4. Januar 2010

Luigi Boccherini: Gitarrenquintette

Als 1995 die sterblichen Überreste Luigi Boccherinis exhumiert wurden, haben Spezialisten festgestellt, dass er unter einer andauernden Entzündung der linken Mittelhand, des linken Arms, des linken Ellbogens sowie an Halswirbel-Arthrose gelitten hat: Qualen eines phänomenalen Cellisten, der mit acht Jahren das Instrument für sich entdeckte und es fortan nicht mehr aus der Hand ließ. Wenn er nicht komponierte. Und wenn er nicht reiste, wie so häufig in jungen Jahren, weil seine Geburtsstadt Lucca einem aufstrebenden Musiker nicht allzu viel zu bieten hatte. Boccherini wurde zum fahrenden Virtuosen und ließ sich feiern in Wien, Florenz, Genua und Paris. Sein Ton sei unvergleichlich, befanden die Zeitgenossen, sein meisterhaftes Spiel von vollendetem Ausdruck und anrührender als jeder Gesang. Eigentlich hätte es ewig so weitergehen können. Aber Boccherini entschied sich gegen das glanz- und mühevolle Wanderleben und für einen festen Posten in einer Stadt, die damals – gemessen an Wien, Mannheim, London oder Paris – alles andere war als eine Musikmetropole: Er zog nach Madrid. Das war 1768.

Immerhin wählte er die vornehmste Adresse am Ort, nämlich den spanischen Königshof: Boccherinis Brotherr war Don Luis, Infant von Spanien, ein offenbar äußerst sympathischer jüngerer Königsbruder, der sich für Naturkunde, seltene Münzen, exotische Vögel, vor allem aber für Musik interessierte und seinem compositore e virtuoso di camera ein stattliches Gehalt für eine ebenso stattliche Anzahl von Kompositionen zahlte. Boccherini war so produktiv wie nie, alle Werke wurden fast ohne Zeitverzug und meist in Paris veröffentlicht. Es entstanden Trios, Quartette, Symphonien und vor allem Streichquintette – die größte musikalische Errungenschaft und ureigenste Kreation Boccherinis, die er kurz nach Amtsantritt wahrscheinlich aus ganz praktischen Gründen ins Leben rief: Eine Streichquartett-Formation war vorhanden und wurde durch einen weiteren Cellisten ergänzt. Eine der beiden Cellostimmen war sehr virtuos und sehr hoch – die spielte Boccherini. An die 140 Werke für diese besondere Besetzung hat er geschrieben und ist damit unangefochtener König der Gattung Streichquintett. Gleich unter den ersten Kompositionen befindet sich jenes mit dem Menuett, das gut 100 Jahre später ein pfiffiger Verleger mit bewundernswert sicherem Griff aus all den verfügbaren Werken fischte und auf den Markt warf. Es ist, und nicht einmal zu Unrecht, zum Inbegriff von Boccherini schlechthin geworden: charmant, anmutig, elegant – und deshalb die perfekte Tarnung für liebenswürdige Ganoven wie Alec Guinness und seine Kumpane im Film Ladykillers.

Don Luis lebte vornehmlich in Aranjuez, der königlichen Residenzstadt südlich von Madrid, und rückblickend mag sich Boccherini voller Wehmut an die schönen Tage dort erinnert haben. Aranjuez war zwar alles andere als ein Vorposten der musikalischen Avantgarde, aber bei weitem lebendiger und attraktiver als das abgelegene Bergdorf Arenas, wohin Don Luis dann wegen einer unpassenden Liebesheirat verbannt wurde. Und wohin Boccherini ihm folgte, warum auch immer – er war erst 33 und hätte andere Möglichkeiten gehabt. Haydn, dem Boccherini einen verehrungsvollen Brief gesandt hatte, fragte sich vergeblich, wo genau dieses Arenas eigentlich liege: »Es muss doch unweit von Madrid sein« (tatsächlich liegt es 150 Kilometer westlich davon). Dabei lebte Haydn auf Esterháza in kaum geringerer Abgeschiedenheit, aber wenigstens zog das prachtvolle Schloss mit seinem ostentativen Luxus Besucher scharenweise an. Das konnte man von dem Landsitz in Arenas nicht behaupten. Dafür, und vielleicht dem unprätentiösen und sanftmütigen Boccherini nur willkommen, lebte man bei gelockerter Etikette: Gäste waren rar, der Königshof weit entfernt, die Freiheit groß. Boccherini komponierte für die Musiker, die zur Verfügung standen – Kammermusik hauptsächlich, vielleicht auch eines der letzten Cellokonzerte. Und natürlich konnte man auch aus arkadischer Einsamkeit Kontakte in die Welt pflegen: Boccherini schrieb an das Wiener Verlagshaus Artaria (mit Erfolg), an den notorisch schreibfaulen Haydn (deshalb ohne Erfolg), und er schickte dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, einem passionierten Cellisten, eigene Kompositionen. »Ich wage zu hoffen,« verlautete umgehend aus Berlin, »dass ich noch weitere Werke aus Ihrer Hand kennenlernen werde«. Die Hoffnung war mehr als berechtigt, und Don Luis erhöhte prompt das Gehalt seines compositore, um einer möglichen Abwanderung vorzubeugen.

