14. Juni 2019

Turina | Zilcher | Dvořák: Klaviertrios

Die vorliegende CD stellt Trios von Antonín Dvořák, Hermann Zilcher und Joaquín Turina zusammen. Diese drei Komponisten sind fest in der klassischen europäischen Kunstmusik verwurzelt, haben aber Elemente der Volksmusik ihres Kulturkreises in ihr Schaffen einbezogen. Die hier vorgestellten Kompositionen weichen von tradierten Formvorgaben wie der klassischen Viersätzigkeit ab, wobei die Elemente der volkstümlichen Lieder und Tänze zum Entstehen der neuen Formen beitragen. Der persönlich-emotionale Ausdruck steht im Vordergrund, während die Werke der klassischen Zeit, die Dvořák, Zilcher und auch Turina noch als Vorbilder dienten, eher eine allgemein ästhetische Aussage zu erreichen suchten. Die drei Komponisten liefern überzeugende Beispiele dafür, dass die Musik im Konzertsaal durch volkstümliche Traditionen um eine kraftvolle Farbe bereichert wurde.

Die musikalische Entwicklung von Joaquín Turina (Sevilla 1882 - Madrid 1949) wurde von seinem Vater, einem Maler italienischer Abstammung, früh gefördert. Nach einer Ausbildung als Pianist in Madrid ging er mit ersten Kompositionen im Gepäck 1905 nach Paris, wo er bei Vincent d’Indy studierte. Dort war der Einfluss von dessen Vorgänger César Franck noch sehr präsent, und Turina konnte sich auch den neuen Klängen eines Claude Debussy nicht verschließen. Durch die Freundschaft mit Manuel de Falla und Isaac Albéniz wurde sein Interesse an der spanischen Volksmusik bestärkt. 1914 war sein Erfolg in Paris und in Spanien gefestigt und Turina kehrte als geachteter Komponist nach Spanien zurück. 1930 wurde er als Professor ans Konservatorium nach Madrid berufen; später wurde er dessen Direktor. 1941 ernannte man ihn zum Leiter der Musikabteilung im spanischen Erziehungsministerium.

Zeit seines Lebens ließ sich Turina von literarischen und visuellen Ideen zu seinen Werken inspirieren. Die spanische Musik mit ihren charakteristischen Tänzen und Rhythmen (z.B. die Abwechslung vom 6/8 mit dem 3/4 Takt), die der Gitarre abgelauschten Elemente wie schnelle Repetitionen und markant gebrochene Akkorde oder auch die typisch andalusische Bassfortschreitung A G F E — dies sind nur ein paar Merkmale, die die Atmosphäre in Turinas Musik bestimmen. In den Satzstrukturen orientiert sich Turina jedoch bewusst an den mitteleuropäischen Traditionen der klassischen Musik - weit mehr als de Falla und Albéniz.

Joaquín Turina (1882-1949)
Die Verwendung volkstümlichen Materials in der spanischen Kunstmusik steht bereits in einer längeren Tradition. Domenico Scarlatti, seit 1729 in Spanien, übernahm die Lieder der Eselstreiber und Träger sowie die Rhythmen der Tänze der einfachen Leute in seine Werke. Doch die spanische Musik führte lange, auch aus politischen Gründen, ein Rand—Dasein in Europa. Erst durch die Verbindung des Volkstümlichen, typisch Spanischen mit den Formen der europäischen Kunstmusik, z.B. durch Felipe Pedrell (1841 - 1922) in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde die spanische Musik von führenden Kritikern in Europa überhaupt wahr- und ernstgenommen. Pedrell schuf eine Sammlung klassischer spanischer Musik mehrerer Jahrhunderte, die zeigte, dass die spanische Kunstmusik seit jeher auf dem Boden der Volksmusik stand. Insofern fand nur eine Neubewertung des spanischen Beitrags zur europäischen Musik statt, anders als in Deutschland und in den osteuropäischen Ländern, in denen man die Volksmusik für die Kunstmusik erst im großen Stil „entdeckte”.
Turina gewann mit seinem ersten Klaviertrio 1926 den nationalen spanischen Musikpreis. Das hier eingespielte dritte Klaviertrio „Círculo” entstand 1942. Die Musik dieses letzten Trios ist viel weniger durch vorgegebene formale Überlegungen geprägt als die des ersten, das sich explizit auf traditionelle Formen wie Prelude, Fuge, Variation oder Sonate bezieht. Die Form ergibt sich aus der Idee des „Círculo”, des Tageskreislaufs mit Sonnenaufgang, Mittag und Abenddämmerung. Zwei ruhige Sätze umrahmen einen lebhaft-tänzerischen Teil. Turina soll ein freundlicher Mensch gewesen sein, der Einfachheit und Schönheit liebte. Die Wirren der Zeit, Tragik oder depressive Leidenschaft spiegeln sich in seinem Werk nicht. „Círculo” - von Turina mit dem Untertitel „Fantasia“ bezeichnet - sind drei impressionistisch gefärbte Szenen voll spanischer Eleganz und glutvoller Schönheit.

Hermann Zilcher (1881-1948) stammt aus Frankfurt und zeigte als Kind eine ausgeprägte Doppelbegabung für Malerei und Musik. Mit seiner Ausbildung verlagerte sich der Akzent schließlich doch ganz auf die Musik und er wurde als Konzertpianist und später als Komponist in ganz Deutschland bekannt. Dies führte zu seiner Berufung als Professor zunächst an die Musikhochschule in München und von 1920 an als Direktor an das Musikkonservatorium in Würzburg wo er 1948 starb. Zilchers Musik steht ganz in der Nachfolge von Johannes Brahms, Richard Strauß und Max Reger. Sein großes Vorbild war Mozart. Er entwickelt auf dieser Basis eine Tonsprache, die Elemente des Volkstümlichen mit stark kontrapunktisch geprägter Themenbehandlung verbindet.

