Das vielseitige Programm dieser CD stellt einige der ausgefalleneren Klavierstücke Saties und andere, mehr im klassischen Stil komponierte Werke einander gegenüber. Den Anfang machen dabei seine berühmtesten Klavierstücke, die drei Gymnopédies.
Saties humorvolle Werke - von Chapitres tournés en tous sens aus dem Jahr 1913 über Sports et divertissements von 1914 bis hin zu Avant-dernières pensées und Sonatine bureaucratique von 1917 - wurden erst ein Vierteljahrhundert später geschrieben. In der Zwischenzeit war Satie bereits eine zeitlang Mitglied des Rosenkreuzer-Ordens gewesen, weshalb ihn Alphonse Allais (der wie Satie aus Honfleur stammte) den Spitznamen »Esostérik Satie« gab. Außerdem hatte er sich unerwarteterweise als Pianist in Kabaretts und Cafés durchgeschlagen. Noch ungewöhnlicher war es, dass sich Satie schließlich im Alter von fast vierzig Jahren ein weiteres Mal auf die Schulbank begab.
Suzanne Valadon: Porträt Erik Satie, 1892. Öl auf Leinwand, 41 x 22 cm, Center Georges Pompidou, Paris |
Es muss festgehalten werden, dass Satie weniger für große Konzerte komponierte, in denen seine Werke nur selten gespielt wurden, als vielmehr für den durchschnittlichen Hörer, der (in einer Zeit, in der das Klavier in jedem Haushalt seinen festen Platz hatte) Ausführender und Zuhörer in einer Person war. Wer Musik hören wollte, spielte sie sich im allgemeinen selbst vor. Deshalb wandte sich Satie mit seinen Kompositionen an den »Menschen von der Straße«. Er schuf damit eine künstlerische Beziehung zum Zuhörer, die gar nicht anders als persönlich sein konnte.
Die posthumen Werke, die auf dieser CD eingespielt wurden, umfassen drei Gigues mit dem Titel Jack-in-the-box. Sie wurden 1889 als Bühnenmusik für eine »Cloonerie« des Montmartre-Humoristen Jules Depaquit geschrieben. Satie beschreibt sie als eine »Grimasse der schrecklichen Menschen, die unsere Welt bevölkern«. Weil Depaquits Stück weder zu seinen eigenen noch zu Saties Lebzeiten je auf die Bühne gelangte, verschwanden die Noten in einer der Taschen jener zwölf gleichen Samtanzüge, die dem Komponisten den Spitznamen »der samtene Herr« einbrachten. Erst nach Saties Tod tauchte dieses Stück wieder auf und wurde zur Grundlage eines Ballettes, das von Diaghilevs Ballets Russes in einer Choreographie von George Balanchine und mit Bühnenbildern von André Derain aufgeführt wurde.
Antoine de La Rochefoucauld: Porträt Erik Satie, 1894, Öl auf Leinwand, 80 x 68 cm. |
Caresse, Deux Rêveries nocturnes und die Six pièces de la periode 1906-1913 beruhen auf Skizzen aus Notizbüchern des Komponisten, die heute in der Bibliothèque Nationale verwahrt werden. Das erste dieser Six pièces - mit dem Titel Désespoir agréable soll »mit ansteckender Ironie« gespielt werden, während das dritte, Poésie (»Dichtung«), mit »ziemlich blauem« und »klösterlichem« Stil vorgetragen werden soll. Das vierte Prélude, Canin (»Kaninchen«), ist eine Studie für die Préludes flasques, während das fünfte, Profoundeur (»Tiefe«), als Teil eines Triptychons gedacht war, dessen andere beide Teile die Titel Bévue Indiscrète (»Indiskreter Schnitzer«) und Le Vizir Autrichien (»Der österreichische Wesier«) hätten tragen sollen. Der Titel des letzten Stückes, Songe Creux (»Hohler Traum«), führt uns zu Rabelais zurück, denn der »hohle Traum« (d.h. sich schimärischen Gedanken hinzugeben) gehört zu jenen Dingen, mit denen sich Gargantua befassen muss, bevor er in das Zeitalter der Vernunft gelangt.
