Die drei als »Sonatinen« bekannten Werke bezeichnet Schubert selbst natürlich als Sonaten. Zu »Sonatinen« werden sie erst in der lange nach Schuberts Tod bei Anton Diabelli & Co. in Wien erscheinenden Erstausgabe 1836. Mit diesem Titel scheint der einfachen Faktur Rechnung getragen, die diese Kompositionen etwa von den Klaviersonaten - auch den frühen der Jahre 1815 bis 1817 - aber auch von der anspruchsvolleren Violinsonate in A-Dur vom August 1817 (op. post. 162; D 574) unterscheiden. »Sonaten« sind sie jedoch allemal im Sinne der 1778 und 1781 erschienenen Violinsonaten op. 1 und op. 2 von W. A. Mozart I (KV 301-306, 296 und 376-380), mit denen sie formal und bis hin zu Ähnlichkeiten der Themen und deren Behandlung viel verbindet.
Wie einfach diese Sonaten auch seien, als Spielmusiken nehmen sie, vor allem mit ihrer sprechenden Thematik, ganz für sich ein - und so einfach, daß kaum ein renommierter Geiger sie mehr im Konzertsaal zu spielen wagt, sind sie, jedenfalls musikalisch, nun doch nicht!
Sonate für Violine und Klavier in A-Dur (D 574) (op. post. 162)
Die A-Dur-Sonate bekundet in manchem die Differenz - fast einen Sprung - zu den kleineren, als "Sonatinen« bekannten drei Sonaten op. 137 vom Vorjahr. Da wirkt bereits der Anfang als neue Art des Ensemble-Spiels: über einem wiegenden Baßthema, das wie eine Art von Ostinato-Grund vorangestellt ist, schleicht sich die Kantilene der Violine im fünften Takt unauffällig ein, um alsbald weiter und weiter auszugreifen und den andersartigen Klavierpart mit großer Geste zu überspannen. Die Rollen sind so verteilt, daß die Violine sich und »ihren« Part und also ihr instrumental besonderes Vermögen einbringen darf. Das gilt nun in unterschiedlichen Nuancen für die anderen Sätze auch, am wenigsten vielleicht für den letzten, in dem die melodisch-thematischen Partien häufiger zwischen beiden Instrumenten ausgetauscht werden. Im ersten Satz begegnet diese aus den Mozartschen und Beethovenschen Vorbildern geläufige Übung nur in einzelnen Passagen und im Bereich des Seitensatzes, im Andantino bei der ausgezierten Wiederholung des Anfangs und sonst nur im imitatorischen Mittelteil aus As, im Scherzo und Trio aber an keinem einzigen Abschnitt. Wo im letzten Satz die Melodieführung hin und her geht, erinnern Figuren und allgemeine Faktur an die beschaulichere Gangart der kleinen, früheren Sonaten. Mit dem Scherzo ist indes der zweite spezifisch geigerische Zug des Werks ins Licht gebracht: Das kleine Feuerwerk wirbelt mit allerlei explosivem Effekt nach der Art der damals gerade in Mode kommenden Salonstückchen unbekümmert, sorglos der virtuosen Pose gegenüber, weil hübsch und wunderbar abgezirkelt. Darin kommt die Sonate auf den Ton der um diese Jahre häufigen Gelegenheitskompositionen für Solovioline mit kleiner Orchesterbegleitung, zumeist für den ambitioniert geigenden Bruder Ferdinand geschrieben - des »Concerto« (D 345), des Rondo in A-Dur (D 438), schließlich noch der Polonaise in B-Dur (D 580), Anspruchsvoller gleichwohl als diese nimmt die A-Dur-Sonate einen guten Teil dessen voraus, was Jahre später zu der wundervollen Synthese aus instrumentengerechter Virtuosität und gesanglicher Tiefe führen sollte: im November 1824 zur Arpeggione-Sonate, 1826/27 dann erneut zu Violinstücken, dem h-Moll-Rondo (D 895) und der C-Dur-Fantasie (»Sei mir gegrüßt«; D 934).