Hermann Zilcher (1881-1948)
Insbesondere der zweite Satz des Klaviertrios op. 56, die „Variationen über ein walisisches Volkslied”, zeigt deutlich die Verwurzelung von Zilchers musikalischem Ausdruck im Liedhaft-Volkstümlichen. Harmonisch gesehen entwickelt er einen individuellen Klang, der zwar impressionistisch anmutende Neuerungen einfließen lässt, im Grunde aber den Boden der Spätromantik nicht verlässt. Das ist wohl der Grund, dass Zilchers Werke in einer Zeit, da Schönberg, Hindemith, Schreker oder Busoni die musikalische Avantgarde bildeten, in Vergessenheit geraten sind. Zilcher setzte als Pädagoge wichtige Akzente für die Musikausbildung an den deutschen Hochschulen und war Gründer des heute noch bestehenden Mozart-Festes in Würzburg.

Das Klaviertrio in e-moll, op. 56, das aus der Zeit um 1927 stammt, ist für Zilchers eigene Konzertpraxis entstanden. Das Zilcher-Trio mit Adolf Schiering, Violine, Ernst Chanbley, Violoncello, und Zilcher selbst am Klavier gab zahlreiche Konzerte in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg. Zilcher war in dieser Zeit stark durch die Leitung des Würzburger Konservatoriums in Anspruch genommen, später kamen dann Schwierigkeiten und Behinderungen seiner Tätigkeit durch die Nationalsozialisten dazu. 1942 stellte er den Antrag, ihn seines Postens als Direktor zu entheben. Dazu kam es nicht, weil man auf einen so versierten und kundigen Mann nicht verzichten wollte. Nach dem Krieg wurde er von seiner Stelle als Leiter des Konservatoriums suspendiert. Verbittert über die Missachtung seiner jahrzehntelangen musikalischen Arbeit verbrachte er die letzten Jahre, in denen nur noch die Kantate „Du aber, Herr, bist unser Vater” und seine 5. Symphonie in c-moll entstanden, die in das Sterbelied „Mein Gott, ich bin bereit” mündet. Seine Musik ist heute mit einigen Liedern, dem Klarinettentrio op. 90, dem Klavierquintett op. 42 und dem Klaviertrio op. 56 in den Konzertsälen vertreten.

Das Dumky-Trio op. 90 von Antonín Dvořák (Böhmen 1841 - Prag 1904) ist das älteste Werk auf dieser CD. Es entstand 1890/91, zu einer Zeit, als Dvořák bereits von seiner bevorstehenden Berufung als Professor nach New York wusste. Gemeinsam mit dem Geiger Ferdinand Lachner und dem Cellisten Hanuš Wihan unternahm er 1892 eine „Abschiedstournee" durch seine Heimat, bei der das Dumky-Trio in ca. 40 Konzerten aufgeführt wurde.

Antonín Dvorák (1841-1904)
PHOTOGRAPH, signed and inscribed by the composer
 to Toscanini on the image ("Il Maestro Arturo Toscanini
 in amichevole ricordo, Antonín Dvorák 1903.25.2"),
bearing below the image an autograph quotation from
 the fugal statement of the theme in bb.13-16 of the Finale
 from his Symphonic Variations, Op.78,, 25 February 1903
„Dumka” (Plural „Dumky”) bezeichnet in den slawischen Sprachen als Verkleinerungsform von „Duma” (der Rat, der bedeutende Gedanke) einen Gedanken, dem man nachhängt - nichts Weltbewegendes, eher etwas Verträumtes. Manche Quellen bezeichnen mit „Dumka” einen Tanz ukrainischer Herkunft, manche ein slawisches Lied — jedenfalls hat sie meist eine melancholische Note. Bei Dvořák hat die Dumka eine zweiteilige Form mit einem langsam-melancholischen Teil und einem tänzerisch-schnellen Teil, der häufig in Dur steht. Bereits in früheren Werken wie dem Streichsextett op. 48, dem Streichquartett op. 51 oder dem Klavierquintett op. 81 verwendet er dieses formale Modell der Dumka. Weitere Elemente, die seinen Werken eine volkstümliche Färbung geben, sind typische Rhythmen (Polka, Furiant) und Melodiebildungen, die teilweise echten Liedern und Tänzen entnommen, meistens aber nachempfunden sind.

Das Dumky-Trio ist insofern bemerkenswert, da die Dumka das einzige, äußerst einfache formbildende Prinzip aller sechs Sätze des Werkes ist. Dvořák hatte in der Zeit um 1890 längst seine individuelle Klangsprache gefunden, so dass diese formale Einfachheit ihm genügend Raum für seinen melodiösen Einfallsreichtum ließ. Noch heute gehört das Dumky-Trio zu den beliebtesten Werken für Klaviertrio. Mit seinem bewussten Bekenntnis zur musikalischen Tradition seiner Heimat war Dvořák sicher eines der wichtigen Vorbilder, die in ganz Europa den verschiedenen Strömungen der Volksmusik und der nationalen Folklore zum Einzug in die Musik der Konzertsäle verhalfen.

