Herren und Damen, und schauen und flüstern, halbe Stunden lang. Es herrscht eine eigene Art von Andacht in dem Saale, kritische Andacht zum Teil, eine zögernde, halb widerwillige Gemütserhebung, als betete einer und stieße dazwischen Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott aus." Die paradoxe Verquickung von Blasphemie und Andacht betrifft im Kern alle Synthetisierungsbemühungen Klingers: Ist die Verschmelzung gelungen, oder hat er bloß zusammengezwungen, was nicht zusammengehört? Um dies beurteilen zu können, muß man sich seine Inszenierung zunächst im Detail ansehen.
Auf der "Oberbühne", dem Hauptbild, haben sich um den Marmorthron des Zeus die olympischen Götter versammelt. Klinger zeigt keine idealisierten Heroen in klassischer Nacktheit, sondern reale Zeitgenossen, die sich für ihren Auftritt vollkommen nackt ausgezogen und möglichst natürlich wirkende, betont unklassische Posen eingenommen haben - eine "Annäherung an die mit Mängeln, ja Häßlichkeiten behaftete Realität des durchschnittlichen Körperbaus". Der Parnass erscheint von Göttern bevölkert, die "mit den Körpern und Seelen reicher Bankiers, berühmter Rechtsanwälte und pflichtbewußter Hausfrauen" ausgestattet sind. Und diese "modernen Götter" gehen tatsächlich ihrem Fin de siècle entgegen. Zeus ist kein potenzstrotzender Blitzschleuderer mehr, sondern ein weißhaariger Greis, der sich zornig der Umarmung seines Lustknaben Ganymed entwindet. Der Grund seines Mißbehagens steht nur wenige Schritte vor ihm:
Mitten in die heidnische Gesellschaft ist Christus getreten, ein hagerer Asket, dessen goldglänzendes Haar und Kleid in der Abendsonne erstrahlen. Der neue "Sonnenkönig" mit deutlich germanischen Gesichtszügen weist Zeus von dessen Platz, und hinter ihm steigt, als meteorologischer Vorbote der Götterdämmerung, weißer Nebel empor, der die blühenden Hänge des Olymp bald in eisiges Grau getaucht haben wird. Wie zum Ausgleich sind aber unter den Tritten des Heilands Veilchen gewachsen, die Blumen der Bekenner und der Demut" - gleichsam die fromme Alternative zur polytheistischen Farbenpracht des Göttergartens. Christi Gefolge bilden "präraffaelitisch kostümierte Gouvernanten", die züchtig bekleideten Personifikationen der vier Kardinaltugenden, welche ein großes schwarzes Kreuz tragen, und eine Gruppe ausgemergelter Jammergestalten, die links im Hintergrund händeringend und betend die Plattform erklimmen, während ein lesbisches Nymphen- oder Bacchantinnenpärchen die Flucht ergreift.
Max Klinger, Kreuzigung Christi, 1890, Öl auf Leinwand, 251 x 465 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig. |
Als Kontrast zu diesen hochgeschlossenen Viktorianerinnen, die wie eine Abordnung der Heilsarmee im Nudistenclub wirken, fungieren gleich hinter ihnen drei nackte Göttinnen. Nahezu übereinstimmend werden sie als Hera, Athene und Aphrodite bezeichnet, die schon zuvor beim "Parisurteil" um ihre Schönheit wetteiferten. Bei der Schwarzhaarigen ganz rechts, die etwas pikiert und von oben herab die ungeladenen Gäste mustert und mit ihren eingestemmten Armen das Gegenstück zur "Tapferkeit" bildet, handelt es sich zweifellos um Hera. Klinger macht aus der chronisch betrogenen Zeusgattin eine stolzfrustierte First Lady. Die sich zierende Nackte in der Mitte wendet uns den Rücken zu und zeigt den Neuankömmlingen die kalte Schulter. In betonter Keuschheit hat sie ihre Beine zusammengekniffen und wie fröstelnd die Arme um den Körper geschlungen. Sie wird abwechselnd mit Athene oder Aphrodite identifiziert. Die dritte Göttin ist gerade im Begriff, sich umzuwenden; herausfordernd öffnet sie ihr Haar und blickt neugierig zur Gruppe um Christus.
