21. Januar 2013

Guillaume Dufay: Adieu ces bons vins de Lannoys

»Er ist die bedeutendste Zierde unserer Zeit« sagt Piero de' Medici, Vater von Lorenzo de' Medici, im Jahre 1467 über Guillaume Dufay (1400?-1474). Die hohe Einschätzung dieses führenden Komponisten im ausgehenden Mittelalter spiegelt sich in der Tatsache wieder, daß von seinem Werk und seiner Biographie mehr überliefert ist, als von anderen Zeitgenossen: Die Persönlichkeit eines Komponisten tritt aus der Anonymität der Geschichte heraus.

Wann und wo Dufay geboren wurde, kann zwar nicht mehr genau eruiert werden, fest steht jedoch, daß die Kathedrale von Cambrai im August 1409 einen neuen Chorknaben in ihr Register unter dem Namen »Willemet« - kleiner Wilhelm -, aufnahm, der 1414, als er zum »clericus altaris« aufstieg, »Willermus du Fayt« genannt wurde. Cambrai zählte damals zu einer der reichsten Kathedralen in ihrem Umkreis mit guten Verbindungen nach Antwerpen, Arras, Lille, Tournai und dem Sitz des burgundischen Hofes in Brüssel. Zeitgleich mit dem Konzil zu Konstanz 1414-18 begannen die Wanderjahre Dufays. Ob er an dem Konzil, von dem berichtet wird, daß dort über 1700 Musiker aus aller Herren Länder Erfahrungen austauschten und somit richtungsweisend für die Komponisten ihrer Zeit waren, teilgenommen hat, kann nicht nachgewiesen werden, doch sind in seinem Schaffen zweifelsohne die Auswirkungen dieses Konzils zu verspüren.

Seine Reisen führten ihn 1420 an die adriatische Küste in den Dienst der Familie Malatesta, der er lange freundschaftlich verbunden blieb. Dort entstand die Ballade Resvellies vous für die Hochzeitsfeierlichkeiten von Carlo Malatesta da Pesaro; Mon chier amy scheint für den Tod seines Freundes Pandolfo Malatesta im Jahre 1427 geschrieben worden zu sein. Aus demselben Jahr datiert auch das Rondeau Adieu ces bons vins de Lannoys, in welchem er wehmütig Abschied von der heimatlichen Gegend um Laon und deren vielgepriesenen Weinen und Frauen nimmt. Hierin finden sich auch Anspielungen an die dunklen Seiten des Lebens, mit dem Dante Alighieri seine Divina Commedia beginnen läßt. 1428-33 hielt er sich zu Studienzwecken in Rom auf, wo er Quel fronte signorille und La dolce vista komponierte. In den darauffolgenden Jahren muß er auch mit seinem Kollegen Gilles Binchois zusammengekommen und befreundet gewesen sein, da dieser Umstand sogar von zeitgenössischen Dichtern überliefert wurde (Martin le Franc: Le champion des dames).
Jan van Eyck: Tymotheos (Leal Souvenir),
 1432, National Gallery, London

Das älteste von Jan van Eyck erhaltene Porträt (datiert auf den 10.Oktober 1432) ist das lebensechte Abbild ("leal souvenir") eines Unbekannten, der seit der Reformationszeit als "Tymotheos" bezeichnet wurde. Panofsky interpretiert dies als Anspielung auf den gleichnamigen Musiker aus Milet (ein Zeitgenosse von Euripides und Plato) und identifiziert in Analogie den Dargestellten mit Guillaume Dufay. [Quelle]

Seiner Begegnung mit der hoch entwickelten italienischen Literatur verdanken wir die wunderschön programmatisch gearbeitete Kanzone Vergene Bella nach einem Text von Francesco Petrarca. Vielerlei Kontakte mit Persönlichkeiten seiner Zeit, wie Donatello, Brunelleschi, Papst Eugenius IV., für den er einige Motetten komponierte, Antonio Squarcialupi, Johannes Ockeghem, der Familie der Medici und dem Haus von Savoyen, beeinflußten und bereicherten seine kompositorische Tätigkeit. Die Texte seiner Lieder enthalten ganz persönliche Sichtweisen von sozialen Kontexten und politischen Reaktionen seiner Zeit, mit denen er mittelbar oder unmittelbar in Berührung gekommen ist.

