13. November 2009

Henry Purcell: Dido und Äneas (The Scholars Baroque Ensemble)

"Sein Umgang mit der englischen Sprache hat eine verborgene Kraft, die den unvoreingenommenen Bewohner dieser Insel anspricht. Er [hat] den wahren Zungenschlag unserer Muttersprache gestärkt, gestreckt und abgestimmt." So beschrieb der Musikschriftsteller Charles Burney 1789, rund hundert Jahre nach Henry Purcells Tod, dessen große Kunst.

Henry Purcell kam 1659 in London als Sohn eines Hofkapellisten auf die Welt. Die Kindheit verbrachte er als Chorknabe der königlichen Kapelle. Nach dem Stimmbruch wurde er, obwohl erst vierzehn Jahre alt, zum Assistenten des Aufsehers des Instrumentenbestandes ernannt. 1682 berief ihn König Karl II. zu einem der drei Organisten an der Westminster-Abtei, kurz darauf folgte der Ruf in die königliche Kapelle. Hier erlernte er die solide polyphone Tradition, und er verstand sie meisterlich in seine Instrumentalkunst einzubinden. Von dieser Kunstfertigkeit zeugen besonders seine Fantasien für Streicher (1680) und Sonaten. Doch mit der Zeit verlagerte sich Purcells Interesse immer mehr auf die weltliche Vokalmusik. Als Hofkapellmeister unter Jakob II. (1660-1685) und Wilhelm III. (1689-1702) wurde er mit der Komposition von Oden zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Einzügen des Königs in London beauftragt, die seinen Sinn für vokale Ausdrucksmöglichkeiten schärften. Von dort war es nur ein kleiner Schritt zur Bühnenmusik.

Henry Purcell (1659-1695)

Etwa fünfzig solcher Schauspielmusiken (Masques) schrieb Purcell, hinzu kommen sechs sogenannte semi-operas (Halbopern). Bei den Masques handelte es sich um Musik, die zur Einleitung, in den Pausen oder zwischen den Akten eines Schauspiels erklang; je nach Verwendbarkeit auch bei Gelübden, kirchlichen Handlungen und überall da, "wo zärtliche und schmerzliche Leidenschaften, keimende Liebe und unentschlossene Seelenhaltung vorkommen". In ihrer Mischung aus Musik und Tanz waren die Masques eine besondere britische Spezialität, denn angeblich ertrug das englische Gemüt, wie ein zeitgenössischer Dramaturg spöttisch bemerkte, den fortwährenden Gesang nicht. Überwog in den Masques der Musikanteil, dann bezeichnete man sie als "semi-opera".

Purcells einzige vollgültige Oper ist der einstündige Dreiakter Dido und Äneas. Sehr wahrscheinlich entstand die Oper um 1689 im Auftrag eines Pensionats für Edelfräulein in Chelsea; in diesem Jahr dürfte sie auch uraufgeführt worden sein. Das Textbuch lieferte der damals sehr bekannte englische Dichter Nahum Tate. Tate bearbeitete eine Episode aus dem vierten Buch von Vergils "Äneis" und teilte sie, nach italienischem Ideal, in drei Akte ein, wobei er - den englischen Brauch berücksichtigend - Chören und Tänzen genügend Spielraum einräumte. Die uns überlieferten Textbücher von 1698 und 1700, Purcells Originalpartitur ist verschollen, weisen siebzehn Ballette auf.

Kym Amps, Sopran, singt die Rolle der Dido, Königin von Karthago

Dido und Äneas steht als schwer einzuordnendes Werk in der Operngeschichte einzigartig da: als Gipfel der frühen englischen Oper - und als ihr Ende. In ihrem Gesamtkonzept lehnt sich die Oper zwar an Lullys "Tragedie lyrique" an, Purcells Arien indes sprechen eine höchst individuelle, expressive Sprache, die mit Lullys feierlichem Pathos nichts mehr gemein hat.

