11. November 2016

Johann Nepomuk Hummel: Fantasien

Nach gut eineinhalb Jahrhunderten der Mißachtung hat Johann Nepomuk Hummel (geboren 1778 in Preßburg im damaligen Österreich, gestorben 1837 in Weimar) wieder eine große Zahl an Sympathisanten gefunden, unter ihnen nicht wenige Enthusiasten. Hauptverantwortlich dafür ist die Tonträgerindustrie auf ihrer Suche nach neuen Strategien. Nach einer Nische hatte man gefahndet und ein versunkenes Reich gefunden: ein riesiges Repertoire für sehr viele (auch unterversorgte) Instrumente, gespeist aus allen Gattungen mit Ausnahme der Symphonie, von stets verläßlicher, häufig außerordentlicher, in einigen Fällen aber genialer Beschaffenheit.

Doch sogar Hummels sich mehrende Anhängerschaft im Feuilleton gerät mit dem Komponisten häufig auf den schwankenden Boden der Klischees, die seine Bedeutung schon in den letzten Lebensjahren zu verdunkeln begannen. Das erste betrifft die verniedlichend gemeinte Einordnung unter die Künstler des Vormärz, verschärfend: seiner Sub-Epoche, des Wiener Biedermeier. Es entkräftet sich von selbst: Der Vormärz bezeichnet die Zeit zwischen dem Ende des Wiener Kongresses (1815) und dem Ausbruch der Märzrevolution des Jahres 1848 und war eine der fruchtbarsten Epochen der europäischen Kulturgeschichte.

Die politische Restriktion und Reaktion nach dem Scheitern Napoleons wirkte sich auf die kreativen Kräfte wie ein Druckkochtopf aus. Bis zur Detonation garte da über die Jahre das Beste, was Deutschland und Österreich im 19. Jahrhundert hervorbrachten: die Aufrührer Büchner, Heine und Börne; der Schwarzromantiker E. T. A. Hoffmann, der die Lehren Freuds vorwegnahm; der anhaltische Lyriker Wilhelm Müller und sein geniales österreichisches Pendant Franz Schubert, die Schöpfer der "Schönen Müllerin" und der "Winterreise"; Franz Grillparzer, der österreichische Beamte, der Seelendeformationen aus eigenem Erleiden zu schildern wußte; Johann Nestroy, der Satiriker der Skepsis und des Menschenhasses.

Beethoven schrieb zur Zeit und am Schauplatz des Wiener Biedermeier u. a. die Neunte Symphonie, die Hammerklaviersonate und die späten Streichquartette. Hummel aber, der beim Wiener Kongreß ein akklamiertes Konzert gegeben hatte, wirkte ab 1816 in Stuttgart und Weimar.

Johann Nepomuk Hummel (1778-1837)
Hummels Problem war nur in zweiter Linie ein musikalisches, primär aber ein biographisches: Er gewann dem biedermeierlichen Ideal bürgerlicher Anpassung, gegen das sich die Kollegen aufrieben, seine Karrierestrategie ab. Politisch unauffällig bis konservativ, gedieh er zeitlebens als gutbezahlter Angestellter an Fürstenhöfen. Hummel war extrem erfolgreich, wohlhahend und stets auf die Mehrung des Baren bedacht: Der kleine Franz Liszt mußte zu Czerny ausweichen, da sich die Familie Hummels exorbitante klavierpädagogische Tarife nicht leisten konnte. Hummel gilt als Erfinder des Copyright - seine insistierenden Beschwerden führten dazu, daß sich die führenden Musikverleger vertraglich zur Abschaffung der bis dahin gebräuchlichen Raubdrucke verpflichteten. Hummel war mit einer umtriebigen Gesellschaftsdame verheiratet und Vater zweier wohlgeratener Söhne, denen er stabile Karrieren als Kapellmeister resp. Maler zimmerte. Er starb im für damalige Zeiten erfüllten Alter von 59 und hinterließ ein Vermögen, das u. a. 16 kostbare Violen und Violinen (mehrere von Stradivari und Amati) einschloß.
All das lief diametral gegen das Geniebild der Romantik. das einem schöpferischen Menschen zumindest Dämonie, titanisches Ringen und Unverstandensein, wenn nicht bittere Armut oder frühes Verdämmern, als Grundausstattung abverlangte. Hummel war der bedeutendste Pianist seiner Zeit. Doch anders als sein violinistisches Pendant Paganini oder sein Nachfolger Liszt geriet er nie in den Verdacht der Kumpanei mit dem Gottseibeiuns, wofür er schon habituell ungeeignet war: Meist wird er als groß, untersetzt, ungeschlacht und kerngesund beschrieben.