Rondo für Violine und Klavier in h-Moll (D 895) (op. 70; »Rondeau brillant«)
Von allen Kammermusikwerken Schuberts für Klavier und ein anderes Instrument erscheint nur dieses Rondo zu seinen Lebzeiten im Druck, und zwar 1827 bei dem Wiener Verleger Artaria, in dessen Haus es Anfang dieses Jahres durch den Geiger Josef Slawjk und Karl Maria von Bocklet in Anwesenheit Schuberts wohl zum ersten Mal aufgeführt wird. Ein Jahr später, am 7. Juni 1828, erscheint eine erste ausführliche Rezension des Werkes in der Wiener Mode-Zeitschrift:
"Das großartige Talent des rühmlich bekannten Lieder- und Romanzen-Kompositeurs ist vielseitig und versucht sich in allen Fächern, wie alle Geister von einer wahren, aufwärts strebenden Kraft. Das vorliegende Werk zeigt den kühnen Meister in der Harmonie ... Eine feurige Phantasie belebt dieses Tonstück. ... Obwohl das Ganze brillant ist, so verdankt es doch nicht seine Existenz den bloßen Figuren, die uns aus mancher Komposition in tausendfältigen Verrenkungen angrinsen und die Seele ermüden. Der Geist des Erfinders hat hier oft recht kräftig seinen Fittich geschwungen und uns mit ihm erhoben. Sowohl das Pianoforte als die Geige braucht einen geübten Spieler, der sich auf Perioden [= größere Teile des Ganzen] gefaßt machen muß, die nicht durch unzähligen Gebrauch etwa ihr Bürgerrecht erlangt haben, sondern die eine neue und begeisterte Ideenfolge kund tun. Der Spieler wird sich durch schönen Harmonienwechsel auf eine interessante Art angezogen fühlen.«
Franz Schubert (Maler unbekannt)
Fantasie für Violine und Klavier in C-Dur (D934) (op. post. 159)
Im Zentrum der Komposition steht ein Andantino mit Variationen über eine kurzgefaßte Version des Liedes Sei mir gegrüßt nach Friedrich Rückert (D 741). Schubert hatte dieses schon 1823 im Liederheft op. 20 veröffentlicht und konnte wohl auch mit dessen Bekanntheit rechnen. Es ist in der Fantasie nun zubereitet
für alle geignerischen Entfaltungsmöglichkeiten, für sanft weittragendes Legato-Spiel ebenso wie für virtuose Brillanz der alle Saiten nutzenden Arpeggien und Springbogen-Passagen in den Variationen. Um diesen Variationensatz herum gruppiert Schubert Charaktersätze oder -abschnitte, die durch Verzahnung und späteres Wiederanknüpfen ein weiteres Mal die Möglichkeit für Variantenbildung und Umspielungen geben. Das Werk ist für das Duo Josef Slawjk / Karl Maria von Bocklet geschrieben, das es in Slawjks Privatkonzert am 20. Januar 1828 im Landständischen Saal in Wien zum ersten Mal spielt. Die Rezensenten, von virtuosem Raffinement gewiß längst nicht mehr abzuschrecken, nehmen die Fantasie mit Befremden auf; alle Kritiken sind schlecht. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß die Fantasie in der Erstausgabe von 1850 mit vereinfachten Arpeggien und Akkorden herauskommt. Ob die Bearbeitung von Slawjk oder von einem anderen Geiger stammt - vielleicht noch mit Billigung Schuberts -, das weiß man nicht. Jedenfalls ist bis heute diese bearbeitete Fassung die verbreitete und nicht die, allerdings auch vertrackte, Originalfassung.
