Die meisten damals gängigen Gattungen der Instrumentalmusik sind in der Publikation vertreten. Sie fallen in zwei Kategorien, die durch die Begriffe da chiesa ("für die Kirche") und da camera ("für die Kammer", d.h. für den weltlichen Gebrauch) definiert sind. Die Unterscheidung ist wichtig, weil sich die beiden Kategorien damals am Anfang des 17. Jahrhunderts gerade erst auseinander zu entwickeln begannen. Im Verlauf des Jahrhunderts finden wir immer mehr Hinweise auf sie, die vor allem belegen, dass die Sonate zur wichtigsten instrumentalen Gattung wurde. Die Quellen erwähnen mit zunehmender Häufigkeit die sonata da chiesa und die sonata da camera, bis beide in den letzten zwei Jahrzehnten des Jahrhunderts in den Kompositionen von Corelli ihren höchsten Entwicklungsstand erreichten. Nach der Jahrhundertwende kamen die Begriffe immer seltener vor, und bald hatte man die Unterscheidung zwischen kirchlicher und weltlicher Sonate ganz fallen gelassen.
Die Werke da chiesa in den Affetti musicali sind als Sinfonie, Sonate und Canzoni definiert, die Werke da camera als Balletti, Arie, Brandi, Gagliarde und Correnti. Während man die verschiedenen Genres der zweiten Gruppierung wegen ihrer charakteristischen Tanzrhythmen problemlos auseinander halten kann, bereitet es viel größere Schwierigkeiten, den Unterschied zwischen einer Sinfonia, einem Canzone und einer Sonata zu erkennen.
Die Canzone ist die älteste Gattung, abgeleitet aus dem Pariser chanson der 1530er-Jahre. Ihr bestimmendes Merkmal ist der imitative Stil. Das französische Vorbild war gewöhnlich fünfstimmig gesetzt, mit einem Fugato in daktylischem Rhythmus (lang-kurz-kurz) zu Beginn und lebhaftem Charakter (auch die Texte waren oft höchst amüsant und geistreich, kaum das, was wir von einem Sakralwerk erwarten würden!). Mit dem Aufkommen der erwähnten neuen Kompositionstechniken erreichten die italienischen Komponisten insgesamt eine Vereinfachung der Polyphonie, indem sie die Stimmenzahl entweder reduzierten oder erhöhten (viele venezianische Canzoni sind für acht, zehn oder zwölf Stimmen gesetzt) - die schlichtere Polyphonie wurde durch Festlegung instrumentaler "Chöre" mit ähnlicher rhythmischer Struktur gewahrt.
Die Sinfonia (wörtlich "Zusammenklang") begann ihr Dasein nicht als eigenständige Gattung, sondern als kurzes Interludium zwischen den verschiedenen Teilen (Strophen, Stanzen etc.) eines Gesangswerks, ob kirchlich oder weltlich. Oft stand sie in keinerlei Beziehung zu der umgebenden Komposition und wurde meist in identischer Form ein ums andere Mal wiederholt. Wenn sie im Rahmen einer Oper eingesetzt wurde, geschah dies unter der Bezeichnung ritornello. Die Adjektive, die den Charakter der verschiedenen Sinfonie bestimmen sollen, sind an sich schon von Bedeutung. La Zorzi wird als Sinfonia grave bezeichnet, La Bocca und La Zoppa heißen Sinfonie allegre.
Facsimile der Titelseite der Originalausgabe von 1617
Die Sonate war die vorherrschende Gattung des 17. Jahrhunderts, und ihre wichtigste Entwicklung fand genau während des fraglichen Zeitraums statt. Anfangs war die Form nicht eindeutig definiert, und der Begriff wurde oft als Synonym für Sinfonia oder Canzone benutzt. Hier hatten Komponisten endlich ein Genre zur Verfügung, das sich ideal zur Ausführung durch ein Instrumentalensemble eignete und in sich geschlossen war. Gerade diese Sonaten sind es, an denen die Begründung für Marinis Titel der Sammlung am deutlichsten abzulesen ist. Die affetti musicali sind die für die italienische Barockmusik typischen technischen Mittel, mit denen sich in der Musik Leidenschaften zum Ausdruck bringen lassen. Wenn es das Ziel der Dichtung ist, uns in Erstaunen zu versetzen, dann ist es das Ziel der Musik, unsere Gefühle zu wecken.
