5. Juli 2019

Adolf Busch: Violinsonate op. 56, Klaviertrio op. 15

„Es sieht wirklich so aus, dass ich nicht mehr daran denken kann, wie bisher in der Welt herumzureisen und Konzerte zu geben. Das ist ja nun weiter nicht so schlimm, denn ich habe es ja 43 Jahre lang getan und kann nun (endlich) das einmal tun, was ich mir immer gewünscht habe: nach Herzenslust Noten schreiben.“

1952 schrieb Adolf Busch diese Worte, sein Wunsch sollte sich jedoch nicht mehr erfüllen. Zwar vermochte er noch, die Komposition und Reinschrift des Sechsten Psalm für Chor, Orchester und Orgel op. 70 abzuschließen. Doch drei Tage nach der Fertigstellung der Partitur starb der 61jährige in Guilford im US-Staate Vermont.

An diesem 9. Juni 1952 endete eine glanzvolle Karriere, der man das Attribut schillernd nur deshalb verweigern möchte, weil es zu sehr mit dem Beigeschmack des Virtuosentums und der Starallüren gewürzt ist. Selbst bei großzügigster Auslegung hätte man nichts von alledem auf Adolf Busch anwenden können. Er beherrschte sein geigerisches Handwerk mit einer solchen Brillanz, dass er sogar das überdimensionierte und auch heute noch weithin unverstandene Violinkonzert A-dur op. 101 von Max Reger im Repertoire hatte und als Gründer des legendären Busch-Quartetts die interpretatorischen Zügel so fest in der Hand hielt, wie es sich für einen Primarius schickt: mit dem Pianisten Rudolf Serkin, der 1939 sein Schwiegersohn wurde, verband ihn eine jener Traumpartnerschaften, die Musikgeschichte schrieben; sogar als Leiter eigener Kammerensembles konnte er seine künstlerischen Vorstellungen auf eine Weise realisieren, die allgemeine Anerkennung fanden.

Adolf Busch in jugendlichen Jahren
Bei all dieser erstaunlichen Vielseitigkeit kommt man aber nicht umhin, eine Qualität besonders herauszustellen, die zwar keine zuvorderst musikalische ist, die aber vielleicht erklärt, warum Busch sich auf seinem ureigensten Gebiet so überzeugend behaupten konnte: Seine menschliche Integrität (eine Eigenschaft, die je nach dem Naturell kritischer Zeitgenossen entweder als „Kompromisslosigkeit“ oder als „Egoismus“ bezeichnet wird). Diese Integrität war so bewundernswert, nein, beneidenswert ausgeprägt, dass ein Abweichen vom selbst gewählten Weg ebenso wenig möglich war wie vordergründig publikumswirksamer Glitzerschmuck.

Man bedenke, dass Adolf Busch schon im April 1933 aufgrund der einsetzenden Judenverfolgungen sämtliche deutschen Konzertverpflichtungen absagte und allen Lockrufen des Nazi-Regimes widerstand. dem natürlich daran gelegen war, den prominenten Musiker für ihre Propaganda-Maschinerie zu missbrauchen.

Busch, der bereits 1927 seinen Wohnsitz nach Basel verlegt hatte, ließ sich nicht fangen. Vielmehr gab er fünfeinhalb Jahre nach der Machtergreifung in Deutschland auch den Italienern den Abschied, zu dem er sich „durch die unwürdige Nachahmung der barbarischen Judengesetze des Dritten Reiches“ veranlasst sah. Und wieder ein Jahr später (1939) wanderte die Familie Busch-Serkin nach Amerika aus.

Diesen spektakulären Maßnahmen eines unbeugsamen Geistes stehen zahllose Beispiele des Musikers zur Seite. Nachdem Adolf Busch als Schüler des Kölner Konservatoriums 1909 Max Reger kennen gelernt und ein Jahr später unter dessen Leitung das vermeintlich kaum aufführbare Violinkonzert in Berlin gespielt hatte, veranstalteten der Komponist und sein Interpret immer wieder kammermusikalische Konzerte, die um die gemeinsamen Favoriten Bach und Brahms kreisten. Während sich aber Reger im Umgang mit dem Originaltext „schöpferische“ Freiheiten nahm, bestand Busch so nachdrücklich auf der Beachtung der Noten, dass es zwischen schwächeren Gemütern wohl zum endgültigen Bruch gekommen wäre.

