29. Oktober 2018

Kuriose Wortspiele: Schelmereien von Heinz Erhardt

Wer kennt ihn nicht? Heinz Erhardt ist und bleibt unvergessen, und das vollkommen zeitlos, sämtliche Generationen erfreuen sich, damals wie heute, an seinen Liedern, Sketchen und kuriosen Wortspielen. Immer einen kessen Spruch auf den Lippen, so wird der Komiker in Erinnerung bleiben, dabei sollte und darf man aber auch nie den Menschen dahinter übersehen. Ob in seinen Filmen, auf der Bühne vor Publikum oder im Interview, zumindest wenn man sich für Comedy interessiert, wird man früher oder später mit Heinz Erhard in Berührung kommen.

„Schelmereien“ versammelt Live-Mitschnitte und Interviews aus Sendungen des NDR und RBB wie beispielsweise „Lachen mit Heinz Erhardt“ oder Interviews aus den Jahren 1958 beziehungsweise 1963.

Natürlich ist dem geneigten Hörer, sofern dies nicht seine erste Begegnung mit dem Urgestein ist, das meiste bekannt. Songs wie „Fräulein Mabel“ und „Abschiedslied“ gehen nicht nur sofort ins Ohr, sondern lassen sich auch vortrefflich mitsingen. Der „G-Sketch“ oder „König Erl“ sind Klassiker, die auch nach dem x-ten Hören nicht langweilig werden, sondern dem Hörer noch immer ein herzhaftes Lachen entlocken.

Mit seiner einzigartigen Art schafft es Erhardt, die Massen zu begeistern und für sich einzunehmen, schon alleine aus dem Grund, dass er nie unnahbar erschien. Dies spiegelt sich auch in den Ausschnitten der Interviews wider, die dem Hörer den Komiker noch ein wenig näher bringen.

Ob mit oder ohne musikalische Untermalung, gereimt oder nicht, diese Sammlung vereint Werke aus Heinz Erhardts Feder, die legendär sind und bleiben werden. Einfach eine zeitlang abschalten, kuriosen Texten und Klängen lauschen, alleine dafür lohnt sich diese CD. Die 47 Tracks sind viel zu schnell vorbei, nur gut, dass man sie sogleich von Neuem starten kann.

Quelle: Was liest Du? Dein Magazin, Deine Community


Track 20: Der Tauchenichts


Der Tauchenichts
(nach Schiller)

»Wer wagt es, Knappersmann oder Ritt,
zu schlunden in diesen Tauch?
Einen güldenen Becher habe ich mit,
den werf ich jetzt in des Meeres Bauch!
Wer ihn mir bringt, ihr Mannen und Knaben,
der soll meine Tochter zum Weibe haben!«

Der Becher flog.
Der Strudel zog
ihn hinab ins greuliche Tief.
Die Männer schauten,
Weil sie sich grauten,
weg. — Und abermals der König rief:

»Wer wagt es, Knippersmann oder Ratt,
zu schlauchen in diesen Tund?
Wer's wagt — das erklär ich an Eidesstatt —
darf küssen mein’s Töchterleins Mund!
Darf heiraten sie und mein Land verwalten!
Und auch den Becher darf er behalten!«

Da schlichen die Mannen
und Knappen von dannen.
Bald waren sie alle verschwunden — — —
Sie wußten verläßlich:
die Tochter ist gräßlich!
Der Becher liegt heute noch unten ...


TRACKLIST


HEINZ ERHARDT: Schelmereien

01,-02. Ansage + Nachdem ich mich hier versammelt habe   2:24
    03. Ohren                                            0:33
    04. Das Pechmariechen                                1:59
05.-06. Lebenslauf                                       2:58
    07. Chor der Müllabfuhr                              0:23
08.-10. Peppercorn                                       3:32
        Musik: Hans Lang, Text: Erich Meder
    11. Die polyglotte Katze                             1:26
    12. Die Kuh                                          0:37
    13, Die Weihnachtsgans                               0:52
    14. Der Stier                                        0:38
15.-17. Hero und Leander                                 3:34
    18. Gedicht über einen Schauspieler                  0:40
    19. Columbus                                         0:37
    20. Der Tauchenichts                                 1:24
    21. Die Geschichte vom alten Fritz                   0:21
    22. Fußball                                          0:33
    23. Der Winter                                       1:04
    24. Urlaub im Urwald                                 0:36.
    25. Fräulein Mabel                                   2:41
        Musik und Text: Heinz Erhardt
26.-29. Doppelconference                                 5:34
    30. Im Café                                          2:08
    31. Schenken                                         0:55 
    32. Offenes Haar                                     0:21
    33. Das Klaviezimbel                                 0:49
    34. Die Oase                                         1:58
    35. Wortspiele                                       1:12
    36. Deutscher Wald                                   1:11
    37. Reklame für das Buch                             0:53
38.-39. Abschiedslied                                    3:03
        Musik und Text: Heinz Erhardt
40.-41. Interview, NDR 1963                              4:43
42.-43. Vorwort für eigenes Buch                         2:33
44.-46. G-Sketch                                         5:05
    47. König Erl                                        1:20
    
                                                 Total: 57:36

Track 1-39 und 42-46: Lachen mit Heinz Erhardt, NDR 1978
Track 40-41: Interview, NDR 1963
Track 47: aus Interview nach Premiere von "Vater, Mutter und
neuen Kinder", RBB 1958

(C) 2016 


Track 25: Fräulein Mabel


Fräulein Mabel

(Der Verfasser bittet, diesen Namen, wie so vieles heute,
englisch auszusprechen, also Mebel. Diese Bitte bezieht
sich natürlich auch auf die entsprechenden Reimwörter. Danke!)