Quelle: Anonymus, im Booklet
Erik Satie: Porträt Erik Satie |
TRACKLIST Erik Satie 1866-1925 Piano Works 01 Gymnopedie No.1 4'03 Sonatine Bureaucratique 02 Allegro 0'50 03 Andante 0'58 04 Vivace 1'12 05 Gymnopedie No.2 3'18 Sports et Divertissements 06 Choral Inappétissant 1'01 07 La Balançoire 0'44 08 La Chasse 0'14 09 La Comédie Italienne 0'31 10 Le Réveil de la Mariée 0'19 11 Colin-Maillard 0'38 12 La Pêche 0'36 13 Le Yachting 0'41 14 Le Bain de Mer 0'18 15 Le Carnaval 0'26 16 Le Golf 0'22 17 La Pieuvre 0'20 18 Les Courses 0'19 19 Les Quatres-Coins 0'33 20 Le Picnie 0'20 45 21 Le Water-Chute 0'37 22 Le Tango 1'15 23 Le Traîneau 0'24 24 Le Flirt 0'22 25 Le Feu d'Artifice 0'21 26 Le Tennis 0'30 27 Gymnopedie No.3 3'02 Préludes Flasques (Pour un Chien) 28 Voix d'Interieur 0'55 29 Idylle Cynique 0'47 30 Chanson Canine 1'14 31 Avec Camaraderie 1'06 Six Pieces de la Période 1906-1913 32 Désespoir Agréable 0'55 33 Effronterie 1'25 34 Poésie 0'36 35 Prélude Canin 0'53 36 Profondeur 1'16 37 Songe Creux 1'55 Deux Rêveries Nocturnes 38 Rêverie No.l 1'14 39 Réverie No.2 2'06 Chapitres tournés en taus sens 40 Celle qui parle trop 0'51 41 Le Porteur de grosses 1'49 42 Regrets des Enfermés 1'42 43 Caresse 1'36 Avant-Derniéres Pensées 44 Idylle, à Debussy 0'50 45 Aubade, à Paul Dukas 1'36 46 Meditation, à Albert Roussel 0'37 Jack-in-the-Box, pantomime for piano 47 Prélude 2'02 48 Entracte 1'41 49 Finale 1/45 Total Timing: 54'08 Michel Legrand, Piano Recorded at the Studios Guillaume Tell, Suresnes, France, in April 1993 Sound engineers: Roland Guillotel, Alex Firla, Rodolphe Snguinetti Editing: Studios Guillaume Tell (P) 1993 (C) 2002
Rothko dekoriert Wände
Mark Rothko: Untitled (Deep Red on Maroon). (Seagram Mural Sketch), 1958. Öl auf Leinwand, 264,8 x 252,1 cm, Chiba-Ken, Japan, Kawamura Memorial Museum of Art. |
Mitte des Jahres 1958 erhielt Rothko den Auftrag, einen Raum im gerade fertig gestellten Seagram Building an der Park Avenue in New York mit Wandgemälden auszustatten. Das von Mies van der Rohe gemeinsam mit Philip Johnson erbaute Hochhaus ist bis heute Sitz des traditionsreichen Getränkeherstellers Joseph E. Seagram & Sons. Am 25. Juni erging der offizielle Auftrag an Rothko: Er sollte "Dekorationen" für eine Fläche von etwa 50 Quadratmetern erstellen. Es wurde ein Honorar von $ 35.000 ausgehandelt, davon $ 7.000 als Anzahlung, der Rest zu gleichen Teilen über vier Jahre verteilt. Der Raum, den Rothko "dekorieren" sollte, war das "Four Seasons"-Restaurant, das als Restaurant der obersten Kategorie geplant war. Es war das erste Mal, dass Rothko eine zusammenhängende Gruppe von Bildern schuf und auch das erste Mal, dass er für einen ganz bestimmten Raum arbeitete. Der Speisesaal war lang und schmal. Die Bilder mussten, um überhaupt gesehen zu werden, über den Köpfen der Gäste hängen und nicht, wie Rothko es bislang bevorzugt hatte, knapp über dem Boden.
