2. November 2009

Johann Pachelbel: Kammermusik

Obgleich Johann Pachelbel (1653-1706) im 17. Jahrhundert wohl hauptsächlich als Organist bekannt war, erwies er sich auch als ausgesprochen fruchtbarer Komponist, vor allem von Orgelmusik, aber auch von Werken für Cembalo, Instrumentalensembles und unterschiedliche Vokalbesetzungen. Er kam in Nürnberg zur Welt - wie Hamburg und Leipzig eine freie Reichsstadt und ein bedeutendes musikalisches Zentrum des 17. Jahrhunderts, das für sein hohes Niveau von Kompositionen, Instrumentenbau und Notendruck bekannt war. In dieser Stadt erhielt Pachelbel seinen ersten Unterricht in Satzlehre, Komposition und Orgelspiel. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn kehrte er als Organist von St. Sebald nach Nürnberg zurück und nahm damit die angesehenste musikalische Position der Stadt ein.

In den Jahrzehnten, die dazwischen lagen, zog Pachelbel von Organistenstelle zu Organistenstelle. Er weilte einige Jahre als Hilfsorganist am Stephansdom in Wien, wo ihn wahrscheinlich der renommierte Organist Johann Kaspar Kerll unterrichtete. Wien, das Zentrum des Habsburgischen Kaiserreiches, brachte Pachelbel mit dem vorherrschenden italienischen Musikgeschmack in Berührung. Weitere Stellen führten ihn nach Mitteldeutschland - Eisenach und Erfurt -, wo er sich mit mehreren Mitgliedern der Familie Bach anfreundete, darunter Johann Sebastian Bachs Vater Ambrosius. Pachelbels Beitrag zur Entwicklung von Fugen, Variationen und Choralvorspielen für Tasteninstrumente sollte später auf Johann Sebastian Bach Einfluß ausüben. Die Breite von Pachelbels kompositorischem Schaffen läßt sich den unterschiedlichen Positionen zuschreiben, die er sowohl in Stadtkirchen (Nürnberg, Wien, Erfurt) als auch in Schloßkapellen (Eisenach, Stuttgart, Gotha) innehatte.



Seinem norddeutschen Kollegen Buxtehude, einem der Widmungsträger von Pachelbels glanzvoller Variationsfolge Hexachordum Apollinis (1699), nicht unähnlich, komponierte Pachelbel auch Musik für unterschiedlich besetzte Streichergruppen. Mit Ausnahme einer gedruckten Sammlung, die sich zusammen mit einer Anzahl von Kammermusikwerken des 17. Jahrhunderts in der Bibliothek des Grafen von Schönborn findet, sind diese Kompositionen nur handschriftlich überliefert. Dieses Repertoire, das nahezu ausschließlich aus Tanzsuiten besteht, wurde höchstwahrscheinlich bei Hofe und zwar wohl als Tafelmusik aufgeführt, oder es mochte in Zirkeln von musikalischen Amateuren wie auch in den Treffen der verschiedenen Nürnberger Collegia musica, von denen einige bei ihren Aufführungen Zuhörer zuließen, als Hausmusik gedient haben. Diese Zusammenkünfte entwickelten sich möglicherweise zu unserem Begriff nach öffentlichen Konzerten.

Die Sammlung von sechs Partiten, die hier alle eingespielt sind, wurden nach 1695 in Nürnberg mit dem Titel Musicalische Ergötzung und mit der zusätzlichen Aufführungsanweisung: "verstimbte stükh tzu 2 Violin und Bass", also für zwei Skordatur-Violinen, gedruckt. Für Pachelbel scheint der Begriff des "Verstimmens" eher die Tatsache zu reflektieren, daß der Interpret einem akustischen Experiment ausgesetzt wird, als die Absicht, die Ausführung komplizierter Mehrfachgriffe zu erleichtern, wie dies etwa bei Bibers technisch kühnem Violinsatz in seinen Sonaten zur Verherrlichung von 15 Mysterien aus dem Leben Mariae der Fall war. Pachelbels Stimmung der Saiten entspricht dem ersten und fünften Ton des jeweiligen Modus beziehungsweise der jeweiligen Tonart der Komposition. Alle hier eingespielten Partiten sind Zyklen von Tanzsätzen, denen eine einsätzige Sonata oder Sonatina als Einleitung vorangeht. In den Partiten der Musicalischen Ergötzung, die im Triosonatensatz gestaltet sind, weisen jene Sonaten, die der Tempobezeichnung allegro tragen (Nr.1 und 3) einen strengen kontrapunktischen Satz mit dreistimmigen Fugetten und Engführungen auf, während jene, welche mit adagio überschrieben sind, im allgemeinen mehrteilig sind und zwischen langsamen und schnelleren Rhythmen abwechseln. So verwendet beispielsweise das Adagio der Partita Nr.4 in e-moll scharf punktierte Rhythmen, die sich später in schnellere imitatorische Figurierungen auflösen, womit es die charakteristischen Merkmale einer französischen Ouvertüre übernimmt. In der Partita Nr 5 in C-dur rahmen langsame Sarabandenrhythmen über einem absteigenden Tetrachord den lebhaften Dialog der beiden Violinen in Mittelteil der Sonata ein.