Rund um den Thron des Göttervaters herrschen Sorge, Verwunderung und naive Ignoranz. Sichtlich verdutzt, blickt sich der Götterbote Hermes, ein braungebrannter Sportler, der lässig seinen Heroldstab wie einen Golfschläger hinter sich herzieht, nach den Neuankömmlingen um. Artemis ist in Ohnmacht gefallen, ihr Bruder Apoll hat sie aufgefangen und dreht sein leidendes Beethoven-Antlitz zum Orte des Geschehens. Dahinter brütet der "schwarze Brahmskopf" des Poseidon mißmutig vor sich hin; seine ahnungslose Gattin Amphitrite versucht vergebens, ihn aufzumuntern. Am rechten Rand verschläft Hades seinen Untergang im Schoß seiner kassandrahaften Gemahlin, die wie eine Stummfilmdiva das aufziehende Unheil allein in ihren großen, schwarzumrandeten Augen spiegelt. Hephaistos, ein tapsiger, lüsterner Greis, nutzt die Gelegenheit und macht sich an die schöne Persephone heran (oder will er bloß den Schläfer wecken und warnen?). Darüber zieht Kriegsgott Ares kampflustig vom Leder; mit Degen, Kappe und buntem Rock sieht er aus wie ein Corpsstudent, von dessen überaus prahlerischem Gehabe die christliche Abordnung wohl nicht viel zu fürchten hat. Weiter hinten am Berghang tanzen vier nackte Gestalten einen bacchischen Reigen. Sie haben von ihrem drohenden Ende ebensowenig bemerkt wie die herumtollenden Fangenspieler links hinter dem Zeusthron, denen ein übermütiger Satyr im Gebüsch aufgelauert hat. Oder ist die wie leblos zu Boden sinkende Nymphe bereits ein Anzeichen für das Sterben der sinnenfreudigen Naturreligion?
Max Klinger, Christus im Olymp, Detail |
Da die Rahmen- und Sockelteile des Gemäldes im Zweiten Weltkrieg beschädigt und teilweise zerstört wurden und seither fast immer nur das Hauptbild in Ausstellungen zu sehen war, kann man sich vom Rest nur mehr anhand der historischen Photos und Beschreibungen ein Bild machen. Den gemalten Sockelstreifen widmete Klinger der Unterwelt. Eng aneinandergekauert vegetieren dort die von den Olympiern gefangengehaltenen Titanen vor sich hin. Eine Gruppe von ihnen versucht, mit wuchtigen Keulenschlägen das Fundament des Zeusthrones zum Einsturz zu bringen. Die Kunde von der Götterdämmerung dürfte also schon den Hades erreicht haben, und die Unterdrückten nutzen die Gelegenheit zur Revolte.
Das Höllenbild ruhte auf einem farblich darauf abgestimmten dunkelroten Marmorsockel und wurde von zwei Marmorblöcken - gleichsam den Pfeilern des Olymp - seitlich eingefaßt. Hier ging die Malerei gemäß Klingers Vorstellung vom Gesamtkunstwerk in neobarocker Weise in Architektur und Skulptur über. Als Sockelfiguren fungierten beidseits zwei weibliche Akte aus weissem Marmor. Die linke, meist als Allegorie der "Reue", aber auch der "Trauer" oder der "Verzweiflung" tituliert, steigt aus dem roh belassenen Block und verhüllt den Kopf in ihren verschränkten Armen. Ihr Schrittmotiv wiederholt jenes des fliehenden Frauenpaares darüber, sodaß sie, je nach Ideologie des Betrachters, die Trauer der Bacchantinnen über das Ende der erotisch unbeschwerten Antike oder die Reue ob ihrer sündigen Lüsternheit zum Ausdruck bringt. Da es aber keinen Hinweis auf ein reumütiges Verhalten gibt, ist das neutralere "Trauer" wohl die bessere Bezeichnung. Die rechte Figur, in der Regel als" Hoffnung" angesprochen, ist nur ein Torso. Daß der Unterleib, Sitz der Geschlechtsorgane, fehlt, der bei der "Trauer" das Zentrum der Figur bildet, dürfte kaum Zufall sein. Die "Hoffnung" blickt in Richtung der christlichen Ankömmlinge, in Armhaltung und sehnsuchtsvollem Gesichtsausdruck Amors Gattin vergleichbar: "Sie ist eine andere Psyche, die den Erlöser fand und eine reinere Welt aufgehen sieht."