Alle Frauen, die
mit tausend Reizen ausgestattet,
durch das Weichbild unsrer Stadt lustwandeln, die
hab ich nicht lieb, denn
die sind nicht mein Typ, ich
brauche etwas andres fürs Gemüt. Zum Beispiel:
Fräulein Mabel, die,
durch wenig Schönheit ausgezeichnet,
still und unbemerkt durchs Leben schreitet, ist
mir nicht einerlei, und
weil sie mir stets treu, drum
widme ich ihr dies schöne Lied‘.

Kennen Sie denn schon das Fräulein Mabel?
Würden Sie sie sehn, würd’s Ihnen abel!
Beine hat sie dünn so wie ein Säbel —
meine süße kleine Freundin, Fräulein Mabel.

Kennen Sie denn schon das Fräulein Mabel?
Ausgeschnitten geht sie bis zum Nabel,
deshalb hab ich auch für sie ein Faible —
für die süße kleine Freundin, Fräulein Mabel.

Manche gibt es, die mir heute
dieses stille Glück nicht gönnen;
nur deshalb, weil diese Leute
sowas nicht verstehen können!

Kennen Sie denn schon das Fräulein Mabel?
Sie bewohnt gleich nebenan ’ne mabel-
ierte Wohnung unterm Gabel —
meine süße kleine Freundin, Fräulein Mabel.


Der Teppich ist mein bestes Stück!


Herbert Boeckls Bildteppich „Die Welt und der Mensch”

Entwurf: Herbert Boeckl, Ausführung: Fritz Riedl, Josef Schulz und
Veronika Schmidt, Die Welt und der Mensch, 1954-57, Bildteppich, 260 x 1200 cm,
 Ehrenloge, Wiener Stadthalle. [Detail]
1952 wurde der Bau einer Mehrzweckhalle auf dem Vogelweidplatz im fünfzehnten Wiener Gemeindebezirk beschlossen. Aus dem Architektenwettbewerb ging Roland Rainer siegreich hervor. 1953 erfolgte die Grundsteinlegung und in den darauffolgenden Jahren wurden sukzessive die einzelnen Hallen fertiggestellt und in Betrieb genommen. Die feierliche Eröffnung der gesamten Stadthalle erfolgte schließlich am 21. Juni 1958 durch Bundespräsident Dr. Adolf Schärf. […]

Für den Empfangsraum der sogenannten Ehrenloge, einem Aufenthaltsraum, der ranghohen Besuchern vorbehalten war, wurde 1954 ein ganz besonderes Kunstwerk in Auftrag gegeben. In den darauffolgenden Jahren entstand ein zwölf Meter langer und zweieinhalb Meter hoher Bild- teppich. Entwerfer des Teppichs war Herbert Boeckl, die Ausführung erfolgte von Webkünstlern, die aus dem unmittelbaren Umkreis Boeckls stammten.

Boeckl war zu diesem Zeitpunkt am Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn. Der 1894 in Klagenfurt geborene Künstler war seit 1935 Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien und in der Krisenzeit unmittelbar nach dem Krieg auch Rektor der Akademie. […]

Mit dem großen Freskenzyklus in der Engelkapelle im Stift Seckau, an dem der Künstler seit 1952 arbeitete, hatte sich Boeckl, der bisher vorwiegend Ölbilder und Aquarelle geschaffen hatte, auch an Aufgaben der Monumentalkunst herangewagt. Bereits 1928 hatte Boeckl an der Innenwand der Kirche in Maria Saal ein Fresko ausgeführt, das aber nach Protesten dauerhaft verdeckt werden mußte. Man hätte erwarten können, daß Boeckl für die Wiener Stadthalle gleichfalls ein Fresko oder eventuell auch ein Mosaik bevorzugen würde. Umso mehr überrascht es und dürfte auf den ganz persönlichen Wunsch von Herbert Boeckl zurückzuführen sein, daß er für die Stadthalle kein Fresko schuf, sondern ein Werk im Medium der Textilkunst ausführte.

Es entsprach der Natur Boeckls, sich stets an neuen künstlerischen Aufgaben zu messen. Einen Gobelin hatte er bisher noch nicht entworfen. Ein solcher Bildteppich erschien Boeckl wohl auch deswegen als besonders interessant, weil gerade zu dieser Zeit das Entwerfen von Bildteppichen durch anerkannte Maler hoch im Kurs stand.

