30. Januar 2012

Robert Volkmann (1815-1883): Klaviertrios

Große Namen umgeben den heute unbekannten Komponisten, der zu seinen Lebzeiten einer der bedeutendsten Musiker Budapests war: Mit Johannes Brahms machte Volkmann ausgedehnte Spaziergänge in der Umgebung von Budapest. Den 18 Jahre Jüngeren traf er häufig in Wien, wo sie sich 1864 kennengelernt hatten. »Lieber Freund« ist die vertrauliche Anrede in ihren Briefen. Gut 25 Jahre früher, noch während Volkmanns Studienzeit in Leipzig, hatte er Robert Schumann mehrfach besucht. Der Beethoven-Forscher Gustav Nottebohm zählte zu Volkmanns engen Freunden, ebenso wie der spätere Thomaskantor und Bach-Kenner Wilhelm Rust. Der berühmte Pianist und Dirigent Hans von Bülow setzte sich in den 50er Jahren enthusiatisch für die Werke Robert Volkmanns ein und ab 1875 war Volkmann der Kollege von Franz Liszt am Budapester Konservatorium.

Seit Anfang der 1860er Jahre genoß Volkmann auch außerhalb Ungarns großes Ansehen. Von 1841 bis zu seinem Tod 1883 lebte er fast ständig in seiner ungarischen Wahlheimat Budapest - ausgenommen vier Jahre, die er in Wien verbrachte.

Am 6. April 1815 war Friederich Robert Volkmann als Kantorensohn in Lommatzsch bei Meißen zur Welt gekommen. Der Vater unterrichtete den Sohn im Gesang, Klavier- und Orgelspiel, denn er sollte nach dem Tod des Vaters die Kantorenstelle übernehmen. Außerdem lernte er Geige und Violoncello und spielte mit zwölf Jahren als Cellist die Streichquartette von Haydn, Mozart und Beethoven. Zwar sind die meisten seiner Werke für Klavier, doch das Cello blieb sein Lieblingsinstrument und er bedachte es 1853-55 mit einem großartigen Cellokonzert.

Robert Volkmann, circa 1838

Nur kurz besuchte Volkmann das Gymnasium in Freiberg im Erzgebirge, dann zwang der frühe Tod des Vaters ihn 1833 bis 1835 das Lehrerseminar zu absolvieren. Gleichzeitig war er Schüler von Musikdirektor August Ferdinand Anacker. Weitere Lehrjahre in Leipzig folgten: Volkmann nahm bis 1839 Unterricht bei dem Organisten der Nikolaikirche, Carl Ferdinand Becker, und hörte nebenbei Vorlesungen über Geschichte, Philosophie und Pädagogik an der Universität. Becker vermittelte Volkmann ab Oktober 1839 eine Stelle als Gesangslehrer an einer Musikschule in Prag. Doch Volkmann gab diese Stelle schnell wieder auf, weil ihm zu wenig Muße zum Komponieren blieb. Zeit seines Lebens konnte er sich nur mühsam mit den Einschränkungen abfinden, die eine feste Anstellung bedeutete. Doch oft hatte er nicht genügend private Schüler, um mit gelegentlichem Unterricht seinen sehr bescheidenen Lebensstil aufrecht zu erhalten.

Nach einer Zwischenstation als Privatlehrer der Töchter der Gräfin Stainlein-Saalenstein auf ihrem ungarischen Landsitz, zog Volkmann 1841 nach Budapest, wo er als Klavierlehrer und Berichterstatter für die »Allgemeine Wiener Musik-Zeitung« zu arbeiten begann. Budapest, damals noch aus der Stadt Pest und der gegenüberliegenden Festung Ofen (Buda) bestehend, war kulturell eine Stadt nach Wiener Vorbild. Der Adel und das gehobene Bürgertum, jene Kreise in denen Volkmann verkehrte, sprachen deutsch.

Wilhelm Busch: Drei alte Kopfweiden

In Pest gewann Volkmann zwar neue Freunde, als Komponist blieb er jedoch zunächst erfolglos. Von seinen Klavierwerken, den Liedern, Chören und einiger Kammermusik waren bisher nur zwei im Druck erschienen. Doch 1852 gelang der Durchbruch mit dem Klaviertrio b-Moll. Franz Liszt und vor allem Hans von Bülow spielten das 1850 entstandene Trio mehrfach und machten seinen Komponisten auch außerhalb Ungarns bekannt. Plötzlich war Volkmann »jemand«, und bald schien ihm die Musikstadt Wien größere Chancen zu bieten als Pest, dessen Kulturleben nach dem niedergeschlagenen ungarischen Freiheitskampf stagnierte.

