26. Februar 2009

William Byrd: Gradualia - Die Marienmessen (The William Byrd Choir)

William Byrd (c. 1540–1623) war der bedeutendste Komponist des Elisabethanischen England. Schon als junger Mann hatte er das Organistenamt an der Lincoln Cathedral inne und wurde 1570 Mitglied der Königlichen Kapelle. Seine Musik ist der eines Palestrina oder Orlando di Lasso ebenbürtig, obwohl seine Lebens- und Schöpfungsbedingungen sehr verschieden waren. Er war ein strenggläubiger Katholik in einem protestantischen Land, dessen Regierung immer öfter mit Strafaktionen gegen die “Widerspenstigen” des reformierten Kirchendienstes vorging.

Ein schmerzhaftes Ereignis wird für Byrd und seine Freunde im Jahre 1581 die Hinrichtung von Edmund Campion gewesen sein. Campion war einer der ersten Märtyrer der Jesuitenmission, die England wiederbekehren sollte. Der Komponist hat einen Gesang zu seinem Todestag geschrieben und war mutig genug, diesen 1588 zu veröffentlichen. Seine Motettensammlungen von 1589 und 1591 enthalten viele Vertonungen von Texten über die Apokalypse und die Babylonische Gefangenschaft, Texte, die als Ganzes genommen, unmißverständlich auf eine militante widerstrebende Haltung hinweisen. Aber Musik zu Bibeltexten konnte natürlich nicht aufständisch und verräterisch sein! Es scheint in der Tat, daß Byrd seiner Königin treu blieb, obwohl es Zeugnisse von 1580 gibt, daß er enge Beziehungen zu den Jesuiten unterhielt, besonders zu ihrem Oberhaupt, Henry Garnet, der selbst sehr musikalisch war. 1593 zog sich Byrd vom aktiven Hofleben zurück, und übersiedelte mit seiner Familie nach Stondon Massey, einem kleinen Dorf im Herzen von Essex. Sein Nachbar dort war ein treuer Freund und Beschützer, der reiche katholische Edelmann Sir John Petre. Sein Haus in Ingatestone scheint eines der Zentren gewesen zu sein, wo der katholischen Lehre die Treue gehalten wurde; wahrscheinlich durch die alte Lady Petre, die allgemein als “Papistin” bekannnt war.

William Byrd, (c. 1540-1623)

In dieser schützenden Umgebung wagte Byrd einen weiteren gefährlichen Schritt. Erschrieb und veröffentlichte zwischen 1593 und 1595 drei Vertonungen des Meßordinariums. Den Messen des führenden Komponisten unter Heinrich VIII., John Taverner, nachgebildet, sind diese Werke ganz klar als besonderer Markstein der katholischen Tradition konzipiert. Die Regierung wurde nicht provoziert, da die Messen ohne Titelseiten erschienen und die Texte ebenfalls zum anglikanischen Ritus gehörten, der ganz legal in Lateinisch zelebriert werden durfte.

Die Messen sind eigentlich nur der erste Anstoß eines größeren Plans liturgischerVertonungen, der erst später reifte. 1605 veröffentlichte Byrd eine Sammlung unter dem Titel Gradualia mit Vertonungen des Meßpropriums (oder veränderlichen Meßteilen) für verschiedene katholische Festtage wie Allerheiligen, Fronleichnam und Marienfeste. Ebenfalls enthält es viele Vertonungen aus dem “Book of Little Offices”, allgemein als Primer bekannt. Es war das verbreitetste Gebetbuch der Katholiken in jener Zeit, als der Kontakt mit einem Priester sowohl ungewöhnlich als auch gefährlich war. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war sehr ungünstig gewählt, da er mit dem niederträchtigen "Gunpowder Plot" zusammenfiel, durch den eine Gruppe von jungen hitzigen Katholiken erfolglos versucht hatte, den König und das Parlament zu töten. Byrd scheint das Buch zurückgezogen zu haben. Die Atmosphäre hatte sich nach zwei Jahren genug gelöst, daß er eine zweite Sammlung des Meßpropriums (und liturgischen Antiphonen) für die Hauptfeste des Kirchenjahres – Weihnachten, Epiphanie, Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten – veröffentlichen konnte. Die Sammlung enthält ebenfalls beeindruckende sechsstimmige Vertonungen der Messen für St. Peter und Paul und St. Petrus der Martyrer als Widmung für Sir John Petre. Beide Sammlungen Gradualia wurden 1610 neu aufgelegt.

