12. Dezember 2008

Giacinto Scelsi: Streichquartette, Streichtrio, Khoom (Arditti String Quartet)

Als Kind, so geht die Legende, habe Giacinto Scelsi oft tagelang am Klavier gesessen und immer nur einzelne Töne angeschlagen. Gebannt und mit höchster Aufmerksamkeit habe er ihnen bis zum völligen Verklingen nachgelauscht. Auch später als Erwachsener soll er sich in einer psychischen Krise noch einmal dieser exzessiven Ein-Ton-Therapie hingegeben haben. Was der Italiener da wohl alles vernommen hat? Nicht gehört hat er auf jeden Fall, was die Musik nach landläufiger Definition ausmacht – die Aufeinanderfolge von Tönen, ihr Zusammenklingen in Rhythmus, Melodie, Harmonik. Wahrgenommen haben seine Ohren anderes: das Pulsieren der Energie im Inneren der Töne, das Schillern der Klangfarbe in geheimnisvollen Glissando- und Wirbelbewegungen, Raumdimensionen des Klangs in Kugelform und Obertöne, die in die Sphären der Mikrotonalität führen.

Aus solchen Phänomenen hat Giancinto Scelsi dann eigene Musik geformt. Die schrieb er nicht, wie andere Komponisten, auf Notenpapier, sondern improvisierte sie auf einer Ondioline, einem seltsamen Instrument aus der Frühzeit der elektronischen Musik, das anders als das Klavier nicht auf Halbtonschritte festgelegt ist. In Augenblicken musikalischer Erleuchtung spielte Scelsi frei und spontan und ließ dabei ein altes Uher-Tonband mitlaufen. Hunderte von Bändern stapelten sich in seiner Wohnung, und manche der Improvisationsentladungen, die er für gelungen hielt, gab er an bezahlte Sekretäre weiter, die sie für ihn aufschrieben und in Partiturform brachten.

Eines der seltenen Bilder Sceltis, diesmal aus jüngeren Jahren

Die verrückten Geschichten, die sich um Giacinto Scelsi ranken, klingen am besten, wenn man sie ungläubig raunt; der Italiener ist eine geheimnisumwitterte Figur der neuen Musik. Conte Giacinto Francesco Maria Scelsi d’Ayala Valva lautet sein vollständiger Name, geboren 1905 und 1988 gestorben. Er war wohlhabender Spross eines Adelsgeschlechts aus La Spezia. Um das Bekanntwerden seiner Musik, gar um Aufführungen seiner Werke hat er sich nie gekümmert. Als Künstler-Ich wollte er nicht in Erscheinung treten. Indienreisender und Yogaschüler war er, buddhistisch geprägt, glaubte an die Reinkarnation und dass er schon 2637 vor Christus in Mesopotamien auf die Welt gekommen war – soweit man solchen Angaben trauen darf. Denn seine biografischen Spuren hat Scelsi sorgfältig verwischt, manches bewusst gefälscht, Fotografien von sich unter Verschluss gehalten und nur ein Symbol als Zeichen seiner Identität zugelassen – einen Kreis, der über einer horizontalen Linie schwebt: »Es kann als Zen-Symbol interpretiert werden oder als Sonne über dem Horizont oder als große unterstrichene Null.«

Quelle: Claus Spahn: Der Graf mit der Null, © DIE ZEIT, 23.08.2007 Nr. 35

TRACKLIST

GIACINTO SCELSI

Arditti String Quartet
Michiko Hirayama, soprano
Frank L1oyd, cor
Maurizio Ben Omar, percussion
Aldo Brizzi, direction


Disque I

[01] à [04] Quatuor à cordes No 1 (1944)          31'37"

[05] à [08] Trio à Cordes (1958)                  13'17"

[09] à [13] Quatuor à cordes No 2 (1961)          17'24"

Duree totale                                      63'21"


Disque II

[01] à [07] Khoom (1962)                          20'47"
        pour soprano et 6 instruments

[08] à [12] Quatuor à cordes No 3 (1963)          18'42"

      [13] Quatuor à cordes No 4 (1964)           9'55"

      [14] Quatuor à cordes No 5 (1974/85)        6'32"

Duree totale                                      58'25"

(C) (P) 1990

Das Klavier, die Ondiole und andere Instrumente aus dem Besitz von Giacinto Scelsi, die heute im Museum Casa Scelsi aufbewahrt werden. Foto Archivio Fondazione Isabella Scelsi

WEBLINKS:

Die einzige authentische Quelle zu Leben und Werk ist die Fondazione Isabella Scelsi, deren Internetauftritt auch das Onlinemagazin La Rivista umfaßt (ab Nr. 10 als vollständige PDF-Dokumente verfügbar).

Werksverzeichnisse bzw. Diskographien werden von mehreren Stellen angeboten, so von der Fondazione selbst, von Wikipedia, vom Centre de Documentation de la Musique Contemporaine, vom Musikverlag Éditions Musicales.

Die Monographie von Markus Bandur ist original erschienen in: Komponisten der Gegenwart, edition text+kritik, 2007, S. 1-44.

Von den englischen Artikeln empfehle ich noch den von Alex Ross aus dem New Yorker, Nov. 21, 2005, sowie die Biographie bei Classical Net.

Der bereits im Zusammenhang mit Artur Schnabel erwähnte Wolke-Verlag bereitet eine Werkausgabe der Schriften Giacinto Scelsis vor, über die aber noch wenig bekannt ist.

Nachdem Sie das alles gelesen haben, dürfen Sie dann auch die Musik downloaden und anhören:

CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 13 MB
rapidgator --- embedupload --- Filepost --- Depositfile --- uploadable

Unpack x46.rar and read the file "Download Links.txt" for links to the Ape+Cue+Log Files: 2 CDs [121:46] 6 parts 480 MB

Reposted on August 10, 2014

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