25. November 2019

Kurt Weill / Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (Aufführung 1968)

Gleich nach der Uraufführung im Jahre 1928 erfaßte ein wahrer Dreigroschenoper-Taumel Berlin, und bald darauf das ganze Land, dem erst die Nazis 1933 ein gewaltsames Ende setzten. Den Text zum Werk hatte Bert Brecht beigesteuert, und sich dabei "The Beggar's Opera" von Gay/Pepusch bedient, die exakt zweihundert Jahre zuvor, 1728, in London uraufgeführt wurde. Zudem hatte er Gedichte von Francois Villon, einem spätmittelalterlichen französischen Dichter, ins Deutsche übersetzt und in seinen Text eingebaut. Brechts Formulierungskraft war großartig, und Kurt Weill hatte dazu Melodien erfunden, die an Einprägsamkeit nicht zu überbieten sind. Mit seinen "Songs", einem Verschnitt zwischen Schlager und Moritat, schuf er einen neuen Typus der Form, mit der sich Operettenhaftes und Parodistisches bestens verbinden ließ. Die Moritat von Mackie Messer, die zu Anfang und zum Schluß des Werks erklingt, wurde zu einem Weltevergreen. Das Stück war als Anklage gegen die kapitalistische Gesellschaft der "goldenen" zwanziger Jahre gedacht und sollte gleichzeitig einen neuen Musiktypus begründen, der von der damals noch vorherrschenden "klassischen Operette" zu den Musicals unserer Zeit einen Bogen spannte.

Zur Aufführung 1968

Zur Legende der "Dreigroschenoper" gehört - neben dem turbulenten Verlauf der Proben für die Uraufführung - ihr verschlungener Weg durch die Schallplattengeschichte. Bis 1968, also bis vierzig Jahre nach der Berliner Premiere, sollte es dauern, bis die erste vollständige Fassung auf Platte erscheinen konnte, sowohl mit den Dialogen als auch mit den Songs. Die musikalische Leitung lag in Händen eines damals noch wenig bekannten Mannes: James Last. Ihm zur Seite stand ein Ensemble, das sich ebenso aus renommierten wie aus damals noch unbekannten Größen zusammensetzte. Man trifft nicht, wie gelegentlich in späteren Jahren, auf große Opernstimmen; man trifft ebenso wenig auf reine Revue-Sänger. Es ist vielmehr eine Melange aus echten Sing-Schauspielern: Helmut Qualtinger als Peachum und als dessen Gattin Berta Drews, Ehefrau von Heinrich George und Mutter von Götz. Karin Baal, die als "blonde Rebellin" den Zeitgeist der 50er und 60er Jahre verkörperte, sang und spielte Polly, Martin Held trat als Londons oberster Polizeichef auf, Dr. jur. Franz Josef Degenhardt, als Liedermacher eine der führenden Stimmen der 68er-Bewegung, übernahm die Rolle des Moritatensängers. Ein Jux am Rande: Als Ansager fungierte Deutschlands damals prominentester Nachrichtensprecher, Karl-Heinz Köpke. So entstand eine Aufnahme für den Platten-Hörer; daher wurde auf einige wenige bühnenrelevante Passagen verzichtet; es war eine Aufnahme, die in der Presse ein breites Echo fand, von entrüsteter Ablehnung bis enthusiastischer Begeisterung; eine Aufnahme, die niemanden kalt lassen wollte und konnte. In Brechts 50. Todesjahr [2006] ist diese Aufnahme dem Dornröschen-Schlaf in den Polydor-Archiven entrissen und dem Publikum nach digitalem remastering in neuem Klanggewand zugänglich gemacht worden. An der Aktualität des Werkes gibt es nichts zu deuteln. Für James Last hat Brechts und Weills Gemeinschaftsproduktion nach wie vor einen hohen Stellenwert: "Beide werden immer ihren Platz in den Kulturlandschaften haben müssen. Alleine dafür müssen wir allen jungen Interpreten dankbar sein, die immer wieder für neue Aufführungen sorgen.“