Sein Freund und Bewunderer Goethe wiederum, der ihn wegen seiner pianistischen Fähigkeiten mit Napoleon verglich, sah ihn als "Gnom". Ein Stich, der ihn an Beethovens Sterbebett darstellen soll, zeigt allerdings einen normalwüchsigen Menschen. der keineswegs so korpulent war, wie man sich Hummel von seinen bäuerlich anmutenden Porträts hoch- (besser: breit-) rechnet.

Das zweite Klischee ordnet Hummel die historisch wie architektonisch undankbare Funktion einer Brücke oder eines Verbindungskanals zu - im gegenständlichen Fall zwischen der Wiener Klassik und der Romantik. Ohne seinen Lehrer Wolfgang Amadeus Mozart je überwinden zu können und ohne an den Zeitgenossen Beethoven heranzureichen, habe er als Pianist doch in manchem den um 32 Jahre jüngeren Chopin beeinflußt.

Daraus resultiert das dritte und fatalste Klischee. Jede Beschäftigung mit Hummel führt wie von selbst in ein unverschämtes kulturhistorisches Namedropping. Am Ende steht er da wie ein Parvenu, der sich als Mitläufer auf rätselhafte Art nnch in der nächsten Geniegeneration festhakte. Doch das ist die falsche Perspektive, wie wir im weiteren Verlauf dieser Betrachtungen nachweisen wollen: Hummel rangierte im Spitzengrüppchen seiner Zeitgenossen und war für die folgende Generation wegweisend. In seinen besten Werken stand er auf gleicher Höhe mit sehr guten Werken Beethovens, Schuberts, Schumanns und Chopins.

Hummels Geburtshaus, Klobucnicka 2, Bratislava
Johann Nepomuk Hummel wurde am 14. November 1778 im damaligen Preßburg (heute Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei, im Geburtshaus Klobucnicka 2 befindet sich ein hübsches Museum) geboren. Die Familie war aus dem Fränkischen in den niederösterreichischen Ort mit dem apriori unolympischen Namen Unterstinkenbrunn zugewandert. Der Vater, Josef Hummel, war Opern- und Militärkapellmeister in Preßburg. 1786 übersiedelte die Familie nach Wien, und Josef Hummel wurde Musikdirektor am Freihaustheater auf der Wieden, dem Uraufführungsort der "Zauberflöte", deren Librettist und erster Papageno Emanuel Schikaneder das Haus leitete.

Sohn Johann Nepomuk hatte zunächst das Violinspiel erlernt, aber schon in Preßburg seine pianistische Bestimmung entdeckt. In Wien spielte er als Achtjähriger Mozart vor, worauf ihn der als eine Art Lehrbuben zwei Jahre lang unentgeltlich unterrichtete, fallweise auch beherbergte und verköstigte. Anschließend empfahl er dem alten Hummel, mit dem jungen auf Europatournee zu gehen. Offenbar hatte Mozart die Existenz eines Wunderkindes als unterhaltsam und erstrebenswert empfunden, womit anderslautende Klischees widerlegt sein müßten.

Nach vier gefeierten Jahren aus Böhmen, Norddeutschland. Dänemark, Schottland und London nach Wien heimgekehrt (die Pranzösische Revolution verhinderte die Weiterreise nach Frankreich und Spanien), tat der fünfzehnjährige Star das Klügste: Er begann wieder zu lernen, und zwar nur bei den Besten. Johann Georg Albrechtsberger unterwies ihn im Kontrapunkt, Salieri in Ästhetik, Musikphilosophie und den musikdramatischen Techniken. Bei Clementi und Haydn hatte er schon in London studiert.

