21. Dezember 2018

Sergei Rachmaninow: Klavierkonzerte (Peter Rösel, Berliner Sinfonie-Orchester, Kurt Sanderling)


Sergej Rachmaninows zwischen 1929 und 1942 entstandene legendäre Gesamteinspielung all seiner eigenen Werke für Klavier und Orchester bleibt bis heute ein Maßstab. Und doch sah sich der „Letzte Romantiker“ vornehmlich als Komponist und erst an zweiter Stelle als Pianist, der freilich eine ausgezeichnete Ausbildung am St. Petersburger Konservatorium genossen hatte und besonders in den 26 Jahren seines selbst gewählten Exils in den USA und der Schweiz zu einem der berühmtesten Pianisten seiner Zeit avancierte.

Am Beginn seiner verheißungsvollen Karriere aber traf es den 17-jährigen Rachmaninow doppelt ins Herz, als sein erstes Klavierkonzert, das er 1890 in Moskau schrieb, ein so großer Misserfolg wurde. Und die Uraufführung seiner ersten Sinfonie fünf Jahre später wurde überhaupt eine Katastrophe. Der erfolgsverwöhnte junge Mann zog einen folgenschweren Schluss daraus und komponierte gar nichts mehr. Im vierten Jahr der schöpferischen Blockade konnten ihn Freunde endlich überreden, einen Neurologen aufzusuchen, der ihn mittels Hypnosetherapie von seinen genuinen Fähigkeiten überzeugen konnte: „Sie werden ein neues Klavierkonzert schreiben … Die Arbeit wird Ihnen leicht von der Hand gehen … das wird großartige Musik werden.“ Wer im heutigen Konzert statt Jack Nicholson im Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ Marilyn Monroe in „Das verflixte siebte Jahr“ vor seinem geistigen Auge sieht, der hat schon ganz recht: Rachmaninow führte den suggestiven „Befehl“ seines Arztes Dahl aufs Vorbildlichste aus und schrieb um die Jahrhundertwende das zweite Klavierkonzert c-Moll op. 18, das er auch gleich seinem Nervenarzt widmete. Und was für einen Erfolg es hatte! Es verzückte nicht nur das Moskauer Premierenpublikum im Oktober 1901, sondern avancierte überhaupt zu Rachmaninows wohl beliebtestem Orchesterstück, das seinen internationalen Ruf als Komponist ebnete. Und die Filmwirtschaft nahm das Klavierkonzert als sprühenden Ideenlieferanten dankend an: Nicht nur die Monroe wurde 1955 zu den Klängen Rachmaninows verführt, schon in der Romanverfilmung „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo im Jahr 1932 oder im Tanzfilm „Center Stage“ aus dem Jahr 2000 wurden Passagen aus dem 2. Klavierkonzert für die Filmmusik entnommen.

Viele MusikliebhaberInnen erkennen das Klavierkonzert c-Moll sogleich am Beginn: Acht immer lauter werdende Klavierakkorde stehen am ungewöhnlichen Anfang, die sich von f-Moll auf originellen Umwegen zu c-Moll schlängeln. Effektvoll fügt sich das Orchester ein, die Klarinetten und Bratschen bereiten dem Klavier sodann das zweite Thema vor, das von den Celli und Holzbläsern entwickelt wird. Der folgende Dialog zwischen Solist und Orchester demonstriert eindringlich Rachmaninows Vorstellung von einem romantischen Instrumentalkonzert: nämlich den sinfonischen und den solistischen Part zu einer spannungsvollen Einheit zu verschmelzen. Formal verwebt der Komponist den virtuosen Sonatenhauptsatz mit einer großformatigen Verdichtung von Bewegung und Dynamik, was den Kopfsatz für alle Beteiligten zu einem höchst anspruchsvollen, aber ungemein wirkungsvollen und emotionalen Satz macht. Der unangefochtene Liebling unter allen Stücken Rachmaninows ist der folgende zweite Satz.

Typisch für den Komponisten verdichtet sich auch das Adagio immer mehr, aber nicht geradlinig, sondern von gegenläufigen Beschleunigungen und Verzögerungen durchsetzt. In eine ganz andere Welt verführt uns Rachmaninow im Schlusssatz mit orientalisch gefärbten Melodieeinfällen sondern Zahl, ohne musikalischen Witz zu vergessen: Nach einer nicht enden wollenden Steigerung hin zu einem pianistischen Feuerwerk endet das Allegro scherzando fast beiläufig mit ironisch platzierten Wiederholungen des c-Moll-Akkords, der uns – scheinbar nimmermüde – eine Polonaise vorführen möchte.

