Die vorliegende CD beginnt mit den Trois Mouvements perpétuels (1918), die bei pianistischen Amateuren beliebt waren. Im Jahr 1924 verbreitete sich Poulencs Ruhm dank seiner Musik für Diaghilevs Ballet Les Biches auch außerhalb von Paris. Etwa zehn Jahre später kam sein Freund Pierre-Octave Ferraud bei einem Autounfall ums Leben; dieses Ereignis berührte ihn so tief, dass er sich wieder dem katholischen Glauben seiner Familie zuwandte. Er schrieb eine Reihe von Chorwerken über geistliche Texte, sowohl a cappella als auch mit Orchesterbegleitung. Diese Chorwerke und viele andere markante Kompositionen für Klavier, verschiedene Kammermusikbesetzungen, Orchester, sowie Lieder und Opern bilden seinen unverwechselbaren Nachlass. Während des Zweiten Weltkriegs lebte er im besetzten Teil Frankreichs und 1947 hatte er mit seiner ersten Oper, Les Mamelles de Tirésias, einen Riesenerfolg. Im folgenden Jahr besuchte er die Vereinigten Staaten zum ersten Mal. 1963 steckte er mitten in der Arbeit an seiner vierten Oper über Cocteaus La Machine infernale, als er in Paris einem Herzanfall erlag.
Kennzeichen von Poulencs Œuvre sind das warm leuchtende Kolorit, die rhythmische Vitalität und originelle Harmonik; dazu kam eine ausgesprochen individuelle Synthese von Humor und Melodik (und, wie er selber postulierte, „beaucoup de pedale“). Diese Eigenheiten kommen in der Auswahl der vorliegenden CD, die etwa ein Drittel seiner solistischen Klavierwerke enthält, gut zur Geltung. Der überwiegende Teil seiner Kompositionen für das Instrument stammt aus den frühen 1930er Jahren; allerdings entstanden die ältesten hier aufgenommenen Werke — die Trois Mouvements perpétuels und die Sonate zu vier Händen — schon 1918, und die dritte Novelette, sein letztes Werk für Klavier solo, viel später, nämlich 1959. Poulenc behauptete, sein einfallsreichster Klaviersatz sei in der Begleitung seiner Lieder zu finden, aber seine solistischen Stücke sind von seinem ganz individuellen Stil belebt. Am Klavier fand Poulenc an erster Stelle seine kompositorische Sprache; nach eigener Aussage konnte er nie die Freude am Klavierspielen vom Bedürfnis zu komponieren trennen.
Quelle: Anonymus, im Booklet
Francis Poulenc (1899-1963) |
TRACKLIST Francis Poulenc (1899-1963) Klavierwerke Trois Mouvements perpétuels (1918) 01. I. Assze modéré 01:19 02. II. Très modéré 01:01 03. III. Alerte 02:43 Trois Novelettes 04. Nr.1 C-Dur (1928) 02:54 05. Nr.2 b-moll (1928) 01:59 06. Nr.3 e-moll (1959) 02:23 07. Valse C-Dur (1919) 01:51 08. Pastourelle (1927) 02:11 Suite française (1936) 09. Bransle de Bourgogne 01:38 10. Pavane 02:33 11. Petite marche militaire 01:00 12. Complainte 01:24 13. Bransle de Champagne 01:55 14. Sicilienne 01:31 15. Carillon 01:46 16. Presto B-Dur (1934) 01:36 Sonate pour Piano à quatre mains (1918)* 17. I. Prélude 02:11 18. II. Rustique 01:54 19. III. Finale (très vite) 01:52 20. L'Embarquement pour Cythere (1951)* 02:08 Suite C-Dur (1920) 21. I. Presto 01:57 