Adolf Busch (1891-1952)
Als Franz Schreker 1922 zum Direktor der Berliner Musikhochschule ernannt wurde, legte Adolf Busch, der 1918 als Professor an das renommierte Institut berufen worden war, sein Amt nieder - wie es heißt, weil er mit der kompositorischen Ästhetik des neuen Vorgesetzten nichts anfangen konnte. Sollte das tatsächlich der Grund für den vorzeitigen Abschied des damals 31-jährigen aus dem Hochschuldienst gewesen sein, so wäre auch dieser Schritt zwar ein Ausdruck seiner konsequent gewährten Integrität gewesen; gleichwohl müsste man fragen, ob er hier nicht einer „Stimmungsmache“ aufgesessen ist: Denn der damalige Erfolg des Opernkomponisten Schreker war etlichen Kollegen ein Dorn im Auge, und hatte offenbar genügt, ihn fälschlicherweise als „Neutöner“ à la Schönberg zu verteufeln und das Schreckgespenst der „Neuen Musik“ an die Wände der Unterrichtsräume zu malen, um das gewünschte Klima zu erzeugen.

Adolf Buschs prophylaktische Ablehnung Schrekers wäre - sofern sie denn der Wahrheit entspricht - desto verwunderlicher, als er selbst in seinen Kompositionen nicht eben ein Kind tonaler Traurigkeit war. Gewiss, seine eigenen schöpferischen Wurzeln hatte er in einen anderen, scheinbar traditionelleren Boden geschlagen. Doch wer wollte behaupten, dass das Vorbild Max Reger, das auf Buschs Schaffen einen erheblichen Einfluss ausgeübt hat, sich noch unterwürfig an die althergebrachten harmonischen Gesetze gehalten habe - nur weil er sich als Kontrapunktiker und nicht als Farbenkünstler des Fin de siècle gebärdete?

Ein geradezu rigoroser Kontrapunktiker war auch Adolf Busch. Der Kompositionsschüler von Fritz Steinbach und Hugo Grüters (seinem späteren Schwiegervater) präsentierte sich schon früh auf Max Regers Spuren - so in seinen Variationen und Fuge über ein Thema von Franz Schubert für zwei Klaviere op. 2 (1909) oder mit Praeludium und Passacaglia für zwei Violinen und Klavier op. 4 (1912).

Das in den Jahren 1918 und 1919 entstandene, äußerlich traditionell viersätzige Klaviertrio op. 15 enthält sich nun ebenso wenig der radikalen Linienführung wie jener tonalen Ausflüge, die eine Fülle zusätzlicher Vorzeichen erforderlich machen, weil sie - kaum dass die Musik begonnen hat - mit unbändiger Kraft aus dem Rahmen des vorab umrissenen Tonraumes hinausdrängt, ganz so, als ob die Wahrung der Einzelstimmen wiederum eine Frage der persönlichen lntegrität sei. Dabei sind die grundlegenden Motive der Entwicklung durchaus einfacher Natur; ihre Schichtung aber und komplexe assoziative Verflechtung resultieren in Gebilden, die ihre eigene Modernität nicht verbergen können.

Das Busch-Quartett: Adolf Busch (1.Violine), Gösta Andreasson (2.Violine),
 Hermann Busch (Cello), Karl Doktor (Viola).
An seinen persönlichen Vorstellungen von der Tonalität hat Adolf Busch augenscheinlich bis zuletzt festgehalten, wie die in Klammern vermerkte Tonart a—moll der zweiten Violinsonate (1941) verrät. Zugleich aber zeigt sich in dieser - wiederum viersätzigen - Partitur eine gewisse kontrapunktische Ausdünnung, ein über weitere Strecken quasi akkordischer Klaviersatz, der freilich auf geradezu virtuose Eskapaden namentlich im variationshaltigen Adagio ed espressivo und im Finale Allegretto amabile nicht verzichtet. Zwischen diesen beiden Sätzen steht ein Scherzo in Des, das als Muster inspirierter Einfachheit demonstriert, wie weit sich Adolf Busch aus dem kontrapunktischen Dickicht seines Vorbildes gelöst hatte.