Herbert Boeckl, Die Welt und der Mensch, 1955, Entwurf, Aquarell und Collage auf Papier,
 Vorderseite, 410 x 1990 mm, Privatbesitz, Wien.
Künstler von internationalem Rang wie Pablo Picasso, Ferdinand Leger oder Henri Moore arbeiteten etwa mit der weltberühmten französischen Gobelinmanufaktur in Aubusson zusammen und lieferten die Entwürfe zu aufsehenerregenden Teppichen. lm Rahmen einer Wanderausstellung zum Thema „Moderne französische Gobelins" waren 1949 auch im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien fünfzig Bildteppiche zu sehen, die nach Entwürfen unter anderem von Braques, Le Corbusier, Derain, Leger, Matisse und Picasso gearbeitete worden waren. Das Zentrum für Bildteppiche in Wien war damals die Wiener Gobelinmanufaktur. Diese war 1921 als privates Unternehmen gegründet worden. Schon durch deren Niederlassung in den Räumlichkeiten der ehemaligen Hofwäschekammer in der Wiener Hofburg erhielt die Manufaktur einen quasi-offiziellen Status und wurde tatsächlich auch von staatlicher Seite entschieden unterstützt. Immerhin war eine der Hauptaufgaben der Gobelinmanufaktur die Pflege und Restaurierung der ehemals kaiserlichen Gobelinsammlung, die immerhin weltweit eine der größten Sammlungen dieser Art ist. Daneben wurden aber auch neue Goblins gewebt, wofür man anerkannte Künstler als Entwerfer heranzog. Erster künstlerischer Mitarbeiter der Gobelinmanufaktur war der Wiener Maler Robin Christian Andersen, ihm folgten weitere Maler von Rang, etwa Albert Paris Gütersloh oder Anton Faistauer. […]

Die Wiener Gobelinmanufaktur war so wie jede andere internationale Gobelinmanufaktur streng auf das sogenannte reproduktive Verfahren hin ausgerichtet. Der entwerfende Künstler schafft einen Entwurf, der nicht unbedingt der Größe des späteren Teppichs entsprechen muß. Nicht selten wird als Vorlage auch ein bereits vorhandenes Kunstwerk, das ursprünglich gar nicht als Teppichvorlage gewidmet war, herangezogen. Durch eine hiefür spezialisierte Person wird diese Vorlage in der dem auszuführenden Teppich entsprechenden Originalgröße auf das sogenannte Patronenpapier gezeichnet. Auf dem kleinteiligen Millimeterraster dieses Kartons wird in minutiösem Verfahren die Farbe und Stellung jedes einzelnen Knotens des zu webenden Teppichs festgelegt. Das Manufakturprinzip besteht somit im strikt arbeitsteiligen Verfahren. Der Künstler liefert den Entwurf, eine darauf spezialisierte Person den Patronenkarton, die Färber liefern die gefärbte Wolle und bestimmen somit indirekt die Farbwahl, und die Gobelinweber weben dann den Teppich.

Ein solches arbeitsteiliges Verfahren, bei welchem die Auswahl der Farben und der eigentliche Ausführungsprozess in den Händen der Gobelinweber liegt, lehnte Herbert Boeckl jedoch entschieden ab. Es war ihm zuwenig, nur den Entwurf zu liefern und die Ausführung des Teppichs Handwerkern zu überlassen. Boeckl wollte auch während des Webvorgangs in den Gestaltungsprozess eingebunden bleiben, wollte auch während des Entstehungsvorgangs noch Änderungen und Anpassungen vornehmen können. Daher lehnte Boeckl die von der Gemeinde Wien favorisierte Zusammenarbeit mit der Wiener Gobelinmanufaktur ab. Dies war für Boeckl aber insofern nicht so einfach, als sich die Wiener Manufaktur in den späten fünfzigerJahren mit empfindlichen Einbrüchen in ihrer Auftragslage konfrontiert sah und daher unter allen Umständen den stattlichen Auftrag des zwölf Meter langen Teppichs der Wiener Stadthalle erhalten wollte. Boeckl hingegen hielt Ausschau nach anderen Möglichkeiten, wie er seinen Teppich nach eigenen Vorstellungen realisieren könne.

Herbert Boeckl, Die Welt und der Mensch, 1957, Entwurf, Linke Hälfte, Aquarell und Collage auf Papier,
2600 x 12000 mm, Technische Universität, Wien.
Auf seiner Suche stieß Boeckl bald auf Fritz Riedl (geb. 1923), der als einer der ersten in Wien als sogenannter Freier Weber arbeitete. Riedl war Absolvent der Meisterschule Gütersloh an der Wiener Akademie und hatte bereits 1949 begonnen, Bildteppiche nach eigenen Entwürfen zu weben. […]

Um der Ausführung des gewaltig dimensionierten Teppichs gerecht werden zu können, benötigte Riedl jedoch weitere Mitarbeiter. Solche fand er in der Person von Josef Schulz und Veronika Schmidt. Josef Schulz (geb. 1933) hatte damals gerade die Meisterklasse von Josef Wimmer-Wisgrill an der Hochschule für angewandte Kunst absolviert und sich auf das Weben spezialisiert. Veronika Schmidt besaß als frühere Mitarbeiterin der Wiener Gobelinmanufaktur gleichfalls einige Erfahrung im Weben. Fritz Riedl betont noch heute, daß es Boeckls erklärter Wunsch war, daß Riedl gemeinsam mit den von ihm beigezogenen Mitarbeitern den Auftrag für den Stadthallenteppich erhalten sollen. Boeckl mußte hierfür das ganze Gewicht seiner Autorität in die Waagschale werfen, war es doch zunächst das Ziel des Auftraggebers, die Stadt Wien, den Auftrag der Gobelinmanufaktur zukommen zu lassen. […]