Quelle: Brucknerhaus Linz

Sergei Rachmaninow (1873-1943)

TRACKLIST

SERGEJ RACHMANINOW (1873 - 1943)

Klavierkonzerte No. 1 + 2
Piano concert No. 1 + 2
Concerto pour piano no 1 + 2 
Concerto per pianoforte n. 1 + 2

Konzert für Klavier und Orchester No. 1 fis-moll 
(F-sharp minor, fa dièse mineur, fa dieses minore) op. 1

1 Vivace                                    13:57
2 Andante                                    7:18
3 Allegro vivace                             8:29

Konzert für Klavier und Orchester No. 2 c-moll 
(C minor, ut mineur, do minore) op. 18

4 Moderate                                  11:42
5 Adagio sostenuto                          12:35
6 Allegro scherzando                        12:21

Gesamtzeit.                                 56:52

Peter Rösel, Klavier - piano - pianoforte
Berliner Sinfonie-Orchester
KURT SANDERLING

(P) 1989 

TRACKLIST

SERGEJ RACHMANINOW (1873 - 1943)

Klavierkonzerte No. 3 + 4
Piano concert No. 3 + 4
Concerto pour piano no 3 + 4 
Concerto per pianoforte n. 3 + 4

Konzert für Klavier und Orchester No. 3 d-moll op. 30 
(Concerto for piano and orchcstra in D minor
concerto pour piano et orchestre en ré mineur)

1 Allegro ma non tanto                      17:37
2 Intermezzo. Adagio                        10:47
3 Finale. Alla breve                        14:56

Konzert für Klavier und Orchester No. 4 g-moll op. 40 
(Concerto for piano and orchcstra in G minor
concerto pour piano et orchestre en sol mineur)

4 Allegro vivace (Alla breve)               l0:27
5 Largo                                      8:05
6 Allegro vivace                            10:l0

Gesamtzeit.                                 72:18

Peter Rösel, Klavier - piano - pianoforte
Berliner Sinfonie-Orchester
KURT SANDERLING

Aufgenommen 3/1978 (1 bis 3) bzw 9/1980 (4 bis 6)
(P) 1980 


Karl Vosslers Italienische Dichter


FRANCESCO D'ASSISIKarl Vossler
LAUDES CREATURARUM (Cantico di Frate Sole)DES HEILIGEN FRANZISKUS SONNENGESANG
Altissimu, onnipotente, bon Signore,
tue so’ le laude, la gloria e l’honore et onne benedictione.

Ad te solo, Altissimo, se konfano,
et nullu homo ène dignu te mentovare.

Laudato sie, mi’ Signore, cum tucte le tue creature,
spetialmente messor lo frate sole,
lo qual’è iorno, et allumini noi per lui.
Et ellu è bellu e radiante cum grande splendore:
de te, Altissimo, porta significatione.

Laudato si’, mi’ Signore, per sora luna e le stelle:
in celu l’ài formate clarite et pretiose et belle.

Laudato si’, mi’ Signore, per frate vento
et per aere et nubilo et sereno et onne tempo‚
per lo quale a le tue creature dài sustentamento.

Laudato si’, mi’ Signore, per sor’aqua,
la quale è multo utile et humile et pretiosa et casta.

Laudato si’, mi’ Signore, per frate focu,
per lo quale ennallumini la nocte:
ed ello è bello et iocundo et robustoso et forte.

Laudato si’, mi’ Signore, per sora nostra matre terra,
la quale ne sustenta et governa,
et produce diversi fructi con coloriti ?ori et herba.

Laudato si’, mi’ Signore‚ per quelli ke perdonano per lo tuo amore
et sostengo in?rmitate et tribulatione.
Beati quelli ke ’l sosterrano in pace,
ka da te, Altissimo, sirano incoronati.

Laudato si’, mi’ Signore, per sora nostra morte corporale,
da la quale nullu homo vivente pò skappare:
guai a'cquelli ke morrano ne le peccata mortali;
beati quelli ke trovarà ne le tue sanctissime voluntati;
ka la morte secunda no ’l farrà male.

Laudate e benedicete mi’ Signore et rengratiate
e serviateli cum grande humilitate.
Höchster, allmächtiger, guter Herr,
Dein sind das Lob, der Ruhm, die Ehr und aller Segen.