Dazu passt auch. dass er just zur Zeit der zweiten Violinsonate mit seinem Bruder Fritz die Aufführung des Regerschen Violinkonzertes plante und zu diesem Zwecke eine Bearbeitung herstellte‚ die nicht auf die sonst üblichen Kürzungsversuche setzte, sondern statt dessen die Auflichtung der polyphonen Geflechte zum Ziele hatte. Und erneut zeigt sich der integre Umgang mit den Noten anderer: Busch ließ sich von den Tempoangaben des Komponisten leiten, die - wären sie in der Originalfassung realisierbar gewesen - das Werk beinahe 15 Minuten „kürzer“ gemacht hätten und jetzt, nach der Ausforstung des instrumentalen „Unterholzes“ tatsächlich zu verwirklichen waren: Ohne einen Schnitt in die Erfindung zu führen, vollbrachte er das Kunststück, die Partitur, die Reger selbst gegen Ende seines Lebens verleidet war, im Sinne ihres Erfinders zu durchleuchten.

So profitierte posthum der Ältere von der Entwicklung, die der Jüngere im Laufe seiner eigenen Entwicklung genommen hatte. Umgekehrt dürfte Buschs Schaffen heute seinen Nutzen aus der Reger-Renaissance der jüngsten Zeit ziehen und posthum zumindest zu einigen Ehren kommen. Zu entdecken gäbe es wahrlich genug.

Quelle: EvH, im Booklet


TRACKLIST


Adolf Busch (1891-1952)

Trio for Piano; Violin and Cello in A minor (a-moll) op. 15

1 Allegro agitato                            9'00
2 Scherzo. Vivace - Molto meno mosso         4'35
3 Largo                                      6'47
4 Finale. Allegro moderato, ma con fuoco     6'42

Violin Sonata No.2 in A minor (a-moll) op. 56

5 Allegro ma non troppo                      9'08
6 Adagio ed espressivo                       5'30
7 Molto vivace. quasi Presto                 2'13
8 Allegretto amabile                         9'13

                                Total Time: 53'50

Gottfried Schneider Violin
Christian Brunnert, Cello
Dieter Lallinger, Piano (1-4)
Alfons Kontarsky, Piano (5-8)

Recorded: V. 1993 (1-4) | V. 1990 (5-8), Studio 3 BR
Producer/Tonmeister: Michael Kempff (1-4) | Jörg Moser (5-8)
Balance Engineer/Toningenieur: Peter Jütte (1-4) | Alfons Seebacher (5-8)

(P)+(C) 2003 


Emily Dickinson

17 Gedichte - und eines

Daguerreotype taken at Mount Holyoke, December 1846 or early 1847;
 the only authenticated portrait of Emily Dickinson after childhood
I never lost as much but twice -
And that was in the sod.
Twice have I stood a beggar
Before the door of God!

Angels - twice descending
Reimbursed my store -
Burglar! Banker - Father!
I am poor once more!
Schon zweimal nahm das Grab mir
So viel wie nie zuvor.
Schon zweimal stand ich bettelnd
Vor Gottes Himmelstor!

Schon zweimal haben Engel
Mich wieder ausstaffiert -
Räuber! Banker - Vater!
Bin wieder ruiniert!
[39]


I’ll tell you how the Sun rose -
A Ribbon at a time -
The Steeples swam in Amethyst -
The news, like Squirrels, ran -
The Hills untied their Bonnets -
The Bobolinks - begun -
Then I said softly to myself -
»That must have been the Sun«!
But how he set - I know not -
There seemed a purple Stile
That little Yellow boys and girls
Were climbing all the while -
Till when they reached the other side -
A Dominie in Gray -
Put gently up the evening Bars -
And led the flock away -
Ich sag dir wie die Sonne aufging -
Ein Band jeweils erschien -
In Amethyst die Türme schwammen -
Die Kunde davon sprang
Wie Eichkätzchen - die Berge
Nun barhaupt - Vogelsang -
Da sagte ich mir leis - »Das muss
Das Werk der Sonne sein!«
Doch wie sie sank - Ich weiß nicht -
Da war ein Purpurzaun
Wo Jungen, Mädchen, klein und gelb
Wild kletterten herum -
Bis sie hinüber fanden -
Ein Grauer Pastor kam -
Sacht Abendschranken setzte - und
Die Herde mit sich nahm -
[204]