In den Monaten, in denen Rothko an den Seagram Murals arbeitete, malte er drei Serien von riesigen Wandbildern, insgesamt etwa 40 Arbeiten, für die er - zum ersten Mal seit etwa 20 Jahren - zunächst Skizzen anfertigte. Er verwendete für die Bilder eine warme Farbpalette dunkler Rot- und Brauntöne und brach die horizontale Struktur seiner Bilder auf, indem er sie um neunzig Grad drehte. Auf diese Weise entstanden Arbeiten, die sich auf die Architektur des Raumes beziehen. Die Farbflächen erinnern an architektonische Elemente, an Säulen, Begrenzungen, Tür- oder Fensteröffnungen, die dem Betrachter das Gefühl von Eingesperrtsein vermitteln, dahinter jedoch eine unbetretbare Welt erahnen lassen.
Im Juni 1959 beschloss Rothko, eine Pause einzulegen und die Arbeit an den Wandbildern zu unterbrechen. Er wollte mit seiner Familie auf eine Europareise gehen und mit der "SS. Independence" den Ozean überqueren. Auf dem Schiff lernte Rothko John Fischer kennen, der damals Herausgeber der Zeitschrift Harper's Bazaar war. Die beiden Männer freundeten sich an, und im Laufe ihrer Gespräche vertraute Rothko John Fischer an, dass er den Auftrag für die Seagram Murals angenommen hätte, weil er sich erhoffte, "etwas zu malen, das jedem miesen Typen, der je in diesem Raum essen sollte, den Appetit verderben würde. Falls das Restaurant sich weigern sollte, meine Wandbilder aufzuhängen, wäre das für mich das größte Kompliment. Aber sie werden das nicht tun. Die Leute können heute alles aushalten."
Seagram Murals, Rothko Room - Seven Murals, 1958. Innenansicht, Chiba-Ken, Japan, Kawamura Memorial Museum of Art. |
Beide Familien gingen in Neapel an Land und besichtigten Pompeji. Hier habe Rothko, berichtet John Fischer, "eine tiefe Beziehung" zwischen seiner derzeitigen Arbeit und den antiken Wandmalereien in der Villa dei Misteri empfunden. Die Rothkos fuhren weiter nach Rom, Florenz und Venedig. In Florenz suchte er, wie schon auf der Reise von 1950, die von Michelangelo gestaltete Bibliothek in San Lorenzo auf. In einem Gespräch mit Fischer gab er zu, dass das von Michelangelos Wandfassaden im Stiegenaufgang erzeugte Raumgefühl unbewusst die Quelle für die Seagram-Bilder gewesen sei: "Dieser Raum hat genau das Gefühl erzeugt, dass auch ich wollte, er gibt dem Besucher das Gefühl, in einem Raum eingesperrt zu sein, dessen Türen und Fenster zugemauert sind." Von Italien reiste die Familie nach Paris, Brüssel, Antwerpen und Amsterdam, und fuhr schließlich von London aus an Bord der "Queen Elizabeth II" zurück in die Vereinigten Staaten.
Nach ihrer Rückkehr aus Europa gingen Rothko und seine Frau Mell zu einem Abendessen in das "Four Seasons"-Restaurant. Rothko war so entsetzt über das prätentiöse Ambiente, dass er auf der Stelle entschied, das Wandbild-Projekt aufzugeben. 1960 verfügte Rothko über ausreichend Geld, um den Vorschuss zurückzuzahlen und die Wandbilder zurückzuziehen. Dem Rückruf der Murals wurde in der Presse große Aufmerksamkeit gewidmet. Das ursprüngliche Konzept der Hängung lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Die Seagram Murals sind heute über die ganze Welt verstreut; neun davon gehören der Tate Gallery in London, eine zweite Gruppe befindet sich im Kawamura Memorial Museum in Japan, weitere finden sich in der National Gallery of Art in Washington und in den Sammlungen der Kinder Rothkos.