Als Don Luis 1785, nach fast zehn Jahren in Arenas, starb, kehrte Boccherini zurück nach Madrid. Es begannen ungewohnt mühsame Jahre, obwohl der spanische König ihn finanziell stützte und dessen Amtskollege im sehr fernen Preußen weiterhin ein dankbarer und großzügiger Empfänger seiner Kompositionen blieb. Verhandlungen mit Ignaz Pleyel, der sich als Verleger in Paris niedergelassen hatte, verliefen nicht durchweg erfreulich; Boccherini, der Redliche, hat Pleyel für wenig Geld unzählige Werke überlassen, während dieser seinerseits durch sehr freizügige Anordnung und Auswahl ein heilloses Durcheinander in der Opuszählung schuf, das nur dank hartnäckigem Forschergeist zu lichten war. Dennoch waren natürlich die von Pleyel herausgegebenen Sammeldrucke ein Segen: Von Paris aus gingen sie in die Welt. In Boccherinis Biografie gibt es einige Lücken. Wir wüssten mehr, wenn nicht in den Wirren des spanischen Bürgerkriegs das Privatarchiv der Familie Boccherini verloren gegangen wäre. Das hatte bis dahin (1936) niemand erforscht, weil damals die Wissenschaft noch mit dem Vermächtnis der Heroen beschäftigt war. Boccherini starb im Mai 1804. Da hatte Beethoven bereits seine ersten drei Symphonien geschrieben.

Luigi Boccherini spielt das Chello. Unbekannter Maler, ca. 1764-1767, National Gallery of Victoria

Bezüge dieser Art liegen nah, aber sie sind fatal für Boccherini, jedenfalls dann, wenn seine Musik an den Maßstäben der Wiener Klassik gemessen wird. Eines von deren wesentlichen Merkmalen, die intensive motivische Arbeit, hat ihn, trotz größter Bewunderung für Haydn, nie in gleichem Ausmaß interessiert. Schon ein Zeitgenosse Boccherinis brachte den Unterschied zwischen beiden auf den Punkt: Haydn sei für das »Vergnügen des Verstandes« zuständig, Boccherini für die »Rührung des Herzens«. Ein anderes Bonmot lautete, Boccherini sei musikalisch so etwas wie »Haydns Gemahlin«: wegen seines gefälligen, eleganten und kantablen Stils, dem aber eben eine entschiedene Richtung fehle (zu hinterfragen, warum letzteres typisch weiblich sein soll, würde an dieser Stelle zu weit führen). Tatsächlich aber begriff Boccherini Musik weniger als geistiges Abenteuer, denn als Ausdruckskunst; wichtiger als das Entwicklungspotenzial eines Themas war ihm dessen Affektgehalt. Deshalb reihte er lieber mehrere Themen aneinander oder wiederholte ein einziges in verschiedenen Tonarten und üppiger Ornamentik, als es in seine Bestandteile zu zerlegen. Boccherini kam aus der italienischen Streichertradition, sein Geschmack war anders, und seine Prioritäten lagen anderswo als die seiner deutschen und österreichischen Kollegen. Aber innovationsfreudig war auch er, besonders in seiner eigentlichen Domäne, der Kammermusik: Boccherini hat gleichzeitig mit Haydn das Streichquartett entdeckt und das Quintett dazu, er hat in beiden Genres eine sehr persönliche Sprache entwickelt, und er hat, dank profunder Kenntnis, endlich auch das Violoncello in virtuose Gefilde geführt. Dass er schließlich von Haydn, Mozart und Beethoven ins Aus gedrängt und auf der Beliebtheitsskala weit abgeschlagen werden sollte, hat er zu seinem Glück nicht mehr erlebt. Es war ja auch ungerecht, irgendwie.