Quelle: Die Dreigroschenoper: Gesamtaufnahme Audio-CD – Hörbuch, 2006

TRACKLIST

Kurt Weill (1900-1950)
Bertolt Brecht (1898-1956)

Die Dreigroschenoper
Theaterstück mit Musik


(01) Vorspiel                                          2:12

(02) Die Moritat von Mackie Messer                     3:38
     (Moritatensänger)

(03) Morgenchoral des Peachum                          1:04
     (Peachum)

(04) Der Anstatt-Dass-Song                             1:49
     (Peachum und seine Frau)

(05) Bill Lawgen und Mary Syer                         0:41
     (Chor)

(06) Die Seeräuber-Jenny                               3:46
     (Polly Peachum)

(07) Der Kanonensong                                   2:31
     (Brown / Mackie Messer)

(08) Siehst du den Mond über Soho                      1:36
     (Polly Peachum / Mackie Messer)

(09) Einst glaubte ich, als ich noch unschuldig war    4:45
     (Polly Peachum)

(10) Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit           2:15
     (Frau Peachum)

(11) Erstes Dreigroschenfinale: Über die Unsicherheit 
     menschlicher Verhältnisse                         3:37
     (Polly Peachum / Peachum / Frau Peachum)

(12) Hübsch als es währte - Die Liebe dauert oder 
     dauert nicht                                      1:21
     (Polly Peachum / Mackie Messer) 

(13) Die Zuhälterballade                               4:28
     (Mackie Messer / Spelunken-Jenny)

(14) Die Ballade vom angenehmen Leben                  2:44
     (Mackie Messer)

(15) Eifersuchtsduett                                  1:10
     (Polly Peachum / Lucy Brown)

(16) Zweites Dreigroschenfinale: Erst kommt das Fressen, 
     dann kommt die Moral                              3:36
     (Moritatensänger / Spelunken-Jenny / Chor)

(17) Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit, 2. Teil  1:08
     (Frau Peachum)

(18) Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen 
     Strebens                                          1:34
     (Peachum)

(19) Salomo-Sonq                                       3:23
     (Spelunken-Jenny)

(20) Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte 
     leistet                                           3:54
     (Mackie Messer)

(21) Drittes Dreigroschenfinale: Verfolgt das Unrecht 
     nicht zu sehr                                     5:54
     (Polly Peachum / Frau Peachum / Spelunken-Jenny /
     Mackie Messer / Brown / Peachum / Chor)

(22) Die Moritat von Mackie Messer (Schluss)           1:24
     (Moritatensänger)

                                      Gesamtspielzeit 58:30


Jonathan Jeremiah Peachum, Besitzer der Firma Bettlers Freund:
Helmut Qualtinger
Celia Peachum, seine Frau: Berta Drews
Polly Peachum, seine Tochter: Karin Baal
Macheath, genannt Mackie Messer: Hannes Messemer
Brown, oberster Polizeichef von London: Martin Held
Lucy seine Tochter: Sylvia Anders
Spelunken-Jenny: Hanne Wieder
Filch, ein Bettler: Hans Clarin
Moritatensänger: Franz-Josef Degenhardt
Ansager: Karl-Heinz Köpke
Musikalische Leitung: James Last

Aufnahme: 1968  Publikation: 2000


Heinrich Tietze:

DAS GROSSE FERMATSCHE PROBLEM

Buchdeckel der von Pierre de Fermats Sohn Clément-Samuel veröffentlichten
 Version der Arithmetica des Diophantos von 1670 mit den Bemerkungen
 seines Vaters. [Quelle]
Es gibt sehr alte mathematische Probleme, von denen in ziemlich weiten Kreisen zwar nicht immer eine klare Vorstellung herrscht von denen aber bekannt war, daß sie noch ungelöst seien und von denen geglaubt wurde, daß irgendwo ein Preis für ihre Lösung ausgeschrieben sei. Hierher gehört vor allem das Problem der Quadratur des Kreises, ebenso das der Dreiteilung eines Winkels; und man stößt auch heute noch hie und da auf Leute, die hier noch an Lösungen glauben, die man nur entdecken müsse, und an Preise, die man erwerben könne. Keineswegs so alt wie die genannten geometrischen Konstruktionsprobleme aus dem Altertum ist nun ein Problem, das uns der französische Mathematiker Fermat (1607-1665) hinterlassen hat. Und das Unglück, das hier geschehen ist, bestand darin, daß tatsächlich von einem für die Förderung der Wissenschaft begeisterten Mann, der sich selbst mit dem Problem befaßt hatte, — es war dies Dr. Paul Wolfskehl in Darmstadt — im Jahr 1908 ein Preis von 100.000 Mark gestiftet wurde; was nun zur Folge hatte, daß bei einer ungezählten Menge von Unberufenen der Entdeckertrieb erwachte und von vermeintlichen, mit Fehlern und Mißverständnissen behafteten Lösungen eine wahre Sintflut entstand, die erst wieder verebbt ist, seit der vor dem Krieg (nämlich vor 1914) in Papier-Mark hinterlegte Preis zugleich mit so vielen anderen Stiftungen durch die Inflation entwertet war. […]

Wir beginnen mit den Quadratzahlen 12, 22, 32, ... und fragen, ob es möglich ist, daß die Summe zweier Quadratzahlen wieder eine Quadratzahl ist. Immer wird die Summe zweier Quadratzahlen ja nicht wiederum eine Quadratzahl sein. Beispielsweise ist 12 + 22 = 1 + 4 = 5 keine Quadratzahl; ebensowenig ist es 12 + 32 = 1 + 9 = 10, oder auch 22 + 32 = 4 + 9 = 13. Aber vorkommen kann es schon, wie man am Beispiel 32 + 42 = 9 + 16 sieht, wo die Summe 25 = 52 selbst eine Quadratzahl ist. Die Antwort auf unsere Frage fällt also bejahend aus, und wenn man sich noch ein wenig umtut, dann findet man noch mehr Beispiele, wie 52 + 122 = 25 + 144 = 169 = 132 oder 152 + 82 = 225 + 64 = 289 = 172. Man hat sogar — u. zw. schon im Altertum — eine vollständige Übersicht über alle möglichen solchen Fälle, deren es unendlich viele gibt, in Gestalt einer einfachen Formel sich verschaffen können.

Diese Seite der Arithmetica von 1670 enthält
Pierre de Fermats Randbemerkung. [Quelle]
Wir gehen nunmehr über zur dritten Zeile unserer tabellarischen Zusammenstellung, wo alle dritten Potenzen der natürlichen Zahlen (die „Kubikzahlen“) verzeichnet zu denken sind. Und wiederum fragen wir: Kann es vorkommen, daß die Summe zweier Kubikzahlen wieder eine Kubikzahl ist? Hier kann ich Ihnen nun mit keinem Beispiel aufwarten. Denn es hat noch niemand ein Beispiel dafür gefunden,
daß für drei natürliche Zahlen x, y, z die Gleichung

x3 + y3 = z3

erfüllt wäre, obwohl mit der Frage, die ja im Anschluß an die Quadratzahlen recht nahe liegt, schon viele, denen die Neigung zum Basteln und Grübeln im Reich der ganzen Zahlen innewohnt, sich abgegeben haben. Die Vergeblichkeit des Suchens nach einer Lösung der Gleichung x3 + y3 = z3 in drei natürlichen Zahlen x, y und z ließ nun bei manchem Mathematiker den Verdacht entstehen, es möchte überhaupt gar keine solchen Zahlen geben, was ja der einfachste Grund sein würde, daß man bis jetzt keine Lösung fand. Und so hat denn — wie man einer Schrift entnimmt, die den Scheich Abu Dschafar Muhamed Ibn Allusain zum Verfasser hat — bereits der arabische Astronom und Mathematiker Alhogendi um 970 einen — wenn auch nicht ausreichenden — Versuch gemacht, einen Beweis für die Unlösbarkeit der Gleichung x3 + y3 = z3 in natürlichen Zahlen x, y, z zu geben. Auch bei dem persischen Mathematiker Beha Eddin (geb. 1547, gest. 1622 in Ispahan) kehrt die Angabe wieder, die Gleichung sei unlösbar.