Quelle: Ulrike Eickenbusch, im Booklet


TRACKLIST


TURINA - ZILCHER - DVORAK

Klaviertrios


JOAQUÍN TURINA (1882-1949)

Círculo Op. 91 Fantasía para piano, violín y violoncello (1942)

 (1) Amanecer                                          4:03
 (2) Mediodía                                          2:22
 (3) Crepúsculo                                        4:29


HERMANN ZILCHER (1881-1948)

Trio in E minor, Op. 56 for piano, violin and violoncello (1927)

 (4) Ruhig fließend beginnen                          11:51
 (5) Variationen über ein walisisches Vollslied       12:12
     Ruhig schreitend, einfach


ANTONÍN DVORÁK (1841-1904)

Trio in E minor, Op. 90 for piano, violin and violoncello "Dumky Trio"

 (6) Lento maestoso - Allegro quasi doppio movimento   4:39
 (7) Poco adagio - vivace non troppo                   7:08
 (8) Andante - vivace non troppo                       6:16
 (9) Andante moderato (quasi tempo di marcia)          5:26
(10) Allegro                                           4:26
(11) Lento maestoso - vivace, quasi doppio movimento   4:58


                                          Total Time: 67:54
Turina-Trio:
  Ursula Monter, piano
  Bertram Schade, violin
  Ulrike Eickenbusch, violoncello

Recorded July 1999, International Bach Academy, Stuttgart   
(P)+(C) 2001 


Ein Paradies fürs Auge

Gartendarstellungen auf Tapisserien der Renaissance

Abb. 1 Gartentapisserie aus Wetzlar, Südliche Niederlande, letztes Viertel 16. Jhdt.,
Wolle und Seide, 318 x 404,5 cm, Lemmers-Danforth-Sammlung, Wetzlar.
Gartenkunst und Tapisseriekunst: zwei künstlerische Ausdrucksformen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam zu haben scheinen. Mehrere Jahrhunderte lang aber standen beide Kunstgattungen in einer engen und intensiven Wechselbeziehung und waren im Genre der Gartentapisserie sogar miteinander „verwoben". Die Anfänge dieser Beziehung reichen zurück bis in die Renaissance, als sowohl Garten- als auch Tapisseriekunst eine bis dahin nicht gekannte Blüte erlebten und erstmals auch architektonische Gärten auf Tapisserien gezeigt wurden.

Die Darstellung einzelner Pflanzen hingegen ist mit der Geschichte der Textilkunst untrennbar verbunden. Schon vor Jahrtausenden entstanden im Orient Teppiche mit stilisierten Pflanzen, floralen Motiven und symbolischen Paradiesdarstellungen, die während der Kreuzzüge auch im Westen bekannt und beliebt wurden. Im Mittelalter entwickelte sich in Frankreich ein eigener Typus von Wandteppichen, die sogenannten „Tausendblumen- oder Millefleurs-Teppiche". Diesen Namen verdanken sie ihrem mit reichem Blumenschmuck überzogenen Grund, auf dem die dargestellten Figuren ohne jegliche Andeutung landschaftlicher oder architektonischer Umgebung von kleinen Blumen und Blüten eingeschlossen werden. In den folgenden Jahrhunderten bis hin zum Barock setzten sich Künstler immer wieder intensiv mit Naturdarstellungen auf Tapisserien auseinander.

In der Renaissance, einer Zeit des Umbruchs philosophischer und künstlerischer Traditionen, wurde der architektonische Garten zum Abbild eines völlig neuen Naturverständnisses. In künstlerischen Darstellungen wurde die vergängliche Schönheit des Gartens festgehalten, symbolisch überhöht, und als Sinnbild ewigen Frühlings in den Innenraum transferiert. Tapisserien waren dazu besonders geeignet. Zum einen bot ihre monumentale, wandfüllende Größe ein geeignete Darstellungsfläche, zum anderen waren sie als Luxusgegenstand ähnlich exklusiv wie Gärten. Die Gartentapisserien der Renaissance spiegeln also in besonderem Maß das Verhältnis zwischen Mensch und Natur am Beginn der Neuzeit wider (Abb. 1).

Im Folgenden wird eine allgemeine Interpretation des Genres der Gartentapisserien auf der Basis des neuen Naturverständnisses der Renaissance versucht. Im zweiten Abschnitt werden die Übereinstimmungen zwischen Gartenkunst und Tapisseriekunst anhand von Repräsentationswert‚ künstlerischem Entstehungsprozeß und Rezeption der Zeitgenossen aufgezeigt. Den Abschluß bildet eine thematische Gliederung der erhaltenen Gartentapisserien anhand repräsentativer Beispiele unter Berücksichtigung literarischer Vorbilder.

Abb. 2 Villa Lante in Bagnaia.
Ars et natura

Für den humanistisch gebildeten Menschen des 16. Jahrhunderts ist es ein Ideal, Kunst und Natur zu verschmelzen. Er will die Natur nachahmen (imitatio naturae), indem er das, was die Natur geschaffen hat, auf künstlerischem Weg wiederholt. In diesem Umfeld entstehen erstmals architektonische Gärten, die ausschließlich als Lustgärten konzipiert sind (vgl. Abb. 2). In ihnen gehen Kunst und Natur eine Symbiose ein: aus Pflanzen werden Räume erschaffen, die zum Wandeln oder Sitzen einladen. Buchs und andere Gewächse werden zu geometrischen Kunstwerken geformt (ars topiaria), Wasser wird in Form von Kaskaden und trickreichen Wasserspielen „gezähmt”, es entstehen Grotten, Eremitagen und Labyrinthe. Teiche werden zu Meeren, Hügel zu Gebirgen; schließlich wird der gesamte Garten mittels der skulpturalen Ausstattung zum Tummelplatz von Göttern und allegorischen Figuren. Mit Hilfe des Intellekts und der künstlerischen Ausdruckskraft wird der Garten damit zur „dritten Natur“. Diese gilt als Fortsetzung der ersten Natur — die ursprüngliche Landschaft — und der zweiten Natur — die vom Menschen zu agrarischen Zwecken kultivierte Natur. […]

Garten und Wildnis

Die Sicht auf die Natur war aber nicht nur verklärend. Ungezähmte Natur war genauso wunderbar wie beängstigend. Dementsprechend drückte der göttliche Kosmos sich auch in wilden, unbekannten Tieren oder unüberschaubaren Höhlen und Schluchten aus.