Boeckl dürfte sich bald ziemlich intensiv mit dem Thema des Teppichs für die Wiener Stadthalle auseinandergesetzt haben. Es haben sich insgesamt drei Entwürfe für den ausgeführten Teppich erhalten. Ein relativ früher Entwurf ist die rund zwei Meter lange und vierzig Zentimeter schmale Aquarellstudie, die sich heute noch in Privatbesitz befindet. Einen wesentlich späteren Entwurf stellt die vier Meter lange Papiercollage dar, weiche mittlerweile in den Besitz der Kunstsammlungen des Landes Tirol gelangt ist. Dieser Entwurf diente laut Mitteilung von Fritz Riedl als Vorlage für den Wettbewerb, an welchem Boeckl teilnahm, um den Auftrag zu erhalten. Schließlich hat sich auch der Originalkarton erhalten, der den Webern unmittelbar als Vorbild diente. Dieser rund zwölf Meter lange und zweieinhalb Meter breite Karton wird heute im sogenannten Boeckl-Saal des Haupthauses der Technischen Universität Wien am Karlsplatz präsentiert.

Für die Mitarbeiter Boeckls, die den Teppich zu weben hatten, war der Auftrag eine große Ehre, zugleich aber auch eine ungeheure Herausforderung. Der Teppich mit einer Länge von zwölf Metern und einer Breite von über zweieinhalb Metern war Fritz Riedls umfangreichster Auftrag, den er bis dahin erhalten hatte. Auch später sollte er keinen so langen Teppich mehr ausführen. Riedl ließ für die Herstellung des Teppichs in einer neben der Textilschule gelegenen Werkstatt in der Spengergasse einen eigenen Webstuhl anfertigen. Der fand dann in einem Raum im Untergeschoss der Akademie der bildenden Künste seine Aufstellung. Im anschließenden Zimmer, das zugleich den Vorraum zum Aktsaal bildete, in welchem Boeckl seinen berühmten Abendakt unterrichtete, schlug Herbert Boeckl für die Dauer der Herstellung des Teppichs sein Büro auf. So konnte Boeckl auch während seiner laufenden Unterrichts- und Bürotätigkeit einen ständigen und unmittelbaren Kontakt zu den ausführenden Webern halten. […]

Herbert Boeckl, Die Welt und der Mensch, 1957, Entwurf, rechte Hälfte, Aquarell und Collage auf Papier,
2600 x 12000 mm, Technische Universität, Wien.
Für die Dauer von insgesamt rund einem Jahr waren Herbert Boeckl und die Weber zu einer intensiven Ateliergemeinschaft zusammengewachsen. Sie trafen einander beinahe täglich. Ein Arbeitstag begann etwa um acht Uhr früh und endete um fünf Uhr nachmittags. Boeckl hatte in seinem Zimmer ständig den großen Entwurfskarton vor sich aufgestellt. Dieser Karton war zu Beginn des Webens jedoch noch nicht vorhanden, sondern wuchs erst nach und nach, angepaßt an den Arbeitsfortschritt der Weber. Der Teppich selber wurde am Webstuhl in einer um neunzig Grad gedrehten Lage von unten nach oben gewebt. So wie der Teppich konsequent in eine Richtung gewebt wurde, entstand auch der Karton konsequent in eine Richtung, nämlich von links nach rechts, Abschnitt für Abschnitt. War ein Abschnitt des Kartons fertig entworfen, wurden seine Umrisse auf dünnes Papier gepaust. Diese Pause wurde dann unmittelbar hinter den Kettenfäden des Webstuhls angebracht und das Motiv größengetreu nachgewebt. Details und vor allem die Farben der Motive mußten die Weber jedoch unmittelbar vom Karton ablesen.

Boeckl glich seine künstlerischen Arbeit somit dem für das Weben charakteristischen Prozeß des allmählichen Fortschreitens völlig an. Der Entwurf wuchs mit dem Teppich gleichsam mit. Bereits darin unterschied sich seine Arbeitsweise grundlegend von der anderer Maler, welche die ausführenden Teppichweber mit einem bereits vollendeten Entwurf konfrontierten.

Wichtig war für Boeckl zudem, daß er beinahe ununterbrochen und lückenlos die Produktion der Weber überwachen konnte. Das begann bereits mit der Auswahl der Farben. Aus den insgesamt dreißig von Riedl zur Verfügung gestellten Farben wählte Boeckl 25 Farben aus, die er für seinen Entwurf heranzog. Die Wolle stammte aus einer Spinnerei in Bad Vöslau, das Färben der Wolle besorgten Riedl und seine Mitarbeiter selber. Mit größtem Interesse verfolgte Boeckl die in der Webkunst gängige Praxis, aus bis zu sieben Einzelwollfäden einen einzigen Webfaden zu drehen. Diese Kombinationsmöglichkeit von Einzelwollfäden bedeutete zugleich die Kombinationsmöglichkeit von ebenso vielen verschiedenen Farben, wodurch höchst interessante Farbzusammenstellungen beziehungsweise minutiöse Farbabstufungen erzielt werden konnten. Mit dem Mischen von Farbpigmenten auf der Palette des Malers waren solche Farbkombinationen nicht vergleichbar. Die Möglichkeit der Fadenmischung, bei der zumindest in der Nahansicht kein einziger Farbwert verloren ging, war für Boeckl laut Riedl eine Sensation. […]

Noch heute zeugt der erhaltene, zwölf Meter lange Originalkarton des Teppichs eindrucksvoll von Boeckls Experimentierfreudigkeit. In der vom Künstler nur selten praktizierten Methode der Papiercollage gestaltete er die Darstellung einzig aus unterschiedlichem Papier, zumeist übereinandergelegte Seidenpapierstreifen, aber auch Zeitungspapier und anderes, welche er mit Kleister roh verklebte, schließlich mit Aquarellfarben und Gouache bemalte und zusätzlich noch Konturen und Binnenzeichnungen anbrachte.