Was bei den dritten Potenzen vergeblich gesucht worden war, mißlang auch bei den vierten Potenzen; nämlich zwei vierte Potenzen von natürlichen Zahlen zu finden, deren Summe wieder eine solche vierte Potenz ist: Auch Lösungen der Gleichung

x4 + y4 = z4

in natürlichen Zahlen x, y, z schienen nicht zu existieren oder allenfalls nur in so hohen Zahlbereichen, daß sie sich den naturgemäß mit nicht ganz großen Zahlen gemachten rechnerischen Versuchen entzogen. […]

Pierre de Fermat (1607-1665).
Kupferstich von François de Poilly (1623-1693). [Quelle]
Aber wie dem auch sei, so mochte wohl schon vor Fermat der eine oder andere Mathematiker die Mutmaßung gehabt haben, daß auch für größere Exponenten n (also für n = 5, n = 6, n = 7, usw.) die Gleichung

xn + yn = zn

keine Lösung in natürlichen Zahlen x, y, z habe.

Was aber die ganze Problemstellung dauernd mit dem Namen Fermats verknüpft hat, war der Umstand, daß er, der zu den angesehensten Mathematikern seiner Zeit zählte, behauptet hat, er besitze einen Beweis für die Unlösbarkeit aller Gleichungen von der eingeschriebenen Gestalt, das ist also für alle Exponenten n von n = 3 aufwärts. Mit dieser Behauptung, nicht zuletzt mit der ganzen Art, wie so manche seiner Entdeckungen bekanntgeworden sind, hat es nun eine eigene Bewandtnis.

Seines großen Zeitgenossen und Rivalen René Descartes (1596 bis 1650), der in Europa kreuz und quer herumgekommen, schließlich, kurz nach seiner Ankunft am Hof der Königin Christine erst mit dem Tode Ruhe fand, haben wir in der III. Vorlesung gedacht. Wie ganz anders — fernab von den religiös-politischen und kriegerischen Kämpfen der Zeit des 30jährigen Krieges — verlief das Leben Pierre de Fermats, der am 17. August 1601 in dem kleinen Ort Beaumont de Lomagne bei Toulouse geboren, nur ganz selten aus Toulouse und seiner Umgebung herauskam; hier die Rechtswissenschaften studiert hatte, als er 1631 Parlamentsrat wurde, bald darauf sich verheiratete, in den folgenden Jahren geadelt wurde und am 12. Januar 1665 in Castres starb. Aber welche Fülle neuer Gedanken auf den verschiedensten Gebieten der Mathematik finden wir bei diesem Mann, dessen Tagesarbeit durch die regelmäßige Verwaltungstätigkeit seiner Vaterstadt in Anspruch genommen war! Fragen, die wir seit Newton (1643-1727) und Leibniz (1646-1716) mit dem systematisch durchgebildeten Rechenverfahren der Differential- und Integralrechnung erledigen, wurden schon damals von erfindungsreichen Mathematikern mit eigenen Methoden behandelt; und so wie Descartes hat hier Fermat Bedeutsames in der Lösung einzelner, speziell geometrischer Fragen, u. zw. mit einer genial gehandhabten Methode für Maximum- und Minimum-Probleme geleistet. Und wenn wir mit dem berühmten, 1637 erschienenen Buch „Géométrie“ von Descartes den Beginn einer „analytischen Geometrie“ datieren, so hatte gleichwohl auch Fermat‚ wie aus seinem Briefwechsel mit anderen Gelehrten nachweisbar ist, ganz unabhängig die Grundgedanken der analytischen Geometrie entwickelt, wenn er auch in keiner Weise die Priorität der Veröffentlichung Descartes bestreitet.