22. II. Andante 02:04 23. III. Vif 01:28 Trois Pièces (1928) 24. Pastorale 02:27 25. Hymne 04:11 26. Toccata 02:03 27. Mélancolie (1940) 05:43 28. Humoresque (1934) 01:45 Trois Intermezzi 29. Nr.1 C-Dur (1934) 01:40 30. Nr.2 Des-Dur (1934) 02:11 31. Nr.3 As-Dur (1943) 04:16 Villageoises (1933) 32. Valse tyrolienne 00:36 33. Staccato 00:46 34. Rustique 00:39 35. Polka 00:31 36. Petite ronde 00:41 37. Coda 00:54 38. Française (1939) 01:36 39. Bourrée au Pavillon d'Auvergne (1937) 01:35 Gesamt 75:07 Gabriel Tacchino, Klavier *mit Jacques Février, Klavier Aufgenommen: XII 1966 (1-8), III 1967 (9-16), X - XI 1972 (17-20), IV 1979 (21-23), X 1980 (24-28), V 1982 (29-31), XII 1983 (32-38), X 1983 (39), Salle Wagram, Paris. Produzent: Eric Macleod Tonmeister: Paul Vavasseur (1-20), Serge Remy (21-23, 27-39), Daniel Michel & Serge Remy (24-26) (P) 1968, 1973, 1982, 1985 (C) Compilation 2003
Lukian: Das Gastmahl oder die Lapithen
(Philon (PHI) und Lykinos (LYK) (1,17)
Kentauromachie. Frontplatte eines Sarkophags, um 150 n.Chr, Marmor. Archäologisches Museum, Ostia |
LYK. Nein, es war seine Tochter Kleanthis, die er dem Sohn des Eukritos zur Frau gab — du weißt schon: Vater Geldverleiher, Sohn Philosophiestudent.
PHI. Beim Zeus, ein ausnehmend hübsches Bürschchen, aber er ist doch noch ein zarter Junge und kaum alt genug, um zu heiraten!
LYK. Einen passenderen hatte er aber nicht, glaube ich. Und weil der einen ordentlichen Eindruck machte, sich zur Philosophie hingezogen fühlt und außerdem der einzige Sohn des reichen Eukritos ist, da hat er ihm vor allen anderen den Vorzug als Bräutigam gegeben.
PHI. Eukritos’ Geld — da nennst du keinen kleinen Grund! Jetzt aber, Lykinos: Wer waren die Gäste?
LYK. Warum sollte ich dir die übrigen alle aufzählen? Die Vertreter von Philosophie und Rhetorik hingegen, von denen du, glaube ich, in erster Linie hören willst, waren der alte Stoiker Zenothemis und mit ihm Diphilos‚ genannt ›Labyrinth‹, der Lehrer von Aristainetos’ Sohn Zenon; von den Peripatetikern Kleodemos, du weißt schon, der Zungenfertige, der Disputiermeister, ›Schwert‹ nennen ihn seine Schüler und ›Beil‹. Es war aber auch der Epikureer Hermon da, und schon bei seinem Eintreten sahen ihn die Stoiker böse an, wandten sich ab und bekundeten deutlich ihren Abscheu vor ihm wie vor einem Vatermörder und verfluchten Frevler. Sie alle waren als Aristainetos’ eigene Freunde und Bekannte zum Fest eingeladen worden, und mit ihnen der Grammatiker Histiaios und der Rhetor Dionysodoros. Chaireas, dem Bräutigam, zu Gefallen war auch sein Lehrer, der Platoniker Ion, zu Gast, ehrwürdig anzuschauen, jeder Zoll divin‚ und Zucht und Unbescholtenheit standen ihm ins Gesicht geschrieben: Schließlich nennen ihn die meisten ja auch ›Maßstab‹ mit Blick auf die Geradheit seiner Anschauungen. Bei seiner Ankunft machten ihm alle Platz und begrüßten ihn wie einen von den Mächtigen, kurz: der Herrgott auf Besuch, das war’s, daß der vielbestaunte Ion gekommen war.
