12. Januar 2009

György Ligeti: Streichquartette und -duette (Arditti String Quartet)

"Métamorphoses nocturnes" (mein erstes Streichquartett) komponierte ich 1953/54 in Budapest - für die Schublade, denn an eine Aufführung war nicht zu denken. Das Leben in Ungarn stand damals unter der totalen Kontrolle der kommunistischen Diktatur, das Land war völlig abgeschnitten von jeglicher Information aus dem Ausland. So entstand in Budapest eine Kultur des "geschlossenen Zimmers", in der sich die Mehrheit der Künstler für die "innere Emigration" entschied. Offiziell wurde der "sozialistische Realismus" aufoktroyiert, d.h. eine billige Massenkunst mit vorgeschriebener politischer Propaganda. Moderne Kunst und Literatur wurden pauschal verboten, die reiche Sammlung französischer und ungarischer Impressionisten im Budapester Kunstmuseum beispielsweise hängte man einfach ab und lagerte sie im Depot. Im Bereich der Musik galt der 1945 verstorbene Bartók als der große Nationalkomponist und antifaschistische Held, doch die meisten seiner Werke fielen der Zensur zum Opfer; aufgeführt wurden nur die "versöhnlichen", nichtdissonanten Stücke. Daß alles "Moderne" verboten war, verstärkte hingegen nur die Anziehungskraft, die das Konzept der Modernität auf nonkonformistische Künstler ausübte.

György Ligeti (Photo: Guy Vivien)
Mein Streichquartett komponierte ich angeregt durch Bartóks mittlere Quartette (Nr. 3 und 4), die ich aber nur aus der Partitur kannte, da sie nicht gespielt werden durften. "Metamorphosen" bedeutet in diesem Fall eine Folge von Charaktervariationen ohne ein eigentliches Thema, doch entwickelt aus einem motivischem Grundkeim (zwei große Sekunden, verschoben um eine kleine Sekunde). Melodisch und harmonisch beruht das Stück auf der totalen Chromatik, in formaler Hinsicht folgt es aber den Kriterien der Wiener Klassik: Periodik, Imitation, motivische Fortspinnung, Durchführung, durchbrochener Satz. Modernität und Tradition empfand ich nicht als gegensätzlich, sondern vielmehr als doppelte Panzerung gegen die erniedrigende Kunstdiktatur. Erst nach meiner Flucht aus Ungarn (1956) wurde dieses Quartett zum ersten Mal 1958 in Wien von dem ebenfalls geflüchteten Ramor-Quartett aufgeführt.

(Fortsetzung folgt nach der Tracklist)

TRACKLIST

GYÖRGY LIGETI (1923-2006)

String Quartet No. 1 "Métamorphoses nocturnes" (1953-1954) 
Streichquartett Nr. 1 - Quatuor à cordes No 1

[01] Allegro grazioso                         1'33
[02] Vivace, capriccioso                      1'59
[03] Adagio, mesto                            2'08
[04] Presto                                   2'44
[05] Andante tranquillo                       2'29
[06] Tempo di Valse, moderato, con eleganza,
    un poco capriccioso                      2'18
[07] Allegretto, un poco gioviale             2'56
[08] Prestissimo                              4'35


String Quartet No.2 (1968) 
Streichquartett Nr. 2 - Quatuor à cordes No 2

[09] I.   Allegro nervoso                     4'46
[10] II.  Sostenuto, molto calmo              4'32
[11] III. Come un meccanismo di precisione    3'04
[12] IV.  Presto furioso, brutale, tumultuoso 2'03
[13] V.   Allegro con delicatezza             5'37


Hommage à Hilding Rosenberg (1982) *       
for Violin and Violoncello - für Violine und Violoncello
pour violonet violollcelle

[14] Andante con moto                         1'09


Baladä si joc (1950) *
Ballad and Dance for Two Violins
Ballade und Tanz für zwei Violinen
Ballade et Danse pour deux violons

[15] Baladä. Andante                          1'54
[16] Joc. Allegro vivace                      1'28


Andante and Allegretto (1950) * 
for String Quartet - für Streichquartett - pour quatuor à cordes

[17] Andante cantabile                        6'36
[18] Allegretto poco capriccioso              6'31


Total time:                                  58'20
* = World Premiere Recording


Arditti String Quartet
Irvine Arditti, Violin
David Alberman, Violin
Garth Knox, Viola
Rohan de Saram, Violoncello


Recorded at Henry Wood Hall, Trinity Church Square, London, on July 13-15, 1994
György Ligeti Edition, Vol. 1, dedicated to Vincent Meyer
(C) + (P) 1996


György Ligeti und das Arditti String Quartet (Photo: Malcolm Crowthers)

Mein zweites Streichquartett komponierte ich 1968; die Uraufführung fand im Dezember 1969 mit dem LaSalle-Quartett in Baden-Baden statt. In den 15 Jahren, die zwischen den beiden Quartetten liegen, hatte sich die Achse meines Lebens und meiner kompositorischen Denkweise um 180 Grad gedreht. Im Februar 1957 kam ich nach Köln, erlernte die Technik der elektronischen Klangerzeugung und bekam Kontakt zu den westeuropäischen Komponisten meiner Generation. Ich lernte viel von Stockhausen, Boulez und Koenig sowie von anderen Komponisten der Köln-Darmstadt-Pariser Avantgarde.

Gegen Ende der 50er Jahre entwickelte ich meine eigene Kompositionstechnik, die "Mikropolyphonie". Es handelt sich dabei um eine Synthese aus vielschichtigen Klängen, wie sie im Kölner Studio für elektronische Musik realisiert werden konnten, und aus meinen Kenntnissen der Polyphonie von Ockeghem, Josquin Desprez und Palestrina. In dieser Musik gibt es keine motivische Technik mehr, keine Konturen, nur noch klingende Gewebe, manchmal zerfasert, fast flüssig (wie im ersten und letzten Satz), ein andermal körnig, maschinell (wie im mittleren Pizzicato-Satz). Beeinflußt war ich unter anderem Cézannes Malweise: Wie kann Farbe die Konturen ersetzen, wie können kontrastierende Volumina und Gewichte Form erzeugen?

Die beiden Streichquartette werden auf dieser CD von drei kleineren Kammermusikstücken ergänzt. Die zwei Sätze Andante und Allegretto für Streichquartett sind Studienstücke für meine Abschlußprüfung 1950 an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest. Baladä si joc (1950) für zwei Violinen stellt eine Bearbeitung von zwei rumänischen Volksliedern dar. Die Hommage à Hilding Rosenberg (1982) für Violine und Cello schließlich ist ein Geburtstagsgruß an den großen schwedischen Komponisten.

(C) 1995, György Ligeti

CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 34 MB
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Reposted on August 10, 2014

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