Das ganze 17. und 18. Jahrhundert hindurch verstand man unter Musik in aller Regel ein (vorwiegend sakrales) Gesangswerk, und die Instrumentalmusik bemühte sich teils mit hervorragenden Ergebnissen, deren Fähigkeit zur emotionalen Einbeziehung des Hörers zu imitieren. In der Vokalmusik ist es der Text, der den affetto einer jeden Passage bestimmt. Wenn kein Text vorhanden ist, identifizieren wir anhand unserer Kenntnis der Vokalmusik die Eigenschaften, die eine Interpretation ansprechender erscheinen lassen als eine andere. Das Bedürfnis, den Charakter eines Instrumentalwerks zu vermitteln (eine Praxis, die bis zum Ende des 16. Jahrhunderts völlig unbekannt war), ist an der bereits festgestellten Verwendung von Begriffen wie Allegro und Grave durch die Komponisten zu erkennen. Aber affetto ist mehr als nur die allgemeine Bestimmung des Charakters. Es ist eine Eigenschaft, die jedem Detail, der Intonation jeder Note eines Werks innewohnt, die dazu gedacht ist, die Gefühle anzuregen. Die affetti musicali sind der Ausgangspunkt aller Instrumentalmusik vom Beginn des 17. Jahrhunderts an; sie haben jeden technischen Fortschritt angeregt, der die Instrumente mit der gleichen Ausdruckskraft wie die menschliche Stimme ausstattete.
Quelle: Allessandro Bares, im Booklet
Track #15, L'Aguzzona, Sonata a 3
TRACKLIST Biagio Marini (c. 1587-1663) Affetti musicali, Op. 1 [01] I La Zorzi. Sinfonia grave a 3. Doi violini e basso 3:17 two violins, violone, theorbo, harp and organ [02] II La Giusriniana. Sinfonia a 3. Doi violini o cornetti e basso 1:59 two cornetts, trombone and organ [03] III La Orlandina. Sinfonia per un violino o cornetto e basso se piace 2:18 violin, violone, theorbo and harp [04] IV La Zoppa. Sinfonia allegra a 3. Doi violini e basso 1:19 two violins, bass dulcian, theorbo and virginal [05] V La Gambara. Sinfonia a 3. Doi violini o cornetti e basso 2:46 two cornetts, bass dulcian, theorbo and organ [06] VI La Soranza. Aria a 3. Doi violini e basso 2:14 two violins, violone, soprano dulcian, guitar and virginal [07] VII La Boldiera. Aria a 3. Doi violini e basso 2:18 two violins, theorbo, harp and virginal [08] VIII La Marina. Canzone a 3. Doi tromboni e cornetto o violino 1:42 cornett, two trombones and organ [09] IX La Foscarina. Sonata a 3. Con il Tremolo. Doi violini o cornetti e trombone o fagotto 4:45 two violins, bass dulcian, theorbo and organ [10] X Il Vendramino. Balletto overo Sinfonia a 3. Doi violini o cornetti e basso 2:37 cornett, violin, bass dulcian aod organ [11] XI La Caotorta. Gagliarda a 2. Violino e basso 1:37 violin, bass dulcian, guitar, virginal and woodblocks [12] XII La Candela. Sinfonia breve a 2. Violini o cornetti 1:16 two cornetts, bass dulcian and virginal [13] XIII La Vetrestain. Corrente a 2. Violino e basso 1:18 violin and theorbo [14] XIV La Ponte. Sonata a 2. Violino o cornetto e basso 2:13 cornett, bass dulcian, theorbo and organ [15] XV L'Aguzzona. Sonata a 3. Doi violini e fagotto 4:18 two violins, bass dulcian, theorbo and virginal [16] XVI L'Albana. Sinfonia breve a 2. Violini o cornetti 1:53 two cornetts, theorbo and organ [17] XVII Il Monteverde. Balletto alemano a 2. Violino e basso 2:29 violin, bass dulcian, theorbo aod virginal [18] XVIII La Martinenga. Sinfonia a 2. Violini o cornetti 2:30 two violins, theorbo and harp [19] XIX La Bemba. Canzone a 2. Violini o cornetti in Ecco 3:22 violin, cornett, harp and virginal [20] XX Il Boncio. Brando a 2. Violino e basso 2:34 violin, violone, cornett, trombone, bass dulcian, theorbo, harp and organ [21] XXI Il Barizone. Brando a 3. Doi violini e basso 2:22 two violins, bass