Dort hört Kaiser Leopold I., der profunde Musikkenner und Komponist, Messen von Fux, die ihn tief beeindrucken. 1698 wird er von Kaiser Leopold I. zum Hofkomponisten ernannt. 1700 wird er vom Kaiser zu Studien nach Rom gesandt. Auch der hochmusikalische, komponierende Sohn Kaiser Leopolds I., Joseph I., ernennt Fux zum Hofkomponisten. Nach Josephs frühem Tod ernennt ihn Kaiser Karl VI. zum Vizekapellmeister und 1715 zum ersten Kapellmeister, eine Funktion, in der Fux bis zu seinem Tode verbleiben sollte. Äußerer Höhepunkt seines Lebens ist wohl die prunkvolle Aufführung seiner Krönungsoper Costanza e Fortezza auf dem Hradschin in Prag unter der Mitwirkung berühmter Musiker aus halb Europa wie beispielsweise Joachim Quantz.
Fux hat ein gewaltiges Œuvre hinterlassen: an die 20 Opern bzw. feste teatrali, 14 Oratorien, ca. 80 Messen, drei Requien, ein Te Deum und viele Motetten, Antiphonen, Hymnen etc. Das instrumentale Opus umfasst an die 50 Kirchensonaten, 79 Partiten und Ouvertüren sowie eine Reihe von Werken für Tasteninstrumente. 1725 hat Fux seine berühmte Schule des Kontrapunktes, den Gradus ad Parnassum veröffentlicht, der bis ins 20. Jahrhundert hinein verwendet, geschätzt, kopiert, verarbeitet wurde. Die kontrapunktische Gründlichkeit seines musikalischen Satzes sollte für den Stil der Wiener Klassik von größter Bedeutung sein. Konservative Gründlichkeit verbindet sich bei Johann Joseph Fux aber stets auf die glücklichste Weise mit Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit des musikalischen Flusses.
Nikolaus Buck: Bildnis Johann Joseph Fux, 1717, Gesellschaft der Musikfreunde Wien [Quelle] |
Die beiden Ouvertürensuiten sind in dem 1701 in Nürnberg erschienenen Concentus musico-instrumentalis enthalten, der dem späteren Kaiser Joseph I. gewidmet ist. Sie sind weitgehend im abwechselnd pathetischen wie auch leichtfüßigen eleganten französischen Suitenstil geschrieben.
Die vier Triopartiten, auch als Synfonia bzw. Canzon bezeichnet, stehen eher, wie schon die Satzbezeichnungen erkennen lassen, dem italienischen Lebensgefühl nahe. Zum Ausdruck Partita ist zu sagen, dass damit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien im allgemeinen ein mehrteiliges, suitenartig bunt angeordnetes Instrumentalwerk bezeichnet wurde.
Die Synfonia spielt mit exotischen Anklängen an türkische Musik. Großartig die gewaltige Architektur der g-Moll-Passacaglia über ein absteigendes Quart-Motiv in der Partita à 3 (K 320).