In den mehr als 200 erhaltenen Kompositionen Dufays findet sich eine starke Entwicklung persönlicher Stilelemente, die aber auch auf die allgemeinen musikalischen Veränderungen im 15. Jahrhundert deutet. Das Wort »Musik« findet man mit zwei grundverschiedenen Bedeutungen.

Die eine war die, in vielen Abbildungen von Musizierenden, Dokumenten und Augenzeugenberichten implizierte Bedeutung von monophoner Musik. Das Gros der Musik des täglichen Gebrauchs bildete improvisierte oder semi-improvisierte Musik, welche meist monophon gestaltet war - »nur« von Bordunen oder Gegenstimmen begleitet. Man weiß z.B. von zwei Drehleierspielern, die am burgundischen Hofe von 1436-56 fest angestellt waren und dort in hohem Ansehen standen. Auch die in den Kirchen meist praktizierte Musik war monophon, wenngleich sie teilweise ohne Instrumente ausgeführt wurde, da diese dort verboten waren. Komplizierte Mehrstimmigkeit wurde in der Regel für besondere Anläße komponiert und nicht für den täglichen liturgischen Gebrauch. Dufay, wie übrigens fast alle Musiker seiner Epoche, war die meiste Zeit seines Lebens als Kirchenmusiker angestellt, im Besonderen als Sänger. So stellte die Monophonie den Einstieg in die musikalische Ausbildung dar. Anklänge an das tonal gebundene, alltägliche Repertoire finden sich z.B. in J´ay mis mon cuer und in dem tänzerischen Ce jour de l´an.

Die zweite Bedeutung des Wortes »Musik« stand im Zusammenhang mit universellen Studien. Neben Arithmetik, Astronomie und Geometrie gehörte als viertes die Musik zum sogenannten »quadrivium«. Hierbei ging es um Beziehungen zwischen den Intervallen, den mathematisch logischen Zusammenhang einer Note zur anderen. Die fundamentale Komplexizität der Klänge und Klanggemische stand in direktem Zusammenhang zur Komplexizität des Universums. Diese Musik verfeinerte Dufay im Dienst der Kirche, u.a. während seiner fünfjährigen Anstellung an der päpstlichen Kapelle in Rom. Die Mehrzahl seiner Werke - Messen, liturgische Motetten, Hymnen - entstanden als Kompositionen für besondere kirchliche Ereignisse, wie z.B. für das Konzil von Basel 1438-39, auf dem er die Kathedrale von Cambrai repräsentierte.

Guillaume Dufay und Gilles Binchois. Aus:
Martin le Franc: Champion des Dames, Arras 1451
Ein in der Kirche angestellter Musiker war nicht auf das Verkaufen seiner Musik angewiesen. Gerade daher ist es bemerkenswert, daß Dufays »Nebenprodukte«, die weltlichen Lieder, so großen Zuspruch fanden. Dies läßt sich nur verstehen, wenn man sie als Herausforderung des Komponisten an sich selbst sieht, die Problematik der »zweiten« Musik im Experiment zu bewältigen. Resvellies vous enthält eine Fülle von musikalischem Material aus der Messe »sine nomine«, komprimiert in einem komplexen kleinen Kunstwerk, von dessen Aufführung man berichtet, daß Dufay selbst anwesend sein mußte, da die Musiker es sonst nicht zustande gebracht hätten. Die junge isorhythmische Polyphonie war zweifelsohne für spezielle Anlässe und auch für spezielle Musiker geschrieben worden. (für den Neujahrstag z.B.: Ce jour de l´an) Dies spiegelt sich auch in den verwendeten Notationsmöglichkeiten noch zum Beginn des 15. Jhdts. wieder, welche nicht zum täglichen Gebrauch bestimmt sein konnten.