1854 ging er nach Wien: Zwar entstanden hier wichtige Kompositionen wie die Händelvariationen, das 3. und 4. Streichquartett und das Cellokonzert, doch die besondere Anerkennung, auf die Volkmann gehofft hatte blieb aus. Er war nur einer unter vielen. 1858 kehrte er zu seinen Freunden nach Pest zurück.

Sein Freund, der Verleger Gustav Heckenast, hatte Volkmann 1857 den Druck sämtlicher Werke angeboten und ihm ein vom Verkauf unabhängiges regelmäßiges Einkommen zugesichert. So konnte Volkmann frei von Geldsorgen leben und arbeiten, bis Heckenast Anfang der 70er Jahre seinen Verlag in Pest schloß. In diese Zeit fallen auch Volkmanns größte Erfolge als Komponist. Seit Anfang der 60er Jahre hielt Volkmann in Pest Akademien ab, seine Streichquartette wurden überall in Deutschland gespielt, die 1. Symphonie von 1862 erlebte einen überwältigenden Erfolg bei der Aufführung in Moskau, Raubkopien tauchten in England auf. Es erschienen weitere Erfolgswerke wie die 2. Symphonie, die Streicherserenaden, die Ouvertüre zu »Richard III.«

In den Jahren zwischen 1871 und 1883 ließ Volkmanns Schaffenskraft stark nach. Es entstanden nur noch eine handvoll Kompositionen. 1875 wurde Volkmann als Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt an das von Franz Liszt geleitete Budapester Konservatorium berufen. Er blieb Akademie-Professor bis zu seinem Tod am 30. Oktober 1883.

Wilhelm Busch: Herbstwald. 20 x 33 cm, Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst Wilhelm Busch, Hannover

Volkmann komponierte zwei Trios für Klavier, Violine und Violoncello. Beide gehören mit zu seinen besten Kompositionen und übertreffen, obwohl relativ früh entstanden, manches seiner Alterswerke. Das b-Moll-Trio von 1850 war der Wegbereiter für Volkmanns spätere Berühmtheit. Das Trio in F-Dur, das Volkmann während seiner ersten Pester Jahre 1842-43 komponierte, wurde erst im Gefolge des berühmteren b-Moll-Schwesterwerkes bekannt und 1852 als op.3 bei Rozsavölgyi in Budapest gedruckt.

Das F-Dur-Trio ist mehr als jedes andere Kammermusikwerk Volkmanns an klassischen Vorbildern orientiert. Der lichte, ungestüme Charakter, manche melodische und formale Eigenschaft, erinnern an Trios von Beethoven (op. 97) und Schubert (op. 99). Im Gegensatz zum späteren b-Moll-Trio ist der Bau des F-Dur Werkes viersätzig:

Die Sonatenform prägt den ersten Satz in F-Dur, der mit einer 22- taktigen langsamen Einleitung beginnt (Adagio, quasi Andante) und dann als Allegro fortgeführt wird. Unkonventionell läßt Volkmann die Reprise an die Exposition anschließen ehe er zur Durchführung kommt und abschließend eine durchführungsartige Reprise bringt. Am Ende des Satzes steht das leicht veränderte Adagio vom Beginn. Der Rückgriff auf die Eröffnungstakte am Schluß eines Satzes ist einer von Volkmanns beliebtesten Kunstgriffen.

Wilhelm Busch: Heuernte. Um 1890, Niedersächsisches Landesmuseum Hannover

Das Scherzo (Allegretto vivace, F-Dur) läßt den Einfluß Beethovens und
Schuberts hören. Der sehr melodiöse Trioteil (Poco moderato) steht im terzverwandten Des-Dur, eine Tonartbeziehung, die Schubert gern benutzte.

Der langsamen Satz (Andante, Es-Dur) bleibt schlicht und arbeitet nur gelegentlich mit 3/4- gegen 6/8- Rhythmen.

Mit brillantem Schwung, den es unter anderem dem zigeunerhaften zweiten Thema verdankt, schließt das Trio. Strenger als der erste Satz folgt das Finale (Allegro con fuoco, F-Dur) mit seinen drei Themen der Sonatenform.

»Robert Volkmann: Eine neue Hoffnung für die Kunst« titelte ein Kritiker seine Besprechung des b-Moll-Trios. Volkmann hatte es im Sommer 1850 komponiert. Zwei Jahre später erschien es als op. 5 bei Rozsavölgyi im Druck. Im Rahmen von Volkmanns Schaffen nimmt das Trio eine Sonderstellung ein. Schon früh waren sich viele Zeitgenossen bewußt, daß dieses formal so originelle Trio ein Meisterwerk sei. An dieser Einschätzung braucht auch heute nicht gezweifelt zu werden.