Außerhalb des geordneten Gartens befand sich meist der Boskett-Bereich, ein kleines und doch überschaubares Wäldchen, das schließlich zur unberührten Natur — dem Wald — hinführte. Diese Unterscheidung zwischen der geordneten, kunstreichen Natur und der unbezwungenen, wilden Natur konnte am besten in Jagddarstellungen thematisiert werden (vgl. Abb. 3). lm Zentrum vieler Jagdtapisserien befindet sich ein regelmäßig angelegter, architektonischer Renaissancegarten mit dazugehörigem Schloß. Die Symmetrie und Ordnung im Garten steht in klarem Gegensatz zu seiner Umgebung, der wilden Natur. Sie ist durch unebenes und wegloses Terrain mit unzähligen Pflanzen und darin verborgenem Kleintier charakterisiert. Hinter der Gartenanlage erhebt sich eine bewaldete Bergkette, die in einem Felsmassiv mit schneebedeckten Gipfeln endet. Eine Jagdszene im Vordergrund zeigt den Kampf des Menschen gegen die wilden Kräfte der Natur. Der abgeschlossene und geschützte Garten inmitten dieser urwüchsigen Landschaft erhält dadurch etwas Beruhigendes, er vermittelt Harmonie und Ordnung. Der spanische Dichter Pedro Calderón (1600-1681) formulierte es folgendermaßen: „Ein schöner Garten, rings von wildem Forst umgürtet, ist um so schöner, je stärker er den Gegensatz berühret.“

Abb. 3 Jagdtapisserle (Die Bärenjagd), 1575-1580, Wolle und Seide, 360,7 x 299,7 cm,
The Fine Arts Museum of San Francisco, Schenkung von Mr. & Mrs. Mortimer Fleishhacker.
Die Darstellungen auf Jagdtapisserien ermöglichen dem Betrachter, sich mit den verschiedenen Gesichtern der Natur, ihren Gottheiten und ihren Lebewesen auseinanderzusetzen. Sie stellen eine Verknüpfung der drei in Hierarchie des Universums neu geordneten und miteinander verankerten Kräfte dar: Gott, Mensch und Natur.

Innen und Außen

Die Tapisserie als monumentales und exklusives künstlerisches Ausdrucksmittel war besonders geeignet, zur Darstellung von Gärten herangezogen zu werden. Die Größe und die verwendeten Materialien wie Gold- und Silberfäden sind es, die Gartentapisserien zu einem paradisus oculorum werden lassen. Mit ihrer Hilfe konnte der Garten mit seinem gesamten Symbolgehalt sozusagen nach innen transferiert werden, in die Prunkräume des Schlosses seines Besitzers. Der Anblick der Tapisserie bot dort gleichsam einen Aus- oder Einblick in den eigenen Garten. Architektonische Elemente wie Säulen, Karyatidhermen oder Balustraden verstärken den Eindruck, als blicke man in eine Gartenlaube oder über eine Balustrade hinein in den Garten. Damit lädt die Tapisserie scheinbar zum Eintreten ein. Zusätzlich weisen allegorisch-szenische Handlungen verstärkt auf den metaphysischen Gehalt des Gartens hin. Diese Weltabbildlichkeit, die sich aus der philosophischen, religiösen und naturwissenschaftlichen Dimension ergibt, wird vor allem durch ein umfassendes allegorisches Programm, aber auch durch zeitgenössische Staffage unterstrichen. Durch diese Gleichsetzung erfährt der Besitzer der Tapisserie eine Aufwertung seines eigenen Schloßgartens.

Im Gegensatz zum englischen Landschaftsgarten des frühen 19. Jahrhunderts, in dem der Betrachter eingeladen war, Bestandteil des „Naturgemäldes“ zu sein, und in dem das aktive Naturerlebnis überraschende Wendungen erfuhr, ist der klar umgrenzte, überschaubare Renaissancegarten am besten von oben zu betrachten. Diese statische Landschaftsbetrachtung drückt sich auch in den Darstellungen auf Tapisserien aus.

Der Schloßgarten ist meist umgeben von Laubengängen und führt niemals in eine unbegrenzte Weite — auch wenn das Gefühl der Ferne erzeugt werden soll, so doch nicht durch den Garten selbst, sondern durch die wilde Natur (Wald, Berge) im Hintergrund. Tapisserien wie die der „Vertumnus und Pomona—Serie" (Abb. 5 bis 7) verdeutlichen die Sehnsucht nach klarer Ordnung und Abgrenzung. Der Blick in den Garten wird nur durch schmale Öffnungen in der Gartenlaube ermöglicht und ist rundum durch Statuen, Balustraden oder Laubdächer begrenzt. […]

Abb. 4 E. Dupérac, Villa d'Este in Tivoli, 1573, Kupferstich,
Biblioteca Hertziana, Rom.
Rolle der Auftraggeber

Die Auftraggeber sowohl von Gartenanlagen als auch von Tapisserieserien kamen aus dem klerikalen und weltlichen Feudaladel. Beide Künste verlangten außergewöhnlich große Geldmittel und dienten aus diesem Grund immer auch zur Demonstration des eigenen Reichtums.