Schon wurde es Zeit, sich auf den Klinen niederzulassen, es waren beinahe alle da; auf der rechten Seite der Eintretenden nahmen die Frauen das ganze Liegesofa ein, ziemlich viele waren es, und unter ihnen die Braut, sorgfältigst verschleiert, von den Frauen schützend umgeben. Gegenüber der Tür lagen all die übrigen, jeder nach seinem Rang. Den Frauen gegenüber lagen zuerst Eukritos, dann Aristainetos. Dann gab es eine Diskussion, ob nun zuerst Zenothemis der Stoiker seinem Alter entsprechend folgen solle oder Hermon der Epikureer: Denn er war Priester der Dioskuren und entstammte der ersten Familie der Stadt. Doch Zenothemis löste diese Aporie: »Aristainetos,« sagte er, »wenn du mich hinter diesem Hermon da auf den zweiten Platz verweist, einem, um kein anderes Schimpfwort zu gebrauchen, Epikureer, dann lasse ich dich mit deinem ganzen Symposion hier stehen und gehe.« Mit diesen Worten rief er schon nach seinem Sklaven und sah aus, als wolle er den Raum verlassen. Da sagte Hermon: »Dann setz dich eben auf den ersten Platz, Zenothemis; allerdings hätte es dir gut zu Gesicht gestanden, einem Priester Platz zu machen, wenn schon aus keinem anderen Grund, wie sehr auch immer du den göttlichen Epikur verachtest.« — »Daß ich nicht lache‚« sagte Zenothemis, »ein Epikureer — und Priester!« und mit diesen Worten nahm er Platz, nach ihm dann trotzdem Hermon, dann Kleodemos der Peripatetiker, dann Ion und unterhalb von ihm der Bräutigam, dann ich, neben mir Diphilos und unterhalb von ihm sein Schüler Zenon, dann der Rhetor Dionysodoros und der Grammatiker Histiaios.
Kentauromachie. Friesplatte vom Apollontempel in Bassai, Westliche Langseite, Platte 528. British Museum, London |
LYK. Er gehört eben, lieber Freund, nicht zu diesen Allerweltsreichen, sondern die Bildung liegt ihm am Herzen, und er verbringt die meiste Zeit seines Lebens mit diesen Leuten.
Nun, das Essen verlief zuerst ganz ruhig, und die Speisenfolge war abwechslungsreich. Aber ich denke doch, das muß ich dir nicht alles aufzählen, die Brühen und die Kuchen und die übrigen leckeren Sachen: von allem im Überfluß. Indessen beugte sich Kleodemos zu Ion: »Siehst du den Alten«, sagte er — er meinte Zenothemis, ich hörte nämlich zu —, »wie er sich mit den Köstlichkeiten vollstopft‚ wie er sich seinen Umhang mit Suppe bekleckert, und was er alles seinem Sklaven hinter sich gibt: Und er glaubt, die anderen würden es nicht merken, aber er denkt nicht an die in seinem Rücken! Zeig das auch mal dem Lykinos, damit er Zeuge ist!« Ich brauchte aber Ions Hinweis gar nicht, hatte ich es doch schon viel früher bemerkt, da ich von meinem Platz aus alles gut überblicken konnte.
Kaum hatte Kleodemos das gesagt, da platzte uneingeladen der Kyniker Alkidamas herein, jenes bekannte Scherzwort auf den Lippen, wonach »ungerufen erschien Menelaos«. Die meisten fanden das unverschämt und unterbrachen ihn mit naheliegenden Entgegnungen: »Töricht handelst du, Menelaos«, skandierte der eine, der andere: »Nur Agamemnon, dem Sohne des Atreus, behagte das gar nicht«, und brummelten noch weitere zur Situation passende und elegante Bemerkungen in ihre Bärte: Offen zu reden traute sich allerdings keiner, denn sie fürchteten sich vor Alkidamas, der eben wirklich ein »Meister im Schlachtruf« ist und von allen Hunden der lärmendste Kläffer. Deshalb hielten ihn auch alle für eine bedeutende Persönlichkeit, und er jagte jedermann gewaltige Angst ein. Aristainetos wollte ihn auf einen Sessel neben Histiaios und Dionysodoros komplimentieren, aber er sagte: »Zum Teufel damit! Sessel und Liegen sind was für Weiber und Schlappschwänze wie euch, die ihr euch da auf diesem weichen Lager ausstreckt, ach was: fläzt, und es euch, auf Purpur gebettet, schmecken laßt. Ich hingegen ziehe es vor, im Stehen zu essen und dabei im Speisesaal auf und ab zu gehen. Und sollte ich müde werden, dann lege ich mich auf meinen Mantel und stütze mich auf den Ellbogen, wie Herakles auf den Bildern.« — »Aber bitte doch«, sagte Aristainetos, »wenn es dir so lieber ist.« Und so spazierte Alkidamas von nun an während des Essens im Kreis herum und wechselte wie die Skythen stets zur fetteren Weide, immer auf den Spuren der Speisenträger. […]