Marin Mersenne (1588-1648).
Kupferstich von P. Dupin, 1765. [Quelle]
Noch war übrigens damals die Art, wie neue Ergebnisse der Fachwelt bekannt gemacht wurden, sehr verschieden von der heute üblichen, wo (zumindest in Friedenszeit) anerkannten Verfassern zur Drucklegung ihrer Manuskripte die Auswahl offensteht zwischen mannigfachen regelmäßig erscheinenden Fach- und Akademiezeitschriften, die es alle damals noch nicht gab. Auch erinnern wir uns aus den Streitigkeiten um die sogenannte Cardanische Formel für Gleichungen 3. Grades der Gepflogenheit, eigene Lösungen einer Frage zurückzuhalten und vorerst die fachliche Konkurrenz zur Lösung herauszufordem — eine Gepflogenheit, die noch zwei Generationen nach Fermats Zeit in einem weithin bekanntgewordenen Streit der verfeindeten Brüder Jakob und Johann Bernoulli lebendig war. Dabei wurde die Verbindung mit der Fachwelt — auch des Auslands — durch einen Briefwechsel hergestellt, der bei Fermat zumeist über gewisse Mittelspersonen geleitet wurde, wie den Minoritenpater Mersenne (1588-1648) in Paris (zeitweise auch im Kloster von Nevers), einen Mann von überaus großem wissenschaftlichem Bekanntenkreis. Aber auch in direktem Briefwechsel beschränkte man sich auf Mitteilungen von Resultaten und verschwieg den Weg, der zu ihnen führte. Und wie man bei Reisen oder in einsamen Gasthöfen hinsichtlich des Reisegepäcks, so fühlte sich der Gelehrte nicht sicher vor räuberischen Zugriffen nach seinem geistigen Eigentum, wie sie dadurch, daß die wissenschaftlichen Mitteilungen nicht sofort der gesamten Fachwelt unterbreitet werden konnten, möglich wurden und tatsächlich vorgekommen sind — als dunkle Flecken auf dem Charakter einzelner Forscher. Auch zwischen Fermat und Descartes, welch letzterer in Leyden wohl etwas bessere Gelegenheit zur Drucklegung hatte, gab es einmal durch unliebsame Indiskretionen eines Dritten mit den Druckbogen einer optischen Untersuchung eine Trübung, die aber dann durch einen an Descartes gerichteten Brief von Fermat behoben und in äußerst höflichen Formen beigelegt wurde.

Auf dem Gebiet der Algebra, von dem Descartes’ Buch „Géométrie“ mehr enthält, als der Titel verrät, mag man Descartes den Vorrang vor den ebenfalls nicht unbedeutenden Leistungen Fermats geben. Unbestritten aber steht auf dem Gebiet, zu dem unsere oben besprochene Frage über die Gleichungen xn + yn = zn gehört, und das wir heute als Zahlentheorie bezeichnen, Fermat an der Spitze nicht nur seiner Zeitgenossen, sondern geradezu weithin auf einsamer Höhe. Aber in sehr eigenartiger Weise ist gerade auf diesem Gebiet sein großer schöpferischer Gedankenreichtum auf uns gekommen.