So werden etwa in gartentheoretischen Schriften der Spätrenaissance Gärten nach Gesellschaftsklassen unterschieden. Joseph Furttenbach d. Ä. (1591-1667) schreibt, daß vor allem auf die Größe zu achten sei, damit „hierdurch der Seckel nit zu wehklagen habe“. Nur ein Freiherr, Graf oder Fürst könne sich neben einem Küchen-‚ Baum- und Pomeranzengarten noch einen Tiergarten leisten. Schon die Auswahl der Pflanzen im Garten zeugte vom Reichtum des Besitzers: je seltener und exotischer, desto teurer und repräsentativer.

Auch bei Tapisserien hatte der Materialwert sehr große Bedeutung. Die Verwendung von Edelmetallen wie Gold- oder Silberfäden erfüllte oft auch eine sozial differenzierende Signalfunktion. Dazu kamen die Kosten für die Weber. Gerade das Figurenweben zählte zu den schwierigeren, kunstreicheren Arbeiten, für die in vielen Fällen eigene Spezialisten entsprechend entlohnt werden mußten.

Angesichts der hohen Kosten waren viele Käufer von Tapisserien an zeitlosen, allgemein etablierten Themen interessiert. Diese konnten nämlich aus einem Sortiment von bereits vorhandenen Entwürfen ausgewählt und bestellt werden. Gerade bei Gartentapisserien war es üblich, die Vorlagen (Kartons) für mehrere Auftraggeber zu verwenden. Je nach Wunsch und finanziellen Möglichkeiten des Kunden wurden sie mit Wappen oder mythologischen Figuren angereichert. Durch ein entsprechendes ikonographisches Programm konnte der Bezug zum Auftraggeber hergestellt werden, es diente zur Verherrlichung seiner Person oder seiner Taten. […]

Auch die meisten Gartenanlagen basierten auf einem ikonographischen Konzept — beispielsweise war der Mythos des Goldenen Zeitalters für die Propaganda der Medici von besonderer Bedeutung und bestimmte sowohl die Anlage der Villa Lorenzo des Prächtigen in Poggio a Caiano als auch der Villa für Herzog Cosimo I in Castello. In beiden Kunstgattungen wiesen heraldische Motive gezielt auf die Herkunft und die gesellschaftliche Stellung der Besitzer hin.

Abb. 5 Detail aus Abb. 6.
Künstlerische Praxis

[…] Eine berühmte Renaissancevilla der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts — die Villa d'Este in Tivoli” (Abb. 4) — geht in ihrer künstlerischen Konzeption maßgeblich auf Pirro Ligorio zurück. Dieser Künstler — der Architekt und Entwerfer des außergewöhnlichen Gartens für Kardinal lppolito II. d'Este — ist auch für eine Serie von Entwürfen für Wandteppiche verantwortlich, die mit großer Wahrscheinlichkeit zur Ausstattung der Villa d'Este entstanden. In 16 Zeichnungen illustriert er das Leben des griechischen Helden Hippolitus. Ligorio fügte den Zeichnungen zahlreiche schriftliche Kommentare bei und stellte eine Verbindung zum Leben des Kardinals her. Die Tapisserieentwürfe bildeten in ihren Anspielungen auf den heldenhaften Namenspatron eine Allusion auf den Kardinal. Hier läßt sich gut erkennen, daß der Künstler gleichsam Regie führte. Die handelnden Personen der Geschichte — Hipploytus, Herkules, Äskulap, Diana —, sie alle spielen eine große Rolle im ikonographischen Programm der Villa d'Este, in ihrem Tapisserieschmuck und in ihrem Garten.

Ebenso zeigt sich Giulio Romano, der Architekt und Ausstatter des Palazzo del Te in Mantua, für zahlreiche Tapisserieentwürfe verantwortlich, darunter die sogenannten Kinder- oder Puttenspiele, die aufgrund ihrer großen Beliebtheit in mehreren Variationen als Tapisserien ausgeführt nurden.

Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, denn auch später noch, im 17. Jahrhundert, entwarfen namhafte Künstler wir Peter Paul Rubens und Jacob Jordaens Tapisserievorlagen. An dieser Stelle sei auch auf einen Franzosen hingewiesen, der 1686 an den kaiserlichen Hof in Wien kam: Jean Trehet. Er beherrschte zwei Kunstzweige — die Tapisseriekunst und die Gartenkunst. Als Inspektor der ‚kaiserlichen Tapezerey’ übernahm er Ausbesserungsarbeiten und Neuanfertigungen. Auch an die Errichtung einer niederländischen Teppichmanufaktur für den Wiener Hof war gedacht. Als kaiserlicher Garteningenieur sollte er vorerst die „Alte Favorita" (das heutige Theresianum) verschönern und anschließend die Planung der Gartenanlage von Schönbrunn übernehmen. […]

Am augenfälligsten ist die sprachliche und optische Verwandtschaft von Gärten und Textilien ab der Barockzeit, denn nun erhalten die kunstvoll geschwungenen Ornamentbeete den Namen „parterre de broderie" (frz.: Stickerei). Im 19. Jahrhundert taucht der Begriff des Teppichbeetes (auch carpet bed, tappeto di fiori) auf, der auch Termini aus beiden Kunstgattungen vermischt. Es handelt sich dabei um Beete, die Muster aus verschieden farbigen Pflanzen aufweisen, „die mit einem gestickten Teppich Ähnlichkeit haben“.