Kentauromachie. Friesplatte vom Apollontempel in Bassai, Südliche Schmalseite, Platte 526. British Museum, London |
Die meisten waren jetzt schon stark angeheitert, und der Speisesaal hallte wider von ihren lauten Unterhaltungen: Dionysodoros‚ der Rhetor, deklamierte irgendwelche von seinen Reden, eine nach der anderen, und sonnte sich in der Bewunderung der hinter ihm aufwartenden Diener; der Grammatiker Histiaios, der neben ihm lag, rezitierte Gedichte und vermischte dabei Verse von Pindar, Hesiod und Anakreon, so daß daraus ein einzelnes Lied entstand, das fürchterlich komisch war, vor allem aber, gerade als ob er das Kommende vorausgesagt hätte, diese Verse: »Sie ließen ihre Schilde zusammenstoßen«, und »gleichzeitig schrieen sie da vor Schmerz und vor Jubel«. Zenothemis hingegen las währenddessen aus einem Buch mit kleiner Schrift vor, das er sich von seinem Diener hatte geben lassen. […]
Denn nun trat in die Mitte des Saales ein Diener, der verkündete, er komme von Hetoimokles dem Stoiker. Er hatte ein Schreibtäfelchen bei sich und sagte, sein Herr habe ihm aufgetragen, dies allen öffentlich zu Gehör zu bringen und dann wieder zurückzukommen. Aristainetos gab ihm die Erlaubnis zu sprechen; so trat er also zur Lampe und las laut vor.
PHI. Wohl eines der üblichen Loblieder auf die Braut, Lykinos, oder ein Hochzeitsgedicht?
Kentauromachie. Friesplatte vom Apollontempel in Bassai, Östliche Langseite, Platte 522. British Museum, London |
Aber bitte, viel Glück mit ihnen! In der festen Überzeugung, daß allein das Edle gut ist, trage ich die Entehrung leicht. Trotzdem habe ich, damit du dich jedenfalls später nicht in die Ausrede flüchten kannst, du hättest die Einladung in dem ganzen Trubel bloß vergessen, dich heute zweimal angesprochen, einmal morgens vor dem Haus, dann später noch einmal beim Opfer im Dioskuren-Tempel. Somit bin ich gegenüber den Anwesenden entschuldigt. Wenn du aber jetzt glaubst, ich sei wegen des Essens wütend, dann denke an die Geschichte von Oineus: Da kannst du nämlich sehen, daß auch Artemis sich geärgert hat, weil er nur sie allein nicht zum Opfer holte, während er die anderen Götter alle bewirtete. Davon spricht Homer ungefähr folgendermaßen:
›Er vergaß es, oder dachte nicht daran, gewaltig war er verblendet in seinem Mute.‹
und Euripides:
›Das ist das Land Kalydon, der Peloponnes
Gegenüber, mit seinen glücklichen Feldern.‹
und Sophokles:
›Ein Schwein, ein gewaltiges Ding, zu den Feldern des Oineus
Sandte die Tochter der Leto, die fernhintreffende Göttin.‹
Kentauromachie. Friesplatte vom Apollontempel in Bassai, Westliche Langseite, Platte 521. British Museum, London |
Ich habe diesem Diener aufgetragen, für den Fall, daß du ihm ein Stück Schweinebraten oder Hirschfleisch oder Sesamkuchen für mich als Entschuldigung für das entgangene Essen mitgibst, es nicht anzunehmen, damit es nicht so aussieht, als hätte ich ihn eigens zu dem Zweck geschickt.«
Während dieser Lesung, lieber Freund, lief mir vor lauter Scham der Schweiß hinunter, und ich wäre am liebsten, wie man so schön sagt, in den Erdboden versunken, als ich sah, wie die Gäste bei jedem Satz lachten, vor allem diejenigen, die Hetoimokles kannten, einen schon ergrauten und ehrwürdig aussehenden Mann. Da wunderten sie sich nun, daß sie gar nicht gemerkt hatten, was für einer er wirklich war, und daß sie sich durch seinen Bart und sein ernstes und strenges Gesicht hatten täuschen lassen. Denn ich glaube, Aristainetos hatte ihn nicht aus Unachtsamkeit übergangen, vielmehr hätte er wohl nie zu hoffen gewagt, daß Hetoimokles eine Einladung annehmen oder sich für so etwas hergeben würde. Und so hatte er es nicht für der Mühe wert gehalten, es auch nur zu versuchen.