Haydn empfahl ihn auch als seinen Nachfolger an die Spitze der Esterhazyschen Kapelle in Eisenstadt. Hummel trat das Amt 1803 nominell in der Funktion des Konzertmeisters an, da Haydn die Chefposition ehrenhalber auf Lebenszeit innehatte. Die Anstellung wurde 1811 beendet, da Hummel seine Verpflichtungen zu vernachlässigen begann. Kürzlich gefundene Dokumente belegen zudem die Verstimmung des Fürsten wegen der nicht endenwollenden finanziellen Begehrlichkeiten seines Konzertmeisters.

J. N. Hummel, um 1814.
Goethe-Museum Düsseldorf
Der hatte damals die Karriere als Virtuose schon aufgegeben und wollte sich in Wien als Komponist und Lehrer etablieren. Da traf er die am Burgtheater tätige Opernsängerin Elisabeth (eigentlich: Eva Maria) Röckel, die Schwester des Uraufführungs-Florestans der zweiten "Fidelio"-Fassung. 1813 wurde sie Frau Hummel, obwohl sich auch Beethoven für sie interessiert haben soll. Salieri war Trauzeuge. Die Tochter eines pfälzischen Strumpfwirkers hatte erst 1810 im Alter von 17 Jahren als Sängerin debütiert. In den drei Karrierejahren an zweiten deutschen Häusern war sie doch bemerkenswert in der Kulturgeschichte herumgekommen: Als Donna Anna in Mozarts "Don Giovanni" am Bamberger Opernhaus hatte sie den dortigen Musikdirektor E. T. A. Hoffmann in solche Verwirrung gestürzt, daß sie der (verheiratete, aber für Kindfrauen bekannt empfängliche) Dichter zur Hauptperson seiner erotisch-dekadenten Novelle "Don Juan" erhob. Nach der Verehelichung wurde Elisabeth Hummel zur umtriebigen Managerin ihres Mannes, den sie zur Wiederaufnahme der internationalen Virtuosenkarnere bewog.

Ein von zweifelhaften Überlieferungen umworbenes Kapitel ist Hummels Verhältnis zu Beethoven. Unbestritten ist, daß beide den Kampf um die pianistische Vorherrschaft über die Musikmetropole Wien hart unter einander ausfochten und daß das Auftauchen des um acht Jahre älteren Beethoven für den eingesessenen Hummel eine Bedrohung bedeutete. Daß sich Hummel, konträr zu seiner sonstigen Produktivität, von der Gattung der Symphonie fernhielt, wird häufig dem Trauma Beethoven zugeschrieben. Als Pianisten mobilisierten die beiden wahre Fanclubs gegen einander wie später die Beatles und die Rolling Stones. Auch die gegenseitigen Argumente glichen denen der späten sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts: Die anarchischere ßeethoven-Fraktion bezichtigte Hummel, bloß gesittetes akademisches Virtuosentum zu produzieren. Die Hummelianer wiederum nannten Beethoven einen pedalsüchtigen Chaoten und Scharlatan.

Das persönliche Verhältnis der beiden soll im Jahr 1807 den ersten Schaden genommen haben: Fürst Nikolaus II. Esterhazy gab da zum Namenstag seiner Frau bei Beethoven die C-Dur-Messe in Auftrag. Nicht genug damit, daß die Uraufführung in Eisenstadt miserabel einstudiert war. Das Werk überstieg infolge seiner Kühnheit auch den Horizont des Fürsten, der den Komponisten mit den Worten "Aber lieber Beethoven, was haben S' denn da wieder gemacht?" apostrophierte. Daneben stand der Überlieferung zufolge Orchesterchef Hummel und grinste, worüber Beethoven noch vierzehn Jahre später in Wut geraten sein soll. Andererseits vertraute Beethoven dem Konkurrenten in der festlichen Uraufführung von "Wellingtons Sieg" neben Meyerbeer den Pauken-Part (und bei der Wiederholung das Dirigat der gesamten Paukengruppe) an und lobte ihn brieflich über die Maßen.