Dir gehören sie, Höchster, allein.
Kein Mensch ist wert, Dich zu nennen.

Gelobt seist Du, mein Herr, samt all Deinen Kindern
und der Schwester Sonne besonders,
denn am Tage zünd’st Du für uns sie an.
Schön ist sie und strahlt in großem Glanze.
Von Dir, o Höchster, bringt sie Kunde.

Gelobt seist Du, mein Herr, für Bruder Mond und Sterne!
Am Himmel hast Du sie geformt, klar köstlich und hell.

Gelobt seist Du, mein Herr, für Bruder Wind
und Luft und Wolken, freundliches und jedes Wetter!
Mit ihnen hegst Du Deine Kinder.

Gelobt seist Du, mein Herr, um Wassers willen!
Das ist so nützlich, schmiegsam, köstlich und keusch.

Gelobt seist Du, mein Herr, für Bruder Feuer!
Die Nacht erhellst Du uns mit ihm
und schön ist er und munter und gewaltig und stark.

Gelobt seist Du, mein Herr, für unsre Mutter Erde!
die hegt und trägt uns
und allerlei Frucht und farbige Blumen treibt sie und Gras.

Gelobt seist Du, mein Herr, für alle, die verzeihen
und Krankheit dulden und Mühsal Dir zu lieb.
Selig, wer es duldet in Frieden,
denn von Dir, Höchster, wird er gekrönt.

Gelobt seist Du, mein Herr, für unsern Bruder, den fleischlichen Tod.
Und kein lebendiger Mensch entgeht ihm.
Weh denen, die in Todessünden sterben!
Doch selig, wen Du hältst in Deinem heiligen Willen!
Ihm tut der zweite Tod kein Leides.

[…]

GUIDO GUINIZELLIKarl Vossler
AL COR GENTILMINNE UND ADEL
Al cor gentil rempaira sempre amore
come l'ausello in selva a la verdura;
    né fe’ amor anti che gentil core,
né gentil core anti ch'amor, natura:
    ch'adesso con’ fu 'l sole,
sì tosto lo splendore fu lucente,
né fu davanti ‘l sole;
e prendre amore in gentilezza loco
cosi propiamente
come calore in clarità di foco.

[…]

Fere lo sol lo fango tutto ’l giorno:
vile reman, né 'l sol perde calore;
   dis’ omo alter: ›Gentil per sclatta torno‹;
lui semblo al fango, al sol gentil valore:
   ché non dé dar om fé
che gentilezza sia fòr di coraggio
in degnità d’ere’
se da vertute non ha gentil core,
com aigua porta raggio
e ’l ciel riten le stelle e lo splendore.

Splende ’n la ‘ntelligenzia del cielo
Deo criator più che nostr' occhi ‘l sole;
    ella intende suo fattor oltra ‘l cielo,
e ‘l ciel volgiando, a Lui obedir tole;
    e con’ segue, al primero,
del giusto Deo beato compimento,
così dar dovria, al vero,
la bella donna, poi che gli occhi splende
del suo gentil, talento
che mai di lei obedir non si disprende.

    Donna, Deo mio dirà: ›Che presomisti?‹‚
siando l'alma mia a lui davanti.
    ›Lo ciel passasti e ’n?n a Me venisti
e desti in vano amor Me per semblanti:
    ch’a Me conven le laude
e a la reina del regname degno,
per cui cessa onne fraude‹.
Dir Li porò: ›Tenne d’angel sembianza
che fosse del Tuo regno;
non me fu fallo‚ s'in lei posi amanza‹.
In edlem Herzen nur wohnt immer Liebe,
so wie in Waldesgrün der Vogel wohnt.
Und Liebe ward nicht eh’r als edles Herz,
und edles Herz nicht eh’r als Lieb erzeugt;
denn als die Sonne ward,
ward auch zugleich der Sonnenstrahl, und vorher
war auch die Sonne nicht.
Und Liebe find’t in edlem Sinne nur
ihr Wahr und einzig Heim,
wie in des Feuers Flammen helles Licht.

[…]

Den ganzen Tag lang trifft die Sonn den Schmutz.
Er bleibt gemein, und sie behält die Wärme.
Der Stolze spricht: ›Durch Ahnen bin ich edel‹.
Er gleicht dem Schmutz, die Sonne gleicht dem Adel.
Denn niemand täusche sich,
daß, anderswo als in dem Herz, ein Adel
im Wappenschilde sei —
wo Tugend nicht das Herze adlig macht.
Im Wasser spielt der Schein,
doch fest am Himmel bleiben Stern und Licht.