Die Polyphonie erscheint als »Gespräch« zwischen Tenor, Cantus und Contratenor, wobei damit kein Stimmumfang, sondern verschiedene Funktionen bezeichnet werden. Der Tenor kontrolliert die harmonischen Bewegungen und bildet mit dem freieren Cantus eine kontrapunktisch perfekte Basis, geprägt von Imitation und gegenseitigen »Zurufen« (Belle, que vous ay ie mesfait, Ce jour de l´an), oftmals auch im Kanon (Puisque vous estez campieur, Par droit je puis im Cantus 1 und 2). Der Contratenor ist eine Füllstimme, meist zwischen den beiden anderen gelegen, oft aber den Tenor melodisch unterwandernd, der mit einer eigenen Diktion dem gesamten Gespräch Farbe und rhythmisches Leben verleiht. Seine oft unmelodischen, rhythmisch komplizierten Sprünge sowie der große Tonumfang lassen eine instrumentale Ausführung nicht ausschließen (Par droit, La dolce vista).

Paul, Hermann und Jean Limbourg: Très Riches Heures des Duc de Berry,
ca 1415, Kalenderblatt Jänner: Neujahrsempfang beim Herzog Jean de Berry
(rechts, in seiner prächtigen blauen Robe dargestellt)
Daß die Gespräche nicht immer reibungslos verlaufen, wird bei den isorhythmischen Frühwerken (Belle, que vous ay; Resvelons nous sogar mit Kanon in Tenor und Contratenor) deutlich. In Donnes l'assault, wo eine Dame mit einer Festung verglichen wird, die im Kampf eingenommen werden will, stehen sich sogar kleine und große Terz dicht gegenüber. Auch in seinem späten Helas mon dueil, wo er mit einer formal einfachen Gestik maximalen Ausdruck erreicht, experimentiert Dufay noch mit Chromatik, doch findet er in seinem späten Schaffenswerk eine einfachere Melodik, die ruhig im harmonischen Satz eingebettet ist (Se la face ay pale, Helas…, Bon jour, bon mois).

Der Weg von objektiven geistigen Experimenten hin zu seelenvoller individueller Schlichtheit im Lauf des 15. Jhdt.s zeigt sich auch im Wandel der Notation, die weitgehend die vereinfachte Form annahm, wie wir sie heute kennen. So konnte der Komponist seine Werke mit einer verbindlicheren Angabe einer größeren Gruppe von Musikern zugänglich machen.

1439 kehrte Dufay endgültig nach Cambrai zurück und beendete somit seine Zeit der Wanderjahre. Zwar blieb er in den meisten seiner Lieder der französischen Muttersprache treu - welches auf die große Bedeutung des Französischen auch im oberitalienischen Raum schließen läßt -, doch die Verschiedenartigkeit seiner Lebensumstände ließ ihn immer eine Erneuerung der textlichen und musikalischen Stilmittel, eine Erweiterung seiner Ausdruckskraft, finden.

Adieu ces bons vins steht als Phänomen am Beginn der sogenannten Franko-Flämischen Schule, in der alle großen Künstler oftmals beschwerliche Reisen in südliche Länder unternommen haben, um dort die Befruchtung mit den kulturellen Errungenschaften des Humanismus zu suchen. Dieses findet weiterhin in einer Vielzahl von Abschiedsliedern seinen Ausdruck (als bekanntestes Lied mag wohl Heinrich Isaaks Innsbruck, ich muß dich lassen gelten). Sie sind gleichzeitig ein Abschied von der Geborgenheit der Traditionen und der Volkszugehörigkeit, welcher zu einem kreativen Leben des Individuums in der Auseinandersetzung mit sich und der Welt führt.

Quelle © 1996 Riccardo Delfino / Michael Posch, im Booklet


Track (06) Guillaume Dufay: Vergene bella (Francesco Petrarca)

Vergene bella (Francesco Petrarca)

Vergene bella, che di sol vestita,
Choronata di stelle al sommo sole
Piacesti, si, che'n te sua luce ascose;
Amor mi spigne a dir di te parole:
Ma non so'ncominzar senza tu aita,
E di colui ch'amando in te si pose.
Invoco lei che ben sempre rispose
Chi la chiamò con fede.
Vergene, s'a mercede.
Miseria estrema dell' humane chose
Già mai ti volse, al mio prego t'inchina.
Soccorri alla mia guerra,
Bench'i' sia terra, e tu del ciel reina.
TRACKLIST

