17. Juli 2013

Clément Janequin: La Chasse, et autres chansons

Die Jagd des 16.Jahrhunderts folgt - einer Liturgie gleich - einem Ritus der in sich ebenso große Bedeutung zu haben scheint wie der Ausgang des Unterfangens: das Erlegen des Wildes. Vokale oder instrumentale Rufe bestimmen das Geschehen; auf Hörnern geblasen oder gerufen und vorwiegend rhythmischer Natur, dienen sie zur Verständigung der Jäger untereinander und mit der Meute. Bellen, Schreie und Hornsignale finden sich so in einer regelrechten Polyphonie zusammen, ähnlich wie in einem gigantischen Quodlibet (oder Fricassée). So hat die Chace (caccia) bereits im 14.Jahrhundert geklungen, als sie sich zu einem vollwertigen Genre der Ars Nova entwickelte.

Die königliche Jagd liegt auch einem Werk Janequins zugrunde. Janequin bedient sich hier des Klangs im Rohzustand, ebenso wie er es mit dem Zwitschern der Vögel (vlg: Le chant des oyseaux), mit dem Stimmengewirr auf der Straße oder Kriegsgeräuschen getan hat (Les cris de Paris). Aus dieser Musik, vertrauter Bestandteil der klanglichen Umgebung eines Höflings seiner Zeit, formt er in der Art der Fricassées (vgl: La fricassée parisien) eine regelrechte musikalische Freske. Einen Eindruck von der Wirkung seiner Werke auf die Menschen jener Zeit vermittelt die Schilderung von Noel Du Fail zum Chanson de la Guerre.

Diese Chasse, die 1528, zur gleichen Zeit wie La Guerre (1555 mit einer fünften Stimme neubearbeitet und hier aufgenommen) und Chant des oyseaux von Attaingnant herausgegeben wurde, erscheint gut 15 Jahre vor dem Caquet des femmes (Weiberklatsch). Dieses Werk erschien zunächst 1545 (?) bei Jacques Moderne in Lyon, bevor es 1555 bei Nicolas Du Chemin in Paris neuverlegt wurde. Der Komponist wird hier, gleichsam mit versteckter Kamera, zum "Voyeur", der mit vergnügter Schamlosigkeit eine Versammlung von Damen belauscht:

Als ich eines Tages müßig
Damen sich versammeln sah,
kam ich leise näher,
näher noch an sie heran,
um ihre Reden zu belauschen.

Aus dieser vierstimmigen Einleitung entwickelt Janequin eine fünfstimmige Polyphonie, in der man einen Wortwechsel von Herrin und Magd im häuslichen Rahmen erkennen kann (Janequin zitiert hier u.a. das incipit des Stücks Ma maistresse von Ockeghem). Nach und nach geht dieser Wortwechsel in Schwatzen üher, das 1911 Michel Brenet zu der Bemerkung veranlasste, daß "die Anzüglichkeit dieses Werkes … seine Aufführung in unserer Zeit unmöglich macht" (in: Essai sur les origines de la musique descriptive). Zwar zeigt auch hier die Polyphonie Gemeinsamkeiten mit der Fricassée, allerdings kommt es vor, daß das Geschwätz langsam verebbt, und in solchen Augenblicken einem regelrechten lyrischen Chanson weicht:

"Oh süßes Gut, süße Wonne,
wenn tiefe Lieb'
das Herz der Liebenden erfüllt!"

Hier zeigt sich ein charakteristischer Zug Janequins: eine Vorliebe für die Mischung der Genres, die schon bald der italienischen Commedia harmonica zum Aufschwung verhelfen sollte. Nicht zufällig findet man, mehr als dreißig Jahre später, bei Alessandro Striggio ein Cicalamento delle Donne al Ducato und eine Caccia (Venedig, 1567).

Janequin hat mehr als jeder andere Komponist Paris zur Hochburg der "goûts réunis", zum Zentrum einer gewaltigen Durchdringung der Kulturen gemacht, in der die tiefgreifenden Veränderungen zum Ausdruck kommen, die das kulturelle Erbe des 15. Jahrhunderts prägen sollten. Janequin hat uns nicht nur die umfangreichen und malerischen Fresken von 1528 hinterlassen, gewissermaßen ein musikalisches Begehen aristokratischer, bürgerlicher oder humanistischer Feste, die oft mehr mit der Gelegenheitsmotette als mit dem höfischen Lied gemein haben. Wir finden in seinem Werk ebenfalls die höfische Welt der Liebesepigramme (Plus ne suys, von C. Marot), die Feste und volkstümlichen Spiele, die in der chanson rustique (Au verd boys; starke Ähnlichkeit mit Févin oder Mouton) oder im bäuerlichen Tanz zum Ausdruck kommen (Ce moys de may, ebenso strukturiert wie ein bransle gay), sowie auch eine Reihe von Gestalten, die geradewegs der Feder Rabelais' entsprungen zu sein scheinen, mit seinen Erzählungen und Wanderbühnen (in den erzählerischen Epigrammen: Frère Thibault, von C. Marot).