Mark Rothko: Sketch for Mural No. 4 (Orange on Maroon) (Seagram Mural Sketch), 1958. Öl auf Leinwand, 265,8 x 379,4, Chiba-Ken, Japan, Kawamura Memorial Museum of Art. |
Einer von Rothkos engsten Freunden aus jener Zeit war der Dichter Stanley Kunitz. Sie trafen sich häufig und diskutierten über die moralischen Dimensionen in Poesie und Malerei. Kunitz sagte einmal: "Im besten Gemälde wie auch in authentischer Poesie ist man sich dessen bewusst, welcher moralische Druck ausgeübt wird; ebenso erkennt man das Bemühen, Einheit in der Vielfalt der Erfahrung zu suchen, Entscheidungen zu treffen, ist dabei wichtig. Moralischer Druck existiert, um richtige oder falsche Entscheidungen zu treffen." Die Freundschaft mit dem Dichter Kunitz tat Rothko gut. "Ich empfand eine starke Affinität zwischen seinen Arbeiten und einem gewissen Geheimnis, das in jedem Gedicht lauert", sagte Kunitz einmal.
Zu dieser Zeit wurde Rothko zunehmend bekannter. Museen wie auch private Sammler wollten Werke von ihm kaufen. Zu den Besuchern in seinem Atelier gehörten auch der Sammler Duncan Phillips und dessen Frau Marjorie aus Washington. Phillips organisierte 1957 und 1960 Einzelausstellungen mit Werken Rothkos in seinem Wohnhaus in Washington, das ihm auch als Museum für seine Sammlung diente. 1960 kaufte Phillips von Rothko vier Gemälde, um in dem neuen Erweiterungsbau des Museums einen eigenen Rothko-Raum einrichten zu können. Die Phillips Collection wurde das erste Museum, in dem die Idee verwirklicht wurde, der Rothko in seinem letzten Lebensjahrzehnt nachstrebte: Er wollte eine vollkommene Beherrschung von Raum und Betrachter erreichen, um Letzterem eine unmittelbare, sowohl körperliche als auch geistige Begegnung mit den Bildern zu ermöglichen.
Mark Rothko: Mural Sketch (Seagram Mural Sketch), 1958. Öl auf Leinwand, 167,6 x 152,4, Chiba-Ken, Japan, Kawamura Memorial Museum of Art. |
Rothko fühlte sich sehr geehrt, als er im Januar 1961 eine Einladung vom designierten Präsidenten John F. Kennedy nach Washington erhielt, an dessen Inaugurationsfeier als 41. Präsident der Vereinigten Staaten teilzunehmen. Gemeinsam mit Franz Kline und seiner Freundin Elizabeth Zogbaum nahmen sie den Zug nach Washington, und nach der Inaugurationsfeier waren sie auch auf den abendlichen Ball geladen, wo man ihnen einen Logenplatz neben dem Vater des Präsidenten, Joseph Kennedy, zugewiesen hatte.
Im gleichen Jahr veranstaltete das Museum of Modern Art eine bedeutende Rothko-Retrospektive mit 48 Gemälden. Der Kurator dieser Ausstellung hieß Peter Selz, der auch einen Essay für den Katalog schrieb. Darin heißt es, "um den Tod der Zivilisation zu feiern ... erinnern die offenen Rechtecke an die Ränder von Flammen in lodernden Feuern oder sie evozieren die Eingänge zu Grabmälern, etwa die Torwege zu den Ruhestätten der Toten in ägyptischen Pyramiden, hinter denen die Bildhauer die Könige für alle Ewigkeit im Ka ,lebendig' hielten. Doch im Gegensatz zu den Türen vor den Totenstätten, die die Lebenden von dem Ort der absoluten Macht ausschließen sollten, vor allem vom Tod der Höhergestellten, wagen diese Gemälde - offene Sarkophage - auf fast melancholische Weise, den Betrachter aufzufordern, in ihre orphischen Kreise einzutreten; ihr Thema könnte Tod und Auferstehung in der klassischen, nichtchristlichen Mythologie sein." Rothko besuchte täglich seine Ausstellung im Museum und betrachtete intensiv seine Gemälde. Die Ausstellung wurde ein großer Erfolg. Im Anschluss gab Rothko einige seiner Gemälde in eine Wanderausstellung, die durch London, Amsterdam, Brüssel, Basel, Rom und Paris reiste und später auch in mehreren amerikanischen Museen zu sehen war.