Herbert Boeckl und seine Mitarbeiter anläßlich der Überreichung des Teppichs
„Die Welt und der Mensch" an Stadtrat Hans Mandl, vermutlich Nov/Dez. 1957
 (von links nach rechts: Veronika Schmidt, Fritz Riedl,
Stadtrat Hans Mandl, Herbert Boeckl, Josef Schulz).
Es mag überraschen, daß Boeckl den Kartonentwurf für den Teppich als Collage und nicht als Gemälde ausgeführt hat. Der Grund lag sicherlich nicht einzig darin, durch die Verwendung von Seidenpapier neuartige Farbkonstellationen zu erzielen. Boeckl hatte nämlich die Collagetechnik bereits vorher auch für die Freskenentwürfe zur Seckauer Kapelle angewandt. Für die Altarwand der Seckauer Kapelle lieferte er 1951/52 eine großformatige Papiercollage, bei der die Darstellung gleichfalls aus vorwiegend großflächigen, farbigen Papierteilen gestaltet wurde, die in vergleichbarer Weise verklebt und stellenweise bemalt wurden.

Laut Fritz Riedl habe Boeckl aber bald eingesehen, daß er die Frage der Farbmischung für den Teppich alleine nicht lösen könne, sondern sich weitgehend der Geschicklichkeit und Erfahrung der Weber anvertrauen müsse. Als besonders schwierig gestaltete sich überdies das Nachfärben der Wolle. Für einen Quadratmeter gewebten Stücks waren rund eineinhalb Kilo gefärbte Wolle erforderlich, die sehr schnell verbraucht war. Viele Partien des Teppichs mußten jedoch eine einheitliche Farbgebung aufweisen. Vor allem die Farben des Hintergrunds, für welche häufig ein ständig wiederkehrender Grauton vorgesehen war, stellten für die Weber eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.

Um es Boeckl zu ermöglichen, den Teppich während des Werbvorgangs ständig sehen und somit den Arbeitsfortschritt genau beobachten zu können, webten Riedl und seine Mitarbeiter den gesamten Teppich von hinten. Diese Methode war für einen Weber nicht nur sehr ungewöhnlich, sie stellte zudem eine enorme Erschwernis dar. Doch Boeckl, der größtes Augenmerk auf eine Ausführung legte, die stets seinen Vorstellungen absolut entsprach, hatte dadurch die Möglichkeit, die Umsetzung seines Kartons gleichsam Zentimeter für Zentimeter mitzuverfolgen.

Vorauszuschicken ist, daß Fritz Riedl und seine Mitarbeiter in einer relativ groben Manier, der sogenannten „gotischen" Webmethode, webten. Diese sah lediglich drei Fäden pro Zentimeter vor, wohingegen herkömmliche Manufakturen wesentlich feiner webten und bis zu sieben Fäden pro Zentimeter verarbeiteten. Die Methode der groben Webart wurde aber von den Freien Webern, die deswegen auch „Gotiker" bezeichnet wurden, bewußt gewählt, um den bildhaften, reproduktiven Charakter des Teppichs abzuschwächen und die Materialqualitäten der Wolle, ihr natürliches Relief, ihre sinnliche Wirkung besser zur Wirkung kommen zu lassen.

Präsentation von Boeckls Teppich „Die Welt und der Mensch" im
Österreich-Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel 1958.
Nun bestand die besondere Schwierigkeit darin, daß ein bestimmtes Motiv zunächst immer etwas lockerer, breiter gewebt werden mußte, bevor es erst später durch den fortschreitenden Webprozeß und das Gewicht und die Spannung der nachrückenden Wollstränge wesentlich enger zusammengedrückt wurde und dadurch erst sein endgültiges Aussehen erhielt. Nur der erfahrene Weber wußte um die Nuancen, um welche sich das Motiv während des Webvorgangs nachträglich verändert. Boeckl ignorierte jedoch anfänglich beharrlich dieses Webgesetz. Er sah, daß ein bestimmtes Motiv, vor allem die Gesichter, nicht von Anfang an so gewebt wurden, wie er es haben wollte und verlangte, daß die bereits gewebte Fläche sofort wieder aufgetrennt würde. Riedl erinnert sich, daß er auf Verlangen von Boeckl einen einzigen Kopf oft bis zu sechs Mal wieder auftrennen mußte. Fritz Riedl stellte im nachhinein fest, daß unter Einrechnung aller von Boeckl wieder verworfenen Partien der gesamte Stadthallenteppich eigentlich zweimal gewebt worden war! […]