Genau wie die höfische Liebe (ferme amour) in Caquet des femmes Eingang findet, kommt es umgekehrt vor, daß das Chanson amoureuse einen volkstümlichen Charakter annimmt und in ihm die Geräusche und Düfte der Natur erklingen. In Va rossignol etwa ist die geflügelte musikalische Gestalt des Philomelos aus der Mythologie zugleich gefiederter Sänger und "Liebesbote", und das Liebeslied wird ganz plötzlich von Flügelschlagen und Voge1zwitschern belebt: sie entspringen, durch die Zauberkraft der Polyphonie, dem Text selbst, eine Abschweifung, deren musikalischer Gehalt nach einem Augenblick der Steigerung, kaum merklich in Lautmalerei übergeht:

Clément Janequin
"Qu’est-ce Magdeleine m’amye? …
Qu’en dites-vous Mageleine jolye? …"

Ehenso ist es mit Sur l'aubépin qui est en fleurs, wo Philomelos sich verbirgt, und "tausend Motetten" singt. In dem Stück Ce petit Dieu qui vole (kleiner, fliegender Gott) bewirkt die immer lebhaftere Wiederholung des Wortes "vole" (fliege), zusammen mit der madrigalartigen Hypotypose in den aufsteigenden Linien der Polyphonie den gleichen Effekt. Auf kaum merkliche Weise rückt so der gekünstelte Petrarkismus in den Bildern des innamoramento etwas weiter weg und gewinnt eine leicht humorvolle Färbung. Die Vents hardis et légers (ebenfalls im Zehnten Buch von 1552) sind gleichfalls Liebesboten und tragen das ins Horn geblasene Rückkehrsignal bis hin zur Geliebten: die musikalische Lautmalerei ("trontron") der Jagdhörner (vgl. Du Fouilloux, La Venerie, Poitiers, 1566), von Janequin ebenfalls in der Chasse verwendet, stellt eine Wende in dem Stück dar. Von der klanglichen Assimilierung geht das petrarkische Bild der verkündenden Hörner zur visuellen und erotischen Assoziation über und mündet schließlich in Obszönität:

"Sag ihr, daß mein Horn
ihr jeden Wunsch erfüllen wird"

Hier wird verständlich, daß dieser ganz und gar spielerische Sinn für das Wort den alten Polyphonisten und den jungen Ronsard, fast auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt, einander näherbrachte. 1552 findet man Janequin unter den vier Musikern, die an dem Supplément Musical der "Amours de Cassandre" mitarbeiten. In Petite Nymphe folastre, einem der Stücke, die wir ihm verdanken, stellt er die rhythmische Bewegtheit seiner Polyphonie ganz in den Dienst der zuckersüßen Geziertheit dieses Chanson, von dem er merkwürdigerweise nur den Anfang (8 Verse) bearbeitet. In seinen allerletzten Lebensjahren sollte er - mit zwei Texten, die 1556 in der Nouvelle Continuation des Amours erschienen: Pourquoi tournez vous vos yeux und Bel aubépin verdissant - noch einmal auf Ronsard zurückkommen. Beide Gedichte, jeweils als Ode und Chanson bezeichnet, weisen die gleiche, sehr charakteristische Stropheneinteilung auf, die sich so vorzüglich für den Stil des Chanson en forme de voix de ville eignete, mit Quand ce beau printemps je vois, von Nicolas de la Grotte vertont:

"Schöner Weißdorn, der du blühend
dieses Ufer säumst,
bis zu den Zweigen
umfangen dich
die langen Ranken wilden Weins."

Janequin gibt hier nicht der Versuchung nach, dem strophischen Aufbau in den voix de ville zu folgen; allerdings übernimmt er ihr Prinzip, was die einzelnen Strophen anbelangt, die er jeweils in 2 Teile von 3 Versen gliedert. Dabei gelingt ihm das Meisterstück, jeder Strophe einen eigenen Charakter zu verleihen, ohne daß hingegen die allen gemeinsame Metrik aufgegeben würde. Über die verschiedenen Seiten des Musikers hinaus, bäuerlich, poetisch, deskriptiv, expressiv, die alle zur Geltung kommen, zeigen diese beiden Stücke den Versuch, die kaum zu erreichende Durchdringung von Voix de ville und Madrigal zu wagen.

Quelle: Jean-Pierre Ouvrard (übersetzt von Almut Lenz), im Booklet

Track 25: La Chasse







TRACKLIST


Clément Janequin (v.1485-1558)

La Chasse, et autres chansons

(01) Le caquet des femmes                              7'11
(02) Va rossignol                                      2'18
(03) D'un seul soleil                                  2'52
(04) Bel aubépin verdissant                            1'54
(05) [Guillaume Morlaye:] Gaillarde des Dieux (luth)   1:35
(06) J'ay double dueil                                 2:27
(07) Au verd bois je m'en iray                         1'56
(08) Revenés souvent m'amye                            1'14
(09) J'ay d'un costé l'honneur                         2'36
(10) Ce petit dieu qui vole                            2'22
(11) [Adrian Le Roy:] Branle de Bourgogne (luth)       1'06
(12) La Guerre                                         6'34
(13) L'espoir confus                                   2'45
(14) Petite nymphe folastre                            0'56
(15) Pourquoy tournez vous vos yeux                    2'01
(16) C'est à bon droit                                 1'19
(17) [Guillaume Morlaye:] Fantaisie (luth)             3'00 
(18) Sur l'aubépin qui est en fleurs                   2'28
(19) Ce moys de may                                    0'49
(20) Las, si tu as plaisir                             2'29
(21) Ventz hardis et légiers                           1'40
(22) [Adrian Le Roy:] Branle Gay (luth)                0'48
(23) Plus ne suys                                      2'04
(24) Frère Thibault                                    1'29
(25) La Chasse                                         7'10

                                        Durée totale: 63'54
Ensemble Clément Janequin 
  Agnès Mellon, soprano (S)   
  Dominique Visse, haute-contre (HC) 
  Bruno Boterf, ténor (T) 
  Philippe Cantor, Josep Cabré, barytons (BA) 
  Antoine Sicot, basse (B) 
  Claude Debôves, luth 
dir Dominique Visse 

