»Was für ein pralles Leben. Oswald von Wolkenstein: Im Alter von zehn Jahren wird er Knappe eines fahrenden Ritters, durchzieht halb Europa und Kleinasien, läßt sich in allen Tugenden und Untugenden des Kriegshandwerks und der höfischen Künste unterweisen, reibt sich in Erbstreitigkeiten mit seiner Familie auf, verliert ein Auge, liebt sich durch die bessere Gesellschaft und den niederen Stand, heiratet und bekommt Nachwuchs wie am Fließband, verstrickt sich in politische Ränkespiele und sieht die Kerker von innen, mischt sich in die Machtkämpfe von Fürsten und Bischöfen, wird handgreiflich gegen Repräsentanten des Klerus. Mitglied von Ordensrichtungen und Kommissionen, Richter und Kreuzfahrer, Gründer des Elefantenbundes Tiroler Adliger gegen den Landesherrn, Diplomat und Gesandter, Dichter, Rebell und Raufbold – das schiere Gegenbild zum höfisch-idealistischen Walther von der Vogelweide, der ihm als Minnesänger vorausging. 1445 stirbt Oswald mit siebzig, gelebt aber hat er dreimal so viel Jahre.« (Wolfgang Sandner, FAZ, 08.03.2004)
Wolkensteins Dichtung, die in drei, unter seiner Aufsicht angelegten Handschriften überliefert ist, ist »nach Umfang und Bedeutung eines der wichtigsten literarischen und musikalischen Werke zwischen Mittelalter und Renaissance. Biographisches spielt in Reiseabenteuern, Politischem und Persönlichem wie Gefangenschaft, Erlebnissen um Geld und Frauen, Essen und Trinken eine bedeutende, oft bizarre Rolle; die stark betonte Erotik nimmt die Tradition spätmittelalterlicher Liebesdichtung auf und führt sie zu einem Höhepunkt an Sinnlichkeit. Die einstimmigen Lieder sind das bedeutendste überlieferte Œevre weltlicher deutscher mittelalterlichen Musik.« (Brockhaus, 19. Auflage, 1991)
Unbekannter süddeutscher Maler, Oswald von Wolkenstein, Öl auf Pergament, 48 x 33 cm, Hs. B von 1432, Innsbruck, Universitätsbibliothek. Erstes lebensechtes und lebensgroßes Porträt eines deutschsprachigen Autors
»Er war der erste, dem es gelang, eine Verbindung der bereits hoch entwickelten mehrstimmigen 'welschen' Satzkunst mit der ebenso hochentwickelten, aber bis dahin nur einstimmigen deutschen Liedtradition herzustellen. In Wolkensteins Werk finden sich gelegentlich auch derbe und sogar frivole Themen, die von heutigen Interpreten oft bevorzugt werden, was das Bild des Dichters nicht unwesentlich verzerrt. Für Wolkenstein bedeuten diese Themen keineswegs vordergründigen Selbstzweck, sondern schlicht dichterisch zu bearbeitendes Material. Nirgends finden wir eine Zote. Immer sind gerade die groben Gesänge in eine besonders kunstvolle Form gebracht, sowohl dichterisch (komplizierte Reimstellungen oft über mehrere Strophen hinweg) wie kompositorisch (siehe 'Herr wirt uns dürstet', ein Wirtshausgesang in Form eines ausgeklügelten polyrhythmischen strengen dreistimmigen Kanons).