Max Klinger, Christus im Olymp, Detail |
Symptomatisch ist dafür die Geste, die Christus mit seiner linken Hand vollführt. In der Regel wird sie als Ablehnung des Willkommenstrunkes des Dionysos gedeutet. Eine nach außen gedrehte Handinnenfläche wäre da aber plausibler gewesen. Offensichtlich wollte Klinger damit noch eine Reihe anderer Deutungsmöglichkeiten offenhalten: Die Gebärde erinnert auch an einen "Segen, der den heidnischen Pokal in einen Abendmahlskelch verwandelt." Zugleich ist sie eine "segnende Schutzgebärde über dem Haupte Psyches", mit der sich Christus aber auch gegen die Attacke Amors verteidigt. Abschließend kann man sie auch in Richtung Zeus verstehen: als stummen Befehl, den Platz zu räumen. Dieser Vieldeutigkeit entspricht das Sowohl-als-auch in der Bewertung des gesamten Geschehens, was Klinger in den Allegorien der "Trauer" und der "Hoffnung", den Ecksteinen der Komposition und damit auch der Interpretation, zum Ausdruck bringt. Sympathie- und Antipathieträger sind unter den Vertretern von Christen- und Heidentum gleichmäßig verteilt.
Bei den Göttern sind etwa Poseidon und Apoll mit den Physiognomien von Brahms und Beethoven eindeutig positive Identifikationsfiguren, während Ares, Hephaistos und Hades lächerlich gemacht werden, Zeus Mitleid und Amor eher Ablehnung hervorrufen. Mit den Jammergestalten am Ende des christlichen Zuges ganz links, von denen nur die Köpfe zu sehen sind, dürfte Klinger, gewissermaßen als Randglosse und in satirischer Entsprechung zu Ares & Co., religiösen Fanatismus und fundamentalistische Frömmelei karikiert haben. Die hochgeschlossenen Kreuzträgerinnen mögen zwar auf den heutigen Betrachter besonders lächerlich wirken und außerdem der Lobrede auf den nackten Körper widersprechen, die Klinger am Ende von "Malerei und Zeichnung" anstimmte: aber es deutet nichts darauf hin, daß er sie als nur negativ darstellen wollte, denn ihre viktorianische Steifheit findet sich auch als Merkmal der nackten Göttinnen (besonders bei Hera und Aphrodite) - aber das lag wohl außerhalb von Klingers Intentionen.
Max Klinger, Christus im Olymp, Detail |
Die Bezeichnung "Christus der Germanen" etablierte sich dann vor allem durch das zwischen 1899 und 1926 fünfmal in der populären Reihe der Knackfuß Künstler-Monographien aufgelegte Klinger-Buch von Max Schmid. Entscheidend ist dabei die ebenfalls dem arischen Ideal entsprechende Gestalt der Psyche - gerade durch ihre äußeren Liebreiz hinter sich lassende Leidensfähigkeit und geistige Reife; galt es doch "als das Vorrecht deutscher Anschauung, ... die innerliche Beseeltheit" höher zu stellen als bloße (an italienischer Kunst geschulte) "Sinnenschönheit". Für Brieger-Wasservogel symbolisierte der "Christus im Olymp" demnach den Triumph des "Geist(es) über die leere Schönheit". Brieger-Wasservogel war auch der erste, der Klingers Bild auf den seit der Romantik stets virulenten Traum vom "dritten Reich" zurückführte, der Sehnsucht nach einer "neuen Weltanschauung, die Homer und Jesus Christus in sich vereinte."