In Engels Seele spiegelt Gott der Schöpfer
sich heller als der Sonnenstrahl im Auge,
und die versteht in Wahrheit ihren Herrn:
Den Himmel treibend nimmt sie Kraft von ihm,
vollendet ihre Bahn
nach des gerechten Gottes Wohlgefallen.
So muß die schöne Frau
dem Liebsten durch das Auge helle Wahrheit
ins edle Herze strahlen,
das ihr zu dienen nimmer müde wird.

Geliebte Frau, wenn meine Seele einst
vor Gott erscheint, wird er mir sagen: „Wie?
„durch alle Himmel drangst du bis zu Mir
und nahmst dir Mich zum Gleichnis ird’scher Liebe!
Mir und der Königin
des Himmelreichs‚ die allen Trug zerstört?
gebührt allein der Preis!“
Dann muß ich sagen: „Ach, die Liebste schien mir
ein Engel deines Reichs!
Zur Sünde rechne mir die Liebe nicht!“

Raffaello Sorbi (1844-1931):
Die Begegnung von Dante und Béatrice, 1863
GUIDO CAVALCANTIKarl Vossler
CHI È QUESTADIE HERRIN
Chi è questa che ven, ch'ogn’ om la mira,
   Che fa tremar di claritate l'âre,
   E mena seco Amor, sì che parlare
   Omo non può, ma ciascun ne sospira?

Deh, che rassembla quando li occhi gira!
   Dicalo Amor, ch’i’nol poria contare;
   Cotanto d’umiltà donna mi pare,
   Ch’ogn’altra veramente la chiam’ ira.

Non si poria contar la sua piagenza,
   Ch’a lei s'inchina ogni gentil vertute,
   E la beltate per suo Dio la mostra.

Non fu sì alta già la mente nostra,
   E non si pose in noi tanta vertute,
   Che propriamente n'abbiam canoscenza.
Wer ist die Frau und Jeder schaut nach ihr?
Von ihrem Licht erzittert rings die Luft,
und Amor kommt mit ihr, und sprechen kann
kein Mensch vor ihr, und Jeder seufzt nach ihr?

Wenn sie die Augen wendet, welch ein Bild!
Amor mag’s künden, ich vermag es nicht.
Wie aller Demut Herrin sieht sie aus.
„Hoffahrt“ heißt jede Andere daneben.

Und ihre Anmut kann man nicht erzählen.
Es neigt sich jeder edle Wert vor ihr.
Es weist die Schönheit sich als ihre Göttin.

So hoch war nie bis jetzt noch unser Geist,
und solche Tugend wohnet nicht in uns,
daß wir die rechte Kenntnis von ihr hätten.



DANTE ALIGHIERIKarl Vossler
POI VIDI COSE DUBITOSE MOLTODER TRAUM VON BEATRICES TOD
Poi vidi cose dubitose molto,
   Nel vano imaginare ov’io entrai;
   Ed esser mi parea non so in qual loco,
   E veder donne andar per via disciolte,
   Qual lagrimando, e qual traendo guai,
   Che di tristizia saettavan foco.
   Poi mi parve vedere a poco a poco
   Turbar lo sole e apparir la stella,
   E pianger elli ed ella;
   Cader li augelli volando per l'âre,
   E la terra tremare;
   Ed omo apparve scolorito e fioco,
   Dicendomi: — Che fai? non sai novella?
   Morta è la donna tua, ch’era sì bella —.

Levava li occhi miei bagnati in pianti,
   E vedea, che parean pioggia di manna,
   Li angeli che tornavan suso in cielo,
   E una nuvoletta avean davanti,
   Dopo la qual gridavan tutti: Osanna;
   E s’altro avesser detto, a voi dire’ lo.
   Allor diceva Amor: — Più nol ti celo;
   Vieni a veder nostra donna che giace —.
   Lo imaginar fallace
   Mi condusse a veder madonna morta;
   E quand’io l'avea scorta,
   Vedea che donne la covrian d’un velo;
   Ed avea seco umilità verace,
   Che parea che dicesse: — Io sono in pace —.
Dann sah ich viele fürchterliche Dinge
im irren Fiebern, das mich überkam.
Mir schien, daß ich, ich weiß nicht wo, mich fände,
zerzauste Frauen auf der Straße sah:
die einen weinend, andre weheklagend,
und Schmerz wie Feuerstrahlen schossen sie.
Und alsdann schien mir, daß sich nach und nach
die Sonne trübte und die Sterne kamen,
und weinten Stern und Sonn.
Und fliegend aus den Lüften stürzten Vögel.
Die Erde zitterte.
Und kam ein Mensch, sah farblos aus, und heiser
sprach er zu mir: „Was machst du? Weißt du’s nicht?
Tot ist die Herrin dein und war so schön.“