Guillaume Dufay (c. 1400 - 1474)Chansons
(01) Ballade: J'ay mis mon cuer [instrumental]                     (3:31)
(02) Pardroit je puis bien complaindre                             (3:48)
(03) Italian rondeau: Quel fronte signorille 
     Ballata: La dolce vista                                       (6:04)
(04) Puisque vous estez campieur                                   (3:32)
(05) Belle, que vous ay je mesfait [instrumental]                  (3:38)
(06) Vergene bella (Francesco Petrarca)                            (4:19)
(07) Ballade: Se la face ay pale [instrumental]                    (2:36)
(08) Donnes l'assault à la fortresse                               (4:38)
(09) Rondeau: Par le regard de vos beaux yeux                      (4:03) 
(10) Resvelons nous [instrumental]                                 (2:26)
(11) Ce jour de l'an                                               (2:20)   
(12) Ballade: Mon chier amy [instrumental]                         (2:24)
(13) Pour l'amour de ma doulce amye                                (3:41)
(14) Virelai: Helas mon dueil [instrumental]                       (4:02)   
(15) Bon jour, bon mois                                            (3:00)   
(16) Ballade: Resvelliés vous et faites chiere lye [instrumental]  (2:47)   
(17) Adieu ces bons vins de Lannoys                                (5:35)

                                                     Playing Time: 62:37
Ensemble UnicornMichael Posch, Director
Bernhard Landauer, Counter tenor

Recorded at Evangelische Kirche AB, Vienna, from 15th to 18th April 1995
Sound Engineering: W*A*R Studios, Elisabeth and Wolfgang Reithofer 
Cover Painting from the Book of Hours of the Duc de Berry

DDD (P)+(C) 1996

Track (17) Guillaume Dufay: Adieu ces bons vins de Lannoys
Adieu ces bons vins de Lannoys

Adieu ces bons vins de Lannoys,
Adieu dames, adieu borgois,
Adieu celle que tant amoye,
Adieu toute playsante joye,
Adieu tous compaignons galois.

Je m'en vois tout arquant des nois,
Car je ne truis feves ne pois,
Dont bien souvent entier mennoye.
Adieu ces bons vins de Lannoys,
Adieu dames, adieu borgois, A
dieu celle que tant amoye,

De moy seres, par plusieurs fois
Regretés par dedans les bois,
Ou il n'y a sentier ne voye;
Puis ne scaray que faire doye,
Se je ne crie a haute vois.

Adieu ces bons vins de Lannoys,
Adieu dames, adieu borgois,
Adieu celle que tant amoye,
Adieu toute playsante joye,

Adieu tous compaignons galois.

Der Spiegel als Zeuge


Jan van Eycks Hochzeitsbild von Giovanni Arnolfini

Jan van Eyck: Porträt von Giovanni Arnolfini und seiner Frau Giovanna Cenami,
1434, National Gallery, London
«Aber nichts in diesem Gemälde war wunderbarer als der gemalte Spiegel, in welchem du alles, was dort beschrieben ist, wie in einem echten Spiegel sehen konntest.» Diesen Satz über ein nicht erhaltenes Bild von Jan van Eyck schrieb der in Neapel lebende Humanist Bartolommeo Fazio in seinem Buch Über berühmte Männer («De Viris Illustribus»). 1456 vollendet, erhob Fazio in dem Buch außer Jan van Eyck nur drei weitere Maler, den Niederländer Rogier van der Weyden sowie die Italiener Gentile da Fabriano und Pisanello, in den Rang berühmter Männer. Der König von Neapel besaß ein Triptychon van Eycks, das Fazio gleichfalls beschrieb. Das Bild mit dem Spiegel hatte er jedoch in Urbino bei Ottaviano Ubaldini della Carda, einem Neffen und Ratgeber des Herzogs von Urbino, gesehen. Es stellte eine Badestube dar, ein heute verlorenes Bild, das allerdings durch Kopien und eben die Beschreibung des Fazio bekannt ist. Im Spiegel enthüllten sich dem Betrachter die im Bild abgewandten Körperpartien einer badenden Frau.

Einen Spiegel zeigt auch ein anderes bemerkenswertes Bild van Eycks, das unter dem Titel Die Hochzeit der Arnolfini in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Auch wenn bis heute strittig ist, ob es sich tatsächlich um ein Hochzeitsbild handelt, und immer noch nicht mit endgültiger Sicherheit gesagt werden kann, wer darauf eigentlich dargestellt ist. Aber: es ist das erste erhaltene Bild, in dem ein Bürger nicht als Stifter erscheint, sondern in seiner alltäglichen Umgebung, wahrscheinlich bei einem juristischen Akt. Dem Spiegel kommt dabei die Bedeutung des Zeugen zu, auch das eine Bilderfindung des niederländischen Malers.