Emily Elizabeth, Austin, and Lavoinia Dickinson
by Otis Allen Bullard, oil on canvas, ca. 1840,
Houghton Library, Harvard University
How the old Mountains drip with Sunset
How the Hemlocks burn -
How the Dun Braked is draped in Cinder
By the Wizard Sun -

How the old Steeples hand the Scarlet
Till the Ball is full -
Have I the lip of the Flamingo
That I dare to tell?

Then, how the Fire ebbs like Billows -
Touching all the Grass
With a departing - Sapphire - feature -
As a Duchess passed -

How a small Dusk crawls on the Village
Till the Houses blot
And the odd Flambeau, no men carry
Glimmer on the Street -

How it is Night - in Nest and Kennel -
And where was the Wood -
Just a Dome of Abyss is Bowing
Into Solitude -

These are the Visions flitted Guido -
Titian - never told -
Domenichino dropped his pencil -
Paralyzed, with Gold -
Wie Abendrot die Berge badet
Wie der Tann erglüht -
Wie Magier Sonne Unterholz
Mit Zunder überzieht -

Wie alte Türme Scharlach schenken
Bis der Ball ist voll -
Hab ich die Lippen des Flamingo
Dass ich davon erzähl?

Dann‚ wie das Feuer wogt und ebbend
Hinwellt übers Grün
Mit einem letzten - Saphirzeichen -
Wie eine Herzogin -

Wie leichtes Düstern übers Dorf zieht
Bis Häuser sind ein Fleck
Und in den Straßen Fackeln schimmern,
Die keine Hand dort trägt -

Wie’s nachtet jetzt - in Heim und Höhle -
Und wo der Wald stand einst -
Sich rundgewölbt ein Abgrund öffnet
In die Einsamkeit -

Diese Bilder flohen Guido -
Tizian - schwieg davon -
Domenichino warf den Stift hin -
War gelähmt, von Gold -
[327]


How noteless Men, and Pleiads, stand
Until a sudden sky
Reveals the fact that One is rapt
Forever from the eye -

Memhers of the Invisible,
Existing, while we stare,
In Leagueless Opportunity,
O’ertakeless, as the Air -

Why did’nt we detain Them?
The Heavens with a smile,
Sweep by our disappointed Heads,
Without a syllable -
Wie unbemerkt stehn Mensch, und Stern
Da offenbart der Himmel
Per Handstreich, dass uns Einer fehlt
Dem Aug geraubt für immer -

Die Mitglieder des Unsichtbaren,
Sind, wie wir starren, da
In Meilenloser Möglichkeit
Wie Luft, nicht einholbar -

Wir hielten sie nicht auf - warum?
Die Himmel lächeln milde,
Wehn uns um die enttäuschten Köpfe,
Ohne eine Silbe -
[342]

A possible portrait of Emily Dickinson
This World is not conclusion.
A Species stands beyond -
Invisible, as Music -
But positive, as Sound -
It beckons‚ and it baffles -
Philosophy, dont know -
And through a Riddle, at the last -
Sagacity, must go -
To guess it‚ puzzles scholars -
To gain lt, Men have borne
Contempt of Generations
And Crucifixion, shown -
Faith slips - and laughs, and rallies -
Blushes, lf any see -
Plucks at a twig of Evidence -
And asks a Vane, the way -
Much Gesture, from the Pulpit -
Strong Hallelujahs roll -
Narcotics cannot still the Tooth
Than nibbles at the soul -
Die Welt ist nicht der Schluss.
Weil drüben Etwas wohnt
Unsichtbar, wie Musik -
So wirklich, wie ein Ton -
Das winkt und nasführt uns -
Philosophie, weiß nichts -
Und durch ein Rätsel muss hindurch
Am Ende - auch der Witz -
Es raten, macht Gelehrte wirr -
Es zu ergreifen, trug
So mancher der Geschlechter Hohn
Das Mal der Kreuzigung -
Der Glaube rutscht - lacht, sammelt sich -
Wird rot, wenn’s einer sah -
Zupft an dem Zweig der Evidenz -
Geht nach der Wetterfahn -
Gefuchtel, von der Kanzel -
Macht Hallelujas stark -
Kein Opium bringt den Zahn zur Ruh
Der an der Seele nagt -
[373]