Die Augen schlug ich auf von Tränen feucht
und sah wie Manna‚ das vom Himmel regnet,
die Engel, die zurück und himmelwärts
mit einem Wölkchen kehrten, das sie trugen,
und sangen hinter ihm Hosanna! her.
Und weiter nichts als alle nur Hosannal
Da sprach mir Amor: „Wissen sollst du’s nun,
und komm und sieh, wie unsre Herrin ruht.“
Es führt des Traumes Trug
mich hin zum Anblick meiner toten Herrin.
Und als ich sie geschaut,
bedeckten Frauen sie mit einem Schleier.
Sie aber lag in reiner Demut da
und schien als sagte sie: „lch bin im Frieden.“

Sir Joseph Noel Paton (1821-1901): Dante denkt an das
Schicksal von Francesca da Rimini und Paolo Malatesta.
DANTE ALIGHIERIKarl Vossler
DIVINA COMMEDIAAUS DER GÖTTLICHEN KOMÖDIE
(INFERNO V, 40-49; 70-142)FRANCESCA UND PAOLO
E come li stornei ne portan l’ali
nel freddo tempo a schiera larga e piena,
così quel fiato li spiriti mali
di qua, di là, di giù, di su lì mena;
nulla speranza li conforta mai,
non che di posa, ma di minor pena.
E come i gru van cantando lor lai,
faccendo in aere di sè lunga riga,
così vidi venir, traendo guai,
ombre portate dalla detta briga:

[…]

Poscia ch’ io ebbi il mio dottore udito
nomar le donne antiche e’ cavalieri,
pietà mi giunse, e fui quasi smarrito.
I’ cominciai: «Poeta, volentieri
parlerei a quei due che ’nsieme vanno,
e paion sì al vento esser leggieri».
Ed elli a me: «Vedrai quando saranno
più presso a noi; e tu allor li priega
per quello amor che i mena, ed ei verranno».
Sì tosto come il vento a noi li piega,
mossi la voce: «O anime affannate,
venite a noi parlar, s’altri nol niega!»
Quali colombe, dal disio chiamate,
con l’ali alzate e ferme al dolce nido
vegnon per l’aere dal voler portate;
cotali uscir della schiera ov’ è Dido,
a noi venendo per l’aere maligno,
sì forte fu f’affettùoso grido.