Äußerst gegensätzliche Gefühle, Leidenschaften und Situationen werden wie in einem Brennspiegel konzentriert und von markanter Charakteristik der Instrumentation untermalt. Wunderbares Beispiel für Purcells innige und hohe Ausdruckskunst ist Didos tiefempfundener Klagegesang vor dem Tode im dritten Akt: Dem in ermattend absinkender Bewegung verlaufenden Rezitativ folgt die Arie (Song), in expressiver, dem englischen Sprachduktus angepaßter Melodik. Den Klanggrund bildet ein sechzehnmal wiederholtes, viertaktiges, chromatisch absteigendes Baßmodell (ground). Purcells wohlüberlegter Einsatz der musikalischen Mittel erreicht hier ein Maximum an Expressivität. Didos großmütiger und erhabener Verzicht zählt neben Monteverdis Ariadne-Klage "Lasciatemi morire" zu den erschütternsten Trauergesängen der Operngeschichte.

London zur Zeit Henry Purcells (© Manfred Peter Wastl)

Die Uraufführung in der vornehmen Londoner Mädchenschule (vermutlich Mitte 1689) blieb ohne Widerhall; lediglich die Arie "Ah! Belinda" wurde in die Sammlung Orpheus Britannicus (1698) aufgenommen und im Druck herausgegeben. Zwischen 1700 und 1704 wurde Dido und Äneas nachweislich als Einlage in Schauspielaufführungen gespielt. Erst die Feierlichkeiten zum 200. Todestag Purcells 1895 weckten neues Interesse für das Werk. In den zwanziger Jahren fand Dido und Äneas in Deutschland eine große Verbreitung, wenn auch in neuer Orchestrierung. Zur Urfassung fand man erst 1951 in London zurück: Benjamin Britten leitete die erste Aufführung am Lyric Theatre in Hammersmith zu London. Bald darauf folgte eine Inszenierung am Mermaid Theatre mit der Maßstäbe setzenden Interpretation der Sopranistin Kirsten Flagstad als Dido. Heute zählt die Oper zu den am meisten aufgeführten Opern Purcells.

© 1997 Teresa Pieschacon Raphael, im Booklet

TRACKLIST

Henry PURCELL (1659-1695)

DIDO AND AENEAS 

Opera in Three Acts (about 1689)

Libretto by Nahum Tate


01. Overture                                                  [01:56]

ACT I

02. Belinda & Chorus: "Shake the cloud from off your brow"    [01:04]
03. Dido: "Ah! Belinda, I am press'd with torment"            [03:49]
04. Belinda & Dido: "Grief increases by concealing"           [00:36]
05. Chorus: "When monarchs unite how happy their state"       [00:15]
06. Dido & Belinda: "Whence could so much virtue spring?"     [01:59]
07. Belinda, 2nd Woman & Chorus: "Fear no danger to ensue"    [01:39]
08. Belinda, Aeneas, Dido: "See, your Royal guest appears"    [00:54]
09. Chorus: "Cupid only throws the dart"                      [00:31]
10. Aeneas & Belinda: "If not for mine, for Empire's sake"    [01:15]
11. Guitar's Chaconne                                         [00:39]
12. Chorus: "To the hills and the vales"                      [01:04]
13. The Triumphing Dance                                      [01:27]

ACT II

14. Prelude for the Witches (Sorceress & 1st Witch):
"Wayward sisters"                                         [01:50]
15. Chorus: "Harm's our delight"                              [00:12]
16. Sorceress: "The Queen of Carthage, whom we hate"          [00:31]
17. Chorus: "Ho ho ho, ho ho ho!"                             [00:11]
18. 1st & 2nd Witches, Sorceress: "Ruin'd ere the set of sun?"[01:07]
19. Chorus: "Ho ho ho, ho ho ho!" (2)                         [00:10]
20. Sailors' Dance                                            [00:34]
21. 1st & 2nd Witches: "But, ere we this perform"             [01:08]
22. Chorus: "In our deep vaulted cell"                        [01:29]
23. Echo Dance of Furies                                      [01:21]

Scene II:

24. Ritornelle                                                [00:45]
25. Belinda & Chorus: "Thanks to these lonesome vales"        [03:07]
26. Guitar Dance, 2nd Woman: "Oft she visits this lone
mountain"                                                 [02:28]
27. Aeneas & Dido: "Behold, upon my bended spear"             [00:37]
28. Belinda & Chorus: "Haste to town"                         [00:46]
29. Spirit & Aeneas: "Stay, Prince! and hear great Jove's
command"                                                  [02:52]
30. Ritornelle (2)                                            [00:59]

ACT III

31. 1st Sailor & Chorus: "Come away, fellow sailors"          [01:32]
32. The Sailor's Dance                                        [00:47]
33. Sorceress, 1st & 2nd Witches: "See, the flags and
streamers curling"                                        [01:02]
34. Sorceress: "Our next motion"                              [00:40]
35. Chorus: "Destruction's our delight"                       [00:31]
36. The Witches' Dance                                        [01:15]

Scene II:

37. Dido, Belinda & Aeneas: "Your counsel all is urg'd
in vain"                                                  [04:01]
38. Chorus: "Great minds against themselves conspire"         [00:54]
39. Dido: "Thy hand, Belinda; darkness shades me"             [00:58]
40. Dido: "When I am laid in earth"                           [03:41]
41. Chorus: "With drooping wings ye Cupids come"              [04:47]


TOTAL TIME:                                                   [57:48]


THE SCHOLARS BAROQUE ENSEMBLE
Artistic Coordinator: David van Asch


Dido, Queen of Carthage      Kym Amps (soprano)
Belinda, her sister          Anna Crookes (soprano)
Second Woman                 Ghislaine Morgan (soprano)
Sorceress                    Sarah Connolly (mezzo-soprano)
First Witch                  Ghislaine Morgan (soprano)
Second Witch                 Anna Crookes (soprano)
Spirit                       Angus Davidson (countertenor)
Aeneas, a Trojan prince      David van Asch (bass)
First Sailor                 Robin Doveton (tenor)
                       David Gould (countertenor), Julian Podger (tenor),
                       Colin Campbell (bass)

Violin I                     Pauline Nobes
Violin II                    William Thorp
Viola                        Trevor Jones
Bass Violin                  Jan Spencer
Theorbo/Guitar               William Carter, Robin Jeffrey
Harpsichord/Organ            Terence Charlston


Recorded at All Saints Church, East Finchley,
from 16th to 18th October, 1994
Producer: Chris Craker
Engineers: Chris Craker & Simon Rhodes
Cover Painting: Death of Dido by Simon Vouet
DDD, (P) & (C) 1997

Vergilius Vaticanus: Dido und Äneas beim Gastmahl

HANDLUNG:

Erster Akt


In Didos Palast. Dido ist betrübt und wird von ihrer Vertrauten Belinda aufgemuntert. Belinda errät den Grund: Dido hat sich in Äneas verliebt, den es bei seiner Flucht aus dem zerstörten Troja an die karthagische Küste verschlagen hat und der als Didos Gast von seinen geschlagenen Schlachten erzählt. Von ihrem Gefolge wird sie ermuntert, ihrer Neigung freien Lauf zu lassen, denn auch Äneas liebt sie. Nachdem Äneas sie anfleht, gibt sie endlich nach.

Zweiter Akt

In einer Höhle. Die Zauberin hat sich mit den Hexen versammelt, um ihre Feindin Dido ins Unglück zu stürzen und Karthago zu vernichten. Ein Geist in der Gestalt Merkurs soll Äneas erscheinen und ihn an seine Pflicht erinnern, die Gestade Italiens zu suchen. Noch am gleichen Tag soll er mit seiner Flotte lossegeln. Vorher wollen die Hexen aber der Jagdgesellschaft, in der sich Dido und Äneas befinden, den Spaß verderben.