Diese Unschlüssigkeit einerseits, mit einem Motiv ins Reine zu kommen, und die Skrupellosigkeit andererseits, einen nicht zufriedenstellenden Arbeitsschritt wieder zu eliminieren, waren generelle Merkmale der Arbeitsweise von Herbert Boeckl. Im Malvorgang zeigte sich dieses Ringen vor allem im häufigen Übermalen und in der relativ langen Beschäftigung mit einem einzigen Bild. Mit seinem unbedingten Willen, die Arbeitsmethode der Ölmalerei auch auf andere Medien zu übertragen, deren Charakteristik jedoch gerade in ihrer Unveränderbarkeit bestand, reizte Boeckl diese Medien bis aufs äußerste aus. Sowohl die Beispiele des Abschlagens von Fresken als auch das Herausschneiden von Gewebtern zeigen, mit welcher Vehemenz und geradezu Brutalität Boeckl an sein Werk heranging. […]

Schließlich wurde der große Teppich im November 1957 dann doch termingerecht fertig- gestellt. Der Teppich wurde von Tapezierern auf einen Holzrahmen aufgespannt und Kulturstadtrat Hans Mandl als Vertreter der Stadt Wien feierlich überreicht. Später wurde der Teppich wieder vom Rahmen genommen und nach Brüssel gebracht, wo er eines der Glanzstücke des Österreich-Pavillons der Weltausstellung darstellte, die im April 1958 eröffnet wurde. Im Obergeschoß des von Karl Schwanzer errichteten Österreich-Pavillons, der später nach Wien transferiert wurde und bis vor wenigen Jahren als 20er Haus einen Teil des Museums des 20. Jahrhunderts beherbergte, wurde der Teppich in seiner stattlichen Größe präsentiert. […] Der krönende Abschluß der Brüsseler Präsentation war schließlich die Verleihung des Grand Prix an Herbert Boeckl für seinen Teppich.

Entwurf: Herbert Boeckl, Ausführung: Fritz Riedl, Josef Schulz und
Veronika Schmidt, Die Welt und der Mensch, 1954-57, Bildteppich,
260 x 1200 cm, Ehrenloge, Wiener Stadthalle. [Detail]
Der Wiener Öffentlichkeit wurde der Teppich nach Fritz Riedls Erinnerung nochmals auf der Wiener Messe präsentiert, bevor er in der Wiener Stadthalle seinen ständigen Platz fand. Allerdings stellte sich die sogenannte Ehrenloge als ein für die Präsentation des Teppichs völlig unzureichender Raum heraus. Der Teppich mußte über Eck geführt werden und bedeckte fast vollständig eine Lang- und eine Schmalseite dieses niedrigen, fensterlosen Raumes.“ […]

Im Fall des Gobelins für die Wiener Stadthalle liegt der seltene Glücksfall vor, daß Boeckl den Inhalt des Teppichs selber darlegt. Boeckl verfaßte eine Beschreibung, die in der Folge von Boeckls Assistenten, Claus Pack, in einem Artikel veröffentlicht wurde, der im Zusammenhang mit der Präsentation auf der Brüsseler Weltausstellung erschien. Boeckl lieferte folgende interpretation seines Teppichs:

„Den Auftakt bildet der links von oben herein- springende Herold. Halb Gewappneter, halb Clown ist er Spielansager und Verkünder und trägt ein flammendes, geflügeltes Szepter. Er tritt aus dem ersten Lebensrad, er ist der Bote des Schicksals — ein grünes Gitter hinter ihm verrät seine Herkunft. Selbst einst Gefangener, ist er nun frei, wird zum Kommentar des Überwundenen.

Von ihm weg nach rechts bewegt sich in jähem Schritt ein gnomenhafter Mensch, seine Arme zur Huldigung erhoben. Sie gilt einer leuchtenden Frauengestalt, die, unter einem Arkadenbogen stehend, ihren Mantel auseinander schlägt, um ihre strahlende Nacktheit zu entblößen. Am Halse trägt sie eine riesige Spinne: Gleichnis des Netzes, dessen Mittelpunkt sie selbst bildet. Sie nimmt die Huldigung des Gnomes an, weil sie, dem biologischen Gesetz gehorchend und dem triebhaft Starken und Echten verhaftet, an diesem ihr Wesen erfüllt.

Ihrer Ablehnung verfallen ist die nächste Figur, die aus der Höhe abstürzt wie aus einem Dach eines Zeltes. Es ist der in ein Narrengewand gekleidete intellektuelle, der hier im buchstäblich-bildlichen Sinn seinen Kopf verloren hat und ihn in seinen Händen wie auf einem Teller hält. Sein jäher Absturz treibt ihn in das Lebensrad — das Schicksal. Neben ihm versinnbildlichen schwindende Perpentikel sein Gebundensein an den Verstand, an die Zeit.

Vom Rade weg entschwebt, geflügelt und verstümmelt, an ein Prokrustesbett gefesselt die Gestalt eines Dichters. Er trägt die Narrenkappe auf dem Kopf und die Feder in der Hand. Schnee fällt auf ihn und seine Einsamkeit, und der geteilte Mond sendet sein gleichmütiges Licht über den Schwebenden, der sich über Gestrüpp — Birkenrinde, die menschliche Gestalt angenommen hat — emporhebt.

Seiner Enthaltsamkeit — unter dem nächsten Schicksalsrad — stehen zwei Tiere entgegen, die sich zerfleischen. Sie sind Gleichnisse der Gier und des falschen Geltungsbedürfnisses. Dieser Kampf des Alltags, der laute Lärm der Menge, das Ringen um Anerkennung bekommen in ihnen Gestalt.