Quelle: René Clemencic, im Booklet
Track 13: Parthia Trio (E 64): I. Capricco/Presto - Grave - Capricco/Presto
TRACKLIST JOHANN JOSEPH FUX (1660-1741) Concentus musico-instrumentalis Barocke Kammermusik am Wiener Kaiserhof Baroque Chamber Music at the Viennese Court Ouverture à 4 (Concentus musico-instrumentalis No. VI) [01] Grave - Allegro - Grave 05:14 [02] Aria 01:27 [03] Menuet 00:49 [04] Gavotte 00:44 [05] Sarabande 01:40 [06] Guique, en Rondeau 01:02 [07] Finale 01:19 Canzon à 3 (K 329) [08] Tempo giusto / Canzona - Larghetto - Tempo giusto / Canzona 04:21 [09] Aria/Presto 01:25 [10] Menuet - Duetto - Menuet 02:29 [11] Il Libertino 00:36 [12] Gigue alla Siciliana 01:19 Parthia Trio (E 64) [13] Capriccio/Presto - Grave - Capriccio/Presto 04:59 [14] Vivace 01:43 [15] Menuet - Trio - Menuet 02:33 [16] Finale 00:58 Partita à 3 (K 320) [17] Sonata/Andante 02:35 [18] Allegro - Adagio 02:06 [19] Sarabande 02:51 [20] Passacaglia 02:58 Synfonia à 3 (K 331) [21] Turcaria 02:02 [22] Passacaglia/Andante 01:48 [23] Janitschara 01:28 [24] Posta turcica 01:36 Ouverture à 4 (Concentus musico-instrumentalis No. III) [25] Grave - Allegro - Grave 04:30 [26] Aire 01:19 [27] Menuet 01:11 [28] Follie/Allegro 00:48 [29] Bouree 01:22 [30] Guique/Prestissimo 00:55 total 60:20 Clemencic Consort: Hiro Kurosaki, baroque violin - István Kertész, baroque violin Ursula Kortschak, baroque viola - Claudio Ronco, baroque cello Herwig Neugebauer, baroque violon René Clemencic artistic director, baroque organ positive, harpsichord Recorded May 26-28, 2004, W*A*R-Studio Wien Recording Producers + Sound Engineers: Elisabeth + Wolfgang Reithofer Cover Painting: Nikolaus Buck - Portrait of Johann Joseph Fux (1717), courtesy of Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (C) + (P) 2005
Track 22: Synfonia à 3 (K 331): II. Passacaglia/Andante
Ein neu zu erkundender Kontinent
Walter Benjamin und sein Werk
Fotographie aus Walter Benjamins Pass, um 1928 [Quelle] |
Ein stärker vom Wert harter Fakten überzeugter Leser, als es Walter Benjamin selbst war, kann heute feststellen, dass die Rezeptionsgeschichte des Werks dieses Philosophen und Zeitkritikers den Zenit überschritten hat. Unlängst veröffentlichte der «Chronicle of Higher Education» eine ausführliche Besprechung der jüngsten Benjamin-Biografie und ergänzte diesen Rückblick mit einer Grafik zu den «posthumous citations». Ihr ist zu entnehmen, dass in den vergangenen sechs Jahren die Häufigkeit der Benjamin-Bezüge in akademischen Publikationen ihren Höchstwert von 2007 nie mehr erreicht hat und nun offenbar etwa in jenem Rhythmus zurückgeht, mit dem sie während der beiden vorausgehenden Jahrzehnte gestiegen war. Diesen Zahlen entspricht ein weniger markanter, aber doch deutlicher Eindruck aus dem Alltag der geisteswissenschaftlichen Arbeit in Europa und Nordamerika: Walter Benjamin ist nicht mehr in aller Munde und gilt nicht mehr als bedingungslos relevant. Seine Schriften scheinen sich auf dem Weg zum Status des bewunderten und ein wenig entrückten «Klassikers» zu befinden.
Ornamentaler Status
Erst aus dieser Halbdistanz aber wird die Frage möglich, was bleiben wird. In der entgegengesetzten Einstellung lag ja das – meist höflich verschwiegene – Problem der Benjamin-Rezeption während der Zeit ihres unaufhaltsamen Aufstiegs. Die Ideen des 1892 in Berlin geborenen Philosophen galten vielen – unter Ausklammerung jedes kritischen Urteils – als prophetische Antwort auf schlechthin alle Fragen. Das stufte den intellektuellen Gebrauchswert von Walter Benjamins Texten auf das Niveau des bloss Ornamentalen herab. Es steht also heute eine Zwischenbilanz an – nach einem knappen halben Jahrhundert meist hastiger Aneignungen und als Vorbereitung einer neuen, zugleich nüchternen und produktiveren Auseinandersetzung.