Büste von J. N. Hummel,
Deutsches Nationaltheater, Weimar
Und als die Nachricht von Beethovens nahem Ende in die Musikwelt ging, ließ der mittlerweile in Weimar tätige Hummel alle Verpflichtungen liegen und reiste mit seiner Frau und seinem Schüler Ferdinand Hiller nach Wien, wo er Beethoven gerade noch lebend antraf, beim Begräbnis einer der Träger des Bahrtuchs war und auf der Trauerfeier nach Beethovens letztwilliger Verfügung über Themen des Meisters phantasierte. Die Haarsträhne, die Hiller dem Verstorbenen abschnitt, wurde übrigens 160 Jahre später Gegenstand einer kriminaltechnischen Untersuchung zur Ermittlung von Beethovens Todesursache (dokumentiert im lesenswerten Roman "Beethovens Locke" von Russell Martin). Fast überflüssig zu erwähnen, daß auch Frau Hummel die Gelegenheit nutzte und sich am Haupthaar des toten Genius bediente.

In Weimar hatte Hummel 1819, nach unglücklichen zwei Jahren als Stuttgarter Operndirektor, angemustert und dabei über den Mitbewerber Carl Maria von Weber gesiegt. Er blieb bis zu seinem Tod Großherzoglicher Kapellmeister des zuvor von Goethe geleiteten Hoftheaters. In Weimar trat Hummel endlich dem Freimaurerbund bei, dem auch seine Lehrer Mozart und Haydn angehört hatten und der seine Gedankenwelt seit der Kindheit beeinflußt haben muß. Sein Bruder und Freund in der berühmten Amalien-Loge war Goethe, der mit ihm das Lied "Zur Logenfeier" ("Laßt fahren hin das Allzuflüchtige") schrieb.

Hummel war ein ganz Großer, eine erste Adresse seiner Zeit. Die Sonate in fis-moll und die Fantasie op. 18 provozierten wahrscheinlich Beethovens Hammerklaviersonate und Fantasie op. 77. Für die Jungen war Hummel eine überlebensgroße Figur. Schuberts "Forellenquintett" wurde vom Auftraggeber nach der Gestalt eines Hummelsehen Quintetts für Klavier, Violine, Viola, Cello und Kontrabaß (eine Eigenbearbeitung des Septetts op. 74) geordert. Die "Wandererfantasie" ist offenbar von Hummels Fantasie op. 18 geprägt. Liszt schätzte ihn (keineswegs nur in maurerischer Brüderlichkeit) auf das höchste und ruhte nicht, bis er die Errichtung des heute vor der deutschen Botschaft stehenden Hummel-Denkmals in Bratislava durchgesetzt hatte. Chopin, der gegen Schubert, Schumann und selbst Beethoven mäkelte, stellte Hummel neben Mozart. Der junge Schumann wollte - nicht zuletzt um der karrierefördernden Reputation willen - Hummels Schüler werden. Ein erster Brief mit beigelegten Kompositionen blieb unbeantwortet, der zweite generierte einen abschlägigen Bescheid samt der Empfehlung, sich im schöpferischen Chaos zu mäßigen und zu ordnen. Dem Erscheinen von Hummels "Ausführlichen Anweisungen zum Pianoforte-Spiele" fieberte Schumann förmlich entgegen und war dabei nicht allein: Das dickleibige pädagogische Konvolut war ein Bestseller seiner Zeit.

Hummels Grab im Historischen Friedhof von Weimar
Das verwundert nicht, denn als Pianist war Hummel ein Ausnahmefall. In puncto Orchesterbehandlung hatte er der Musikgeschichte nichts hinzuzufügen. Hier schien er oft bis in die Orchestrierungsdetails unter Mozarts Diktat zu stehen. In den Sakralwerken fand er Ruhe und Würde, in der Kammermusik interessante Farben. Seine Hauptwerke für Klavier solo aber sind revolutionär, und im Phantasieren war er der regierende Weltmeister. Seine Fähigkeit zur Improvisation ruhte auf dem Fundament einer konkurrenzlosen Technik. Selbst manche simpleren Stücke enthalten Tücken, die sich dem Unkundigen gar nicht offenbaren.