The Rothko Rom. Phillips Collection, Washington, DC. |
Karfreitag, Ostern und Auferstehung
Zu Beginn der 60er Jahre bekam Rothko wiederum Gelegenheit, mit einem Ensemble von Bildern einen Raum auszustatten. Er hatte mit der Harvard University die Abmachung getroffen, für einen Speisesaal des noch im Bau befindlichen, von dem spanischen Architekten José Luis Sert geplanten Penthouses des Holyoke Centers in Harvard eine Reihe von Wandgemälden zu entwerfen. Sie sollten eine Schenkung des Künstlers sein, wobei sich die Universität das Recht vorbehielt, die Bilder abzulehnen. Rothko fertigte insgesamt 22 Skizzen, nach denen fünf Murals entstanden, die dann im Holyoke Center installiert wurden. Rothko malte ein Triptychon und zwei weitere große Wandbilder, in denen er die portalartige Struktur der Seagram Murals aufgriff und weiterentwickelte. Alle Gemälde hatten einen tiefroten Untergrund, der je nach den darüber aufgetragenen Farbschichten in Helligkeit und Farbton variiert.
Mark Rothko: Five Studies for the Harvard Murals, um 1958-1960. Tempera auf farbigem Zeichenpapier, verschiedene Maße, Privatbesitz. |
Als der Speisesaal kurze Zeit später umgestaltet wurde, waren die Murals vom 9. April bis zum 2. Juni in einer Ausstellung im Guggenheim-Museum in New York zu sehen. Nach dem Ende der Ausstellung fuhr Rothko noch einmal nach Harvard, um die erneute Anbringung seiner Werke zu überwachen. Die Einrichtung und vor allem die Lichtverhältnisse im Speisesaal waren Rothko ein Dorn im Auge. Mit eher mäßigem Erfolg versuchte man, das einfallende Tageslicht durch Fiberglasvorhänge zu dämpfen. Als die Arbeiten Anfang 1964 endgültig abgeschlossen waren, war Rothko noch immer "sehr unzufrieden mit dem Ganzen". Durch die Sonneneinstrahlung verblasste die rote Farbe mit den Jahren so weit, dass der ursprüngliche Zustand der Gemälde nur noch mit Hilfe von Dias rekonstruiert werden kann. 1979 wurden die durch Sonnenlicht und Kratzer stark beschädigten Werke abgenommen und in einem dunklen Raum gelagert.
Am 31. August 1963, als Rothko fast 60 Jahre alt war und seine Frau Mell bereits 41, kam der Sohn Christopher Hall zur Welt. Im selben Jahr unterzeichnete Rothko auf Anraten seines Steuer- und Finanzberaters Bernard J. Reis einen Vertrag mit Frank Lloyd, dem Besitzer der Marlborough Gallery in New York. Er sicherte ihm die Exklusivrechte an seinen Arbeiten außerhalb der Vereinigten. Staaten für einen Zeitraum von fünf Jahren zu. Die aufstrebende, erfolgversprechende Galerie wollte ihn in Europa vertreten, während Rothko selbst seine Bilder weiter von seinem New Yorker Atelier aus verkaufte. Was als scheinbar lukrative Geschäftsbeziehung begann, sollte sich nach Rothkos Tod als einer der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts herausstellen, zu dem Doppelverkäufe, Täuschung, Verrat, Betrug, Habgier und Vertuschung gehörten. Die Betrugsaktion, die bereits zu Rothkos Lebzeiten betrieben wurde, kam erst nach seinem Tod ans Licht. Rothko hatte lange Zeit nicht gewusst, dass Reis zugleich der Steuerberater der Marlborough Gallery war und so ein doppeltes Spiel treiben konnte.