Abb. 6 Vertumnus und Pomona-Serie‚ Vertumnus als Winzer, Brüssel, vor 1545,
Wolle, Seide, Gold- und Silberfäden‚ 297 x 421 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.
Die Themen

Der Garten als Lust- und Liebesgarten

Das Motiv des Liebesgartens hat eine bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition. In der Literatur zählen der „Rosenroman" von Guillaume de Lorris (1230) und vor allem die „Hypnerotomachia Polophili" (Der Traum des Poliphil) von Francesco Colonna (1467 datiert und 1499 erstmals in Venedig erschienen) zu bemerkenswerten Dokumenten der Gartenkunstgeschichte. In beiden Romanen betritt ein Jüngling im Traum einen Liebesgarten. Im letzeren wird der lch-Erzähler Poliphil im Traum auf der Suche nach seiner Geliebten Polia auf die Insel Kythera, Insel der Venus, geführt. Kythera wird in größter Ausführlichkeit als kunstvoll gestalteter Garten geschildert, der formal viele Charakteristika eines Renaissancegartens aufweist. Die kreisrunde Insel wurde in konzentrischen Ringen mit radial verlaufenden Wegen angelegt und gehorcht einem klaren geometrischen Grundprinzip. Der Liebesgarten in der Hypnerotomachia wird als locus amoenus geschildert, als ein Ort idealer Schönheit und immerwährenden Frühlings. Es werden das klare Wasser, die fruchtreichen Bäume und die blühenden Blumen beschrieben. Der Garten ist von Vögeln und zahmen Tieren reich bevölkert. Auch die Menschen leben in friedlicher Eintracht und Zuneigung auf Kythera — der ideale Ort für Poliphil, die Liebe zu finden. „Auf den Wiesen sah ich unzählige Jünglinge und schöne Jungfrauen, die mit Hingabe musizierten, sangen, tanzten, sich fröhlich unterhielten und sich in völliger Unschuld und Reinheit umarmten." Zahlreiche Holzschnitt-Illustrationen ergänzen den Roman, der auch aufgrund seiner Verarbeitung vielfältiger literarischer Texte aus der Antike als interessante Quelle für das Gedankengut der Renaissance angesehen werden kann.

Im 16. Jahrhundert findet der architektonische Garten Eingang in den Themenkreis der Tapisserien. Zahlenmäßig am stärksten vertreten ist jene Gruppe, in der der Garten als Ort der Geselligkeit, des Spiels und der Liebe charakterisiert wird. In vielen Gartentapisserien des späten 16. Jahrhunderts wird der Garten als Lustgarten mit musizierenden, tanzenden und flanierenden Pärchen in zeitgenössischer Kleidung charakterisiert. In Abbildung 1 befindet sich auf der linken Seite unter einem überdimensional hohen Laubengang, der von männlichen und weiblichen Karyatidhermen getragen wird, ein Paar, das von einem Kind mit Hund begleitet wird; rechts spielt ein vornehmer Herr in Anwesenheit einer Gesellschaftsdame seiner Liebsten auf der Laute vor.

Abb. 7 Detail aus Abb. 8.
Durch den Laubengang, der gleichsam als Rahmung des Bildfeldes dient, blickt man auf einen Garten mit geometrischen Beeten umgeben von hohen Laubengängen. Rechts enden diese in einem Rundpavillon mit üppig bewachsenem Kuppeldach. Darin sitzen vier Personen an einem runden Tisch. Der „locus amoenus" sollte jener liebliche Ort sein, an dem sorglose Vergnügungen wie gutes Essen, Musik, Tanz und Spiel stattfinden konnten. „Man bemühet sich die Banckete an lustigen Orten / unter grünen Hütten / in Gärten und Fruchtbaumen anzustellen / die Gäste so vielmehr zu belustigen: Was aber sind die bunten Blumen / die Traubenreichen Reben / die Lisplenden Brünnlein / und die Kleebaren Wasen anderst / als Sinnbilder Göttlicher Allmacht.”

Auch in dieser Charakterisierung wird das Zusammenspiel von Gott, Natur und Mensch erkennbar. Der humanistische Mensch der Renaissance war sich der positiven Auswirkungen des Gartens bewußt. Alle Sinne sollten durch den Duft, die Farben und die Geräusche des Gartens angesprochen werden.

Der Garten als göttlicher Ort

„Pomona", die als Göttin des Obstes verehrte Baumnymphe, ist eine jener Figuren, die häufig auf Gartentapisserien dargestellt ist (Abb. 5 bis 7). Die literarische Grundlage bildet die Erzählung aus dem vierzehnten Buch der Metamorphosen Ovids. Vertumnus, der überaus einfallsreiche Gott der Verwandlung, wirbt um Pomona. Ihre Liebe gilt jedoch ausschließlich dem Garten. Daraufhin versucht Vertumnus sich ihr in vielerlei Gestalt zu nähern. Nachdem jedoch jeder dieser Versuche — etwa als Bauer, als Krieger oder als Obstpflücker — scheitert, verwandelt er sich in eine alte Frau und schildert ihr die wahre Liebe des Vertumnus. Er erzählt ihr auch die Geschichte von Iphis, einem Mann aus niederer Herkunft, der sich aufgrund seiner unerwiderten Liebe zu der edlen Anaxarete vor deren Augen tötete, worauf diese zum Steinbild erstarrte. Nach dieser Erzählung verwandelt sich Vertumnus wieder in den schönen Jüngling. Pomona ist daraufhin „von des Gottes Gestalt gefangen und liebte ihn wieder".