Als nun der Diener endlich fertig vorgelesen hatte, da wandten sich die Blicke aller Gäste auf Zenon und Diphilos, die vor Schreck ganz blaß geworden waren und deren hilflose Gesichter die Vorwürfe des Hetoimokles bestätigten; Aristainetos hingegen war ganz verstört und innerlich aufgewühlt, forderte uns aber trotzdem zu trinken auf, versuchte schmallippig lächelnd, den Vorfall vergessen zu machen, und schickte den Diener mit den Worten weg, er werde sich darum kümmern. Kurz danach stand auch Zenon auf und zog sich unauffällig zurück, nachdem sein Pädagoge ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen gegeben hatte, er solle auf Anordnung seines Vaters verschwinden.
Kleodemos hatte schon die ganze Zeit nur auf eine passende Gelegenheit gewartet - er wollte sich nämlich mit den Stoikern anlegen und platzte beinahe, weil er keinen rechten Anlaß finden konnte —, und jetzt, wo der Brief gewissermaßen den Startschuß gegeben hatte, sagte er: »Solche Früchte verdanken wir dem edlen Chrysipp, dem herrlichen Zenon und dem Kleanthes: unseliges Geschwätz, ewige Fragereien und philosophisches Posieren, aber eigentlich sind sie fast alle Leute wie Hetoimokles. Schaut euch diesen Brief an, ganz der eines ehrwürdigen Greises, und am Ende ist Aristainetos Oineus und Hetoimokles Artemis! Beim Herakles, nein, was für schöne Segenswünsche, und wie passend für ein Fest!« »Allerdings, beim Zeus!« sagte Hermon, der oberhalb von ihm lag. »Hetoimokles hat, denke ich, läuten hören, daß bei Aristainetos ein Schwein auf den Tisch kommen sollte, und daher hielt er es für nicht unangebracht, die Sprache auf den kalydonischen Eber zu bringen. Aber, bei Hestia, Aristainetos, schick dem Alten nur schleunigst seinen Teil am Erstlingsopfer, bevor er am Ende noch vor Hunger eingeht wie Meleager. Andererseits sollte ihm das doch nichts ausmachen: Chrysipp hielt so etwas ja für gleichgültig‚« »Ihr redet von Chrysipp?« fragte Zenothemis ziemlich laut und richtete sich auf. »Ihr nehmt einen einzigen Mann, der nicht einmal regelgerecht philosophieren kann, Hetoimokles den Scharlatan, zum Maßstab, um Denker wie Kleanthes und Zenon zu beurteilen? Wer seid ihr denn, daß ihr euch so zu reden traut! Hast du denn nicht, Hermon, den Statuen der Dioskuren die Locken abgeschoren, weil sie aus Gold waren? Dafür wirst du noch büßen, wenn du dich erst in den Händen des Henkers befindest. Und du, Kleodemos‚ hast du es nicht mit der Frau deines Schülers Sostratos getrieben und hast die peinlichsten Folgen tragen müssen, als man dich ertappt hat? Wollt ihr also nicht still sein, wo ihr genau wißt, was ihr auf dem Kerbholz habt?« — »lmmerhin mache ich nicht bei meiner eigenen Frau den Zuhälter«, antwortete Kleodemos, »so wie du, und ich habe mir auch nicht von einem ausländischen Schüler sein Reisegeld anvertrauen lassen und dann bei der Athena Polias geschworen, ich hätte es nie bekommen, und ich verleihe mein Geld auch nicht auf vier Prozent, und ich gehe meinen Schülern auch nicht an die Gurgel‚ wenn sie ihre Studiengebühren nicht pünktlich zahlen.« »Du wirst aber nicht abstreiten wollen«, sagte Zenothemis, »daß du dem Kriton für seinen Vater Gift verkauft hast.«
Michelangelo: Zentaurenschlacht, um 1492, Marmor, 84 x 90 cm. Museo Casa Buonarroti, Florenz |