Johann Pachelbel, "Musicalische Ergötzung", Nürnberg 1695

In seinem berühmten und nun populär gewordenen Kanon kombiniert Pachelbel kontrapunktisches Können mit seiner Begabung für Variationstechniken. Ein zweitaktiges ostinates Baßmodell, das einem Passamezzo gleicht, bildet einen unnachgiebigen Unterbau für eine schlichte Melodie, die als dreistimmiger Kanon verarbeitet wird. In 28 Variationen entwickelt Pachelbel diese Melodie, bis ein immer dichter geführter Kanon entsteht. Die kurze Gigue, die mit dem Kanon ein Paar bildet, scheint zwar wenig anspruchsvoll, beruht jedoch auf einem strengen fugierten Satz.

Die anderen drei Partiten oder Suiten, welche durchweg nur im Manuskript überliefert sind, sind entweder für Streichquartett oder die typisch französische Streicherbesetzung mit zwei Violinen, zwei Violen und einem achtfüßigen Streicherbaß (eine Violone), der die Baßstimme des Cembalos verstärkt, geschrieben. Pachelbel erweitert die in Deutschland etablierte Folge von Allemande, Courante, Sarabande und Gigue zu Suiten, die mit einigen der neuesten französischen Tänze durchsetzt sind: Gavotte, Ballet und Bourrée. Sie alle beginnen mit einer einleitenden Sonata oder Sonatina. Die Echotechnik des ersten Satzes der Suite a 5 in G-dur kam im 17. Jahrhundert in Mode und erzeugt hier eine orchestrale Wirkung, die dem concertino/ripieno-Wechsel in einem Concerto Grosso nicht unähnlich ist. Die fugierten Giguen ausgenommen, setzt Pachelbel hier auf die klare Polarität zwischen Violine und Baß. In diesem schichtförmigen musikalischen Satz erweist sich die erste Violine als die aktivste Partie, während die Mittelstimmen hauptsächlich als Füllstimmen dienen.

Partie I der "Musicalischen Ergötzung"

Fis-moll als Tonart ist selten im 17. Jahrhundert; sie wird in einer der Suiten a 4 verwendet. In seinem Das Neu-Eröffnete Orchestre (1713) führt Mattheson fis-moll - der 16. Ton in einem auf 24 erweiterten Tonsystem von 12 Modi oder Tönen - als eine Tonart auf, welche, obwohl sie zu großer Traurigkeit neige, sehnsüchtig und liebend eher als trauernd sei. Der Hauptgrund, weshalb diese Tonart so selten eingesetzt wurde, liegt in ihrer möglichen "Verstimmtheit" in einer damals immer noch vorherrschenden mitteltönigen Stimmung, was zusätzlich zu ihrem "misantropischen" Charakter beitrug; laut Mattheson hat sie "etwas abondoniertes, singuliäres und misanthropisches". Pachelbel muß mit verschiedenen Stimmungen experimentiert haben und verwendete schließlich die gleichschwebende Temperierung, die zuerst in einem Orgeltraktat von Andreas Werckmeister besprochen wurde. Pachelbels norddeutscher Kollege Buxtehude, der eng mit Werckmeister befreundet war, verwendete diese Tonart nur zwei Mal: in einem seiner freien Orgelpräludien im stile fantastico und dem fis-moll-Abschnitt seiner Streichersonate in A-dur opus 2, in der Tat ein Lamento. Pachelbels Streichermusik ist zwar weniger virtuos als die seiner Zeitgenossen Buxtehude und Biber, funktioniert aber perfekt als musicalische Ergötzung.