Die Klavierschule scheint der Schlüssel zum Phänomen Hummel zu sein. 2.200 Übungsbeispiele für alle nur denkbaren Eventualitäten des Pianofortespiels sind da aufgezeichnet, im besonderen immer neue Fingersätze, die zum Beispiel den oft subaltern eingesetzten vierten Finger emanzipieren. Auf diese Art gelangte er tatsächlich zu Klangfarben, die weit in die Zukunft weisen. Jeder junge Musiker mußte die Klavierschule kennen. Wenn man also etwa in der Fantasie op. 18 Chopin- und Schumann-Passagen zu hören meint, obwohl beide Komponisten erst fünf Jahre nach Drucklegung des Werks geboren wurden, so muß das mit Hummels klavierpädagogischer Autorität zu tun haben.

Deshalb schöpft die vorliegende CD aus der Essenz von Hummels Schaffen: Sie führt mitten in seine Kernkompetenz, die Fantasie für Klavier solo, die er als "Gipfel und Schlußstein der Virtuosität" bezeichnete. Mit Hinweisen zu dieser Kunst, mit der er europaweit in den Konzertsälen reüssierte, verhielt sich Hummel auffällig restriktiv. Sein riesiges Werkverzeichnis (Konzerte und Sonaten, Messen, Opern, Kammermusik, Lieder) enthält nur sechs Klavierfantasien. In der Klavierschule widmete er dem Fantasieren zunächst nur eine allgemein gehaltene Seite, die er nach Käufer- und Kritikerprotesten in der zweiten Auflage auf drei erweiterte. Doch auch hier findet sich nichts Wegweisendes: Man möge sich das zu bearbeitende Thema zuvor gründlich einprägen und sich von ihm nicht zu früh wieder entfernen, lautet der karge Ratschlag. Es ist, als habe Hummel seine Lebensversicherung, sein künstlerisches Stammkapital mit niemandem teilen wollen.

Quelle: Heinz Sichrovsky, im Booklet


TRACKLIST


Johann Nepomuk HUMMEL 
(1778-1837) 

Fantasies 

Fantasie in G minor, Op. 123*  
01. I. Introduzione                                                   [01:09]
02. II. The Hunter's Song                                             [02:20]
03. III. Marcia                                                       [02:55]
04. IV. The Bloodhound                                                [02:45]
05. V. The Roaming Mariners                                           [03:04]

Fantasie in E flat major, Op. 18 
06. I. Lento - Allegro con fuoco                                      [08:04]
07. II. Larghetto e cantabile                                         [08:37]
08. III. Allegro assai                                                [04:26]
09. IV. Presto                                                        [02:15]

10. Rondo quasi una fantasia in E major, Op. 19                       [08:22]

11. 'La contemplazione' in A flat major from Six Bagatelles, Op. 107  [09:03]

Fantasie 'Recollections of Paganini' 
12. I. Caprice                                                        [03:20]
13. II. Quartetto                                                     [03:05]
14. III. Rondo                                                        [01:40]
15. IV. Campanella                                                    [01:41]

16. Fantasina in C major on 'Non più andrai', Op. 124                 [05:43]

                                                        Playing Time: [68:38]
Madoka Inui, Piano 

*World première reeording 
Recorded at Studio 3, ORF Funkhaus. Vienna, from 26th to 28th July. 2005 
Producer: Alfred Treiber. Recording superviser: Matthias Fletzberger 
Sound engineer: Wolfgang Fahrner Editor: Otmar Bergsmann 
Tuning: Gerald Stremnitzer  

Cover image: The Granite Dish in the Pleasure Garden by Johann Erdmann Hummel (1769-1852) 
(Private Collection / www.bridgeman.co.uk) 