Quelle: Arnold Feil, in: Walther Dürr/Arnold Feil: Franz Schubert. Musikführer. Reclam Bibliothek Leipzig Nr. 20049, Leipzig 2002, ISBN 3-379-20049-2 , Seite 259-262
TRACKLIST Franz Schubert (1797-1828) The Complete Works for Violin and Piano Werke für Violine und Klavier - CD 1 - Drei Sonaten für Violine und Klaver [März und April 1816, Wien] Sonatina in D Major, D. 384 (Op. 137, no. 1) 1. Allegro molto 4'32 2. Andante 4'41 3. Allegro vivace 4'06 Sonatina in A Minor, D. 385 (Op. 137, no. 2) 4. Allegro moderato 7'03 5. Andante 7'40 6. Menuetto: Allegro, mit Trio 2'03 7. Allegro 5'09 Sonatina in G Minor, D. 408 (Op. 137, no. 3) 8. Allegro giusto 5'10 9. Andante 5'43 10. Menuetto: Allegro vivace 2'23 11. Allegro moderato 4'14 Total time: 53'54 - CD2 - Sonate für Violine und Klavier in A-Dur Sonata ('Duo') in A Major, D. 574 (Op. 162) [August 1817, Wien] 1. Allegro moderato 9'33 2. Scherzo: Presto 4'20 3. Andantino 4'30 4. Allegro vivace 5'10 Rondo für Violine und Klaver in h-Moll Rondo ('Rondo brillant') in B Minor, D. 895 (Op. 70) [Oktober 1826] 5. Andante - Allegro 15'30 Fantasie für Violine und Klavier in C-Dur Fantasy in C Major, D. 934 (Op. 159) [November 1827, Wien] 6. Andante molto - Allegretto - Andantino - Tempo primo - Allegro vivace 26'05 Total time: 65'57 Jaime Laredo, violin Stephanie Brown, piano Recording: September 1989, Troy Savings Bank Music Hall in Troy, NY Producer: André Gauthier Engineer: Craig D. Dory
Ernst H. Gombrich (1909-2001), einer der einflußreichsten Kunsthistoriker des vergangenen Jahrhunderts, gibt in seinem Werk "Kunst und Illusion" (ISBN 0-7148-9317-X) Antworten auf eine Frage, mit der sich Kunsthistoriker seit langer Zeit beschäftigen: Woher kommt es, daß verschiedene Zeiten und Völker die sichtbare Welt in so verschiedener Weise dargestellt haben? Professor Sir Ernst Gombrichs Arbeit läßt uns erkennen, wie außerordentlich vielgestaltig die Grundlagen für ein zeitgemäßes Kunstverständnis sind, welche psychologischen Merkmale die Wirkung von Kunstwerken determinieren, welche Bedeutung Licht und Farbe innerhalb unseres Bewertungsspielraums einnehmen und welche objektiven Beurteilungskriterien für Kunst - über Zeiten und Epochen hinweg - Gültigkeit haben.
Unter den vielen von ihm gewählten Beispielen nimmt John Constables Gemälde "Wivenhoe Park, Essex, Wohnsitz des Major-Generals Rebow" (National Gallery of Art, Washington) aus dem Jahre 1816 eine prominente Stelle ein. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Wivenhoe Hall die Heimat von William Brummell, Bruder des berühmteren Beau Brummell. Wivenhoe Park ist nun Teil der Universität Essex, zuvor über mehrere Jahrhunderte Heimat der Rebow Familie, Nachfahren flämischer Weber aus Colchester. Wivenhoe hat einen ausführlichen Webauftritt.
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CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 28 MB
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Reposted on November 14th, 2015
Musikbeispiel:
CD 2, Track Nr. 2
Schubert: Sonata in A Major, D. 574 (Op. 162), II. Scherzo: Presto
Jaime Laredo, Violin & Stephanie Brown, Piano, September 1989
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Das ist wirklich toll!! Vielen Dank!!
AntwortenLöschenDivulgação do Blog Música Antiga:
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An excellent recording, dear Nemo! I love these pieces, I only knew them from a Gidon Kremer/Oleg Maisenberg recording. They play with more attaque, but I prefer the Laredo/Brown after first hearing. So thanks very much for your choise!
AntwortenLöschenThank you
AntwortenLöschenThank you, Nemo! Wonderful blog.
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