Gerade jene Stücke, in denen Wolkenstein ein oder zwei Stimmen aus einer bereits bekannten Komposition entlehnte (was zu seiner Zeit allgemein üblich war) zeigen, wie sehr er im Stande war, durch Hinzufügen einer Stimme den Charakter des Stückes völlig zu verändern, was nur einem in der Mehrstimmigkeit versierten Komponisten so gelingen konnte. Auch zeigt gerade die vorliegende Auswahl, daß Wolkenstein von seinen italienischen Zeit- und Landesgenossen zwar viel an Satztechnik gelernt hat, dennoch aber einen sehr eigenständigen, unverwechselbaren Stil hervorgebracht hat.« (Klaus Walter, im Booklet)
Oswald von Wolkenstein, „Mein herz, das ist versert“, Contrafactum von Francesco Landini Lied “Questa fanciulla”, Hs. A, 1425, Wien, Österreichische Nationalbliothek, Cod. 2777, f. 30 recto
»Die heutige Beliebtheit, ja Popularität des Südtirolers erklärt, warum Oswald von Wolkenstein im Unterschied zu den klassischen Minnesängern erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt worden ist. All die Besonderheiten seiner Liedkunst, die wir heute als Signum seiner Genialität schätzen, werteten die romantischen Wiederererwecker deutscher Dichtung des Mittelalters als persönliches Unvermögen des Dichters: Sprachmischung, Zertrümmerung der Syntax, Desillusions- und Verfremdungseffekte, bewußte Stilbrechungen, Bildmontagen, ein eigenmächtig freier, fast postmodern wirkender Umgang mit klassischen Formen und Motiven, sodann die ungeheuren inneren Dissonanzen seines Werks, das unvermittelte Nebeneinander von reulos genießerischer Sinnenfreude und reuevoll verzweifelter Jenseitsfurcht, der jähe Wechsel von unstillbarem Welterkundungsdrang zu resignierter Weltverneinung und manches andere mehr.« (Prof. Dr. Sieglinde Hartmann für die Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft)
(Quelle der Zitate: Homepage von Friedhelm Schneidewind)
TRACKLIST Oswald von Wolkenstein and his Italian contemporaries Frühling und Liebe - Spring and Love [01] Anonymous: Salterello I Tanz - Dance (Laute, Fiedel, Flöte, Hackbrett) 02:58 [02] Oswald von Wolkenstein: "Der may mit lieber zal" ("The Month of May") (Kl.50) Lied über einem welschen Tenor - Song over a French tenor (Gesang, Fiedel) 03:40 [03] Francesco Landini: "Ecco la primavera" ("Der Frühling ist da" - "Spring is here") Ballata (Gesang, 2 Fiedeln, 2 Flöten, Hackbrett, Organistrum) 01:36 [04] Anonymous: Salterello II Tanz - Dance (Flöte, Trommel) 01:04 [05] Oswald von Wolkenstein: "Gar wunniklich hat si mein herz besessen" ("my heart belongs to her") (Kl.64) Fuga (Gesang, 2 Fiedeln) 04:40 [06] Johannes Ciconia: "O rosa bella" ("Oh, du schöne Rose" - "O beautiful rose") Ballata (Gesang, Mandora, Fiedel, Flöte) 05:53 [07] Anonymous: Istampita chominciamento di gioia ("Anfang aller Freude" - "All joy's beginning") Tanz (Flöte, 2 Fiedeln, Zugtrompete, Altpommer, Tomburin) 05:03 A la caccia - a la caccia [08] Ghirardellus de Florenzia: "Tosto che l'alba" ("Sobald die Morgenröte erscheint" - "At dawn") Caccia (Gesang, Zink) 02:13 [09] Johannes Ciconia: Cacciando un giorno ("Eines Tages auf der Jagd" - "One day when hunting") Madrigal (instrumental) (Schalmei, Altpommer) 02:55 [10] Francesca Landini: La pescha - "Cosi pensoso" (Der Fischzug - "Ganz in Gedanken erging ich mich am Ufer des grünen Flusses" - Fishing - "I was lost in thought, walking by the river banks") Caccia (Gesang, Fiedel) 02:48 [11] Oswald von Wolkenstein: Wohl auff gesell! wer jagen well ("Now then, my lad, lets go hunting!") (Kl.52) Instrumentalsatz über die gleichnamige Melodie Instrumental piece on the same