Nicht ohne Hintergedanken widmete Volkmann dieses Trio Franz Liszt: »... erlaube ich mir nun die Bitte, Herr Doktor, beifolgende Probe meiner Leistungen, ein Klaviertrio, günstig durchzusehen. Die zweite Bitte wäre, daß Sie mir Ihre aufrichtige Meinung darüber nicht vorenthielten ...«. Liszt äußerte sich begeistert über das Trio und führte es auch gemeinsam mit Joseph Joachim und Bernhard Cossmann in seinem Haus in Weimar auf. Doch die nachdrückliche Förderung, auf die Volkmann gehofft hatte, blieb aus. Deshalb wandte er sich ein Jahr später erneut an Liszt: »Da ich nun einen Grund habe, zu vermuten, daß Sie sich meines Produktes nicht gerade schämen werden, so hoffe ich auf keinen ungünstigen Bescheid auf die Frage: ob ich die Ehre haben kann, Ihnen mein Trio zu widmen?« Volkmann spekulierte wohl zu Recht darauf, daß der Name Liszts auf dem Titelblatt den Verkauf des Werkes und sein eigenes Ansehen fördern würde.

Formal ist das Trio schwer zu fassen: Es wurde als vielteilige Phantasie, als zwei- oder auch dreisätzige Form beschrieben. Eine hörbare Zäsur gibt es nur nach dem ersten Satz, einem Largo in b-Moll, das sich nach dreißig Takten belebt (Un pochetto piu mosso, b-Dur). Der erste Satz schließt mit dem thematischen Material des Largo.

Wilhelm Busch: Waldlandschaft mit Heufuder und Kühen, um 1890, 21.2 × 25.5 cm

Es folgt ein großer zweiter Formteil, dessen langsame Einleitung (Andante, b-Moll) Volkmann »Ritornell« nennt. Daran schließt sich ein dreiteiliges, wenn auch vom Komponisten nicht als solches bezeichnetes Scherzo an (Allegretto, Des-Dur, cis-Moll, Des-Dur). Merkwürdig bleibt die Bezeichnung »Ritornell«, denn die so überschriebenen fünfzehn Takte kehren nicht wieder. Vielleicht weist Volkmann mit dem Begriff »Ritornell« auf das Wiedererscheinen des Kernmotivs des Trios in diesem Abschnitt hin, drei aufsteigende Noten. Außer der thematischen Einheit des Trios gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Sätzen, etwa die gelegentlichen Echoeffekte zwischen Violine und Violoncello oder die Art, wie Themen aufgestellt und entwickelt werden. Unmittelbar schließt sich ein »Allegro con brio« überschriebener Teil an (b-Moll mit mehreren Tonarten und Taktwechseln), den man als dritten Satz in modifizierter Sonatenform bezeichnen kann. Am Ende rundet Volkmann das Werk: Noch einmal erklingt das Largo des ersten Satzes.

Das b-Moll-Trio ließ die Anhänger der Neudeutschen Schule glauben, der im Grunde eher konservative Volkmann sei einer von ihnen. Hans von Bülow nahm das Trio in sein Repertoire auf und spielte es immer wieder, trotz anfänglichen Unverständnisses beim Publikum.

Quelle: Hilde Malcolmes, im Booklet


Track 6 Klaviertrio op 5 in b Moll - II. Ritornell (Beethoven Trio Regensburg)



TRACKLIST


Robert Volkmann (1815-1883)


Piano Trio op. 3 in F major 25'21
(1) Adagio, quasi andante 8'51
(2) Scherzo. Allegretto vivace 4'44
(3) Andante 5'39
(4) Finale. Allegro con fuoco 6'07


Piano Trio op. 5 in B flat minor 27'47
(5) Largo 9'09
(6) Ritornell 5'13
(7) Allegro con brio 13'25

T.T.: 53'28

Beethoven Trio Ravensburg
Inge-Susann Römhild, Piano
Ulrich Gröner, Violin
Susanne Eychmüller, Violoncello

Recording: 17-19.Februar 1992
Recording Supervisor: Andreas Heintzeler
Recording Engineer: Frauke Schulz
Recording Technician: Christine Wehmann
Executive Producers: Burkhard Schmilgun, Peter Schilbach
(P) 1994

Fidelio, mein Hündchen "Aber Fidelio, mein Hündchen, wirst du dich denn niemals an die Töne der Musik gewöhnen!"

Beethoven Trio Ravensburg

Das Beethoven Trio Ravensburg wurde 1980 gegründet. Von Beginn an widmeten sich die Instrumentalisten Inge-Susann Römhild, Klavier; Ulrich Gröner, Violine; und Susanne Eychmüller, Violoncello; mit besonderem Engagement der Trioliteratur Beethovens, daneben Werken der Romantik und ganz besonders zeitgenössischer Komponisten.