Walter Benjamin in der Bibliothek, Paris [Quelle: Marcus Steinbrenner] |
Ansätze zu einer differenzierten Auseinandersetzung gingen immer wieder in dieser Bugwelle von Benjamin-Begeisterung unter – und daraus ergab sich ein ebenso konturenschwaches wie euphorisches Bild des Werkes, aus dem zunächst vor allem der schon früh wieder publizierte Essay über «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» herausragte. Zu der eigenartigen Signatur aus intellektueller Hochstimmung und einem flachen gedanklichen Profil haben gewiss noch andere Faktoren beigetragen. Vor allem die begriffliche und argumentative Porosität im Stil von Benjamins Schriften, die für vielfältige Auslegungen offenblieben – mit dem einzigen gemeinsamen Fluchtpunkt einer generellen Vermutung besonderer philosophischer Tiefe. Damit verband sich die von einzelnen seiner Texte gebotene Möglichkeit, Benjamin als Vorläufer zu entdecken und zu feiern – sei es als Vorläufer der Mediengeschichte, der Kulturwissenschaften oder eines «neuen Materialismus».
Und gewiss hat auch die Geschichte seines Lebens, in dem die Schuld der deutschen und das Trauma der jüdischen Geschichte einander kreuzten, besondere Sympathie und besonderes Interesse geweckt. Anknüpfungspunkte für eine Zwischenbilanz, die sich von der pauschalen Euphorie der bisherigen Rezeption fernhält, lassen sich auch in der Lebensgeschichte des obsessiv reisenden und ebenso obsessiv zu bestimmten Themen zurückkehrenden Walter Benjamin ausmachen. Die Zeit der bis vor wenigen Jahren unveröffentlichten Schriften des genialischen Schülers und Studenten aus dem zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts ist abzusetzen von Benjamins Suche nach einem Beruf und der 1925 mit dem abgewiesenen Habilitationsversuch gescheiterten Vorbereitung auf eine akademische Laufbahn. Gerade sein Scheitern aber muss Benjamin während der folgenden Jahre in der Wahrnehmung von Verlegern und Lesern eine gewisse Aura verliehen haben, welche mit dem Ausbleiben eines zunächst erwarteten Durchbruchs dann zu verblassen begann.
Walter Benjamins Bibliothekskarte, Bibliothèque Nationale, Paris, 1940 [Quelle] |
Wenig Beachtung hat bisher die Entwicklung der diskursiven Formen in Benjamins Schriften gefunden. Während der ersten Werkphase kultivierte der Literaturkritiker Benjamin beinahe ausschliesslich die aus der deutschen Romantik, vor allem von Friedrich Schlegel, kommende und in Georg Lukács' Buch «Die Seele und die Formen» von 1911 programmatisch erneuerte Tradition des Essays, in dem begriffliche Klarheit und argumentative Stringenz dem Anspruch auf eine ekstatische Nähe der Sprache zum Leben der Gefühle und zum ästhetischen Erleben geopfert wurden. Gerade an der von Benjamin immer wieder gedankenreich umspielten Unvereinbarkeit von essayistischer Form und wissenschaftlicher Strenge nahmen übrigens seine Frankfurter Habilitationsgutachter Anstoss.
Obwohl Benjamin die Gattung des Essays nie ganz hinter sich liess, fand er in dem 1928 erschienenen Buch «Einbahnstrasse» eine seinen Talenten offenbar prägnanter entsprechende Form, die Form der – ohne Argumentation – unvermittelt gereihten Fragmente mit dichten Beschreibungen, aphoristisch-philosophischen Kommentaren und mit den «Denkbildern» als Geste der Kondensation. Obwohl wir wissen, dass das sogenannte Passagen-Werk aus den dreissiger Jahren nur deshalb wie eine Makro-Version dieser offenen Form aussieht, weil Benjamin das Projekt nicht zum Abschluss bringen konnte, weisen dessen anhaltende Faszination und Suggestivität auf ein auch heute brauchbares Potenzial textueller Gestaltung.
Erste Konturen für eine zukünftige Gegenwart von Benjamins Werk können erst in dem Mass deutlich werden, wie Motive benannt werden, die im Lauf der Jahre in den Vordergrund der Denkarbeit des Autors traten oder an denen er sein Interesse verlor. Benjamins neukantianische, vor allem sprachphilosophische Fragen, wie sie für seine Jugend typisch waren, ebbten bald ab, zusammen mit der Faszination für theologische Denkfiguren, die der jüdischen Tradition entstammen. Auch ein allzu affektiv geladenes Interesse an der Psyche von Kindern und deren vermeintlich unbegrenzter Kreativität blieb Episode (glücklicherweise, ist man heute versucht zu sagen) – ebenso wie eine immer wieder von dem Begriff «Ent-Staltung» (der Umkehrung von «Ge-Staltung») gefasste Intuition im Blick auf den Kollaps von Formen als Quelle intellektueller Kraft.