Enregistrement août 1987 à l'Eglise Saint-Martin du Méjan, Arles
Direction artistique: Michel Bernard 
Prise de son: Jean-Francois Pontefract
Illustration: Pieter Bruegel, Les Chasseurs dans la neige (détail), Kunsthistorisches Museum, Vienne

(P) 1988, 2005 

Pieter Bruegel der Ältere: Die Jahreszeiten
Pieter Bruegel, Die Jäger im Schnee (Heimkehr der Jäger), 1565, Öl auf Holz,
118 x 163 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien
Pieter Bruegel der Ältere gilt als der bedeutendste niederländische Künstler des 16.Jahrhunderts. Sein malerisches Œuvre ist mit etwas mehr als 40 Gemälden überschaubar, jedoch zugleich von einer überraschenden thematischen Vielfalt, die von religiösen Stoffen, allegorischen Themen und Genremotiven über Darstellungen mit satirischem Charakter und moralisierender Botschaft bis hin zu reinen Landschaften reicht. Ebenso bedeutend war sein Schaffen als Zeichner und Entwerfer von Vorlagen für Druckgraphik. Zu seiner Zeit hoch geschätzt, fand sein Werk nicht zuletzt in Kopien seiner Söhne Pieter Breughel des Jüngeren (1564-1637/38) und Jan Brueghel des Älteren (1568-1625) weite Verbreitung. Keiner seiner Nachfolger erreichte allerdings die künstlerische Qualität des Meisters.

Über das Leben des Künstlers wissen wir nur wenig. Unsere Kenntnisse speisen sich aus spärlichen Archivalien und Dokumenten, ergänzt durch Angaben seines ersten Biographen Carel van Mander (1548-1606), der in seinem 1604 erschienenen Schilder-Boeck das Leben bedeutender flämischer Maler, darunter auch Bruegels, darstellt. So wertvoll van Manders Bericht ist, so sehr trug er doch auch zur Legendenbildung bei.

Bruegel kam um 1526/30 zur Welt, laut van Mander als Sohn einfacher Bauern. Als Geburtsort nennt der Chronist ein Dorf namens Brueghel in der Nähe von Breda, eine Angabe, die allerdings weder lokalisiert noch verifiziert werden kann. Die erste nachweisliche urkundliche Erwähnung Bruegels bezieht sich auf seinen Eintritt in die Antwerpener Malergilde im Jahr 1551. Als Lehrmeister nennt van Mander den Maler Pieter Coecke van Aelst, dessen Tochter Mayken Brueghel 1563 heiraten sollte. 1552 trat der Künstler eine Italien-Reise an, die ihn über Frankreich nach Rom führte. Zurück in Antwerpen, begann 1555 die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Verleger Hieronymus Cock (um 1510-1570), der zahlreiche druckgraphische Werke nach Entwurfszeichnungen von Bruegel herausgab. Im Jahr seiner Heirat verließ Bruegel Antwerpen und zog nach Brüssel, wo dem Paar 1564 der Sohn Pieter geboren wurde. 1568 folgte der zweite Sohn Jan. Bereits im Jahr darauf, im September 1569, starb Bruegel. […]

Bruegels Werk erwies sich in vielerlei Hinsicht als vorbildhaft für die nachfolgenden Generationen. Wegweisend für die Entwicklung der Landschaftsmalerei im 16. Jahrhundert waren die so genannten Jahreszeiten, eine Folge von ursprünglich wohl sechs Bildern, von denen heute noch fünf erhalten sind. Die Größe der Bilder schwankt zwischen 117 bis 119 cm in der Höhe und 159 bis 163 cm in der Breite. Alle fünf sind mit Ölfarben auf Eichenholz gemalt. Die 1565 entstandenen Gemälde markieren den Beginn der autonomen Landschaftsmalerei. Häufig reproduziert, sind sie auch einem breiten Publikum bekannt. Ihre Darstellungen und Motive geben dem Betrachter auf den ersten Blick keinerlei Rätsel auf. Es handelt sich weder um verschlüsselte allegorische Darstellungen noch um eine Verbildlichung mythologischer oder religiöser Stoffe. Das wohl bekannteste der Bilder zeigt eine Gruppe von Jägern in einer Winterlandschaft. Ein anderes, Der düstere Tag betitelt, führt eine vorfrühlingshafte Landschaft vor Augen, in der Menschen u.a. mit dem Schneiden von Bäumen beschäftigt sind. Der sommerlichen Heu- und der spätsommerlichen Kornernte sind zwei weitere Gemälde gewidmet, während das fünfte eine herbstliche Szenerie zeigt, in der Bauern ihre Herde ins Dorf treiben. Selbst nach mehr als vierhundert Jahren kann der Betrachter die Tätigkeiten der Personen leicht identifizieren. Er kennt aus eigener Anschauung den steten Wechsel der Jahreszeiten und die damit einhergehenden Veränderungen des Klimas und der Vegetation. Und dennoch sind die Bilder Gegenstand kontroverser kunsthistorischer Diskussionen. Handelt es sich bei den Bildern um einen Jahreszeitenzyklus oder um Darstellungen von Monaten, und wenn ja, welcher? Wieviele Bilder umfasste die Reihe ursprünglich? Bruegel selbst hat uns keine Antwort auf diese Fragen gegeben. […]