«O animal grazioso e benigno
che visitando vai per l’aere perso
noi che tignemmo il mondo di sanguigno,
se fosse amico il re dell’universo,
noi pregheremmo lui della tua pace,
poi c’ hai pietà del nostro mal perverso.
Di quel che udire e che parlar vi piace,
noi udiremo e parleremo a vui,
mentre che ’l vento, come fa, ci tace.
Siede la terra dove nata fui
su la marina dove ’l Po discende
per aver pace co’ seguaci sui.
Amor, ch’al cor gentil ratto s’apprende,
prese costui della bella persona
che mi fu tolta; e 'l modo ancor m’offende.
Amor, ch’a nullo amato amar perdona,
mi prese del costui piacer sì forte,
che, come vedi, ancor non m’abbandona.
Amor condusse noi ad una morte:
Caina attende chi a vita ci spense.»
Queste parole da lor ci fur porte.
Quand’ io intesi quell’anime offense,
china’ il viso, e tanto il tenni basso,
fin che ’l poeta mi disse: «Che pense?»
Quando rispuosi, cominciai: «Oh lasso,
quanti dolci pensier, quanto disio
menò costoro al doloroso passo!»
Poi mi rivolsi a loro e parla’ io,
e cominciai: «Francesca, i tuoi martiri
a lacrimar mi fanno tristo e pio.
Ma dimmi: al tempo de’ dolci sospiri,
a che e come concedette amore
che conosceste i dubbiosi disiri?»
E quella a me: «Nessun maggior dolore
che ricordarsi del tempo felice
nella miseria; e ciò sa ’l tuo dottore.
Ma s’ a conoscer la prima radice
del nostro amor tu hai cotanto affetto,
dirò come colui che piange e dice.
Noi leggiavamo un giorno per diletto
di Lancialotto come amor lo strinse:
soli eravamo e sanza alcun sospetto.
Per più fiate li occhi ci sospinse
quella lettura, e scolorocci il viso;
ma solo un punto fu quel che ci vinse.
Quando leggemmo il disîato riso
esser baciato da cotanto amante,
questi, che mai da me non fia diviso,
la bocca mi baciò tutto tremante.
Galeotto fu il libro e chi lo scrisse:
quel giorno più non vi leggemmo avante.»
Mentre che l’uno spirto questo disse,
l’altro piangea, sì che di pietade
io venni men così com’ io morisse;
e caddi come corpo morto cade.
Und wie die Staren auf den Flügeln schweben
durch Winterluft in breiten vollen Haufen,
so fegt der Höllensturm die bösen Geister
nach rechts, nach links, hinauf, hinab, dahin.
Und keine Ruhe, keine Hoffnung winkt
und keine Linderung in ihrer Qual.
Und wie die Kraniche mit Klaggesang
in langen Reihen durch den Himmel ziehn
so kamen, ihre Jammerlaute schwellend,
die Schatten auf der Windsbraut gegen mich.

[…]

Da ich von meinem Führer nennen hörte
die alten Namen all der Fraun und Ritter,
ergriff mich und verwirrte mich das Mitleid.
Und ich begann: „Wie gern, mein Dichter, möcht ich
dort mit den Beiden sprechen, die so leicht
vom Wind getragen miteinander schweben.“
Er sprach: „Sieh zu, wann sie uns näher sind,
und dann beschwöre sie bei jener Liebe,
die sie umhertreibt, und sie werden kommen.“
Wie nun der Wind sie zu uns hergebogen,
hob ich die Stimme: „Arme, bange Seelen,
kommt her zu uns und sprechet, wenn ihr dürft.“
Und wie ein Taubenpärchen sehnsuchtsvoll
auf breiten Schwingen ruhig vom Wunsch getragen.
die Luft; durchzieht, dem trauten Neste zu,
so schwebten sie hervor aus Didos Scharen
zu uns herüber durch die finstre Luft —
so mächtig war mein liebevoller Ruf.

„Gefälliges und gütig Wesen du,
das durch die purpurdunkle Nacht zu uns,
die wir mit Blut die Erde färbten, kamest,
ach, wär des Weltalls König unser Freund,
um deinen Frieden flehten wir zu ihm,
denn du hast Mitgefühl für unsre Qualen.
Was dir beliebt zu hören und zu reden,
das hören wir und reden wir mit euch,
so lang, wie eben jetzt, die Stürme schweigen. —
Es liegt mein Heimatland am Ufer droben,
wo unser Po mit allen seinen Wassern
zum Meer hinunterfließt und Ruhe findet. —
Liebe in edeln Herzen zündet rasch,
und diesen hier berückte sie mit Schönheit
des Leibes, den ich, ach, so schnöd verlor.
Liebe will wieder Liebe von uns haben.
Und mich ergriff sie, diesem hier zuliebe,
so tief, sieh her, daß ich sie immer hege.
Die Liebe riß in einen Tod uns zwei.
Der uns ermordet wird’s mit Kain büßen.“
Dies sind die Worte, die herüberklangen.
Und ich verstand die schwer verletzten Seelen,
neigte das Antlitz und verweilte, so
sinnend, bis der Poet mich fragt: „Was hast du?“
Zur Antwort seufzte ich: „Unglückliche! —
und all das süße Träumen, all das Sehnen,
das diese zwei ins Elend führen mußte!“
Dann wandt ich mich zu ihnen, nahm das Wort
und sprach: „Arme Franziska, weinen muß ich,
aus innig Leid und Mitgefühl um dich.
Erzähle mir. Da ihr noch schmachtetet,
wodurch und wie hat euch die Liebe da
den scheuen Wunsch der Herzen kund gemacht?“
Sie sprach: „Im Elend sich vergangnen Glückes
erinnern müssen, ist der größte Schmerz!
Das weiß so gut wie ich dein Führer dort.
Doch weil du mich so traut und herzlich frägst
und unsrer Liebe Anfang kennen willst,
so muß ich’s denn mit Tränen dir erzählen.
Wir lasen eines Tags zur Unterhaltung
vom Lancelot und wie er sich verliebte,
wir zwei allein und dachten uns nichts Böses.
Da mußten manchmal wir vom Buche auf
uns in die Augen sehen und erblaßten.
Doch eine Stelle war’s, die uns besiegte.
Dort, wo wir lasen, wie der Held der Liebe
das holde Lachen ihr vom Munde küßte,
da küßte Er, der ewig mir gehört,
am ganzen Leibe zitternd mir den Mund. —
Galeotto war das Buch, und der es schrieb.
Wir lasen keine Silbe mehr darin.“
Indes die eine Seele so erzählte,
hört ich die andre weinen, daß vor Schmerz
der Sinn mir schwand, als ob ich sterben müßte,
und wie ein toter Körper sank ich hin.