Entwurf: Herbert Boeckl, Ausführung: Fritz Riedl, Josef Schulz und
Veronika Schmidt, Die Welt und der Mensch, 1954-57, Bildteppich,
260 x 1200 cm, Ehrenloge, Wiener Stadthalle. [Detail]
Im nächsten Lebensrad stürmt, die Speichen tretend, ein Jüngling vor, mit Bändern und Federn geschmückt. Seine eine Hand greift nach einer Herme, die ihm aus dem vorhergehenden Rad entgegenstrebt, die andere nach einer nackten, orientalisch geschmückten Frau, die unter ihm gleichmütig dahinschreitet.

Die Herme — mit aztekischen Gesichtszügen‚ gekrönt und verschleiert — verkörpert hier das geistige ideal. Aus einer Seitenwunde spritzt ihr Blut und verweist den Jüngling auf die Gefahren, die in der Hingabe an das Ideal liegen. Die Frauengestalt steht für das irdische, seinen flüchtigen Durchgang und seine Banalität.

Hinter dem Jüngling schwebt auffahrend die Figur der Weisheit, gewappnet und gehörnt, das goldene Vlies an den Lenden. Sie stützt sich auf den Jüngling und hält ihn gleichzeitig zurück, auf die Unvereinbarkeit seines doppelten Strebens hinweisend. Hier liegt ein Schwerpunkt des Gobelins, das Dynamische des Geschehens unterstützend.

Eine farbige abstrakte Öhrform bildet danach eine Zäsur. Tor &amb; Eingang, leitet sie zum Schlußteil des Teppichs über. Sie öffnet sich auf eine Landschaft und das nächste Rad, in dessen Biegung sich eine schlanke Frauengestalt schmiegt. Ihre Armlosigkeit verkündet Vollendung ohne Tun, Beharren im Sein. Unter ihr liegt eine zerbrochene, bärtige Männerfigur, die ihr opfernd eine Flamme darbringt: die Flamme des Lebens, der Schöpfung. Sie stützt sich auf eine Amphora, in der ein blaues Gefäß mit Trauben angedeutet erscheint. Blut und Wundsekret vermischen sich mit dem Todesschweiß der Figur, deuten ein letztes Opfer als Tribut wirklicher Liebe an. Das Geheimnis des Künstlers, dieses schöpferischen Menschen hat hier seine Darstellung gefunden.

Zwei heraldische Tiere, die Rücken gegeneinander gekehrt, bilden den Abschluß des Gobelins. Sie sollen Unverstand und Klugheit verkörpern. Bekränzt und geschmückt, tragen sie eine Kette, in der die jeweils drei Siegel der Tier-, Pflanzen- und Gesteinswelt, die Symbole für Glaube, Hoffnung und Liebe dargestellt sind.

Aber über ihnen erhebt sich in einer goldenen Kuppel und zum erstenmale im Teppich in konkreter fleischlicher Plastizität ein weiblicher Körper. Plastisch und anschaulich entschwebt er in das Blau des Himmels, als Zeichen der körperlichen Aufnahme, eine Apotheose, die das Leitmotiv noch einmal zusammenfaßt und verklärt. Dem Schicksalsrad zu entspringen ist nur durch die Liebe und die Liebestat des Weibes möglich, das in ihr seine eigentliche Erfüllung findet.
[…]

Herbert Boeckl, Die Welt und der Mensch, 1955, Entwurf, Aquarell und Collage auf Papier,
Rückseite, 410 x 1990 mm, Privatbesitz, Wien.
Aus der eben vorgestellten, literarisch versierten Beschreibung des Teppichs durch den Künstler ist ein merklich quälender, stöhnender Ton herauszuhören. Dieser Grundton ist typisch für Boeckls Arbeiten. Seine Interpretation atmet ganz den Geist einer unbändigen Erlösungssehnsucht. Diese Erlösungsideologie, die mit Heroen wie Wagner und Nietzsche das gesamte späte neunzehnte und noch weit hinein das zwanzigste Jahrhundert prägte, scheint für Boeckl noch völlig präsent zu sein. Für ihn ist die Frau das Idealbild und die Projektion des leidenden Mannes. So wie Senta in Richard Wagners „Fliegendem Holländer" den ewig umherirrenden Seefahrer endlich erlösen wird, scheinen auch die männlichen Gestalten in Boeckls Teppich auf ihre Erlösung durch die Frau zu warten. Laut freundlicher Mitteilung von Fritz Riedl habe Boeckl in der tragischen Figur des am Boden liegenden Mannes, welcher der Frau zuprostet, ein Abbild seiner Selbst geschaffen. Boeckl beschreibt ihn selber als den Künstler, den schöpferischen Mensch. Aus seinem Mund fließt Blut, es vermischt sich mit seinem Todesschweiß zu einem letzten Opfer als Tribut der wirklichen Liebe. […]