Leonhard Euler (1707-1783).
Pastel von Jakob Emanuel Handmann, 1753  [Quelle]
Hier müssen wir in die Zeit der altgriechischen Mathematiker zurückgreifen, um den genialen Meister der Zahlentheorie zu finden, an den Fermat anknüpft: Diophantos von Alexandria. Das berühmte Werk „Arithmetisches“ Diophants enthält in seinem ersten Teil eine Art Vorlesung über die Elemente der Algebra, wie wir heute sagen würden, wobei eine — von den heutigen Formen des Buchstabenrechnens äußerlich natürlich abweichende — aber schon überaus systematische Bezeichnungsweise algebraischer Ausdrücke eingeführt wird. Ein zweiter Teil enthält eine große Anzahl von Einzelaufgaben und die an manche von ihnen angeschlossenen allgemeinen Aussagen stellen bedeutsame Ergebnisse eben jenes Teils der Mathematik dar, den man nunmehr als Zahlentheorie bezeichnet. In welchem Ausmaß das Werk, das seiner Einleitung nach 13 Bücher umfassen sollte, unvollständig auf uns gekommen ist und was es ursprünglich noch enthalten haben mag, darüber haben Geschichtsforscher unserer Wissenschaft mancherlei Überlegungen angestellt. […] Aus Angaben bei anderen Schriftstellern muß man oft versuchen, Fehlendes zu ergänzen.

Über Diophant selbst erfährt man zwar aus einem — im Sinn seiner eigenen Aufgaben verfaßten — hübschen Rätselgedicht), daß er 84 Jahre alt wurde; aber außer den wenigen Angaben über Frau und Kind, die hinein verwoben sind, weiß man eigentlich nur, daß er in Alexandria gewirkt hat, nicht aber wann; und es bleibt Mutmaßung, er sei Zeitgenosse des 361-363 n. Chr. regierenden römischen Kaisers Julian Apostata gewesen.

Wir überspringen nun rund 13 Jahrhunderte — vielleicht noch mehr — von der Abfassung des Diophantschen Werkes bis zu seiner ersten gedruckten Herausgabe im Jahre 1621. Und es ist ein Exemplar dieser Ausgabe, das eine besondere Bedeutung gewinnen sollte: dasjenige, das Fermat in Händen hatte. Auf den verschiedensten Seiten machte er Randbemerkungen, die tiefliegende, neue zahlentheoretische Erkenntnisse enthielten, ohne Angabe von Beweisen, wie er sie wohl manchmal anderwärts veröffentlicht hat. Raschen Publikationen waren ja weder die äußeren Umstände günstig, von denen wir schon kurz gesprochen haben und wozu wohl auch die berufliche Beanspruchung als Parlamentsrat zu rechnen ist, noch entsprachen sie den im Geist der Zeit gelegenen Neigungen von Fermat. Unter diesen Randbemerkungen zu Diophant aber findet sich eine, die die Unmöglichkeit der Lösung in natürlichen Zahlen x, y, z für die Gleichung x3 + y3 = z3, desgleichen für x4 + y4 = z4 und ganz allgemein für xn + yn = zn, mit jedem beliebigen Exponenten n größer als 2, behauptet, wobei Fermat ausdrücklich hinzufügt:

Carl Friedrich Gauß (1777-1855),
Gemälde von Gottlieb Biermann, 1887  [Quelle]
„Hierfür habe ich einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, aber der Rand ist zu schmal, ihn zu fassen."
["Cujus rei demonstrationem mirabilem sane detexi; hanc marginis exiguitas non caperet."]

Dies die Behauptung Fermats. So steht es in einer vom Sohn Fermats nach dessen Tode herausgegebenen neuen Diophant-Ausgabe (1670), die diese und die anderen „Randbemerkungen“ bringt und dadurch ihren besonderen Wert erhielt.

Ob Fermat, der sonst sehr sorgsam in der Form seiner Behauptungen war, wirklich einen lückenlosen Beweis besaß? Ob die Randbemerkung nur dem ersten Erschauen eines Weges durch das Labyrinth des Problems entsprang — eines Wegs, den näher auszubauen und auf seine Ausführbarkeit zu überprüfen, späterem Durcharbeiten vorbehalten blieb? Wir wissen es nicht. Und da alle uns erhaltenen und in Frage kommenden Briefe und Schriften aus dem Nachlaß längst auf das eingehendste durchforscht sind, werden wir es wohl nie erfahren. Wohl aber ist das bis heute ungelöste Problem, ob wirklich für jeden Exponenten n > 2 eine Lösung von xn + yn = zn in natürlichen Zahlen x, y, z unmöglich sei, dauernd mit dem Namen Formats verbunden geblieben und hat seinen Namen in weitere Kreise getragen, als alle seine unbestritten gesicherten mathematischen Erfolge.