Pieter Bruegel, Der düstere Tag, 1565, Öl auf Holz, 118 x 163 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien
Die Geschichte des Zyklus

Bruegels Jahreszeiten sind nicht nur von außergewöhnlicher künstlerischer Qualität, auch ihre Geschichte ist bemerkenswert. Vier der Bilder sind vom Künstler signiert und mit römischen Zahlen auf das Jahr 1565 datiert, so dass hinsichtlich des Entstehungszeitpunktes kein Zweifel herrscht. Lediglich die Heuernte, die am unteren Rand beschnitten ist, weist weder eine eigenhändige Signatur noch eine Datierung auf, doch bestanden über ihre Zugehörigkeit zum Zyklus nie Bedenken. Drei der Bilder (Jäger im Schnee, Der düstere Tag, Heimkehr der Herde) sind heute im Besitz des Kunsthistorischen Museums Wien, die Heuernte befand sich in der Nationalgalerie Prag, heute wieder im Besitz der Familie Lobkowitz, und die Kornernte im Metropolitan Museum New York. Wie gelangten sie dorthin?

Glücklicherweise kennen wir nicht nur das Entstehungsdatum der Bilder, sondern auch den Auftraggeber und ersten Besitzer. Es handelt sich um den Antwerpener Kaufmann und Bankier Niclaes Jongelinck (1517-1570), der »die wohl bedeutendste Galerie des dritten Viertel des 16. Jahrhunderts« in den Niederlanden besaß. Er nannte eine vor den Toren der Stadt gelegene Villa mit umfangreichem Bilder- und Skulpturenschmuck von programmhaftem Charakter sein eigen. Dies können wir einem Dokument entnehmen, welches bezeugt, dass Jongelinck insgesamt 16 Bilder von Bruegel besaß, darunter Der Turmbau zu Babel I und Die Kreuztragung Christi, beide heute im Kunsthistorischen Museum Wien, sowie Die zwölf Monate. Das erwähnte Dokument besagt, dass Jongelinck die oben genannten Gemälde der Stadt Antwerpen als Bürgschaft für einen gewissen Daniel de Bruyne verpfändete. Es trägt das Datum vom 21. Februar 1565 damaliger Zeitrechnung. Nach dem Stylus Bataviae begann das Jahr im März und endete mit dem Februar, erst 1575 wurde der noch heute gültige gregorianische Kalender auch in den Niederlanden eingeführt. So stammt das Dokument nach gregorianischer Zeitrechnung also vom Februar 1566. Bruegel muss demzufolge Die zwölf Monate zwischen März 1565 und Februar 1566 gemalt haben. Kaum waren sie vollendet, wurden sie schon Teil von Jongelincks Bürgschaft. Mit der ersten Erwähnung der Bruegelschen Bilder beginnt dann auch schon das Rätselraten, denn es ist nicht klar, ob es sich tatsächlich um zwölf Bilder mit Monatsdarstellungen gehandelt hat oder ob Die zwölf Monate vielmehr als Titel einer Serie zu verstehen ist, die auch aus sechs Bildern bestanden haben könnte, da diese Zahl in späteren Dokumenten auftaucht.

Allgemein wurde angenommen, dass die Bilder an die Stadt Antwerpen fielen, da die Schuld von de Bruyne nicht gezahlt werden konnte, jedenfalls tauchen sie nicht im Inventar von Jongelincks Besitz auf, das im Jahr seines Todes 1570 aufgestellt wurde. Die nächste Erwähnung finden sie 1594, als sie in den Besitz der Habsburger übergingen. Dies bezeugt ein Eintrag vom 5. Juli 1594 im Kassa-Buch von Erzherzog Ernst (1553-1595), dem Bruder Kaiser Rudolfs II. (1552-1612) und Statthalter der Niederlande von 1593 bis 1595. Der Sekretär des Erzherzogs Hütter vermerkt in diesem Dokument, dass die Stadt Antwerpen dem Erzherzog »6 taffeln von den 12 monnats Zeiten« zum Geschenk gemacht habe. Ein erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt gewordenes Dokument belegt allerdings, dass die Stadt Antwerpen Die zwölf Monate erst anlässlich des Einzugs des Erzherzogs in Antwerpen von einem Händler namens Hane van Wijke für 1400 Florin gekauft hat, um sie diesem zu schenken. Demzufolge sind die Bilder nicht direkt von Jongelinck in den Besitz der Stadt übergegangen. Fehlt in Hütters Aufstellung die Angabe des Künstlers, so findet sich im Nachlassinventar des Erzherzogs vom 17.Juli 1595 die Bezeichnung »Sechs Taffell, von 12 Monathenn des Jars von Bruegel".

Pieter Bruegel, Die Heuernte, 1565, Öl auf Holz, 118 x 163 cm, Palais Lobkowitz in der Prager Burg
Bis zur nächsten überlieferten Erwähnung der Bilder sollte dann mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen, doch sehr wahrscheinlich gelangten die Bilder nach Erzherzog Ernsts Tod von Brüssel in die Sammlung seines Bruders Rudolf nach Prag, wo sie vermutlich bis 1612 blieben. 1659 tauchen sie schließlich im Inventar der Sammlung von Erzherzog Leopold Wilhelm (1614-1662) auf, verfasst nach dessen Rückkehr nach Wien aus den Niederlanden, wo er von 1646 bis 1656 Statthalter gewesen war. Dem Text zufolge waren es nur noch 5 Bilder. Außer in Leopold Wilhelms Inventar wird die Serie, allerdings als sechsteilig, auch in David Teniers' Theatrum Pictorium von 1660 erwähnt. Die Tatsache, dass das Inventar nur fünf Bilder aufzählt, Teniers aber sechs erwähnt, ist, so Demus, wohl dadurch zu erklären, dass man das bereits fehlende Bild durch ein anderes ersetzt hat. Das sechste Bild wird also vermutlich zwischen 1595 und 1659 auf einem der Transporte zwischen Brüssel, Prag und Wien verloren gegangen sein.