Spiegelmacher und Maler gehörten im damaligen Brügge zu einer gemeinsamen Zunft, die Spiegel hatten als Bildmedium also eine ähnliche Funktion wie die gemalten Bilder. Der Legende nach hatte die Geschichte der Malerei ohnehin mit dem Bild des sich spiegelnden Narziß begonnen. Diese antike Legende war von dem Florentiner Architekten und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti in der Mitte des 15. Jahrhunderts wieder aufgegriffen worden, und man darf annehmen, daß van Eyck Albertis Schriften kannte.

Jan van Eyck gilt heute als der berühmteste Vertreter der «Frühen Niederländer» - auch «altniederländische Maler» genannt -, die zwischen Spätgotik und Renaissance stehen. Zeitgleich mit den italienischen Malern der Frührenaissance versuchen sie, die Welt so darzustellen, wie wir sie wahrnehmen. Allerdings mit einem bezeichnenden Unterschied: Während die Italiener von der Architektur ausgingen und die Wirklichkeit mit Hilfe der Mathematik oder genauer der Geometrie zentralperspektivisch vermaßen, gingen die Niederländer von Erfahrungen aus. Statt der mathematischen Zentralperspektive entwickelten sie eine empirische Luftperspektive, die zwar mathematisch nicht ganz so exakt ist, die aber dennoch ähnliche Effekte hervorbringt.

Handelsbeziehungen zwischen Italien und Flandern machten die Bilder der Niederländer bald im Süden, die der Italiener - speziell der Florentiner - im Norden bekannt und begehrt. Bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts befanden sich Bilder Jan van Eycks im Königreich Neapel.

Über Jan van Eyck wissen wir nicht allzuviel. Er wurde um 1390 wahrscheinlich in Maaseyck bei Maastrich geboren und begann vermutlich als Buchmaler. Zwischen 1422 und 1424 finden wir ihn als Maler im Dienst des Grafen von Holland, dessen Residenz im Haag er ausmalte. Ab 1425 gehörte er zum Hof Philipps des Guten, Herzog von Burgund. Da das Amt eines Hofmalers gegen die Zunftstatuten verstieß, wurde er zum Kammerherrn ernannt. Nach mehreren geheimen Reisen für den Herzog ließ sich van Eyck als Stadtmaler in Brügge nieder und vollendete den von seinem Bruder Hubert begonnenen sogenannten Genter Altar, ein riesiges Retabel, das 1432 geweiht wurde. 1436 war der Maler wieder für den Herzog auf Reisen. Der Zielort ist unbekannt. Fünf Jahre später, am 9.Juli 1441, starb er in Brügge und wurde in Sankt Donatian beigesetzt.

Von Jan van Eyck haben sich nur wenige signierte Werke erhalten. Weitere sind ihm zugeschrieben worden. Er gilt als einer der besten Porträtisten seiner Zeit, zugleich als Erfinder der Ölfarbe. Allerdings war damals eine Mischung aus Tempera und Ölfarben im Gebrauch, und es ist auch nicht mit Sicherheit zu sagen, ob van Eyck wirklich als erster Öl zum Binden der Farbpulver benutzte. Doch ist seinen Bildern eine Transparenz und Leuchtkraft eigen, dabei eine Präzision auch der kleinsten Details, so daß Fazio ihn als «Fürsten der Maler unseres Jahrhunderts» rühmte und es versucht worden ist, von ihm gemalte Landschaften und Räume zu identifizieren, auch wenn die im Bild dargestellte Wirklichkeit bei van Eyck immer inszeniert, immer auch symbolisch zu lesen ist.