Mark Rothko: Panel One (Harvard Mural Triptych), 1962 Öl auf Leinwand, 267,3 x 297,8 cm. Harvard, Fogg Art Museum, Harvard University Art Museums. Geschenk des Künstlers. |
Das Sammlerpaar John und Dominique de Menil aus Houston war von Rothkos Malerei stark beeindruckt, vor allem von seinen Harvard Murals und den Wandgemälden für das Seagram Building, die sie in seinem Atelier gesehen hatten. Anfang 1965 gaben sie bei Rothko für eine Summe von insgesamt $ 250.000 mehrere große Wandgemälde in Auftrag. Sie waren für eine Kapelle gedacht, die die de Menils in der St. Thomas Catholic University in Houston zu bauen beabsichtigten. Dominique de Menil leitete die dortige Kunstabteilung. Rothko war höchst erfreut über diesen Auftrag. In einem Brief mit Neujahrsgrüßen für das Jahr 1966 schrieb Rothko an die de Menils: "Die Großartigkeit auf jeder Ebene der Erfahrung und der Bedeutung dieser Aufgabe, die Sie mir übertragen haben, übersteigt alle meine ursprünglichen Vorstellungen und lehrt mich, über mich selbst hinauszuwachsen, über das hinaus, was ich für mich für möglich gehalten habe. Dafür danke ich Ihnen."
Als Rothko im Herbst 1964 an den Gemälden für Houston zu arbeiten begann, war er gerade in sein neues - und zugleich letztes - Atelier in der 157 East 69th Street umgezogen. Er stattete den großen Raum mit Flaschenzügen und fallschirmartigen Stoffbahnen aus, mit denen er das Licht regulieren konnte. Das Atelier war ein ehemaliges Kutschenhaus mit einer zentralen Kuppel, durch die das Tageslicht einfiel. Der Raum war 15 Meter hoch und Rothko zog provisorische Zwischenwände mit den Maßen der sechs Wände ein, die er in der geplanten Kapelle vorfinden würde. Den ganzen Herbst verwandte Rothko auf die Arbeit an diesem Projekt und beschäftigte sich bis in das Jahr 1967 hinein fast ausschließlich damit. Freunden sagte er, dass es seine wichtigste künstlerische Aussage beinhalten würde.
Man hatte Rothko das Recht zugestanden, auch bei der architektonischen Ausführung mitzuwirken. Er schlug einen achteckigen Grundriss vor, ähnlich einer Taufkapelle, so dass der Betrachter ganz von den Gemälden eingeschlossen sein würde. Das Licht sollte wie in seinem Atelier von oben durch eine Kuppel einfallen und durch Stoffbahnen gefiltert werden. Außerdem bestand Rothko auf einem schlichten, unauffälligen Bau, der seine Bilder in den Vordergrund stellen würde. Als Architekt war ursprünglich Philip Johnson ausgewählt worden, der 1967 auf Drängen Rothkos zurücktrat, weil sich Johnson und Rothko über die Raumgestaltung nicht einig werden konnten. Als neue Architekten bestellte man Howard Barnstone und Eugene Aubry aus Houston, die sich ganz nach Rothkos Vorstellungen richteten.
Rothko Chapel, Houston, Texas. Außenansicht mit Skulptur Broken Obelisk von Barnett Newman. |
In seinen letzten beiden Lebensjahren befasste sich Rothko weiter mit der Erkundung dunkler Farben. Die Black on Gray-Gemälde von 1969-70 und die großformatigen Brown on Gray-Arbeiten auf Papier nehmen die düstere Stimmung der Wandbilder der Kapelle auf und halten ebenso wie diese den Betrachter auf Distanz. Sie besitzen jedoch - etwas ganz Neues für Rothko - nicht die meditative Aura dieser Wandbilder; ihre grauen Bereiche weisen eine Bewegung auf, wie man sie in Rothkos Werk seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Und wenn es auch verlockend ist, diese düsteren Werke als Ausdruck von Rothkos schwerer Depression zu interpretieren, so muss man doch auch sehen, dass er in seinen letzten Monaten großformatige Papierarbeiten in pastelligem Blau, Pink und Terracotta auf weiß malte.