Denn auch nachdem Aristainetos sich zwischen sie gelegt hatte, hörten Zenothemis und Kleodemos nicht auf, sich hartnäckig weiterzuzanken. Vielmehr sagte Kleodemos: »Für jetzt soll es genügen, wenn ihr als Dummköpfe entlarvt werdet, aber morgen will ich euch so in die Schranken weisen, wie es sich außerdem noch gehört. Antworte mir daher, Zenothemis, du oder der Tugendbold Diphilos, wie es kommt, daß ihr den Gelderwerb als gleichgültig bezeichnet, aber an nichts anderes denkt als bloß daran, wie ihr noch mehr anhäufen könnt, und euch deswegen immer an die Reichen haltet und Geld zu Wucherzinsen verleiht und Studiengebühren erhebt, und warum ihr die Lust verabscheut und die Epikureer anklagt, selber aber, wenn es euch nur Lust bereitet, die schlimmsten und peinlichsten Dinge tut und mit euch geschehen laßt und euch schon ärgert, wenn man euch nicht zum Essen einlädt. Lädt man euch aber ein, dann eßt ihr so viel, und so viel gebt ihr euren Dienern ...« — und mit diesen Worten versuchte er die Stofftasche an sich zu reißen, die der Sklave des Zenothemis hielt und die mit den verschiedensten Fleischsorten gefüllt war, und beinahe hätte er sie aufgemacht und das Fleisch auf den Boden geworfen, aber der Sklave ließ nicht los und hielt kräftig dagegen. Und Hermon sagte: »Bravo, Kleodemos! Sollen sie doch mal erklären, wieso sie die Lust anklagen, aber selbst mehr als alle anderen auf Lustgewinn aus sind.« — »O nein, sag du doch, Kleodemos«, antwortete Zenothemis, »wie du dazu kommst, den Reichtum nicht für etwas Gleichgültiges zu halten.« — »Nein‚ du!« Und so ging es einige Zeit hin und her […] und zugleich wurde uns der sogenannte ›letzte Gang‹ serviert, ein Vogel für jeden, Schweinefleisch, Hase, Bratfisch, Sesamkuchen und Knabberzeug, und das alles durfte man auch mit nach Hause nehmen. Es stand aber nicht eine Platte mit Essen vor jedem, sondern Aristainetos und Eukritos hatten eine zusammen auf einem Tisch, und jeder von beiden sollte das nehmen, was sich auf seiner Seite befand; Zenothemis der Stoiker und Hermon der Epikureer hatten genauso eine gemeinsame Platte, dann der Reihe nach Kleodemos und Ion, nach ihnen der Bräutigam und ich; Diphilos bekam Essen für zwei serviert, denn Zenon hatte ja das Fest verlassen. […]
Antonio Canova: Theseus tötet den Zentaur, 1805/19. Kunsthistorisches Museum, Wien. |
»und schoß an jenem vorbei, eine andre Bahn nahm das Geschoß«,
und spaltete dem Bräutigam den Schädel, die Wunde war ordentlich tief. Da kreischten die Frauen los, und die meisten sprangen aufs Schlachtfeld, vorne weg die Mutter des Bürschchens, als sie das Blut sah. Auch die Braut fuhr hoch, in höchster Angst um ihn. Bei all dem zeichnete sich Alkidamas als Kampfgenosse des Zenothemis aus und zertrümmerte mit seinem Knüppel dem Kleodemos den Schädel, dem Hermon zermalmte er den Kiefer, und er verwundete einige Diener, die ihnen zu helfen versuchten. Ihre Gegner ließen sich allerdings nicht so leicht in die Flucht schlagen, im Gegenteil! Kleodemos bohrte dem Zenothemis mit gestrecktem Zeigefinger das Auge aus, packte ihn an der Nase und biß sie ihm ab, und Hermon warf den Diphilos, der zur Unterstützung des Zenothemis herbeigeeilt war, kopfüber von der Kline herunter. Bei dem Versuch, sie zu trennen, wurde auch Histiaios, der Grammatiker, verwundet, indem er, glaube ich, von Kleodemos‚ der ihn für Diphilos hielt, einen Tritt in die Zähne bekam. Da lag er nun, der Arme, und »spie noch Blut«, ganz wie bei seinem Homer. Kurz, ein gewaltiges Durcheinander und Geheule. Die Frauen flatterten um Chaireas herum und schrieen und jammerten, die übrigen Gäste versuchten zu schlichten. Das größte Übel von allen stellte Alkidamas dar, der, nachdem er sich nun einmal zum Herrn des Schlachtfeldes gemacht hatte, auf jeden, der ihm in den Weg kam, eindrosch. Und viele wären zu Boden gegangen, da kannst du sicher sein, wenn er nicht seinen Knüppel zerbrochen hätte. Ich drückte mich aufrecht an die Wand und beobachtete alles, ohne mich einzumischen, wohl belehrt durch das Beispiel des Histiaios, wie riskant es ist, in einer solchen Situation vermitteln zu wollen.