(P) + (C) 2005



OCTAVIO PAZFRITZ VOGELGSANG
NOCTURNO DE SAN ILDEFONSO (Auszug: Teil 3)NACHTSTÜCK VON SAN ILDEFONSO
El muchacho que camina por este poema,
entre San Ildefonso y el Zócalo,
es el hombre quelo escribe:
                                        esta pagina
tambien es una caminata nocturna.
                                                 Aqui encarnan
los espectros.amigos,
                               las ideas se disipan.
El bien, quisimos el bien:
                                    enderezar al mundo.
No nos faltó entereza:
                               nos faltó humildad.
Lo que quisimos no lo quisimos con inocencia.
Preceptos y conceptos,
                               soberbia de teólogos:
golpear con la cruz,
                            fundar con sangre,
levantar la casa con ladrillos de crimen,
decretar la comunión obligatoria.
                                                Algunos
se convirtieron en secretarios de los secretarios
del Secretario General del Infierno.
                                                 La rabia
se volvió filósofa,
                        su baba ha cubierto al planeta.
La razón descendió a la tierra,
tomó la forma deI patibulo
                                       - y la adoran millones.
Enredo circular:
                       todos hemos sido,
en el Gran Teatro del Inmundo,
jueces, verdugos, victimas, testigos,
                                                    todos
hemos levantado falso testimonio
                                                contra los otros
y contra nosotros mismos.
                                       Y lo más vil: fuímos
el público que aplaude o bosteza en su butaca.
La culpa que no se sabe culpa,
                                            la inocencia,
fue la culpa mayor.
                            Cada año fue monte de huesos.


Conversiones, retractaciones, excomuniones,
reconciliaciones, apostasías, abjuraciones,
zig-zag de las demonolatrías y las androlatrías,
los embrujamientos y las desviaciones:
mi historia,
                ¿son las historias de un error?

La historia es el error.
                                La verdad es aquello,
más allá de las fechas,
                                más acá de los nombres,
que la historia desdeña:
                                  el cada día
- latido anónimo de todos,
                                     latido
único de cada uno -,
                             el irrepetible
cada día idéntico a todos los días.
                                                La verdad
es el fondo dei tiempo sin historia.
                                                  El peso
dei instante que no pesa:
                                     unas piedras con sol,
vistas hace ya mucho y que hoy regresan,
piedras de tiempo que son también de piedra
bajo este sol de tiempo,
sol que viene de un día sin fecha,
                                                sol
que ilumina estas palabras,
                                       sol de palabras
que se apaga al nombrarlas.
                                         Arden y se apagan
soles, palabras, piedras:
                                   el instante los quema
sin quemarse.
                     Oculto, inmóvil, intocable,
el presente - no sus presencias - está siempre.

Entre el hacer y el ver,
                                                acción o contemplación,
escogí el acto de palabras:
                                      hacerlas, habitarlas,
dar ojos al lenguaje.
                              La poesía no es la verdad:
es la resurrección de las presencias,
                                                   la história
transfigurada en la verdad del tiempo no fechado.
La poesia,
               como la historia, se hace;
                                                    la poesía,
como la verdad, se ve.
                                La poesía:
                                                encarnación
del sol-sobre-las-piedras en un nombre,
                                                         disolución
del nombre en un más allá de las piedras.

La poesía,
                puente colgante entre historia y verdad,
no es camino hacia esto o aquello:
                                                  es ver
la quietud en el movimiento,
                                          el tránsito
en la quietud.
                     La historia es el camino:
no va a ninguna parte,
                                 todos lo caminamos:
la verdad es caminarlo.
                                  No vamos ni venimos:
estamos en las manos del tiempo.
                                                 La verdad:
sabernos,
              desde el origen,
                                      suspendidos.
Fraternidad sobre el vacío.
Der junge Bursche, der durch dieses Gedicht geht,
zwischen San Ildefonso und dem Zócalo,
ist der Mann, der dies schreibt:
                                              diese Seite
ist auch ein Gang durch die Nacht.
                                                 Hier werden Gestalt
die Freundesgespenster,
                                   die Ideen zerstreuen sich.
Das Gute, wir wollten das Gute:
                                              die Welt ins Lot bringen.
Es fehlte uns nicht an geradem Sinn:
                                                    uns fehlte die Demut.
Was wir wollten, wollten wir nicht mit Unschuld.
Rezepte und Konzepte:
                                  Hochmut von Theologen:
Dreinschlagen mit dem Kreuz,
                                 Grund legen mit Blut,
das Haus errichten mit Verbrechensziegeln,
die Zwangskommunion dekretieren.
                                                    Manche
wurden zu Sekretären der Sekretäre
des Generalssekretärs der Hölle.
                                              Die blinde Wut
gab sich philosophisch,
                                 ihr Geifer hat den Planeten bedeckt.
Die Vernunft stieg herab zur Erde,
nahm die Form des Galgens an
                                             - und Millionen beten sie an.
Verstrickung ringsum:
                                wir alle waren
im Großen Drecktheater
Richter, Henker, Opfer, Zeugen,
                                               wir alle
haben falsch Zeugnis geredet
                                           wider die Nächsten
und wider uns selbst.
                               Und das Gemeinste: wir waren
das Publikum, das klatschte oder gähnte im Sperrsitz.
Die Schuld, die sich nicht schuldig weiß,
                                                          die Unschuld
war die Hauptschuld.