melody (Schalmei, Zink, Krummhorn) 01:26 Hosanna in excelsis [12] Anonymous: "Quem terra, pontus, aethera" ("Den die Erde, das Meer und die Himmel verehren" - "whom earth, sea and skies are worshipping") Ambrosianischer Hymnus im falso bordone - Ambrosian hymn in falso bordone (3 Sänger) 03:52 [13] Ghirardellus de Florenzia: "Benedicamus domino" ("Laßt uns Gott loben" - "Let us praise the Lord") Dreistimmiger Motettensatz - Three part motet (Gesang, Tischorgel) 01:50 [14] Oswald von Wolkenstein: "Ave mater o maria" ("Gegrüßet seist du, Mutter Maria" - "Hail Thee, mother Mary") (Kl.109) Laude (3 Sänger, Schalmei, Fiedel, Krummhorn) 06:13 In den Augen der Fremden - In the Eyes of the Foreigners [15] Johannes Ciconia: "Una panthera in compania del marte" ("Einem Panther gleich, in Begleitung des Mars" - "Like a panther, accompanied by Mars") Loblied auf die Stadt Lucca - Praise on the city of Lucca (Gesang, Schalmei, Zink, Altpommer) 04:57 [16] Oswald von Wolkenstein: "Wer die augen will verschüren" ("He who wants to burn his fingers") (Kl.103) Klagelied über die schlechten Zustände in der Lombardei Lament about the bad conditions in the Lombardy (2 Sänger, Organistrum) 02:57 Eher traurig - Rather Sad [17] Francesco Landini: "Gram piant agli occhi" ("Tiere Trauer im Auge, drückender Schmerz im Herzen" - "Sorrow in the eye, pains in the heart") Ballata (Gesang, 2 Fiedeln) 03:39 [18] Oswald von Wolkenstein: Ich klag ich klag ("I wail, I moan") (Kl.108) Instrumentalsatz - Instrumental piece (2 Fiedeln, Zink) 01:08 [19] Oswald von Wolkenstein: "Du auserwähltes schöns" ("You, o chosen beautiful") (Kl.46) Abschiedslied - Farewell song (Gesang, Fiedel, Flöte) 01:38 Vom Trinken und Tanzen - Drinking and Dancing [20] Oswald von Wolkenstein: "Frölaich geschrai" ("Cheerful singing") (Kl.54) Wirtshausrufe - Tavern cries (Gesang, Schalmei, Altpommer, Zugtrompete) 01:31 [21] Oswald von Wolkenstein: "Herr wirt uns dürstet" ("Host, we are thursty!") (Kl.70) Kanon - Canon (Gesang) 01:24 [22] Anonymous: Istampita parlamento Tanz - Dance (2 Fiedeln, Flöte, Organistrum, Trommel) 03:02 TOTAL 67:04 LES MENESTRELS (wiener ensemble für alte musik) Renate Burtscher, Sopran (soprano) Florion Mayr, Kontratenor (counter tenor) Markus Resch, Tenor (tenor) Erich Klug, Baßbariton (bass baritone) Eva Brunner, Diskantstreichinstrumente (treble string instruments) Gebhard Hüttler, Rohrblattinstrumente (reeds) Helge Stiegler, Blockflöten (recorders) Klaus Walter, Laute und diverse Instrumente (lute and various instruments) Michel Walter, Zink und andere Blasinstrumente (cornett and other wind instruments) Diese CD wurde anläßlich der Landshuter Hofmusiktage 1998 aufgenommen - unter dem Motto "deutsch-italienische Beziehungen in der Musik". This CD was recorded on the occasion of the Landshuter Hofmusiktage 1998, under the motto "German-Italian Relations in Music". Recording April 1998, Studio Austrophon, Vienna Recording Producer; András Szekey Sound Engineer: Wolfgang Engel (C)+(P) 1998
Amadeus Bortolotti Werner, Tafelbild "Schachzüge im Wandel des Zeitgeistes", Malerei auf Holz mit Einsatz verschiedener Materialien, 80 cm Ø, 1985, Südtiroler Landesregierung (Arbeitsamt)
OSWALD VON WOLKENSTEIN IM WEB
Die Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft e.V., Frankfurt am Main (Wolkenstein.Gesellschaft@t-online.de) ist eine internationale Vereinigung von Mediävisten aller Disziplinen und erforscht Leben und Werk des Dichters: Lebenszeugnisse - Handschriften - Texte aller Lieder - Linksammlung (zum Mittelalter und zur mittelhochdeutschen Literatur).