Auf der anderen Seite haben sich nur wenige neue Impulse in Benjamins Denken gegen den schon in den ersten Texten sich abzeichnenden und stets wieder neu durchgearbeiteten Horizont von Bezugspunkten durchgesetzt. Um 1930 erst entschloss Benjamin sich, seinem Denken mit dem Marxismus ein festes politisches Fundament zu geben – ein Versuch, der freilich über einzelne Elemente hinaus nie zu einer orthodoxen oder wenigstens idiosynkratischen Stimmigkeit führte (wie etwa sein erratischer Gebrauch des Begriffs «dialektisch» zeigt). Wenig später tauchten in Benjamins Paris-Studien die historischen Rollen des Flaneurs und des Sammlers auf, um schnell zu entscheidenden hermeneutischen Konzepten für seine Arbeit zu werden.
Dani Karavans Memorial für Walter Benjamin im katalanischen Portbou |
Berührungspunkte
Dieses besondere Verhältnis zwischen gegenwärtigem Interesse und den Versatzstücken der Vergangenheit konvergiert mit einer Konzeption von Geschichte, in der sehr früh schon Begriffe der Diskontinuität wie «Kraft», «Energie» oder «Gewalt» über die Suche nach Regelmässigkeiten oder gar «Gesetzen» eines historischen Verlaufs dominierten. So gesehen ist der für die Rezeptionsgeschichte von Benjamins Werk zentrale «Kunstwerk»-Aufsatz mit seiner geschichtsphilosophischen Erzählstruktur und der (inzwischen längst widerlegten) These einer Befreiung der Kunst von ihrer «Aura» durchaus atypisch – und ihm eine herausragende Bedeutung zuzuschreiben, ist tendenziell irreführend.
Mehr verspricht für eine systematische Auseinandersetzung mit Benjamins Geschichtsreflexion die letzte Version seines Spiels mit dem Denkbild des «Angelus Novus», der auf die Vergangenheit zurückblickt, während er von einem Wind (von einer anonymen, vielleicht affektiven Energie) in die für ihn nicht sichtbare Zukunft getrieben wird. An einem solchen Bild wollte der in Vergessenheit und prekärer Armut lebende deutsche Emigrant Walter Benjamin noch während seines letzten Lebensjahrs festhalten, als durch den Pakt der Sowjetunion mit dem nationalsozialistischen Deutschland die institutionelle Verkörperung der politisch-geschichtsphilosophischen Versprechen, auf die er gesetzt hatte, desavouiert war von ihrer plötzlichen Nähe zur Ursache für die physische Bedrohung seines nackten Lebens.
[Quelle: Marcus Steinbrenner] |
Es ist jedenfalls an der Zeit, nach dem Zenit seiner Rezeption Walter Benjamins Werk mit einer neuen Gelassenheit und auch mit neuer Genauigkeit ernst zu nehmen.
Quelle: Hans Ulrich Gumbrecht: Ein neu zu erkundender Kontinent. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 284 vom 6.12.2014
Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht lehrt vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University. Bei Suhrkamp sind 2012 seine Studie «Nach 1945 – Latenz als Ursprung der Gegenwart» und die Aufsatzsammlung «Präsenz» erschienen.
Hans Ulrich Gumbrechts Blog Digital/Pausen bei der FAZ
Wem dieser Post gefallen hat, dem gefielen auch folgende:
1970: Harnoncourt Nikolaus und sein Concentus musicus Wien spielen Johann Joseph Fux
2012: Ich erwerbe in Amsterdam "Musik aus dem Rembrandthaus", die Beiträge von Johann Joseph Fux inkludiert. Als Bonus können Rembrandts Radierungen besichtigt werden.
2013: Wolfgang Marx veröffentlicht "Herr Heidegger behorcht das Seyn". Nur für Leser empfohlen, denen Gumbrechts Kritik an Benjamin zu zahm ist.
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Reposted on October 31 2018
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