I had been hungry, all the Years -
My Noon had Come - to dine -
I trembling drew the Table near -
And touched the Curious Wine -

'Twas this on Tables I had seen -
When turning, hungry, Home
I looked in Windows, for the Wealth
I could not hope - for Mine -

I did not know the ample Bread -
'Twas so unlike the Crumb
The Birds and I, had often shared
In Nature’s - Dining Room -

The Plenty hurt me - ’twas so new -
Myself felt ill - and odd -
As Berry - of a Mountain Bush -
Transplanted - to the Road -

Nor was I hungry - so I found
That Hunger - was a way
Of persons Outside Windows -
The entering - takes away -
Ich hatte Hunger, all die Jahre -
Doch nun - mein Mittag kam -
Den Tisch zog bebend ich heran
Nahm vom Speziellen Wein -

’s war der, den aufgetischt ich sah -
Wenn ich ging hungrig Heim
In Fenster spähend, nach dem Reichtum
Der niemals würde - Mein -

Brotüberfluss - das kannt ich nicht
Ich kannte Krümel nur
Die mit den Vögeln ich geteilt
Am Esstisch - der Natur -

Die Fülle tat mir weh - war neu -
Krank fühlt ich mich - bizarr -
Verpflanzt auf Straßen wie die Beere
Die einst Gebirgsbusch war -

War auch nicht hungrig - und ich fand
Dass Hunger etwas war
Das Leute nur vor Fenstern kriegen -
Beim Reingehn - nicht mehr da -
[439]

Another possible portrait of Emily Dickinson
I dwell in Possibility -
A fairer House than Prose -
More numerous of Windows -
Superior - for Doors -

Of Chambers as the Cedars -
Impregnable of eye -
And for an everlasting Roof
The Gambrels of the Sky -

Of Visitors - the fairest -
For Occupation - This -
The spreading wide my narrow Hands
to gather Paradise -
Ich wohne in der Möglichkeit -
Und nicht im Prosahaus -
Sie ist an Fenstern reicher -
Hat Türen - übergroß -

Und Zimmer wie die Zedern -
Von keinem Blick durchschaut -
Als ewges Dach der Himmel
Die Giebel drüber baut -

Besuch - der allerschönste -
Beschäftigung - nur Dies -
Ich spreiz die schmalen Hände weit
Und fass das Paradies -
[466]


Because I could not stop for Death -
He kindly stopped for me -
The Carriage held but just Ourselves -
And Immortality.

We slowly drove - He knew no haste
And I had put away
My labor and my Ieisure too,
For His Civility -

We passed the School, where Children strove
At Recess - in the Ring -
We passed the Fields of Gazing Grain -
We passed the Setting Sun -

Or rather - He passed Us -
The Dews drew quivering and Chill -
For only Gossamer, my Gown -
My Tippet - only Tulle -

We paused before a House that seemed
A Swelling of the Ground -
The Roof was scarcely visible -
The Cornice - in the Ground -

Since then - ’tis Centuries - and yet
Feels shorter than the Day
I first surmised the Horses’ Heads
Were toward Eternity -
Weil ich belm Tod nicht halten konnt -
Stand freundlich er bereit -
Die Kutsche trug Uns beide nur -
Und die Unsterblichkeit -

Gemächlich ging's - Ihm eilt es nicht -
Und ich tat ab von mir
Mein Mühen und mein Müßiggehn,
Da Er so höflich war -

Am Schulhof, wo die Kinderschar
In Pausenspielen - rang -
Vorbei - es Starrt das Korn - vorbei -
Am Sonnenuntergang -