In Abwandlung der geschichtstheologischen Spekulation des Joachim von Fiore (1130/35-1202), der ein "drittes Reich des Heiligen Geistes" prophezeit hatte, das unter einem "neuen Führer" die vorhergehenden Epochen des Vaters und des Sohnes miteinander verschmelzen und Vollkommenheit und Freiheit bringen würde - eine Idee, die u. a. Hegel stark beeinflußte -, hoffte man auf eine hegelsche Synthese von Antike und Christentum. Diese neue "Religion aus Ästhetik" erwartete man sich vom Gesamtkunstwerk und seinen Priestern, den deutschen Genies: Beethoven, dessen Idee einer 10. Symphonie griechischen Mythos und Kirchengesang vereinen sollte, natürlich Richard Wagner und - Max Klinger. Beethovens 10. Symphonie wäre "Christus im Olymp" geworden, schwärmte etwa Felix Zimmermann in seiner vergleichend-ästhetischen Studie Beethoven und Klinger von 1906, die mit den hymnischen Worten schließt: "Beethoven und Klinger - eine kühne Parallele, eine stolze Schau auf zwei weithingebreitete Schönheitsreiche, die im Sonnenglanz des Genius schimmern - und ihre Grenzen schwimmen und verschwimmen in der Ferne immer mystischer in Eins, bis an den aufblitzenden Streifen Meer, in dem am Horizont die selige Insel des dritten Reiches winkt..."
Max Klinger, Christus im Olymp, Detail |
Selbstverständlich darf man Klinger seine spätere faschistische Vereinnahmung nicht in die Schuhe schieben. Aber an seiner Grundidee, die Synthese und evolutionäre Überwindung von Antike und Christentum in einer Art "vergeistigtem" Deutschtum der Zukunft anzusiedeln, das im germanisierten Paar "Christus und Psyche" seinen sichtbaren Ausdruck findet, kann kaum ein Zweifel bestehen. Christus wird - wie auch in den übrigen Christusbildern Klingers - aus der kirchlichen Tradition herausgelöst und zur Zentralfigur der neuen Religion vom Gesamtkunstwerk gemacht. […]
In Klingers zahlreichen Christusbildern ist eine deutliche inhaltliche Entwicklung festzustellen, sodaß man diese nicht wahllos und ungeachtet ihrer Entstehungszeit für eine wechselseitige Interpretation heranziehen darf. Nur eines bleibt stets konstant: Christus wird nicht mehr als Gottes Sohn und Heiland im Sinne der kirchlichen Tradition betrachtet, sondern als herausragender Mensch. In den 1880er Jahren entwickelt Klinger das Bild des "Großen Einzelnen", der sich der Masse widersetzt und mit den Ausgegrenzten solidarisch zeigt. In dem Blatt "Christus und die Sünderinnen" aus dem Epilog des Graphikzyklus "Ein Leben" von 1884, der mit schopenhauerschem Pessimismus das sexuelle Schicksal der Frau behandelt, steht Christus inmitten einer Gruppe nackter Frauengestalten, die sich zum Teil hoffnungsvoll und reumütig um ihn scharen, den Rocksaum küssen und - genau wie in der Folge beim" Christus im Olymp" - mit bittender Geste die Rechte umfassen. "Ich zog Christus gewissermaßen als Einleitung zum E(pilog) an", schreibt Klinger 1885, "er ist der erste wenigstens für unsere Gesichtsweise zugänglich, der sich menschlich mit der Hure beschäftigte - wenigstens sich nicht ihrem Co(n)takt entzog."