Das kleinformatige Bild der Arnolfini-Hochzeit (82 x 60 cm) zeigt den Blick in einen Raum so, als stünde der Betrachter in der Tür. Von dort aus sieht er als erstes einen Mann und eine Frau, die sich an den Händen halten. Die ganzfigurigen Gestalten, die drei Viertel des Bildraums einnehmen, verhindern, den Raum ganz zu überblicken, doch ist es durch die nur zum Teil verdeckten Möbel ersichtlich, daß sich das Paar in einer bürgerlichen Wohn- und Schlafstube aufhält. Licht fällt durch ein Fenster an der linken Zimmerwand. Der obere Teil des Fensters ist mit Butzenscheiben verglast, der untere jedoch nur durch Läden verschließbar, die jetzt offenstehen und trotz der schrägen Sicht das Fenstergitter, ein wenig Baumgrün und den blauen Himmel wahrnehmen lassen. Auf dem Fensterbrett liegt eine Apfelsine, drei weitere auf der Truhe darunter. Auf dieser Fensterseite steht der Mann. Neben ihm, in der linken vorderen Bildecke, sieht man auf den Dielen gerade noch ein Paar Holzpantinen. Diese «Trippen» genannten Überschuhe schützten die eleganten Schuhe der reichen Bürger vor dem Dreck auf der Straße.

Die rechte Zimmerwand hinter der Frau wird vollkommen von einem großen, rot bezogenen Bett mit einem ebenso roten Baldachin eingenommen. Von dem vor dem Bett liegenden Teppich ist nur die Borte zu erkennen. Neben dem Bett und hinter dem Teppich sieht man an der Rückwand des Raumes die hohe, hölzerne, zu Teilen geschnitzte Lehne eines Stuhls, an der ein Handfeger hängt. Die Sitzbank daneben ist ebenfalls rot bezogen. Die roten Kissen heben sich vom Bezug ebensowenig ab wie die roten Pantoffeln vor der Bank.

In der Mitte des Zimmers hängt an einer Kette von der Decke ein Kronleuchter aus Metall mit einer einzigen brennenden Kerze. Genau darunter ist an der Rückwand des Raumes ein konvexer Spiegel angebracht, in dessen Rahmen zehn Medaillons mit Szenen aus dem Leben Christi eingelassen sind. Links daneben hängt ein Rosenkranz, und darüber kann man in burgundischer Kanzleischrift die Worte lesen: «Johannes de eyck fuit hic 1434» (Jan van Eyck ist hier gewesen 1434). Wiederum in der Mitte, jetzt aber vorne im Bild, steht auf den hölzernen Fußbodenplanken und zwischen dem Paar ein kleiner Hund.

Der konvexe Spiegel zeigt (wie ein extremes Weitwinkel bei einem Fotoapparat) mehr von dem Raum als das Bild. Man erkennt die Balkendecke, an welcher der Kronleuchter hängt, und natürlich ist das ganze hintere Zimmer sichtbar, also das Fenster und die Truhe. Allerdings fehlen dem Fenster das Gitter und die Butzenscheiben! Mann und Frau sieht man von hinten. Sie blicken auf den geöffneten Eingang, in dem zwei Gestalten sichtbar werden, die blau und rot gekleidet sind. Sie nehmen den Betrachterstandpunkt ein.

Das Bild hat den Kunsthistorikern viel Kopfzerbrechen bereitet, und noch immer sind nicht alle Rätsel gelöst. Durch die Inschrift ist zwar der Maler bekannt, jedoch ist sie keine richtige Signatur. Diese hätte nicht an so prominenter Stelle gestanden. Außerdem wäre dafür die Formulierung «pinxit» (malte) passender gewesen als «fuit hic» (war hier). Immerhin geht aus der Inschrift hervor, daß Jan van Eyck 1434 die auf dem Bild dargestellte Situation miterlebt hat und deshalb wohl auch der Maler war, ebenso aber einer von den beiden Männern, die sich nur im Spiegel zeigen. Wer aber war sein Auftraggeber?

Im 16. Jahrhundert taucht das Bild im Besitz der Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande, auf. Aus einem damals angelegten Inventar geht hervor, daß auf dem inzwischen verlorenen Originalrahmen ein Vers aus Ovids Liebeskunst und der Name des Dargestellten - «Arnoulf Fin» - zu lesen waren.