Quelle: Dorothea Diekmann in: Forum – Programhefte - Cellissimo, Programmheft Nr. 19 zum 29.10.2004 der Berliner Philharmoniker

Luigi Boccherini
(1743-1805)

Quintette für Gitarre und Streicher


Quintett Nr. 2 E-Dur G.446

01, 1. Maestoso assai                [05:34]
02, 2. Adagio - Allegretto           [04:01]
03, 3. Polacca. Tempo di minuetto    [05:47]

Quintett Nr. 4 D-Dur G.448
»Fandango«

04, 1. Pastorale                     [04:34]
05, 2. Allegro maestoso              [05:06]
06, 3. Grave assai - Fandango        [07:33]

Quintett Nr. 6 G-Dur G. 450

07, 1. Allegro con vivacità          [06:05]
08, 2. Andantino lento               [03:07]
09, 3. Tempo di minuetto             [04:34]
10, 4. Allegretto                    [03:48]

Quintett Nr. 9 C-Dur G. 453
»La Ritirata di Madrid«

11, 1. Allegro maestoso assai        [11:02]
12, 2. Andantino                     [04:08]
13, 3. Allegretto                    [05:24]
14, 4. »La Ritirata di Madrid«       [06:55]


Gesamtspielzeit:                     [77:46]


Pepe Romero, Gitarre

Academy of St Martin in the Fields' Chamber Ensemble
Iona Brown / Malcolm Latchem, Violine
Stephen Shingles, Viola
Denis Vigay, Violoncello
Tristan Fry, Sistrum und Kastagnetten (04)-(06)

(P): (01)-(03) 1981 - (04)-(06) 1979 - (07)-(10) 1980
(11)-(14) 1979

Diego Velázquez, Die Spinnerinnen, um 1657 oder um 1646, Museo del Prado, Madrid

Was wird hier gezeigt?

Das in Velázquez letzten Lebensjahren entstandene Bild „Las Hilanderas“ (Die Spinnerinnen) hat wegen seiner malerischen Brillianz und seiner ungeklärten Ikonographie große Aufmerksamkeit erregt. Bisher ist es den Kunsthistorikern nicht gelungen, überzeugend zu erklären, was die spinnenden Frauen im Vordergrund mit der unwirklich scheinenden Bühnenszene im Hintergrund verbindet.

Im 19. Jahrhundert wurde das Bild im Rahmen des zeitgenössischen Impressionismus beurteilt, als realistische Schilderung der Arbeitswelt, prachtvoll malerisch umgesetzt, nach impressionistischen Maßstäben und nach den historischen des Hell-Dunkels.

1945 wurde ein Eintrag im Inventar des ehemaligen Besitzers gefunden, der das Bild als mythologische Darstellung der Bestrafung Arachnes bezeichnet. Der Schlüssel zur Bilddeutung ist nun der Teppich, auf dem der Raub der Europa dargestellt ist. Diese Szene war das Thema, das die jungen Weberin Arachne, gewählt hatte, als sie in einem Wettstreit mit der olympischen Göttin Pallas Athene, Erfinderin der Webkunst, diese in ihrer Webkunst übertreffen wollte. Velázquez zitiert hier ein Bild Tizians, das sich damals im Königlichen Palast in Madrid befand: Zeus, der als Stier verwandelt, Europa umwirbt, die er begehrte. Als diese Zutrauen zu dem zahmen Stier faßte, entführte er sie. Arachne zeigt in ihrem gewebten Teppich also nicht nur ihre hohe Kunstfertigkeit, sondern verweist auch auf unmoralisches Verhalten des Gottes. Aus Rache wird sie von Pallas Athene in eine Spinne verwandelt.

Tizian, Der Raub der Europa, um 1560, Isabella Steward Gardner Museum, Boston

Pallas Athene ist im Hintergrund mit Helm und Schwert anwesend, aber nach Meinung der Erklärer auch im Vordergrund, als alte Frau verkleidet, die sich jedoch – gut erkennbar - durch ihr jugendliches Bein verrät. Dementsprechend ist Ariadne die Spinnerin in der weißen Bluse, die dem Betrachter den Rücken zuwendet.

Velázquez hatte in seiner Bibliothek eine spanische Übersetzung von Ovids Metamorphosen, in dessen 6. Buch die Geschichte Arachnes erzählt wird. Darauf und auf die Identifikation des Teppichs mit dem Tizianbild stützt sich die Bildinterpretation. Und doch vermag sie nicht zu überzeugen. Zu viele Fragen sind ungeklärt: Warum wird Arachne beim Garnspinnen gezeigt, und nicht beim Weben? Warum wird ihre Bestrafung nicht gezeigt? Stellt der Teppich wirklich den Raub der Europa dar? Wer sind die Begleiterinnen der Pallas Athene? Wieso sind sie zeitgenössisch und nicht antik gekleidet? Läßt die Viola da Gamba auf eine Personifikation der Musik schließen? Und was bedeutet die auffällig plazierte Leiter?

Weitere Kommentare zu „Las Hilanderas“ hier und hier.

Informationen über die CD

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Track 6, Gitarrenquintett Nr 4 D-Dur G 448 - Fandango - III Grave assai - Fandango

CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 26 MB
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Reposted on June 19, 2015

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