Max Klinger, Christus und die Sünderin (Blatt 13 aus "Ein Leben"), 1884, Radierung und Stich, 297 x 408 mm, Museum der bildenden Künste Leipzig |
Ein als historische Begegnung inszeniertes Zusammentreffen von Christus und den olympischen Göttern mußte zwangsläufig zu deren wechselseitiger Demontage führen. Am klarsten hat das bereits im Jahre 1899 Hermann Bahr erkannt, der "Christus im Olymp" durchaus schätzte: "Hier Christus, dort Zeus ... das kann doch nur heißen, daß Christus jetzt in derselben Entfernung von uns ist wie der Zeus. Glauben wir an den Zeus? Wir können ja sagen, indem wir es in einem vagen pantheistischen Sinne meinen und mit ihm die ewig waltende Kraft in der Natur verstehen: an einen lebendigen und persönlichen Zeus, der noch unter uns vermummt nach schönen Frauen auf Abenteuer geht, glauben wir nicht mehr, er ist uns nur noch ein Zeichen einer Idee ... Der Künstler drückt aus, dass Christus uns dasselbe geworden ist, was uns Zeus oder Ares oder Apollo ist. Er hat ihn unter die alten Götter treten lassen und wir glauben an die alten Götter nicht mehr. Man könnte auch malen: Wotan begegnet dem Zeus. Aber nur, wenn Wotan dem Zeus schon gleich geworden ist: wenn sie beide nur Mythologie sind. Ein gläubiger Germane würde niemals seinen Gott durch eine solche Begegnung entheiligen lassen. Dass es heute gute Christen gibt, die dieses Bild ertragen können ..., kann uns beweisen, wie es mit ihrem Christenthum ist: sie glauben an Christus, wie wir an den Zeus."
Vielleicht hat Klinger diese Einschätzung geteilt, allerdings hätte er dann mit Bahr einen entscheidenden Aspekt übersehen: Das Bild zeigt uns weder Zeus noch Christus als mythologische Figuren, als "Zeichen einer Idee", sondern als historische, naturalistisch gemalte Gestalten. Im Prinzip wird hier Zeus auch als Mythos vernichtet, so wie Christus - durch seine Kombination mit Zeus seine Historizität einbüßt, mit der ihn Max Klinger in der "Kreuzigung" noch in besonderem Maße ausgestattet hatte. Der Mensch Jesus von Nazareth, der Zeus im Olymp trifft, kann nie ein realer Mensch gewesen sein. Der Gott Zeus, den dieser Jesus besucht, kann nie ein realer Gott gewesen sein. Instinktiv dürfte Klinger dieses ontologische Dilemma gespürt haben, und möglicherweise ist sein zum germanischen Übermenschen stilisierter Christus der - mißglückte - Versuch einer Lösung. Mißglückt deshalb, weil die Diskrepanz von heidnischer, christlicher oder "arioheroischer" Heilsgeschichte einerseits und positivistischer Weltgeschichte andererseits, die von der Relativität aller Religionen (einschließlich der vom Übermenschen) ausgeht, bestehen bleibt. Klinger relativiert nicht nur die Religionen im Geist des Historismus, er entzieht ihnen - ohne es zu wollen - jegliche reale oder allegorische Basis. Diese wechselseitige Demontage Gottes und der Götter ist eine Folge der Ideologie vom Gesamtkunstwerk, die nicht nur eine historische Buchreligion mit einem Mythos, sondern auch einen naturalistischen Stil mit einem symbolistischen Inhalt zur Synthese bringen will, die dabei schon im Ansatz in die Brüche geht. […]
Max Klinger, Morgen (Christus auf dem Meere), 1896, Öl auf Leinwand, 114 x 200 cm, Museum der bildenden Künste Leipzig |
Anselm Wagner arbeitete nach dem Studium der Kunstgeschichte als Kurator, Kunstkritiker, Galerist und Universitätsassistent. Derzeit [2000] ist er Redakteur der Wiener Kunstzeitschrift "Frame" und Lehrbeauftragter für Kunstgeschichte an der Universität Mozarteum in Salzburg.
CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 56 MB
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Unpack x236.rar and read the file "Download Links.txt" for links to the Flac+Cue+Log Files 2 CDs 235 + 206 MB
Reposted on June 2nd, 2017
Ein aktueller Link zuletzt: Brahms, Schumann, Debussy: Woran sie wirklich starben
Waere ein Re-Up moeglich?
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