Domenico di Michelino (1417-1491): La Divina Commedia di Dante.
Fresko, Florenz, Dom Santa Maria del Fiore, um 1465
DANTE ALIGHIERIKarl Vossler
DIVINA COMMEDIAAUS DER GÖTTLICHEN KOMÖDIE
(INFERNO XXVI, 85-142)ULIXES’ LETZTE FAHRT
Lo maggior corno della fiamma antica
cominciò a crollarsi mormorando
pur come quella cui vento affatica;
indi la cima qua e là menando,
come fosse la lingua che parlasse,
gittò voce di fuori, e disse: «Quando
mi diparti’ da Circe, che sottrasse
me più d’ un anno là presso a Gaeta.
prima che sì Enea la nomasse,
nè dolcezza di figlio, nè la pièta
del vecchio padre, nè ’l debito amore
lo qual dovea Penelopè far lieta,
vincer poter dentro da me l’ardore
ch’ i’ ebbi a divenir del mondo esperto,
e delli vizi umani e del valore;
ma misi me per l’alto mare aperto
sol con un legno e con quella compagna
picciola dalla qual non fui diserto.
L’ un lito e l’altro vidi infin la Spagna,
fin nel Morrocco, e l’ isola de’ Sardi,
e l’altre che quel mare intorno bagna.
Io e’ compagni eravam vecchi e tardi
quando venimmo a quella foce stretta
dov’ Ercule segnò li suoi riguardi,
acciò che l’ uom più oltre non si metta:
dalla man destra mi lasciai Sibilia,
dall’altra già m’avea lasciata Setta.
‘O frati,’ dissi, ‘che per cento milia
perigli siete giunti all’occidente,
a questa tanto picciola vigilia
de’ nostri sensi ch’è del rimanente,
non vogliate negar l'esperîenza,
di retro al sol, del mondo sanza gente.
Considerate la vostra semenza:
fatti non foste a viver come bruti,
ma per seguir virtute e canoscenza.’
Li miei compagni fec’ io sì aguti,
con questa orazion picciola, al cammino,
che a pena poscia li avrei ritenuti;
e volta nostra poppa nel mattino,
dei remi facemmo ali al folle volo,
sempre acquistando dal lato mancino.
Tutte le stelle già dell’altro polo
vedea la notte, e ’l nostro tanto basso,
che non surgea fuor del marin suolo.
Cinque volte racceso e tante casso
lo lume era di sotto dalla luna,
poi che ’ntrati eravam nell’alto passo,
quando n’apparve una montagna, bruna
per la distanza, e parvemi alta tanto
quanto veduta non avea alcuna.
Noi ci allegrammo, e tosto tornò in pianto;
chè della nova terra un turbo nacque,
e percosse del legno il primo canto.
Tre volte il fè girar con tutte l’acque:
alla quarta levar la poppa in suso
e la prora ire in giù, com’altrui piacque,
infin che ’l mar fu sopra noi richiuso.»
Da flackerte mit ihrem höchsten Gipfel
die griech’sche Doppelflamme und begann
zu brausen wie ein windgepeitschtes Feuer
und regte gleich die Spitzen hin und her,
als wollte sie mit einer Zunge reden.
Und eine Stimme kam heraus und sprach:
„Da ich mich losgemacht von Kirke, die
mich länger als ein Jahr gehalten hatte
am Strand (Gaeta heißt er seit Aeneas)‚
da fesselte mich nichts mehr. Vaterglück
und Sohnesdankbarkeit und Gattenliebe,
wie sie Penelope um mich verdiente,
ward alles aufgezehrt in meiner Brust
vom heißen Drang, durch alle Länder hin
der Menschen Wert und Narrheit zu erfahren.
Ich fuhr hinaus ins offne hohe Meer
auf einem einzgen Schiff mit meiner kleinen
Gesellenschar, die nimmer mich verließ;
besucht in Nord und Süd die Ufer bis
nach Spanien und Marokko, sah Sardinien
mit all den vielen Inseln jenes Meeres.
Wir wurden alte Männer, bis wir endlich
an jene enge Wasserstraße kamen,
wo Herkules die Warnungszeichen setzte,
auf daß der Mensch sich hier nicht weiter wage.
Ich aber ließ Sibilia zur Rechten
und hatte links schon Setta hinter.mir
und — „Brüder“, sprach ich, „die durch hunderttausend
Gefahren nach dem Westen seid gelangt,
entziehet nicht dem kurzen Lebensabend,
der uns noch bleibt, die sinnliche Erfahrung
der unbewohnten Welt, dort nach der Sonne!
Bedenkt, wess hohen Samens Kind ihr seid
und nicht gemacht um wie das Vieh zu leben!
Erkenntnis suchet auf und Tüchtigkeit!“
Mit dieser kurzen Rede stachelt’ ich
meine Genossen auf und trieb sie vorwärts,
so scharf, daß niemand sie gezügelt hätte.
Das Hinterschiff dem Morgen zugekehrt,
mit tollen Ruderschlägen ging der Flug
hinaus und vorwärts, immer mehr nach links.
Bald sah man nachts des andern Poles Sterne,
und wie sie alle kamen, sank der unsre,
bis er sich nicht mehr aus dem Meer erhob.
Schon fünfmal hatte volles Licht vom Mond
herabgestrahlt und fünfmal war’s geschwunden
seit wir zur großen Fahrt uns aufgemacht.
Da tauchte dunkel in dem fernen Dunst
ein Berg herauf und schien mir riesenhoch,
so hoch, wie ich noch nichts gesehen hatte.
Wir jubelten. — Die Lust ward bald zunichte;
denn von dem fernen Lande kam ein Wirbel,
der faßte an der Spitze gleich das Schiff
und dreht es dreimal um im Strudelkreise,
beim vierten hob er’s hinten auf — und köpflings,
wie fremde Macht es wollte, fuhr's hinab.
Dann schloß sich langsam über uns das Wasser.