Allerdings hat man, besonders auch aus Hinweisen auf andere analoge Aussagen, einen Fingerzeig, in welcher Richtung das Beweisverfahren lag, das Fermat im Auge hatte. Zumal die ersten Erfolge, die später wenigstens in einigen Fällen zum Nachweis der Fermatschen Behauptung führten, in der gleichen Richtung liegen. Der Gedanke, von dem dabei zunächst ausgegangen ist, liegt recht nahe, wenn man sich vergegenwärtigt, daß beispielsweise im Falle des Exponenten n = 4 ein weiter Bereich von Zahlen x, y daraufhin durchprobiert war, ob nicht vielleicht einmal eine Summe x4 + y4 selbst gleich einer vierten Potenz z4 sei. Wenn also die Gleichung x4 + y4 = z4 überhaupt eine Lösung haben sollte, dann jedenfalls nur in recht hohen Zahlen, die außerhalb des rechnerisch durchforschten Bereichs liegen.

Ernst Eduard Kummer (1810-1893) 
Wir haben schon bei früheren Gelegenheiten betont, daß man niemals den unendlichen Gesamtbereich aller Zahlen mit der Methode des Durchprobierens erschöpfen könne und daß zum Nachweis der allgemeinen Gültigkeit einer Behauptung ein geeigneter neuer Gedanke erforderlich sei. Wie steht es nun, wenn sich aus der Annahme einer Lösung von x4 + y4 = z4 in Zahlen x, y, z, die vielleicht ganz ungeheuer groß sein mögen, erschließen ließe, daß dann stets auch eine andere Lösung in wenigstens etwas kleineren Zahlen, sagen wir in höchstens halb so großen Zahlen existieren muß? Nimmt man an, der Bereich unter 10.000 sei rechnerisch durchforscht und es haben sich darin keine Zahlen x, y, z gefunden, so daß für sie die Gleichung x4 + y4 = z4 gelten würde. Unsere Schlußweise würde dann sofort gestatten, zu behaupten, daß auch im Bereich bis 20.000 keine Lösung anzutreffen sein wird, weil ja aus ihr auf eine Lösung unter 10.000 geschlossen werden könnte. Nun aber ist wieder klar, daß auch bis 40.000 keine Lösung liegen kann, da aus ihr auf eine unter 20.000 zu schließen wäre. Ein solches Schlußverfahren würde uns also jedes weiteren Probierens entheben: die Behauptung, daß es überhaupt keine Lösung geben kann, wäre gesichert.

In einem Bruchstück eines angefangenen, aber nicht vollendeten Aufsatzes, der auf der Leydener Bibliothek entdeckt wurde, spricht Fermat von einer Methode der „unendlichen oder unbegrenzten Abnahme“ („la descente infinie ou indéfinie“). Diese Bezeichnung trifft aber genau das Wesen der eben geschilderten Schlußweise.

Ob nun Fermat wirklich eine solche Schlußweise für das Problem der Gleichung xn + yn = zn besaß, u. zw. für jeden beliebigen Exponenten n und nicht nur für n = 4, wo man dies mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen darf, wird wohl immer im Dunkel bleiben. Denn wenn auch in einzelnen Fällen Erfolge erzielt wurden, so sind doch durch nunmehr zweieinhalb Jahrhunderte die Bemühungen der verschiedensten Forscher, in der angedeuteten Richtung einen allgemein gültigen Beweis zu entdecken, in welchem man dann den Beweis Fermats vermuten könnte, vergeblich geblieben.