Rothko Chapel, Houston, Innenansicht. |
In ihrer Ansprache sagte Dominique de Menil: "Ich denke, die Gemälde sagen uns selbst, was wir von ihnen halten sollen, wenn wir ihnen eine Chance geben. Jedes Kunstwerk schafft das Klima, in dem es verstanden werden kann ... Auf den ersten Blick sind wir vielleicht enttäuscht darüber, dass es den uns umgebenden Gemälden ein wenig an Glamour fehlt. Je länger ich mit ihnen lebe, desto beeindruckter bin ich. Rothko wollte seinen Gemälden die größtmögliche Eindringlichkeit verleihen, die er ihnen abringen konnte. Er wollte, dass sie intim und zeitlos sind. Und sie sind tatsächlich intim und zeitlos. Sie umfangen uns, ohne uns einzuschließen. Ihre dunklen Oberflächen lassen den Blick nicht erstarren. Eine helle Oberfläche ist aktiv, sie bringt das Auge zum Stillstand. Aber durch diese Rot-Braun-Töne können wir hindurchblicken, blicken wir ins Unendliche. Wir werden mit Bildern überschüttet, und nur die abstrakte Kunst kann uns an die Schwelle zum Göttlichen führen. Es erforderte großen Mut von Rothko, so nachtschwarze Bilder zu malen. Doch ich empfinde gerade das als seine Größe. Maler werden nur durch Mut und Eigensinn groß. Denken Sie an Rembrandt, an Goya. Denken Sie an Cezanne ... Diese Gemälde sind vielleicht das Schönste, was Rothko geschaffen hat." Die dunklen Wandbilder in der fensterlosen Kapelle scheinen die Melancholie und Einsamkeit widerzuspiegeln, die Rothko in seinen letzten Jahren zunehmend empfand. Die Kunsthistorikerin Barbara Rose verglich die Kapelle mit Michelangelos Sixtinischer Kapelle in Rom und der Matisse-Kapelle in Südfrankreich: "Die Gemälde scheinen auf mysteriöse Weise von innen zu glühen", sagte sie.
Mark Rothko Room, London, Tate Gallery. |
Im Sommer 1966 unternahmen die Rothkos ihre dritte und letzte Europareise, auf der sie Lissabon, Mallorca, Rom, Spoleto und Assisi besichtigten. Von Italien aus reisten sie weiter nach Frankreich, Holland, Belgien und England. Die letzte Station auf ihrer Reise war ein Besuch der Londoner Tate Gallery. Seit Monaten stand Rothko mit dem Direktor der Tate, Sir Norman Reid, in Verhandlungen. Reid hatte den Maler in New York besucht und ihm vorgeschlagen, einen permanenten Rothko-Raum in der Tate Gallery einzurichten. Rothko verwarf den Vorschlag, eine "repräsentative" Gruppe seiner Gemälde auszustellen. Statt dessen schlug er Reid vor, ihm eine Gruppe der Seagram Murals zu überlassen. Die Verhandlungen erstreckten sich aufgrund von Missverständnissen und wegen Rothkos zögerlicher Haltung über mehrere Jahre. Gleichwohl gefielen ihm die Größe des Raums wie auch das Licht. Zurück in New York, schrieb Rothko im August 1966 Reid: "Mir scheint, der Kern des Problems, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ist, wie man dem Raum, den Sie vorschlagen, die größte Aussagekraft und Intensität verleihen kann, zu denen meine Bilder fähig sind. Es wäre enorm hilfreich, wenn ein Plan existierte, den Sie mir zusenden könnten. Ich könnte dann aufgrund einer realen Situation über die Sache nachdenken und es würde sie etwas konkreter machen, zumindest für mich." Rothko machte Reid gegenüber deutlich, dass er seine Gemälde gern in dem älteren Teil der Tate Gallery in der Nähe der Gemälde von Turner sehen würde. Nach langen Verhandlungen wurden schließlich neun der Seagram Murals kurz vor Rothkos Tod nach London verbracht und in einem Raum dauerhaft installiert.
Rothkos Wunsch, die Seagram Murals vereint in einem Raum auszustellen, entsprach seiner Vorstellung von der idealen Präsentation seiner Arbeiten. Er hatte das Gefühl, mit diesen Gemälden einen Ort, "ein Zuhause" geschaffen zu haben, in das der Betrachter eintreten konnte. Wie er es früher schon einmal formuliert hatte, sollte das Betrachten seiner Gemälde ein Dialog, "eine vollkommene Erfahrung zwischen Bild und Betrachter" sein. Rothko wollte, wenn der Betrachter sein Universum der Stille betrat, ihn in eine Atmosphäre von meditativer Versenkung und Ehrfurcht versetzt wissen.