Alle deutschen Übersetzungen sind aus: Karl Vossler: Romanische Dichter. 2., vermehrte Auflage. R. Piper & Co. Verlag, München, 1938.

Da Vossler die Originale nicht veröffentlicht, habe ich sie aus folgenden Quellen herangezogen:
Hartmut Köhler (Hrsg.): Poesie der Welt. Italien. Edition Stichnote im Propyläen Verlag Berlin, 1985. ISBN 3-550-08516-8.
Horst Rüdiger (Hrsg.): Italienische Gedichte aus acht Jahrhunderten (Sammlung Dieterich Band 229). Carl Schünemann Verlag Bremen.
Dante Alighieri: La Commedia. I. Inferno (Übersetzt u. kommentiert von Hartmut Köhler). Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2011. ISBN 978-3-15-010750-8.
Teile, die Vossler nicht übersetzt hat, sind im Text durch […] vertreten.


Wem dieser Post gefallen hat, dem mute ich noch mehr zu

Franz Liszt: Klavierkonzerte Nr. 1 & 2, Totentanz, Ungarische Fantasie, | Helmut Kracke: Historisch-Musische Anagrammatik (Aus "Mathe-musische Knobelisken").

Chopin: Klavierkonzerte Nr. 1 und 2 (Alexis Weissenberg, 1967). | Erwin Panofsky: Interpretatio Christiana. (Aus "Die Renaissancen der europäischen Kunst").

Claudio Arrau: A-moll-Klavierkonzerte von Grieg und Schumann (1963), | Verena Auffermann: Lorenzo Lotto und sein Blick auf die Schwächen des Menschen. (Aus "Das geöffnete Kleid").

Brahms: Ein deutsches Requiem (Klemperer, Schwarzkopf, Fischer-Dieskau). | Karl Vossler: Puristische und Fragmentarische Kunstkritik. (Aus "Aus der Romanischen Welt").


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