Jan van Eyck: Porträt von Giovanni
Arnolfini, 1435, Staatliche Museen
Berlin, Gemäldegalerie
Es liegt nahe, in den Dargestellten Giovanni Arnolfini und seine Frau Giovanna Cenami sehen zu wollen, auch wenn in Brügge damals noch weitere Mitglieder der Familie Arnolfini ansässig waren. 1434 lebte der in Lucca um 1400 geborene Kaufmannssohn Giovanni Arnolfini bereits 13 Jahre in Brügge. Dort heiratete er die ebenfalls aus Lucca stammende Giovanna Cenami. Sie blieben zeit ihres Lebens in Brügge, Arnolfini wurde 1461 Ratgeber des Herzogs von Burgund, erhielt ein Jahr später das Goldene Vlies und starb 1472 in Brügge. Giovanna Cenami überlebte ihren Mann um acht Jahre. Auch ein wenig später gemaltes Porträt eines Mannes wird mit Giovanni Arnolfini identifiziert, obwohl es weder signiert noch datiert ist und auch den Namen des Dargestellten nicht preisgibt. Der Dargestellte ist auf dem Einzelporträt älter als auf dem Doppelbildnis, also muß jenes später entstanden sein. Und auch der Stil kann eindeutig mit Jan van Eyck in Verbindung gebracht werden.

Jan van Eyck stand also länger mit dem Kaufmann aus Lucca in Kontakt, da er ihn zweimal gemalt hat. Porträts kamen damals in Mode, das zweite Bild ist für einen reichen Kaufmann nichts Ungewöhnliches. Doch was ist auf dem Doppelporträt eigentlich dargestellt? Dafür, daß sie sich in einem Privatraum befinden, sind die Personen viel zu elegant gekleidet. Giovanni Arnolfini trägt einen riesigen Zylinderhut. Sein dunkler Samtmantel ist an Hals, Saum und Ärmeln mit Zobel oder Nerz besetzt. Schwarze Schuhe und Strümpfe schauen unter dem kurzen Mantel hervor.

Bei dem grünen Oberkleid von Giovanna Cenami wurde hingegen am Stoff nicht gespart, der, direkt unter dem Busen geschnürt, in zahlreichen, schweren Falten zu Boden fällt. Sein Gewicht erhält er durch den Hermelin, mit dem der Stoff gefüttert ist und mit dem Saum und Ärmel besetzt sind. Mit ihrer linken Hand hat Giovanna Cenami den Stoff des Obergewandes gerafft und hält ihn so vor den Leib, daß heutige Betrachter meinen könnten, sie sei schwanger. Das ist jedoch nicht der Fall. Hier findet nur mit den Unmengen an kostbarem Stoff eine Demonstration des Reichtums bürgerlicher Kaufleute statt. Die kostbare Kleidung weist aber auch darauf hin, daß gerade ein besonderes Ereignis stattfindet. Und dieses kann durch die Handhaltung der beiden Protagonisten zumindest ansatzweise entschlüsselt werden.

Giovanna Cenami hat ihre rechte Hand in die linke des Mannes gelegt, allerdings mit dem Handrücken nach unten, so daß ihre offene Hand etwas zu erwarten scheint. Sie schaut dabei auf die rechte, erhobene Hand Arnolfinis. Seine Handbewegung wurde als Gruß und auch als Treuegelöbnis bei einer Eheschließung interpretiert. Auch eine dritte Möglichkeit ist denkbar: Arnolfini wird gleich seine Rechte in die ihre legen, um damit die Ehe zu besiegeln.

Das Hochzeitszeremoniell fand damals zumindest in Italien noch nicht in der Kirche statt, sondern lediglich vor einem Notar, der die Eheschließung bezeugte. Weiße Brautkleider wurden erst im 19. Jahrhundert üblich. Und so kann das Bild als Hochzeitsbild interpretiert werden, vor allem wenn man den Spiegel und die darüber stehende Inschrift mit einbezieht. Er und die Schrift darüber sind die eigentlichen Dokumente des Ehevertrags. Der Spiegel läßt die Zeugen sichtbar werden, die Schrift benennt wenigstens einen von ihnen, nämlich Jan van Eyck. Der andere Zeuge dürfte der Notar sein, der natürlich in der Kanzleischrift schrieb, die der Maler hier im Bild benutzte und so die Illusion erzeugte, der Notar habe dokumentiert, daß Jan van Eyck der Hochzeit beigewohnt habe.