Für die Umschlüsselung der Liednummern (nach der Textausgabe von Klein mit Kl. beziffert, z.B. Kl.70 für 'Herr wirt uns dürstet') kann das Alphabetische Liedverzeichnis der Bibliotheka Augustana herangezogen werden.
»Einen sehr guten Überblick über Leben und Werk, den Stand der aktuellen Oswald-Forschung und die Literatur zu Leben und Werk gibt die Homepage von Friedhelm Schneidewind.« (Karfunkel Nr. 68, Februar/März 2007). Besonders erwähnenswert finde ich die Diskographie der Wolkensteinschen Werke.
Die Innsbrucker Handschrift B wurde komplett digitalisiert und kann online eingesehen werden.
An der Universität Graz beschäftigt sich eine Projektgruppe mit der Aufarbeitung und Veröffentlichung der Lebenszeugnisse von Oswald von Wolkenstein.
"Oswald von Wolkenstein: ein Politiker mit poetischer Ader" ist ein Manuskript einer Radiosendung und als PDF erhältlich.
Amadeus Bortolotti Werner hat ein rundes Tafelbild "Schachzüge im Wandel des Zeitgeistes" geschaffen, auf dem Oswald von Wolkenstein zusammen mit Michael Pacher, Andreas Hofer und Silvius Magnago das Land Tirol repräsentiert:
Oswald von Wolkenstein, Michael Pacher, Andreas Hofer, Silvius Magnago
»Jeder hat sich in seiner Arbeit tatkräftig und unermüdlich eingesetzt, neue „Kulturwäsche gewaschen“ und hervorgezaubert, kluge Schachzüge gespielt, und jeder ist dem Land Tirol zur Ehre gereicht. Deshalb wollte ich diesen großen Persönlichkeiten ein Tafelbild widmen. Die redende Kunst mit Oswald von Wolkenstein und seinen Minneliedern. Die bildende Kunst mit Michael Pacher, dem Erbauer der genialen Flügelaltäre. Der Kampfgeist und die Vaterlandsliebe mit Andreas Hofer, der das Land gegen den Feind beschützte. Der Einsatz auf allen Fronten des politischen und kulturellen Geistes mit Landesvater Silvius Magnago, der das notwendige „Paket“ schnürte um den Frieden zu gewährleisten.
Die Weinreben erinnern an die Fruchtbarkeit des Landes, und die Sensen symbolisieren den Arbeitswillen des Volkes. Das Waschbrett lässt das Fließen der Zeit verspüren und das Schachbrett die richtigen Wege finden, überprüfen und wahrnehmen. Die eisernen Schuhnägel am Rande des Bildes geben Sicherheit. Die drei Nägel auf der weißen Schleife sind die drei Volksgruppen in Tirol. Die schmucken weißen Krapfenrollen aus Porzellan und Knochen oberhalb des Adlers stellen den Volksglauben dar, aber auch die göttliche Kraft der Sonne.
Dieses Werk ist im Herbst 1985 entstanden und soll weiter bestehen als kleines Zeitdokument.« (Detailbilder siehe hier)
CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 27 MB
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Unpack x57.rar and read the file "Download Links.txt" for links to the Flac+Cue+Log Files [67:04] 4 parts 332 MB
Reposted on October 30, 2014
Im Infoset befindet sich als kleiner Bonus die Rezitation eines Gedichtes von Oswald von Wolkenstein.
Diesen Post widme ich Mastranto, meinem Blogger-Kollegen von Música Medieval y Renacentista, dessen Blog ich sehr schätze, da es immer wieder meine musikalischen Erfahrungen erweitert. (Während ich dies schreibe, höre ich das von ihm unlängst veröffentlichte Ostinato).
Und wieder mal ein toller Beitrag!
AntwortenLöschenVielen Dank.
Dear WMS Nemo,
AntwortenLöschenThank you very much for the dedicatory, it was very kind of You.
Regards
Mastranto