Vielmehr - Der ging an Uns vorbei -
Der Tau ?el schaudernd Kühl -
Nur ein Gespinst war mein Gewand -
Mein Umhang - bloß aus Tüll -

Wir machten Halt vor einem Haus
Das wölbte sich im Grund -
Das Dach war kaum zu sehn - Gesims -
Lag tief schon unterm Grund -

Jahrhunderte ist’s her - und scheint
Doch kürzer als die Zeit
Da ich drauf kam - die Pferdeköpfe
Sehn Richtung Ewigkeit -
[479]

Handwriting manuscript of Emily Dickinson
 of her poem "Wild nights, wild nights".
A precious - mouldering pleasure - ’tis -
To meet an Antique Book -
In just the Dress his Century wore -
A privilege - I think -

His venerable Hand to take -
And Warming in our own -
A passage back - or two - to make -
To Times when he - was young -

His quaint opinions - to inspect -
His thought to ascertain
On Themes concern our mutual mind -
The Literature of Man -

What interested Scholars - most -
What Competitions ran -
When Plato - was a Certainty -
And Sophocles - a Man -

When Sappho - was a living Girl -
And Beatrice wore
The Gown that Dante - deified -
Facts Centuries before

He traverses - familiar -
As One should come to Town -
And tell you all your Dreams - were true -
He lived - where Dreams were born -

His presence is enchantment -
You beg him not to go -
Old Volumes shake their Vellum Heads
And tantalize - just so -
Ein kostbar - modriges Vergnügen -
Zu sehn ein Altes Buch -
Im Kleid seines Jahrhunderts -
Ein Privileg - denk ich -

Die ehrwürdige Hand zu fassen -
Dass unsre sie erwärmt -
Und ein - zwei Rückreisen zu tun -
In seine Jugendzeit -

Sein kurioses Urteil - prüfen -
Sein Denken zu erkunden
Zu Themen die uns alle angehn -
Die Literatur des Menschen -

Was die Gelehrten fesselte -
Was für ein Wettkampf lief -
Als Plato sichre Größe - und
Ein Mann war - Sophokles -

Als Sappho - junges Mädchen war -
Und Beatrice getragen
Das Kleid das Dante - heilig sprach -
Stoff von viel hundert Jahren

Durchquert das Buch - vertraut -
Als käme Einer her -
Der lebte - als das Träumen aufkam -
Und nennt dein Träumen - wahr -

Seine Präsenz ist magisch -
Du bittest ihn - so bleib -
Den Pergamentkopf schütteln Bücher
So - foltert uns ihr Reiz -
[569]


The Way l read a Letter's - this -
'Tis first - I lock the Door -
And push it with my fingers - next -
For transport it be sure -

And then I go the furthest off
To counteract a knock -
Then draw my little Letter forth
And slowly pick the lock -

Then - glancing narrow, at the Wall -
And narrow at the floor
For firm Conviction of a Mouse
Not exorcised before -

Peruse how infinite I am
To no one that You - know -
And sigh for lack of Heaven - but not
The Heaven God bestow -
Auf die Art les ich einen Brief -
Den Riegel schieb ich erst -
Dann - um Transport und Rausch zu sichern -
Wird nochmals nachgefasst -

Dann lauf ich fort so weit es geht -
Vergeblich einer klopft -
Zieh meinen Brief vor, langsam wird
Das Siegel aufgezupft -

Dann - inspiziere ich den Boden -
Erforsche auch die Wand -
Und bin gewiss - hier hat man eine
Maus noch nicht verbannt -

Dann les ich, les wie grenzenlos
Ich bin für - Unbekannt -
Dem Himmel seufz ich nach - doch nicht
Nach dem, den Gott bewohnt -
[700]