Jan van Eyck hat also die Hochzeit bezeugt. Ob er als Maler zugegen war, mit der Funktion als Zeuge also gleichzeitig der Auftrag verbunden war, ein Hochzeitsbild zu malen, oder ob er als Freund kam und das Bild von sich aus gemalt hat, weiß man genausowenig, wie man den ersten Besitzer des Bildes kennt. Gehörte das Bild den Arnolfinis, oder hat es van Eyck behalten? Es ist lediglich bekannt, daß es bereits zehn Jahre nach seiner Entstehung von anderen niederländischen Malern bewundert wurde, später nach Spanien kam, dort eine Inspirationsquelle für Diego Velázquez wurde, der in seinem berühmten Gemälde Las Meniñas das Spiegelmotiv aufgriff. Im 19.Jahrhundert gelangte die Arnolfini-Hochzeit dann in die Londonder National Gallery, wo sie sich heute noch befindet.

Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der sich eingehend mit den Frühen Niederländern beschäftigt hat, führte für deren Interpretation den Begriff des «disguised symbolism» ein. Er umschrieb damit die Beobachtung, daß jeder Gegenstand, jede Geste mindestens zwei Bedeutungsebenen besitze. Bei der Arnolfini-Hochzeit fand er unter anderem folgende versteckte Symbole und deutete sie entsprechend: Der kleine Schoßhund steht für eheliche Treue, die einsame Kerze auf dem Kronleuchter ist die Hochzeitskerze, die der Bräutigam der Braut schenkt und die das Auge Gottes symbolisiert. Auf dem Stuhl neben dem Bett ist auf der Lehne die Figur der hl. Margarete zu erkennen, Schutzpatronin werdender Mütter (zu denen sich Giovanna Cenami nach der Eheschließung hoffentlich bald zählen konnte). Die durchscheinenden Perlen des Rosenkranzes sprechen von der Reinheit der Braut, der kleine Besen von den Pflichten im Haushalt. Die offene Hand und der geraffte Stoff des Überkleides sagen, daß sie bereit ist, sich Arnolfini hinzugeben.

Wie eine 1995 publizierte Infrarotaufnahme des Bildes zeigt, hat van Eyck all diese Details auf der Vorzeichnung noch nicht berücksichtigt, sie also erst in einem sehr späten Stadium hinzugefügt. Die verschiedenen Bedeutungsebenen erlauben deshalb auch mehrere Interpretationen. Bis Jan van Eyck dieses Bild malte, waren Privatpersonen lediglich als Stifter dargestellt worden. Nur Herrschern stand es zu, in repräsentativen Bildwerken zu erscheinen. Mit diesem privaten Bild entstand eine völlig neue Gattung, nämlich die Darstellung des Bürgers in seiner Umgebung.

Außerdem wurde mit diesem Bild zum ersten Mal in der Geschichte der Malerei ein privates Dokument gemalt und damit Wirklichkeit inszeniert. Arnolfini steht am geöffneten Fenster und hat erst vor kurzem seine Straßenschuhe ausgezogen, das heißt, er kommt von draußen, aus der Stadt, dem Bereich des Mannes, wo er das Geld verdient. Die Frau hingegen steht neben dem Bett, hinter ihr repräsentiert der Handfeger ihre Pflicht, das Haus in jedem Sinn rein zu halten. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch, daß sich die Hände der Brautleute nicht genau in der Symmetrieachse der Mitte des Leuchters und des Spiegels befinden, sondern ein wenig näher zur Braut hin. Der (gemalte) Ehevertrag ändert kaum etwas am Leben des Kaufmanns, aber seine Frau ist ab nun für das Haus und hoffentlich bald auch für die Kinderaufzucht verantwortlich. Über der Suche nach versteckten Symbolen wurde dieser Aspekt des Bildes lange außer acht gelassen. Später dann beschäftigte die Kunsthistoriker das Problem, ob es sich um die Darstellung einer Heirat, einer Verlobung oder des Vertrags über die Mitgift handele. Doch das ist nebensächlich im Vergleich zu der Tatsache, daß hier ein gemaltes Bild zu einem Dokument eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses und Selbstbewußtseins wird.

Quelle: Susanna Partsch: Sternstunden der Kunst. Von Nofretete bis Andy Warhol, C.H. Beck, München 2003, ISBN 3 406 49412 9. Zitiert wurde Seite 103-110  [Leseprobe]

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Reposted on February 26, 2015

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