Vergilius Vaticanus: Dido und Äneas suchen in einer Höhle Schutz vor dem Gewitter

In einem Hain. Nach der Jagd tanzen und singen Didos Frauen, um Äneas zu unterhalten. Sie erzählen die Geschichte von Actäon, der die Göttin Diana beim Baden beobachtete und als Strafe in einen Hirschen verwandelt und von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde. Ein Gewitter zieht herauf und nötigt die Gesellschaft, in die Stadt zu fliehen. Äneas wird vom Geist in Gestalt Merkurs aufgehalten, der ihm im Namen Jupiters aufträgt, nicht länger seine Zeit mit der Liebe zu verschwenden, sondern loszusegeln. Äneas verspricht zu gehorchen, weiß aber nicht, wie er es Dido erklären soll.

Dritter Akt

An den Schiffen. Während die Matrosen die Schiffe bereit machen, freut sich die Zauberin über die gelungene Verschwörung.

Im Palast. Äneas kommt zu Dido, um Abschied zu nehmen. Sie beschuldigt ihn, nur Krokodilstränen zu weinen. Er ändert seinen Sinn, aber Dido schickt ihn weg. Weil er nur den Gedanken gefasst hat, sie zu verlassen, kann auch seine Reue nichts mehr ändern. Als Äneas gegangen ist, spürt Dido, dass sie nicht mehr weiter leben kann, und begeht Selbstmord. Liebesgötter werfen Rosen auf ihr Grab.

Quelle: Wikipedia

Vergilius Vaticanus: Tod der Dido

Diesmal ist das Coverbild ("Tod der Dido", von Simon Vouet (1590-1649), Musée Municipal, Dole, France) dermaßen unansehnlich, dass ich die komplete Abbildung nur als Link einfüge. Eine Schande für das allseits beliebte Qualitätslabel!

Stattdessen habe ich die Handlung mit Abbildungen aus dem Vergilius Vaticanus bebildert. Der Codex Vanicanus lat. 3225 aus der Vatikanischen Biblioteca Apostolica, ist in Rom um das Jahr 400 entstanden und enthält Teile von Vergil's Aeneis und Georgica. Er ist einer der ältesten überlieferten Texte der Aeneis und eines von nur drei illustrierten Manuskripte der klassischen Literatur. (Die beiden anderen sind der Vergilius Romanus und die Ambrosianische Ilias.)

Die 50 Miniaturen auf 76 Seiten weisen noch Stilmerkmale der antiken Maltradition auf, wie man sie heute noch von Wandmalereien dieser Epoche kennt; dagegen deuten die Illustrationen im Vergilius Romanus eine Abwendung von diesem klassischen Formenkanon an. Die beiden Werke können daher die Weiterentwicklung der Buchillustration der Antike zur mittelalterlichen Buchmalerei zeigen.

Pietro Sante Bartoli, Dido und Äneas in der Grotte, Radierung 1677 Diese Radierung aus dem 17.Jahrhundert entstand nach der (weiter oben gezeigten) Vorlage des Vergilius Vaticanus, allerdings nicht direkt, sondern nach einer kurz vorher angelegten Skizze eines anderen zeitgenössischen Künstlers.

Linktipps:

Zu Henry Purcell findet man bei www.Klassik.com eine ausführliche Diskographie, Plattenbesprechungen und Veranstaltungskritiken.

Wastl's Musicologische Seite beinhaltet informative Abhandlungen über verschiedene Themen, z.B. "Das Cembalospiel in England", "Carlo Gesualdo - Seine Reputation im Laufe der Musikgeschichte", oder die Ikonographie "Baugin, Das Stilleben mit dem Schachbrett". Es findet sich auch eine Studie über "England zur Zeit von Henry Purcell", die außerdem als PDF in der CD-Info enthalten ist (Link weiter unten).

Voices of London

The Scholars of London informiert weniger über das Scholars Baroque Ensemble aber mehr über "Voices of London" alias "Scholars of London", ein Quartett bestehend aus Kym Amps (Sopran, singt die Dido), Angus Davidson (Countertenor, singt den Geist), Robin Doveton (Tenor, singt den Seemann), sowie Simon Grant (Baß).

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Reposted on August 15, 2014

Track 40, Akt 3, Dido: "When I am laid in earth"

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