Die Werke dieser beiden wichtigen Sammlungen sind auf eine Art sehr abweichendvom Ideal der Motette des 16. Jahrhunderts und von Byrds sonstigen Schöpfungen. Von der sechsstimmigen Motette für Sir John abgesehen, haben wir es mit sehr schlichten Werken zu tun. Die Worte sind flüchtig, ja hastig vertont, bis man nach mehrmaligem Hören den tiefen gedanklichen Hintergrund erfaßt. Dieser Eindruck resultiert aus mehreren Fakten: Zunächst aus Byrds “ökonomischer” Behandlung der Marientexte des 1. Buches. Indem er für die 25 Stücke denselben Modus und dieselben Schlüssel verwandte, ersparte er sich, jedesmal den Text nachzukopieren und überließ es den Sängern, diesen irgendwo im Buche zu finden. So stammt das Graduale von Mariä Himmelfahrt von Mariä Verkündigung und der Introitus von Mariä Geburt.

Aus den von Byrd komponierten 42 kurzen Stücken lassen sich alle im katholischen Kirchenjahr vorkommenden Marienmessen zusammensetzen

Ein anderer Grund für diese musikalische Schlichtheit ist die liturgische Beziehung:Eine würdevolle und angemessene Haltung war das höchste ästhetische Prinzip jener Zeit; Byrd respektierte es gänzlich. Schließlich waren auch die Ausführungsbedingungen entscheidend. “Diese kleinen, hauptsächlich in Ihren Gärten gepflückten Blumen” (wie Byrd die Stücke in seiner Widmung an Sir John nennt), waren nicht dazu bestimmt, von dichtgedrängten Rängen männlicher Choristen in halligen gothischen Kathedralen gesungen zu werden, sondern für die Hausmessen der Familie Petre, wo, wie in anderen katholischen Haushalten die Messe im günstigsten Falle im Speisesaal zelebriert wurde, wahrscheinlich aber in abgelegenen Räumen, zu denen nur die Familie und verläßliche Freunde Zugang hatten, und wo eine kleine Schar geübter Sänger unter der Leitung des Komponisten sang.

(Quelle: Philip Brett, University of California, Berkeley)

TRACKLIST

WILLIAM BYRD (1539/40-1623)

GRADUALIA    The Marian Masses
01 Suscepimus Deus            2'22
02 Iustitia                   0'38
03 Magnus Dominus             1'58
04 Sicut audivimus            1'14
05 Alleluia                   0'40
06 Senex puerum               1'42
07 Nunc dimittis servum tuum  5'34
08 Responsum accepit Simeon   4'07
09 Salve sancta parens        1'29
10 Alleluia                   0'31
11 Eructavit cor meum         1'53
12 Benedicta et venerabilis   2'27
13 Alleluia                   0'42
14 Felix es, sacra Virgo      1'30
15 Beata es, Virgo Maria      2'01
16 Alleluia                   0'52
17 Beata viscera              1'43
18 Alleluia                   0'40
19 Rorate caeli               1'27
20 Benedixisti Domine         2'11
21 Tollite portas             2'10
22 Ave Maria                  1'23
23 Alleluia                   0'48
24 Ecce virgo concipiet       2'07
25 Alleluia                   0'30
26 Vultum tuum                2'22
27 Alleluia                   0'47
28 Speciosus forma            3'04
29 Alleluia                   0'38
30 Post partum                2'56
31 Felix namque es            1'41
32 Alleluia - Ave Maria       1'57
33 Virga lesse                2'22
34 Gaude Maria                3'41
35 Diffusa est gratia         1'38
36 Propter veritatem          2'42
37 Alleluia                   0'31
38 Vultum tuum                3'55
39 Gaudeamus omnes            2'20
40 Assumpta est Maria         1'28
41 Assumpta est Maria         1'35
42 Optimam partem elegit      2'50

THE WILLIAM BYRD CHOIR
DEBORAH ROBERTS soprano
DAVID CORDIER, MICHAEL CHANCE countertenors
JOHN MARK AINSLEY tenor, MICHAEL GEORGE bass
GAVIN TURNER director

Recorded in Rosslyn Hill, Chapel, Hampstead, on 27 28 February, 1 March 1990
Recording Engineer ANTONY HOWELL - Recording Producer GARY COLE
Front Design TERRY SHANNON
Front illustration, Adoration in the Woods (delail) by Filippo Lippi (c 1406-1469)
Executive Producers CECILE KELLY, EDWARD PERRY
® 1990 © 2002


Hörbeispiel: Track 12: Benedicta et venerabilis


Benedicta et venerabilis, es sacra Virgo Maria,
quae sine tactu pudoris inventa es mater Salvatoris.

Psalm 46:2


(Fra) Filippo Lippi (c. 1406-1469): Anbetung im Wald, c. 1460, Staatliche Museen, Berlin

Internetlinks zu William Byrd:

Der Komponist als Katholik und katholischer Musiker

Artikel bei WWW.Classical.Net

Es gibt auch ein William Byrd Festival


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Reposted on October 30, 2014

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