Naeh dem Tod Leopold Wilhelms im Jahr 1662 erbte sein Neffe Kaiser Leopold I. (1640-1705) dessen Kunstschätze und damit auch die Bruegelschen Zeiten des Jahres, die von nun an neben zahlreichen anderen Werken Bruegels zur Kaiserlichen Sammlung gehörten. Im 18. Jahrhundert hatte die Serie schließlich ihren ursprünglichen Zusammenhang, den die Zeitgenossen nicht mehr erkannten, verloren. 1783 waren im Belvedere zu Wien laut Mechels Katalog der Neuaufstellung der Kaiserlichen Gemäldegalerie folgende Bilder unter der Bezeichnung Die vier Jahreszeiten ausgestellt: die Kinderspiele als Frühling, die Kornernte als Sommer, die Heimkehr der Herde als Herbst und der Bethlehemitische Kindermord als Winter. Die restlichen zugehörigen Bilder verblieben im Depot, die Heuernte befand sich vermutlich bereits damals schon nicht mehr in der Kaiserlichen Sammlung.

Mit den Napoleonischen Kriegen ging schließlich der Zusammenhalt der Reihe endgültig verloren. 1809 wurde Wien von Napoleons Armee eingenommen, als Beute ein großer Teil der dort befindlichen Kunstwerke nach Paris verschleppt, darunter die Kornernte und vermutlich die Jager im Schnee. Nach Napoleons Niederlage brachte man die meisten Bilder wieder zurück nach Wien, mit Ausnahme der Kornernte. Das Bild kam als Eigentum des französischen General-Gouverneurs in Wien, Graf Antoine-François Andréossy, nach Paris, wo es bis zu dessen Tod 1816 blieb. Bereits zu diesem Zeitpunkt war der Urheber des Gemäldes allerdings nicht mehr bekannt, denn beim Verkauf von Andréossys Besitz wurde es als Werk eines anonymen deutschen Malers aufgelistet. Die Spur des Bildes verliert sich dann bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Belgier Paul Jean Cels hatte es vor 1912 in Paris von einem Mann namens Jacques Antoine Doucet erworben. 1917 bot er es dem Metropolitan Museum in New York zum Kauf an, in der Meinung, es handle sich um ein Werk aus der Schule Pieter Bruegels d. Ä., möglicherweise seines Sohnes Jan Brueghel. Bryson Burroughs, der Kurator für Gemälde am Metropolitan Museum, vermutete jedoch, dass es sich um ein Werk aus der berühmten Serie der Monatsdarstellungen in der Wiener Gemäldegalerie handeln könne, der es in Thema, Format und Größe der Figuren gleichkam. Cels verstarb über den Verkaufsverhandlungen, so dass das Bild erst 1919 in den Besitz des Museums kam. Burroughs' Vermutung sollte sich als richtig erweisen: Bei der Reinigung des Bildes im Jahr 1920 kamen die Signatur Bruegels und das Datum LXV ans Tageslicht.

Die Heuernte verließ die kaiserliche Sammlung zu einem unbekannten Datum, wohl als Geschenk Maria Theresias an ihren Günstling Anton Graf Grassalkowitsch. 1864 vererbte es Prinzessin Leopoldina Grassalkowitsch, geborene Esterházy, an Prinz Ferdinand Lobkowitz. Nun befand es sich als Teil von dessen Familiensammlung im Schloß in Raudnitz in der Nähe von Prag. In der Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges geriet das Bild in den Strudel der Zeitgeschichte. Es wurde von Dr. Hans Posse, dem Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, für das geplante Führermuseum in Linz ausgewählt und konfisziert. Nach dem Krieg spürten es die Alliierten in einer alten Salzmine bei Bad Aussee in den Alpen auf und gaben es den rechtmäßigen Besitzern zurück. 1946 deponierte Max Lobkowitz das Bild in der Prager Nationalgalerie, heute befindet es sich wieder in Privatbesitz.

Pieter Bruegel, Die Kornernte, 1565, Öl auf Holz, 118 x 163 cm, Metropolitan Museum of Art, New York
Der »Monatsstreit«

Die Wiederentdeckung des Zusammenhangs der Bilder begann Ende des 19. Jahrhunderts. Im Katalog der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses in Wien aus dem Jahr 1907 werden die Herbstliche Gebirgslandschaft, die Frühlingslandschaft und die Winterlandschaft noch zu einer Folge der vier Jahreszeiten gerechnet, »wovon der Sommer verloren gegangen ist«. »Doch ist es«, so heißt es weiter, »möglich, daß es sich um eine unvollständig erhaltene Folge von Monatsdarstellungen handelt.« Im von Gustav Glück 1923 herausgegebenen Katalog der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien hatte sich die Forschungslage durch das Auftauchen der beiden Sommerlandschaften bereits etwas geklärt.