dulcian, guitar, virginal, two cornetts, trombone and organ [22] XXII Il Zontino. Balletto a 3. Doi violini e basso. Ad imitation di viole grosse 2:01 two violins, violone and virginal [23] XXIII La Bocca. Sinfonia allegra a 3. Doi violini e basso 1:19 cornett, violin, violone, trombone, theorbo and virginal [24] XXIV La Cornera. Sinfonia a 2. Violini o cornetti 2:29 two cornetts, trombone, theorbo and organ [25] XXV La Gardana. Sinfonia per un violino o cornetto solo 2:22 violin and virginal [26] XXVI La Martia. Corrente a 3. Doi violini e basso 1:26 two cornetts, trombone, organ, two violins, dulcian, theorbo and harp [27] XXVII La Hiacintina. Canzone a 2. Violino o cornetto e trombone. Del MR.P. Hiacinto Bondioli zio del autore 4:01 violin, trombone and organ TT 64:44 IL VIAGGIO MUSICALE cornett Marie Garnier-Marzullo, Paco Rubio trombone Mauro Morini, Ermes Guissani soprano dulcian Paolo Tognon bass dulcian Paolo Tognon triple harp Loredana Gintoli theorbo Pietro Prosser guitar Pietro Prosser woodblocks Sabina Colonna Preti violin Alessandro Bares, Guiditta Colombo violone Sabina Colonna Preti organ Pietro Pasquini Italian virginal Pietro Pasquini Recorded Easter 1999; Chiesino di S.Elisabetta, Albese con Cassano, Italy (P) & (C) 2000
Pietro Longhi: Il Ridotto, 1740's, Salon Raccotta, Venedig
Nach der Angabe im Booklet ist das Cover ein Detail aus dem Werk "Il rodito" von Pietro Longhi, was eine amüsante Fehlschreibung für "ridotto" (Redoute, in der Bedeutungsvariante eines Kostümballs, nicht der Festung) darstellt. Dabei hat der nicht genannte Graphiker nur das kostümierte Paar aus dem Mittelteil und einige Kartenspieler (mit Photoshop-Effekt "Verwischen") dem Gemälde aus dem Salon Raccotta entnommen, und mit Ausschnitten (wahrscheinlich aus anderen Werken Longhis) angereichert.
Literatur zu Biagio Marini:
Georg Brunner, Biagio Marini - Die Revolution in der Instrumentalmusik, 1997
http://www.buchhandel.de/detailansicht.aspx?isbn=978-3-922803-92-8
Das Buch von Willi Apel, Die italienische Violinmusik im 17. Jahrhundert, erschienen 1983 im Franz Steiner Verlag, (ISBN 3515037861, 9783515037860) ist online verfügbar bei Google Books. Ich schlage es hier beim Kapitel über Marini auf.
Das Werner Icking Music Archive (WIMA), beherbergt durch das Department of Computer Science (DAIMI) der Universität Aarhus, bietet ein reichhaltiges Archiv von Noten und MIDI-Daten, unter vielen anderen auch von Biagio Marini.
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Reposted on June 19, 2015
Track #19, La Bemba, Canzone a 2
Diesen Post widme ich meinem Blogger-Freund Edmond, dessen Beiträge in seinem Blog Fauteuil d'Oreille ich seit vielen Monaten erwartungsvoll und mit großem Nutzen verfolge. Auf seinem Lieblingsgebiet, dem consort, kann ich freilich nichts seinen Ansprüchen Genügendes bieten. Auf dem Gebiet der Triosonate, wie ich hoffe, aber schon.
Lieber WMS.Nemo,
AntwortenLöschenDanke, danke, danke (sind ja Triosonaten)! Mir noch unbekannt, eine willkommene Ueberraschung.
Deine Widmung verdiene ich nicht, ist dein Blog doch viel besser dokumentiert & gescheiter, doch da sie mir in einer dunkler Zeit einen schoenen Tagesbeginn schenkte, nehme ich Sie trotzdem von Herzen an. Das verbrudert...
Ich hoffe dass ich einmal etwas zurueck tun kann, please just ask my friend.
Hartelijke groeten aus NL.
Could you please reupload this hard-to-find album?
AntwortenLöschenHallo Nemo
AntwortenLöschenKannst du bitte diese Album wieder-upload ? Ich habe gestern ein stück von dieses opus im konzert gehört (im Porrentruy, Schweiz), das was so schön !
Guillaume
(Frankreich)