                               Jedes Jahr war ein Berg aus Gebeinen.

Bekehrungen, Widerrufungen, Exkommunizierungen,
Versöhnungen, Abspaltungen, Verleugnungsschwüre,
Zickzack der Dämonendienerei und Menschendienerei,
der Behexungen und Verirrungen:
meine Geschichte -
                            die Geschichten eines Irrtums?

Die Geschichte ist der Irrtum.
                                           Die Wahrheit ist das,
was jenseits der Daten ist,
                                      diesseits der Namen,
was die Geschichte mißachtet:
                                           der Alltag
- anonymer Herzschlag von allen,
                                                einzigartiger
Herzschlag von jedem einzelnen -,
                                                 der unwiederholbare
Jedertag, identisch mit allen Tagen.
                                                   Die Wahrheit
ist der Grund der Zeit ohne Geschichte.
                                                         Das Gewicht
des Augenblicks ohne die Last der Wichtigkeit:
                                                 ein paar besonnte Steine,
vor langer Zeit schon gesehen und heute wiederkehrend,
Steine aus Zeit, die auch aus Stein sind
unter dieser Sonne aus Zeit,
Sonne, die von einem undatierten Tag kommt,
                                                                   Sonne,
die diese Wörter erhellt,
                                   Sonne aus Wörtern,
die erlischt, indem man sie nennt.
                                                 Es glühen und erlöschen
Sonnen, Wörter, Steine:
                                    der Augenblick verbrennt sie,
ohne selbst zu verbrennen.
                                       Verborgen, reglos, unberührbar,
ist die Gegenwart - nicht ihre Erscheinungen - immer.

Zwischen dem Tun und Schauen,
                                               Aktion oder Kontemplation,
wählte ich das Werk der Wörter:
                                               sie machen, bewohnen,
Augen geben der Sprache.
                                       Die Dichtung ist nicht die Wahrheit:
sie ist die Auferstehung der Erscheinungen,
                                                               die Geschichte,
verwandelt in die Wahrheit der undatierten Zeit.
Die Dichtung,
                     wie die Geschichte, wird gemacht:
                                                                       die Dichtung,
wie die Wahrheit, wird gesehen.
                                               Die Dichtung:
                                                                   Fleischwerdung
der Sonne-auf-den-Steinen in einem Namen,
                                                                 Auflösung
des Namens in einem Jenseits der Steine.

Die Dichtung,
                     Hängebrücke zwischen Geschichte und Wahrheit,
ist nicht ein Weg zu dem oder jenem:
                                                       sie ist Schauen
der Ruhe in der Bewegung,
                                        des Übergangs
in der Ruhe.
                   Die Geschichte ist der Weg:
er führt nirgendwohin,
                                 wir alle beschreiten ihn,
die Wahrheit ist, ihn zu beschreiten.
                                     Wir gehen nicht, wir kommen nicht:
wir sind in den Händen der Zeit.
                                                Die Wahrheit:
uns zu wissen,
                      von Anfang an,
                                              in der Schwebe,
Brüderlichkeit über der Leere.

Quelle: Octavio Paz: Suche nach einer Mitte. Die großen Gedichte. Spanisch und Deutsch. Übersetzung Fritz Vogelgsang. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1980 ff., edition suhrkamp 3321. ISBN 3-518-13321-7. Seite 102-111



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