Nun setzte jedoch das ein, was man als »Monatsstreit« bezeichnen kann. Neben Glück waren es van Bastelaer und Hulin de Loo sowie Friedländer, Michel, Jedlicka und Grossmann, gefolgt von Auner, Stechow und Gibson, die die These von zwölf Bildern vertraten. Falls es nur sechs Bilder gewesen seien, blieben, so Grossmann, laut Bürgschaftsdokument weitere acht von Bruegels Hand in Jongelincks Besitz übrig, von denen wir keine Titel kennen. Dies hält er für unwahrscheinlich, da doch die Gemälde von Frans Floris in der Bürgschaftsurkunde alle aufgelistet seien. Auner glaubte, vom Vergleich mit Kalenderillustrationen ausgehend, an den zufällig erhaltenen Rest einer Folge von zwölf Monatsbildern mit den Darstellungen von Januar, Februar, Juli, August und Oktober. Die sechs fehlenden Bilder hielt er für ein Opfer der Plünderung Antwerpens durch spanische Truppen im November 1576. Die Formulierung »6 taffeln von den 12 monnats Zeiten« in Hütters Kassa-Buch nahm er zum Beleg für seine These von ursprünglich 12 Bildern, denn »sonst hätte die Eintragung wohl eher '6 Tafeln mit den zwölf Monatszeiten' gelautet.« Dem hält Demus entgegen, dass die Konstruktion mit »von« das Zeitübliche gewesen sei. Als Argumentation gegen eine Zwölfer-Serie wurde immer wieder angeführt, dass es Bruegel kaum möglich gewesen sei, innerhalb eines knappen Jahres zwölf Bilder solchen Formates zu malen; angemerkt sei dazu allerdings, dass ja der verlorene Teil durchaus schon vor 1565 hätte entstanden sein können. Andererseits könnte auch eine Zwölfer-Serie geplant gewesen sein, die Bruegel aber dann aus unbekannten Gründen nicht fertiggestellt hat. Beides ist jedoch unwahrscheinlich, wie die Betrachtung der Bilder selbst gezeigt hat.

Einig über die Zuweisung an bestimmte Monate waren sich jedoch auch die Vertreter der Zwölfer-These nicht. Basis der Argumentation bildete meist der Vergleich der Bruegelschen Gemälde mit Monatsbildern in niederländischen Stundenbüchern, auf die der Künstler zwar eindeutig zurückgriff, doch stets auf die ihm eigene freie Art. Die Uneinigkeit unter den Befürwortern der Zwölfer-These ist nicht zuletzt Resultat davon, dass Bruegel in den einzelnen Bildern mehr Charakteristika darstellte als einen einzelnen Monat kennzeichnen. Der erste, der die daraus abgeleitete These der Bimensualität, also der Sechserfolge mit jeweils zwei gekoppelten Monaten, vertrat, war 1935 Charles de Tolnay. Er kam zu dem Schluss - wobei auch er Stundenbuchillustrationen als Vergleichsmaterial heranzog -, dass Bruegel immer zwei Monate in einer Darstellung zusammengefasst hat, und zwar Dezember/Januar, Februar/März usw. Die Jäger im Schnee stünden somit am Beginn des Zyklus. Diese These berücksichtigt allerdings weder den damals üblichen Jahresbeginn mit März, noch den in den Stundenbuchillustrationen fest etablierten Beginn des Jahres mit Januar.

Pieter Bruegel, Die Heimkehr der Herde, 1565, Öl auf Holz, 118 x 163 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien
Glück, der sich Anfang der 50er Jahre von der Zwölfer-These distanzierte, schlug daher die traditionelle Paarung von Januar/Februar usw. vor und ließ den Zyklus mit dem Düsteren Tag für März/April beginnen. Die Heuernte weist er Mai/Juni, die Kornernte Juli/August, die Heimkehr der Herde September/Oktober und die Jäger im Schnee Januar/Februar zu, es fehlt seiner Meinung nach also das Bild für November/Dezember. Claessens und Rousseau folgen zwar prinzipiell dieser Monatskoppelung ebenso wie dem Beginn des Jahres mit März, doch ordnen sie zwei der Bilder anders zu als Glück. Sie lassen den Zyklus mit der verloren gegangenen Darstellung Gartenbaukunst für März/April beginnen, gefolgt von der Heuernte für Mai/Juni, der Kornernte fur Juli/August, der Heimkehr der Herde für September/Oktober, den Jägern im Schnee für November/Dezember und als Abschluss Der düstere Tag für Januar/Februar. Wieder eine andere Lösung hält Marijnissen für plausibel. Er lässt den Zyklus ebenfalls mit dem verlorenen Bild beginnen, das bei ihm fur die Monate April/Mai steht; den Abschluss bildet auch hier Der düstere Tag, der nun Februar/März verbildlichen soll.

Wegen des Fehlens eindeutiger Prototypen oder Vergleichsbeispiele wurde Tolnays Lösungsvorschlag immer wieder in Frage gestellt. Tatsächlich ist die Koppelung zweier Monate ungewöhnlich, sie kommt jedoch vor: in der Zeit Bruegels in einer Serie von Marten van Cleve (1527-1581) und nach Bruegel im 17. Jahrhundert in einer Serie Jan van den Hoeckes (1611-1651). Ein weiteres Beispiel konnte schließlich Hans J. van Miegroet in einer Zeichnung des flämischen Malers Pieter Stevens (1567-1624) ausfindig machen. Stevens wurde 1594 Maler am Hofe Rudolfs II. in Prag, wo er bis zu seinem Tod lebte. Setzt man voraus, dass die Bruegelschen Zwölf Monate nach dem Tod Erzherzog Ernsts nach Prag zu seinem Bruder gelangten, so muss Stevens sie gekannt haben. Die von van Miegroet publizierte Zeichnung ist oben mit Februar und März bezeichnet und zeigt eine mit Bruegels Düsterem Tag vergleichbare Szenerie und Komposition. Darstellungen einzelner Monate, aber auch der Jahreszeiten von Stevens Hand sind zwar überliefert, doch eine Koppelung dieser beiden Monate ist auch für ihn ungewöhnlich. Deshalb nimmt van Miegroet an, er habe sich am Vorbild Bruegels orientiert. Damit sieht er nicht nur die These der Sechser-Reihe bestätigt, sondern auch jene der von Tolnay vorgeschlagenen spezifischen Monatskoppelung. Allerdings lässt van Miegroet den Zyklus mit dem Düsteren Tag für Februar und März beginnen.