Lapithen und Kentauren hättest du nun hier sehen können, umgekippte Tische, Blut in Strömen, Pokale im Flug. Zuletzt kippte Alkidamas die Lampe um und stürzte alles in tiefe Dunkelheit, wodurch die Sache natürlich nur um so schlimmer wurde. Denn so schnell hatten sie kein anderes Licht zur Hand, und viele schreckliche Dinge geschahen in der Dunkelheit. Als endlich jemand kam und Licht brachte, ertappten wir Alkidamas dabei, wie er gerade die Flötenspielerin auszog und vergewaltigen wollte, und Dionysodoros wurde bei einer anderen lustigen Sache erwischt: Ihm fiel nämlich beim Aufstehen ein Pokal aus dem Mantel. Er redete sich dann damit heraus, Ion habe ihn aufgehoben und ihn ihm in der Aufregung gegeben, damit er nicht verloren ginge, und Ion, rührend besorgt, bestätigte das.
Lucian von Samosata (120-180/200 n.Chr.). Kupferstich von William Faithorne (1616-1591). [Quelle]´ |
Das, werter Philon, war das Ende des Gastmahls, oder besser noch, ich zitiere jenen bekannten tragischen Schlußvers:
›In vielen Gestalten erscheint das Werk der Unsterblichen,
Vieles, was wir nie gehofft, führen die Götter zu Ende,
Vieles Gehoffte ward nicht vollzogen.‹
Denn in der Tat: Auch dies ging ganz gegen die Erwartung aus. Das jedenfalls habe ich gelernt: Daß es nicht ungefährlich ist, mit solchen Philosophen zu speisen, wenn man selbst kein Durchsetzungsvermögen besitzt.
Quelle: Lukian: Gegen den ungebildeten Büchernarren. Ausgewählte Werke. Übersetzt von Peter von Möllendorff. Artemis &amb; Winkler, Düsseldorf/Zürich 2006. ISBN 3-7608-4121-2. Seiten 146 bis 166 (gekürzt)
Link-Tipps
Lukian spielt im Alternativtitel seines Textes auf die Kentauromachie an, was mich dazu verführt hat, ihn mit den entsprechenden Illustrationen zu ergänzen.
Ogmios war ein Gott der Gallier, den Lukian in seinem Essay »Der gallische Herakles« (um 175 u.Z.) beschreibt. Er hat in Südgallien ein Fresko gesehen, auf dem ein Greis dargestellt war, von dessen durchbohrter Zunge zu den Ohren der ihm folgenden Menschen feine goldene Ketten führten. Für Lukian äußert sich darin die Personifikation der Redekunst.
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Gabriel Faurè (Jean-Philippe Collard, 1970-1983). | Arthur Schopenhauer: Über die Freiheit des Willens.
Frédéric Chopin (Daniel Barenboim, 1974). | Philippe Ariès: Der gezähmte Tod. (Aus den »Studien zur Geschichte des Todes im Abendland«)
Erik Satie (Michel Legrand, 1993). | Die Seagram Murals von Mark Rothko.
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