Die Entwürfe für diese großartige Tapisserieserie, die in mehreren Versionen existiert, werden Jan Cornelisz Vermeyen unter Mitarbeit von Joost van Noevele und Cornelis Bos zugeschrieben. Je eine beinahe vollständige Serie mit Gold- und Silberfäden befindet sich im Kunsthistorischen Museum in Wien und in Spanischem Staatsbesitz in Madrid. Die „editio princeps" entstand wahrscheinlich vor 1545 für Kaiser Karl V. und besteht aus neun großformatigen Wandbehängen jeweils etwa in der Größe von 4 x 6 Metern. Die in Brüssel gewebten Stücke weisen ein nicht eindeutig identifiziertes Weberzeichen auf, vermutlich handelt es sich aber um das Zeichen des Tapissiers und Händlers Georg Wezeleer.

Abb. 8 Vertumnus und Pomona-Serie, Vereinigung von Vertumnus und Pomona, Brüssel, vor 1545,
 Wolle, Seide, Gold- und Silberfäden, 425 x 445 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.
Auf schmalen Bühnenstreifen unter kunstvoll gestalteten Laubenarkaden befinden sich die Göttin Pomona und der in unterschiedlicher Gestalt dargestellte Gott Vertumnus. Durch den Laubengang blickt man auf verschieden gestaltete Gartenanlagen — in sich abgeschlossene giardini segreti Pomonas, der Hüterin des Obstgartens. Eine Kartusche am oberen Bordürenrand mit einer lateinischen Inschrift klärt über den Inhalt der Szene auf. SVMPTA FIT FALCE PVTATOR steht über der Darstellung von „Vertumnus als Winzer" (Abb. 6). Hier hält der Gott der Verwandlung eine Hippe in seiner Rechten, jenes Werkzeug, mit dem auch Pomona charakterisiert wird. Der im Hintergrund situierte Garten zeigt fruchttragende Obstbäume auf einer Wiese und reife, von der Laube hängende Trauben. Dieser Laubengang umschließt den Gartenbereich und entspricht so der Handlung der Geschichte: „Fürchtend jedoch die Gewalt der Bauern, schließt sie von innen / Ab ihren Garten und wehrt dem Zutritt von Männern und flieht sie.” Pomona versperrte ihren Garten, um in Ruhe ihrer Aufgabe nachgehen zu können. […]

Auf der letzen Tapisserie dieser Serie (Abb. 7) wird das glückliche Ende der schwierigen Beziehung zwischen Vertumnus und Pomona geschildert. ln einem halbkreisförmigen Rundpavillon sitzend entfernt Vertumnus die letzten Relikte seiner Verkleidung als alte Frau, woraufhin seine Liebe von Pomona erwidert wird. Auch die Vereinigung von Polia und Poliphil findet in einem Rundtempel im Zentrum von Kythera statt. Denn sowohl in der italienischen als auch in der französischen Ausgabe der Hypnerotomachia findet man einen perspektivischen Querschnitt dieses Tempels. Dieses Werk hatte besonders auf französische und niederländische Künstler großen Einfluß. Und so finden sich auch in dieser Tapisserieserie Zitate der Illustrationen des Romans.

Gartenveduten

Zu dieser Gruppierung gehören all jene Gartentapisserien, die ohne menschliche Staffage auskommen. Aber auch hier spiegelt sich das neue Naturverständnis der Renaissance in den detailgetreuen Pflanzen- und Tierdarstellungen wider. Mit dem Beginn der Neuzeit erwachte das Interesse an Kunst- und Wunderkammern und zunehmend auch an botanischen und zoologischen Enzyklopädien. Auch der Garten sollte einen Katalog der Natur darstellen. Herrscher wir Kaiser Maximilia II. und Rudolf II. waren begeisterte Sammler und zählten zu den großen Förderern der Naturwissenschaften.

In Deutschland, Frankreich und Italien entstanden zoologische und botanische Schriften wie zum Beispiel vom Gründer des Botanischen Gartens in Padua, Ulisses Aldrovandi (1522-1605). Diese Bücher vermerken neben der wissenschaftlichen Beschreibung mit Zeichnung der Pflanzen und Tiere auch deren Gewohnheiten, Temperamente und Charaktere. Wie eng im damaligen Verständnis Mystik und Natur beieinander lagen, zeigt sich darin, daß auch Fabelwesen wie Drache und Einhorn aufgenommen wurden.

Abb. 9 aus Serlios Architekturtraktat.
Das wissenschaftliche Interesse vermischte sich aber auch mit ästhetischen Fragen. Der Botaniker Carolus Clusius (1526-1607) beispielsweise, obwohl Forscher und nicht Künstler, befürwortete die Schönheit als wesentliches Kriterium für die Auswahl und die Reihenfolge seiner darzustellenden Pflanzen.

Gerade in den Tapisserien konnten Pflanzen als dekoratives Mittel der Kunst in die Darstellung einbezogen werden. Bemerkenswert ist jene Serie, die 1564 für Kardinal Granvella (1517-1586), den humanistisch gebildeten und kunstsinnigen Staatsminister unter Kaiser Karl V. und König Philipp ll., angefertigt wurde (Abb. 8 bis 10). Diese aus sechs Tapisserien bestehende sogenannte „Granvella-Serie”, in deren oberen Bordürenrand das Wappen des Kardinals eingewebt ist, gehört heute zum Sammlungsbestand des Kunsthistorischen Museum in Wien. Dabei handelt es sich um einen hoch- und fünf querformatige Bildteppiche, die ausschließlich architektonische Gärten mit Tierstaffagen zeigen. Durch die Perspektive des Laubenganges und des dahinter liegenden Gartens wird der Betrachter scheinbar eingeladen, den Garten zu betreten. Ähnlich wie in der Vertumnus und Pomona-Serie blickt man durch eine Pergola in den Garten. In den meisten Fällen wird das laubbewachsene Dach von steinernen oder marmornen Rundsäulen oder Pfeilern getragen, die den klassischen Säulenordnungen der Renaissance entsprechen. […]