Bereits 1948 war Novotny zu einer anderen These gekommen, die Demus 1981 untermauerte, indem er feststellte: »All dieser unbefriedigenden Lösungsversuche enthebt allein die Annahme, der Zyklus teile den Jahreslauf in natürlicherer Weise, als es das Schema von Monaten oder Doppel-Monaten vermag, nämlich nach den alten sechs 'Jahreszeiten' oder besser den 'Zeiten des Jahrs'. Schon Coremans (1847) hatte darauf hingewiesen, daß man in älterer Tradition das Jahr auch in sechs Teile teilte, indem man den Vorfrühling (Kleinlente) vom Frühling (Grootlente) und den Herbst als Erntezeit vom Spätherbst (arrière-saison) unterschied. Novotny (1948) hielt neben der Benennung der Bilder nach ihren eingeführten Titeln die allgemeinere Bezeichnung als 'Vorfrühling', 'Frühsommer', 'Hochsommer', 'Herbst' und 'Tiefer Winter' für die beste Lösung. Vossen (1951) weist noch andere Sechser-Zyklen (nicht vor, aber seit Bruegel; wohl zeitgenössisch von M. van Cleve) nach und möchte nicht Jahreszeiten, sondern sechs Jahresteile dargestellt sehen.«

Frans Hogenberg, Die Kirmes von Hoboken, Kupferstich
 nach einer Zeichnung von Pieter Bruegel, um 1559, Privatsammlung
Das verschollene Bild

Nach Betrachtung der Bilder selbst scheinen die Argumente von Novotny und Demus am überzeugendsten. Geht man also davon aus, dass der Zyklus aus sechs Bildern bestanden hat, wie mag dann das mutmaßlich sechste ausgesehen haben? Darüber lassen sich leider nur Vermutungen anstellen; wir wissen lediglich, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Frühlingsszene bzw. die Darstellung der Monate April/Mai gehandelt haben muss. Eine vage Vorstellung können uns vielleicht die überlieferten Bilder für die Monate April und Mai in den Stundenbüchern geben. Traditionsgemäß wurden hier nicht die bäuerliche Arbeit, sondern höfisches Liebeswerben und Vergnügungen im Freien dargestellt. In der April-Szene des Breviarium Grimani etwa sehen wir im Vordergrund einen Hochzeitszug eleganter Herrschaften, im Hintergrund wartet am Fluss ein Kahn auf die Gesellschaft. Die Mai-Darstellung zeigt die Maienkönigin zu Pferd in Begleitung von Musikanten und höfischem Gefolge. Auch im Flämischen Kalender ist der April den Vergnügungen und Tändeleien des Adels und des Bürgertums vorbehalten. Zu sehen sind zwei prächtig gekleidete Paare, die in einem umzäunten Garten vor einem Herrenhaus flanieren, während auf der Textseite als Gegensatz eine für diesen Monat typische ländliche Szene dargestellt ist: Ein Hirte treibt seine Schafherde vom Stall auf die Weide. Die Mai-Szene zeigt eine musikalisch begleitete Kahnfahrt, im Hintergrund einen »Maienritt«. […]

Überblickt man Bruegels Gesamtwerk, scheint es kaum vorstellbar, er habe ebensolche höfischen Szenen dargestellt wie seine Vorgänger in den Kalendarien: Es ist die Lebenswelt der Bauern, die ihn interessiert. Nun hat er auch in seinen bekanntesten Bildern eine Bauernhochzeit und bäuerliche Tanzvergnügen wie den Hochzeitstanz im Freien oder den Bauerntanz dargestellt. Warum sollte er also in dem fehlenden Bild nicht eine solche Szene gewählt und somit die in den Kalendarien dem Adel vorbehaltenen Vergnügungen auf das bäuerliche Umfeld übertragen haben? Man könnte sogar vermuten, eines der oben genannten Bilder gehöre möglicherweise zu unserem Zyklus, doch finden sich nirgendwo jahreszeitliche Hinweise auf die Frühlingszeit, die dargestellten Szenen spielen vielmehr im Herbst. Auch wird in diesen Bildern der Landschaft zu wenig Raum gegeben, als dass sie in den Zyklus passten.

Berühmt wurden die bäuerlichen, meist an Kirchweih stattfindenden Vergnügen durch zwei um 1559/61 von Hieronymus Cock herausgegebene Stiche nach Vorlagen von Bruegel: Das Blatt Kirmes am St. Georgstag und Die Kirmes von Hoboken. Geschildert wird das exzessive Treiben an diesen beliebten Festen, die zweimal im Jahr, im Mai und im September stattfanden. Es wäre also durchaus denkbar, dass Bruegel zumindest als kleine Episode Szenen eines derartigen Kirchweihfestes in sein großformatiges Bild integriert hat.