Mark Rothko: Untitled, 1969. Acryl auf Papier auf Leinwand, 193 x 122 cm. |
Während sich Rothko zunehmend isoliert und verzweifelt fühlte, wuchsen Anerkennung und Ruhm mit jeder Ausstellung. So war beispielsweise seine Ausstellung in der Londoner Whitechapel Gallery 1965 von der britischen Presse und von der Öffentlichkeit enthusiastisch aufgenommen worden. Der Kritiker Bryan Robertson staunte über das Gesamtwerk und seine emotionale Kraft und stellte fest: "Wir sind einer enormen Präsenz ausgesetzt, nicht so sehr einer spezifischen Identität." Der Kritiker David Sylvester schrieb in The New Statesman vom 20. Oktober 1968: "Es ist die vollendete Weiterführung Van Goghs, die Farbe dazu zu benutzen, die Leidenschaften des Menschen zu vermitteln." Der Kritiker und Maler Andrew Forge schrieb: "Als ich Rothkos Arbeiten zum ersten Mal sah, hatte ich das Gefühl, ich sei in einen Traum gefallen."
Mark Rothko: Untitled (Black on Gray), 1969/70. Acryl auf Leinwand, 203,8 x 175,6 cm, New York, Solomon R. Guggenheim Museum, Gift of The Mark Rothko Foundation, Inc., 1986. |
Inzwischen konnte Rothko es sich leisten, den Verkauf seiner Gemälde einzuschränken und nur noch an solche Menschen zu verkaufen, die ihm lieb waren. Dazu führte er mit ihnen "Interviews", bevor er ihnen ein Bild verkaufte. Einem Freund vertraute er an, dass er keine Galerie benötige. Er könnte leicht mehrere Gemälde pro Jahr von seinem Atelier aus verkaufen, und das wäre zum Leben genug. Als sein Vertrag mit Marlborough 1968 auslief, erneuerte er ihn nicht sofort, weil er mit Lloyds Geschäftsgebaren sehr unzufrieden war. Ungeachtet dessen unterschrieb er im Februar 1969 einen zweiten Vertrag mit der Marlborough Gallery, worin er sie zu seinem alleinigen Vertreter für die nächsten acht Jahre bestimmte. Dieser Sinneswandel war auf die Ratschläge von Bernard Reis zurückzuführen. Reis beriet ihn mittlerweile nicht nur in Finanzfragen, sondern war auch sein engster persönlicher Vertrauter, der sich in alle seine Angelegenheiten einmischte. Rothko, krank und unsicher, war mit der Zeit vollkommen von Reis abhängig geworden. Reis war es auch, der ihn bei der Gründung einer Stiftung beriet. Schon seit längerem hatte Rothko diesen Plan gehegt. Im Juni 1969 kam endlich die Gründung der Mark Rothko Foundation mit William Rubin, Robert Goldwater, Morton Levine, Theodoros Stamos und Reis zustande. Als Direktor wurde der Produzent Clinton Wilder, ein Klient von Reis, eingesetzt. Die Stiftung sollte nach Rothkos Tod viele wertvolle Bilder erhalten und - so war es in den GrÜndungsstatuten formuliert - wissenschaftlichen und/oder pädagogischen Zwecken dienen. Aus Rothkos Sicht war die Foundation der Versuch, seine Bilder nach seinem Tod zu bewahren und dem Kunstmarkt vorzuenthalten. Trotzdem befolgte er weiterhin die Ratschläge von Reis und verkaufte seine Bilder an Marlborough. Im Februar 1970 wollte ein Vertreter der Marlborough Gallery namens Donald McKinney gemeinsam mit Rothko in dessen Lager gehen, um neue Gemälde für die Galerie auszuwählen. Das Treffen sollte am 25. Februar stattfinden, doch dazu ist es nie gekommen.
Quelle: Jacob Baal-Teshuva: Rothko. 1903-1970. Bilder als Dramen. Taschen, Köln, 2003. ISBN 3-8228-1818-6. Zitiert wurden die Seiten 61 bis 79
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CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Pictures) 35 MB
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