Angesichts der Bedeutung, die Boeckl dem Teppich und seiner gehaltvollen, aussagekräftigen Darstellungen beimaß‚ ganz abgesehen von der Zeit und Mühe, die ihn die Herstellung dieses Werks gekostet hat, mag es nicht als übertrieben erscheinen, daß Herbert Boeckl nach Fritz Riedls Erinnerung sich über das Werk folgendermaßen geäußert haben soll: „Der Teppich ist mein bestes Stück, denn er ist mein Glaubensbekenntnis!" Boeckls Beschreibung des Teppichs zeichnet sich durch eine gedrängte Fülle an inhaltlicher Dramatik, emotioneller Überfrachtung und seelischer Zerrissenheit aus. Umso mehr überrascht daher die künstlerische Ausgestaltung des Teppichs, worin Boeckl zu einer ungewöhnlich harmonischen und beruhigten Kompositionsweise und Farbigkeit gelangt. Innerhalb des extremen, beinahe an eine Schriftrolle erinnernden Formats des Teppichs reihen sich die verschiedenen Figuren zu einer friesartigen Komposition. Sie vermeiden dennoch jegliche Stereometrie und Parallelität, sie verändern vielmehr ihre Positionen unentwegt und erinnern eher an im Wasser dahingleitende Gestalten. Einen zusätzlich Halt erhält die Komposition durch das insgesamt sechsmal wiederkehrende Motiv des Rads. Als „Rad der Zeit" bildet es zugleich auch eine wichtige inhaltliche Klammer. […]

Boeckls Teppich hatte fortan in der Ehrenloge der Wiener Stadthalle seinen festen Platz. Trotz seiner großen Ausmaße wurde der Gobelin mehrere Male auch später noch auf Ausstellungen gezeigt. 1963 etwa wurde der Teppich auf der Gobelin-Biennale von Lausanne präsentiert. Dort sah ihn der berühmte französische Webkünstler Jean Lurgat, der sich voll des Lobes und Bewunderung über das Werk äußerte. 1964/65 war der Teppich in der Ausstellung „Herbert Boeckl" im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien zu sehen. Das bisher letzte Mal wurde der Teppich außerhalb der Wiener Stadthalle 1981 im Rahmen der großen Schau „textilkunst linz 81" im Schloßmuseum Linz gezeigt.

Einblick in die Ausstellung „Herbert Boeckl"
im Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1964/65.
Die ständige, bis heute aktuelle Präsentation des Teppichs in der sogenannte Ehrenloge der Wiener Stadthalle war von Anfang an von heftiger Kritik begleitet. Tatsächlich eignet sich der niedrige, fensterlose, relativ enge Raum kaum für die Präsentation eines dermaßen groß dimensionierten Teppichs. Durch die wegen Platzmangels erzwungene abgewinkelte und zudem extrem nahsichtige Hängung wird Boeckls meisterhafte Komposition weitgehend entwertet. Die Stärke der Boecklschen Lösung liegt gerade darin, daß der Künstler auf das extreme Querformat des Gobelins geschickt mit einer harmonischen, friesartigen Figurenkomposition antwortete. Durch die nahsichtige Hängung wird der Gobelin hingegen seiner bildhaften Wirkung beraubt und zur reinen Textiltapete degradiert. Boeckl war nach Auskunft Fritz Riedls sehr unglücklich über die Art der Präsentation, konnte aber trotz Proteste nichts mehr dagegen ausrichten. […]

Die Tatsache, daß die Ehrenloge nur noch für einen sehr beschränkten Personenkreis zugänglich war und vor allem eine absolut lichtgeschützte Lage bot, wirkte sich andererseits aber wieder positiv auf den Teppich aus. Gerade die im Teppich verwendeten Naturfarben sind gegen zu starke Sonneneinwirkung besonders empfindlich. Tatsächlich befindet sich der Teppich, was seine Farben und seine Oberfläche betrifft, heute in einem relativ guten Zustand.

Mehr noch als die unbefriedigende Präsentation des Gobelins habe Boeckl jedoch gestört, daß der Teppich an einen Ort zu hängen kam, der nur einem sehr exklusiven Personenkreis gewidmet war. Laut Mitteilung von Fritz Riedl habe Boeckl nicht damit gerechnet, daß dieser Raum dermassen von der Allgemeinheit abgeschottet sei. Herbert Boeckl äußerte Riedl gegenüber wiederholt, daß er diesen Teppich, der für ihn sein Lebenswerk darstelle, allen Menschen gewidmet sehen möchte. Es sei daher sein allerinnigster Wunsch, den Teppich öffentlich präsentiert zu wissen. […]

Was den Teppich nachgerade zu einem „eigenhändigen" Werk Boeckls macht, ist die Tatsache, daß der Künstler nicht nur den Entwurf dazu lieferte, sondern auch an der Ausführung entscheidenden Anteil nahm. Bezeichnenderweise entstand der Entwurf parallel zur Ausführung des Teppichs. Wie kaum ein Maler hatte sich Boeckl in die Webtechnik vertieft und ihre speziellen Qualitäten für sein Kunstwerk zu nutzen verstanden.

Quelle: Franz Smola: Der Teppich ist mein bestes Stück! Herbert Boeckls Bildteppich „Die Welt und der Mensch”. In: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst, Heft 2/2004, Seite 18 - 39 (gekürzt).

Franz Smola studierte Kunstgeschichte und Rechtswissenschaften an der Universität Wien sowie Studies in International Relations an der Johns Hopkins University in Bologna und Washington D.C. Seit 2001 ist Franz Smola Kustos für die Sammlung des 20. Jahrhunderts an der Öster- reichische Galerie Belvedere.


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