One of Emily Dickinson's poems
 written on an envelope.
As imperceptibly as Grief
The Summer lapsed away -
Too imperceptible at last
To seem like Perfidy -
A Quietness distilled
As Twilight long begun,
Or Nature spending with herself
Sequestered Afternoon -
The Dusk drew earlier in -
The Morning foreign shone -
A courteous, yet harrowing Grace,
As Guest, that would be gone -
And thus, without a Wing
Or Service of a Keel
Our Summer made her light escape
Into the Beautiful -
Unmerklich wie ein Kummer
Schlich sich der Sommer fort -
Zu unmerklich zuletzt als dass
Es aussah wie Verrat -
Ruh tröpfelte herab
Diffus war längst das Licht,
Eh die Natur den Nachmittag
Beschlagnahmte für sich -
Die Dämmerung kam früher -
Fremd schien die Morgenhelle -
Anmutig höflich, quälerisch,
Ein Gast, schon auf der Schwelle
Und so, ganz ohne Kiel
Und ohne eine Schwinge
Entwischte uns der Sommer sacht -
Auf seinem Weg ins Schöne -
[935]


The last Night that She lived
It was a Common Night
Except the Dying - this to Us
Made Nature different

We noticed smallest things -
Things overlooked before
By this great light opon our minds
Italicized - as 'twere.

As We went out and in
Between Her final Room
And Rooms where Those to be alive
Tomorrow, were, a Blame

That others could exist
While She must finish quite
A Jealousy for Her arose
So nearly infinite -

We waited while She passed -
It was a narrow time -
Too jostled were Our Souls to speak
At length the notice came.

She mentioned, and forgot -
Then lightly as a Reed
Bent to the Water, struggled scarce -
Consented, and was dead -

And We - We placed the Hair -
And drew the Head erect -
And then an awful leisure was
Belief to regulate
Die letzte Nacht in Ihrem Leben
War wie jede Nacht
Nur dass Sie starb und das hat alles
Ungewohnt gemacht

Uns fiel Geringstes auf
Sonst übersehn, und jetzt
Schien’s durch dies Schlaglicht im Gemüt
Als wär's kursiv gesetzt.

Wie man ging aus und ein
Von Ihrem letzten Raum
In Zimmer, drin die Lebenden
Von Morgen wärn, da kam

Ein Vorwurf auf, dass andere
Noch lebten wenn Sie stirbt
Und Neid auf Sie, die nun schon fast
Im Grenzenlosen weilt -

Wir warteten, Sie glitt davon -
Die Zeit war nun beengt -
Die Seel für Worte zu bedrängt
Da endlich kam der Wink.

Sie sprach von etwas, und vergaß -
Danach Sie leicht sich bog
Wie Schilf zum Wasser, kampflos fast -
Ergab sich und war tot -

Und Wir - Wir ordneten ihr Haar -
Und reckten ihr das Haupt -
Dann kam der schlimme Zeitvertreib,
Zu ordnen was man glaubt -
[1100]

Cover of the first edition of Poems,
published in 1890
The Mountains stood in Haze -
The Valleys stopped below
And went or waited as they liked
The River and the Sky.

At leisure was the Sun -
His interests of Fire
A little from remark withdrawn -
The Twilight spoke the Spire.

So soft opon the Scene
The Act of evening fell
We felt how neighborly a thing
Was the Invisible.
Die Berge standen still im Dunst
Die Täler hielten unten
Nach Gusto strömten Wolke, Fluss
Und legten sich zur Ruhe.

Die Sonne hatte frei -
Ihr feuriger Gewinn
War unsrer Achtung schon entzogen -
Im Zwielicht scharf der Turm.

So weich auf diese Bühne sank
Der Akt des Abends nun
Wir spürten wie das Unsichtbare
Als Nachbar uns empfing.
[1225]


Tell all the truth but tell it slant -
Success in Circuit lies
Too bright for our infirm Delight
The Truth’s superb surprise
As Lightning to the Children eased
With explanation kind
The Truth must dazzle gradually
Or every man be blind -
Sag Wahrheit ganz, doch sag sie schräg -
Erfolg liegt im Umkreisen
Zu strahlend tagt der Wahrheit Schock
Unserem Begreifen
Wie Blitz durch freundliche Erklärung
Gelindert wird dem Kind
Muss Wahrheit sachte blenden
Sonst würde jeder blind -
[1263]