Pieter van der Heyden, Der Frühling, Kupferstich nach einer Zeichnung
 von Pieter Bruegel, 1570, The Metropolitan Museum of Art, New York,
 Harris Brisbane Dick Fund
Als man im 18. Jahrhundert den Gesamtkontext des Zyklus aus den Augen verloren hatte, kam es, wie eingangs erwähnt, in der Wiener Sammlung zu einer Zusammenstellung einzelner Bilder zu einer Reihe der vier Jahreszeiten, in der die Kornernte als Sommer fungierte, Die Heimkehr der Herde als Herbst, Der Bethlehemitische Kindermord als Winter und die Kinderspiele als Frühling. Obwohl die Szenerie der Kinderspiele offensichtlich in einer freundlichen Jahreszeit angesiedelt ist - im Fluss baden Kinder -, sind in Geschehen und Naturdarstellung keine spezifischen jahreszeitlichen Hinweise gegeben. Andererseits wurde seit alters her die Kindheit als Frühling des Menschen verstanden. Spiele sind darüber hinaus deutlichstes Sinnbild der Kindheit und erscheinen als solche im Übrigen auch in Randillustrationen von Kalendern in Stundenbüchern. Doch fügt sich diese allegorische Sicht nicht in den Kontext unseres Zyklus von Landschaftsdarstellungen, weshalb eine Zugehörigkeit der Kinderspiele auszuschließen ist.

Hinweise auf das verschollene Bild kann uns in eingeschränktem Maße schließlich eine Zeichnung Bruegels geben, die gerade dadurch erstaunt, dass sie die bürgerliche Lebenswelt nicht, wie sonst in seinen Genrebildern üblich, ausspart. Im selben Jahr, in dem er die Jahreszeiten malte, zeichnete er ein Blatt, das den Titel Frühling (De lenten) trägt. Es ist vom Künstler signiert, datiert und darüber hinaus unten am Rand mit den Namen der Frühlingsmonate »Mert«, »April«, »Meij« bezeichnet. Der Frühling diente als Vorzeichnung für einen Stich, der zu der von Cock 1570 herausgegebenen Jahreszeitenserie gehörte. Beim Stich setzte eine Unterschrift den Frühling mit der Jugend gleich. Viel stärker als in den Gemälden des Zyklus bündelt Bruegel in dieser Zeichnung unterschiedliche Szenen, wobei er überraschenderweise sehr stark in der Tradition der Kalenderdarstellungen steht, ohne sich jedoch sklavisch an diese zu halten.

Anstelle der gebräuchlichsten Darstellung für den März - der Feldarbeit, dem Pflügen und Säen auf dem Feld - macht er wie der Talbot-Meister und wie Bening im Da Costa-Stundenbuch und im Flämischen Kalender die Bestellung eines herrschaftlichen Gartens zum Hauptthema: Unter der Aufsicht der Gutsherrin, die wir links mit einem Hut in der Hand erkennen, werden Beete angelegt, geharkt, bepflanzt und gegossen. Rechts im Hintergrund folgt Bruegel erstaunlicherweise ganz der Tradition der Stundenbücher fur den Monat Mai, indem er vor einer Stadtkulisse unter einer pavillonartigen Laube eine vornehme Gesellschaft beim Feiern zeigt. Auch der obligatorische Kahn fehlt nicht. Daneben schließt die Darstellung der Schafschur an, die allerdings meist als typische Tätigkeit für die Sommermonate Juni oder Juli erscheint, etwa im Flämischen Kalender.

Pieter Bruegel, Der Frühling, 1565, Albertina Wien
Im Frühling kontrastiert Bruegel also jahreszeitliche Aktivitäten der Bauern mit den Zerstreuungen der Reichen. So sehr er sich an der Tradition orientiert, so eigenwillig ist jedoch seine Kombination und Gewichtung der einzelnen Motive. Auffällig bleibt, wie wenig Raum der reinen Landschaft zugestanden wird, eine Tatsache, die jedoch auf die Funktion des Blattes zurückzuführen ist. Daher lässt sich von der Zeichnung nur bedingt auf das Aussehen des verschollenen Bildes schließen, denkbar ist jedoch eine Übernahme von Einzelszenen, eingebettet in eine weite Landschaft. […]

Das Rätsel um das sechste Bild hat schließlich sogar die Belletristik inspiriert. Michael Frayn lässt in seinem Kunstkrimi Das verschollene Bild einen britischen Philosophen das vermeintlich sechste verschollene Gemälde des Zyklus entdecken. Zur Frage, warum das Bild lange Zeit verschollen war, entwickelt sein Protagonist Martin Clay eine abenteuerliche These: Bruegel habe in dem Bild eine ketzerische Idee dargestellt, aufgrund der es aus dem Verkehr gezogen worden sei. Er beschreibt das verschollene Werk als weite Flusslandschaft, in der Bauern zur Musik eines Dudelsackpfeifers tanzen. Frayns Geschichte endet übrigens in einer wilden Verfolgungsjagd, der das Bild natürlich zum Opfer fällt ...

Quelle: Inge Herold: Pieter Bruegel der Ältere. Die Jahreszeiten. Reihe Pegasus Bibliothek. Prestel, München, 2002, ISBN 3-7913-2658-9. Zitiert wurden aus den Seitem 7, 14-15, 89-103.





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Reposted on February 26, 2015

Dazu passende Posts aus der Kammermusikkammer, ebenfalls vom Ensemble Clémant Janequin:

Clément Janequin / Claudin de Sermisy: Les Cris de Paris. The Masters of the Rennaissance Chanson.

Josquin Desprez: Adieu, mes amours. Chanson.


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