Zu mächtigen Anregungen in der Weiterentwicklung der Zahlentheorie haben aber die Gedanken und Fragestellungen Fermats — und nicht zum wenigsten seine „Randbemerkungen“ zu Diophant — geführt. Gerade das nach ihm benannte Problem der Lösungen von xn + yn = zn, das uns heute beschäftigt, spielt dabei keine kleine Rolle, da von ihm aus ganz neuartige Zweige der Zahlentheorie sich entwickelten.

Andrew Wiles (* 1953), der den Großen Fermatschen
 Satz erst 1994 bewiesen hat. [Quelle]
Bleiben wir aber vorerst beim Fermatschen Problem selbst und berichten wir über den dermaligen Stand und wie sich nach Fermat die Dinge entwickelt haben! Es waren gewisse einzelne Werte des Exponenten n, für welche zunächst die Fermatsche Behauptung bewiesen werden konnte. Und zwar ist es nicht der Exponent n = 3, also nicht die Gleichung x3 + y3 = z3 gewesen, für die man zuerst die Unmöglichkeit einer Lösung in natürlichen Zahlen x, y, z nachweisen konnte, sondern die Gleichung x4 + y4 = z4, also der Exponent n = 4. Hier ergaben historische Nachforschungen, daß schon Frénicle de Bessy (der etwa 1602-1675 lebte) in einer 1676 erschienenen Schrift einen Beweis darlegte, von dem man annimmt, daß er mit Gedankengängen übereinstimmt, die schon Fermat für diesen Fall skizzierte. Ohne etwas von der nicht sehr bekanntgewordenen Untersuchung Frènicles zu wissen, hat sieben Jahrzehnte später, im Jahre 1747, der berühmte Mathematiker Euler nicht nur das gleiche Resultat bezüglich der Gleichung x4 + y4 = z4 gewonnen, sondern er hat 1763 unbestritten als erster in dem wesentlich schwierigeren Fall x3 + y3 = z3 die Unmöglichkeit einer Lösung in natürlichen Zahlen x, y, z zu beweisen vermocht‚ so daß man ihn als den ersten Bahnbrecher auf dem Gebiet des berühmten Problems angesehen hat. […]

Wieder verging mehr als ein halbes Jahrhundert, bis der Fall des Exponenten n = 5 und vierzehn Jahre später n = 7 erledigt werden konnte. Hat sich der erste der damals lebenden Mathematiker, der große Gauß, der so viele und verschiedenartige Probleme zu bewältigen wußte, niemals mit der von Fermat der Nachwelt hinterlassenen Aufgabe befaßt? Warum hat er dieses Problem nie erwähnt? Hielt er die Zeit dafür noch nicht reif und jene Gebiete noch nicht weit genug ausgebaut, auf denen fußend nachmals E. E. Kummer die bis heute weitreichendsten Fortschritte erzielen sollte? Gauß’ Nachlaß hat ergeben, daß er für die vorgenannten Fälle n = 5, n =: 7 etwa dieselben Beweise skizziert hatte, die dann von Dirichlet und Lamé veröffentlicht wurden. Hat er darin vielleicht nur Vorbereitungen zu einem allgemeinen Beweis für beliebige Exponenten n gesehen, den er nachmals, beim damaligen Stand der Zahlentheorie, noch nicht für fällig ansah? Wenn dies das Urteil eines Gauß gewesen sein konnte, soll man da nun lachen oder weinen über jene eingangs erwähnten vielzu vielen Preiswerber und über all die Harmlosen, die ohne Kenntnis vom Stand der Wissenschaft sich gleich an die Bezwingung ihrer schwerstumworbenen Probleme wagen?

Quelle: Heinrich Tietze: Gelöste und ungelöste mathematische Probleme aus alter und neuer Zeit. Band 2. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1982. ISBN 3-423-04399-7. Zitiert wurden Auszüge aus der 13. Vorlesung - Seite 104 bis 118

Tietze (1880-1964) hielt seine Vorlesungen in den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und konnte den Beweis der Fermatschen Vermutung nicht mehr erleben.


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