Diesem Gartenschloß soll hier Aufmerksamkeit geschenkt werden: Das dargestellte Gebäude ist nahezu identisch mit einem Entwurf aus dem Architekturtraktat Sebastiano Serlios über die fünf Säulenordnungen“ (Abb. 9). Schon Vitruv und auf ihn zurückgreifend auch Leon Battista Alberti beschäftigten sich mit den klassischen Säulenordnungen. Erst durch die beigefügten Bildtafeln erlangte das ab 1537 in Venedig erschienene Architekturtraktat Serlios vor allem in Nordeuropa größte Beliebtheit. Den verschiedenen Ordnungen wurden bestimmte Eigenschaften und Charaktere zugeschrieben. Die einfachste Ordnung stellt die Toscana dar, gefolgt von der Donca, die von Serlio als männlich und stark interpretiert wurde. Die Ionica und die Corinthia beziehen sich auf das weibliche Geschlecht. Als letzte steht die Composita zur Verfügung, die bereits bei einigen Theoretikern des 16. Jahrhunderts als Zeichen für übertriebene ornamentale Freiheiten und Geschmacklosigkeiten galt.

Abb. 10 Granvella Nr. 3, Brüssel, 1564, Wolle und Seide, 363 x 520 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien.
Der Entwerfer der Granvella-Serie, Josse van Noevele, der Schwager des Webers Willem de Pannemaker, hatte demnach genaue Kenntnis des Traktates von Serlio. Mit großer Wahrscheinchkeit wurden die Pergolen der „Granvella-Gärten" auf die Genera der fünf Säulenordnungen abgestimmt, denn jeder Teppich (mit Ausnahme des hochformatigen Exponats) läßt sich einer bestimmten Ordnung zuweisen. Darüber hinaus unterstreichen die dargestellten Pflanzen und Tiere die zugeschriebenen Charaktere. ln der als dorisch identifizierten Tapisserie wachsen üppige Kürbisgewächse mit mächtigen Früchten‚ oft in phallischer Form. Zwischen den Pfeilern sind majestätische Hirsch- und Reharten dargestellt. Dies alles weist auf den Charakter und das Geschlecht dieser als männlich, tapfer und stark interpretierten Säulenordnung hin.

Eine andere Tapisserie dieser Serie zeigt rote Marmorsäulen mit ionischen Kapitellen, die ein von Kletterrosen bewachsenes Laubendach tragen. Die Rose galt schon im Mittelalter als Königin der Blumen und Symbol der Jungfrau Maria. So wurden sowohl die Rose als auch die Ionica als tugendhaft und weiblich wahrgenommen.

Weiters gibt es eine Tapisserie mit einem korinthischen Kreuzgang, unter dem sich exotische und kostbare Vögel wie Truthahn, Perlhuhn und Pfau befinden. Das Laubendach ist von einem üppig blühenden und fruchttragenden Granatapfelbaum bedeckt. So kann man diese Tapisserie, die Corinthia, als kostbar und reich interpretieren.

In der Composita (Abb. 10) kulminieren alle bisherigen Säulenordnungen. Sie vermischt die einzelnen Merkmale bzw. erzeugt etwas völlig Neues. Die einzige Pergola, die nicht von Säulen oder Pfeilern, sondern von männlichen und weiblichen Karyatidhermen getragen wird, stellt den Höhepunkt dieser Tapisserieserie dar. Die Charakterisierung als besonders prächtig und kräftig wird durch den angeketteten Panther und die seltene, radiale Anordnung der Beete in der Mittelachse der Tapisserie unterstrichen. Auch die Verwendung des mehrfarbigen Marmors und die Drohgebärde des Marders in der rechten Bildhälfte unterstützen diese Interpretation.

Die beiden hier vorgestellten Wiener Gartenserien „Vertumnus und Pomona" und die „Granvella-Gärten" stellen einen Höhepunkt im Genre der Gartentapisserien dar — nicht zuletzt aufgrund ihrer Vollständigkeit und ihrer qualitätvollen Ausführung. Gleichzeitig wird hier das Wechselspiel von Kunst und Natur besonders augenscheinlich vorgeführt. Es zeigt sich, daß Gartentapisserien unter dem Blickpunkt des neuen Naturverständnisses der Renaissance erklärt werden können. Der Garten, die ‚dritte Natur‘, ist Teil des göttlichen Kosmos, in dem die Ordnung der Natur zum Ausdruck gebracht wird. Ein realer Garten verändert im Wechsel der Jahreszeiten sein Aussehen. Durch das Festhalten in der Gartentapisserie scheint diese Vergänglichkeit jedoch aufgehoben. Auch die Identifikation bzw. Gleichstellung mit Göttern oder Helden fällt durch die meist lebensgroße Darstellung leicht. Die monumentale Darstellung von Gärten auf Tapisserien bietet dem Betrachter gleichsam einen Ausblick in einen idealen Garten, ein Paradies für das Auge.

Quelle: Dagmar Sachsenhofer: Ein Paradies fürs Auge. Gartendarstellungen auf Tapisserien der Renaissance. In: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst. 11. Jahrgang, Heft 1/2005. ISNN 1025-2223. Seite 4 bis 21 (gekürzt).


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Paul Juon: Die Werke für Klaviertrio (Altenburg Trio Wien) | Otto Pächt: Die Erfassung des Raumes. Am Beispiel der Admonter Riesenbibel.
 

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Robert Schumann: Die Kammermusik (7 CDs, diesmal komplett mit den Streichquartetten) | Raymond M. Smullyan: Aus dem »Buch ohne Titel«.

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