Emily Dickinson's bedroom, with her white dress on a mannequin. [From the Emily Dickinson Museum].
To flee from memory
Had we the Wings
Many would fly
Inured to slower things
Birds with surprise
Would scan the cowering Van
Of men escaping
From the mind of man
Vor dem Gedächtnis fliehn
Gäb’s dafür Schwingen
Flögen wohl viele fort
Gewöhnt an dumpfre Dinge
Und Vögel prüften
Die geduckte Vorhut überrascht
Der Menschheit, die dem
Menschengeist entwischt
[1343]


I do not care - why should I care
And yet I fear I'm caring
To rock a fretting truth to sleep -
Is short security
The terror it will wake
Persistent as perdition
Is harder than to face
The frank adversity -
Mich kümmert's nicht - warum denn auch
Ich fürcht mich kümmert's doch
’ne schlimme Wahrheit einzuschläfern -
Gibt Sicherheit nur kurz
Der Schrecken dass sie aufwacht
Und bleibt wie ein Ruin
Ist ärger als der Widrigkeit
Direkt ins Auge sehn -
[1534]

Emily Dickinson commemorative stamp,
 US, 8 cent from 1971
Those - dying then,
Knew where they went -
They went to God's Right Hand -
That Hand is amputated now
And God cannot be found -

The abdication of Belief
Makes the Behavior small -
Better an ignis fatuus
Than no illume at all -
Die damals starben,
Wussten wohin's ging -
Zu Gottes Rechter Hand -
Doch jene Hand ist amputiert -
Von Gott sich nichts mehr fand -

Die Abdankung des Glaubens
Macht das Verhalten klein -
Besser als ein totales Dunkel
Mag da ein Irrlicht sein -
[1581]


To make a prairie it takes a clover and one bee,
One clover, and a bee,
And revery.
The revery alone will do,
If bees are few.
Für eine Wiese braucht es Klee und Bienen,
Je eins von ihnen,
Und Träumerei.
Die Träumerei tut’s auch allein,
Bei wenig Bienen.
[1779]


Alle erhaltenen 1789 Gedichte von Emily Dickinson (1830-1886) wurden in der zweisprachigen Ausgabe "Sämtliche Gedichte", übersetzt von Gunhild Kübler, 2015 im Carl Hanser Verlag München, veröffentlicht (ISBN 978-3-446-24730-7), womit erstmals eine amerikanisch-deutsche Gesamtausgabe vorliegt. Als Textgrundlage hat die Übersetzerin Franklins "Reading Edition" herangezogen. ("The Poems of Emily Dickinson. Reading Edition." Hrg. Ralph W. Franklin, Mass.: Harvard University Press, 1999).

Die ausgewählten Gedichte erscheinen hier in der Chronologie ihrer Entstehung - mit der Ausnahme des letzten, das nicht datiert werden konnte. (Dies erklärt auch den Titel "17 Gedichte, und eines"). "Wie bei Franklin sind Dickinsons Orthografie und Interpunktion beibehalten und ihre Gedankenstriche einheitlich gesetzt, egal wie lang, kurz, eckig, hoch oder tiefgelegt sie in den Manuskripten erscheinen." (G. Kübler).

The Emily Dickinson Museum comprises two historic houses in the center of Amherst, Massachusetts associated with the poet Emily Dickinson and members of her family during the nineteenth and early twentieth centuries. The Homestead was the birthplace and home of the poet Emily Dickinson. The Evergreens, next door, was home to her brother Austin, his wife Susan, and their three children.


Und es hat noch mehr ausgewählte Musik in der Kammermusikkammer:

Turina | Zilcher | Dvorák: Klaviertrios | Ein Paradies fürs Auge: Gartendarstellungen auf Tapisserien der Renaissance

Béla Bartók: Sonate Violine Solo + Violinsonate Nr 1 | Jaroslav Hašek: Schwejk als Offiziersdiener bei Oberleutnant Lukasch

Gabriel Fauré: Die Klaviermusik in 4 CDs | Arthur Schopenhauer: Über die Freiheit des Willens

Max Bruch: Werke für Klarinette und Viola | Dame Edith Sitwell: Gedichte aus ›Façade‹

Heinrich Ignaz Franz von Biber: Die Rosenkranz-Sonaten | Die Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches

Johann Heinrich Schmelzer: Sonatae unarum fidium, seu a violino solo | Max Liebermann: Über Edgar Degas



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