Quelle: Eva Linfield (Übersetzung Annegret Fauser), im Booklet (Seite 8-10)

TRACKLIST

JOHANN PACHELBEL
(1653-1706)

Chamber Works - Musique de chambre - Kammermusik

[01] Partie a 5 in G-dur / Sol majeur / G major                    5'15
Sonatina - Ballet - Sarabande - Aria - Gigue - Finale


Musicalische Ergötzung - Sechs Triosonaten (Nuremberg, 1695)
Musical Delight - Six Trio Sonatas for two scordatura violins and bass
Les Délices musicales - Six Sonates en trio pour deux violons scordatura et basse

[02] Partie I in F-dur / Fa majeur / F major                       8'17
Sonata allegro - Allemand - Courant - Ballet - Saraband - Gigg

[03] Partie II in c-moll / do mineur / C minor                     6'58
Sonata - Gavotte - Treza - Aria - Saraband - Gigg


[04] Partie a 4 in G-dur / Sol majeur / G major                    8'03
Sonatina - Allemande - Cavott - Courant - Aria - Saraband - Gigue - Finale


[Musicalische Ergötzung]
[05] Partie III in B-dur / Si bémol majeur / B flat major          7'21
Sonata allegro - Allemand - Courant - Gavotte - Saraband - Gigg

[06] Partie IV in e-moll / mi mineur / E minor                     8'47
Adagio - Aria - Courant - Aria - Ciacona



[07] Partie a 4 in fis-moll / fa dièse mineur / F sharp minor      8'26
Sonata - Allemande - Trezza - Aria presto - Courante - Sarabande - Gigue


[Musicalische Ergötzung]
[08] Partie V in C-dur / Do majeur / C major                       6'33
Sonata - Aria - Trezza - Ciacona

[09] Partie VI in B-dur / Si bémol majeur / B flat major           9'06
Sonata adagio - Aria - Courant - Gavotte - Saraband - Gigg


[10] Canon & Gigue pour mois violons et basse continue             5'18


TOTAL TIME                                                   75'20

LONDON BAROQUE
Ingrid Seifert, Andrew Manze, violons
Richard Gwilt, Irmgard Schaller, violons & altos
Charles Medlam, violoncelle & viole de gambe
Richard Egarr, clavecin, orgue
William Carter, théorbe


Enregistrement: Octobre 1994
Prise de son et direction artistique: Nicholas Parkter
Montage: Adrian Hunter
® 1995,2006
Illustration: Sébastian Stoskopff, Les Cinq Sens ou l'été, Musée de l'oeuvre Notre Dame de Strasbourg


Sébastian Stoskopff (1597-1657), Die fünf Sinne oder der Sommer, 1633, Musée de l'Oeuvre de Notre Dame, Strasbourg. - Die Objekte in diesem Stillleben repräsentieren die fünf Sinne: Musikinstrumente = Hörsinn, Blumen = Geruch, Schachbrett = Tastsinn, Früchte = Geschmack, Globus = Sehen.

Ein kleinerer Ausschnitt aus Stoskopff's Stilleben (Quelle der Abbildung war wieder einmal die Web Gallery of Art) wurde auch für eine Aufnahme von Lautenmusik von Jacques de Gallot durch Hopkinson-Smith verwendet, die Sankanab in seinem Blog Andes donde andes y más cosas zur Verfügung gestellt hat.

Liste der von Naxos herausgegebenen Pachelbel CDs.


Noten der "Musikalischen Ergötzung" bei sheetmusicplus bestellen


CD bestellen bei JPC

CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 26 MB
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Unpack x72.rar and read the file "Download Links.txt" for links to the Flac+Cue+Log Files [75:20] 5 parts 415 MB

Reposted on August 15, 2014

Musikbeispiel:
Track #10: Johann Pachelbel: Canon & Gigue (London Baroque)




Pachelbels Kanon hat eine ungemeine Popularität erreicht, die sich auch im Internet manifestiert, wo zahlreiche Interpretationen, Adaptionen und Nachahmungen dokumentiert werden. Ich führe hier nur einige Beispiele auf:

pachelbelcanon.com ("Midi-files, videos, sheet resources, a discussion board and a collection of modern songs inspired by Pachelbel's Canon")
The warped canon ("Retunings in a multitude of different tuning systems")
Pachelbel Street (eine japanische Seite, große Teil sind auch auf Englisch)
www.pachelbel.us (mit hübschem Einstiegslogo, Werksverzeichnis, Noten)

Auf Youtube finden Sie eine Darbietung des Kanons von der Musica Antiqua Köln (die Gruppe aus meinem vorhergehenden Post) und die Parodie "Pachelbel Rant" vom US-Comedian Rob Paravonian.

2 Kommentare:

  1. Many thanks WMS.Nemo for the translator, now i can read in spanish all your comments.Alex from Ciudad de Buenos Aires.

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