Durch Preise in verschiedenen Kammermusikwettbewerben bewies das Ensemble internationales Niveau (Internationaler Kammermusik-Wettbewerb »Vittorio Gui«, Florenz, Internationaler Kammermusik-Wettbewerb in Colmar, Deutscher Musik-Wettbewerb in Bonn.) Das Beethoven Trio war Stipendant des Deutschen Musikrates. Seine künstlerische Entwicklung wurde wesentlich beeinflußt durch die Zusammenarbeit mit Künstlern berühmter Kammermusik-Ensembles, so z.B. mit dem Amadeus-Quartett, Kurt Guntner vom Odeon-Trio, Rudolf Metzmacher sowie dem Beaux-Arts-Trio.

Wilhelm Busch: Landschaft mit Reiter Ein Ausschnitt aus diesem Gemälde ziert das Cover dieser CD.

Wilhelm Busch, Kunstmaler

Heinrich Christian Wilhelm Busch (* 15. April 1832 in Wiedensahl; † 9. Januar 1908 in Mechtshausen) war einer der einflussreichsten humoristischen Dichter und Zeichner Deutschlands. Schon zu seinen Lebzeiten galt er als ein „Klassiker des deutschen Humors“, der mit seinen satirischen Bildergeschichten eine große Volkstümlichkeit erreichte. In diesen verspottet er häufig Eigenschaften einzelner Typen oder Gesellschaftsgruppen und greift die Selbstzufriedenheit und zweifelhafte Moralauffassung des Spießbürgers und die Frömmelei bürgerlicher und geistlicher Personen an.

Busch war ein ernster und verschlossener Mensch, der viele Jahre seines Lebens zurückgezogen in der Provinz lebte. Seinen Bildergeschichten, die er als „Schosen“ bezeichnete, maß er wenig Wert bei. Sie waren am Beginn für ihn nur ein Broterwerb, mit denen er nach einem nicht beendeten Kunststudium und jahrelanger finanzieller Abhängigkeit von den Eltern seine drückende wirtschaftliche Situation aufbessern konnte. Sein Versuch, sich als ernsthafter Maler zu etablieren, scheiterte an seinen eigenen Maßstäben. Die meisten seiner Bilder hat Wilhelm Busch vernichtet, die erhaltenen wirken häufig wie Improvisationen oder flüchtige Farbnotizen und lassen sich nur schwer einer malerischen Richtung zuordnen. Seine von Heinrich Heine beeinflusste lyrische Dichtung und seine Prosatexte stießen beim Publikum, das mit dem Namen Wilhelm Busch Bildergeschichten verband, auf Unverständnis. Die Abnahme seiner künstlerischen Hoffnungen und das Ablegen überhöhter Erwartungen an das eigene Leben sind Motive, die sich sowohl in seinen Bildergeschichten als auch in seinem literarischen Werk wiederfinden.

Wilhelm Busch scheint die Selbstzweifel an seinen malerischen Fähigkeiten, die ihn befielen, als er sich erstmals in Antwerpen mit den alten niederländischen Malern auseinandersetzte, während seines Lebens niemals ganz verloren zu haben. Wenige seiner Gemälde empfand er als fertig. Er stapelte sie häufig noch feucht in Ecken seines Ateliers aufeinander, so dass sie sich unlösbar miteinander verklebten. Wurden die Bilderstapel zu hoch, verbrannte er sie im Garten. Von den erhaltenen Bildern sind nur wenige datiert, so dass es schwer ist, sie in eine geschichtliche Reihenfolge zu ordnen. Seine Zweifel an seinen malerischen Fähigkeiten drücken sich auch in der Materialwahl aus. Seine Malgründe sind bei den meisten Werken lieblos gewählt. Gelegentlich handelt es sich um unebene Pappen oder um nur notdürftig geglättete und mit nur einer Gratleiste gesicherte Fichtenholzbretter. Eine Ausnahme stellt ein Porträt seiner Förderin Johanna Keßler dar, dessen Malgrund Leinwand ist und das mit 63 mal 53 Zentimeter zu den größten Bildern Wilhelm Buschs zählt. Die meisten seiner Gemälde haben ein deutlich kleineres Format. Selbst die Landschaften sind Miniaturen, deren Reproduktionen in Bildbänden häufig größer sind als das jeweilige Original. Da Wilhelm Busch nicht nur billige Malgründe, sondern auch billige Farben verwendete, sind viele seiner Bilder inzwischen stark nachgedunkelt und haben damit eine fast monochrome Wirkung.

Wilhelm Busch: Bildniss Johanna Keßler

Viele seiner Bilder zeigen eine Fixierung auf das ländliche Leben in Wiedensahl oder Lüthorst. Dargestellt sind Motive wie Kopfweiden, Katen im Kornfeld, Kuhhirten, Herbstlandschaften, Wiesen mit Bachläufen. Auffallend sind die sogenannten Rotjacken-Bilder. Unter den nahezu 1000 Gemälden und Skizzen Wilhelm Buschs finden sich etwa 280, auf denen eine rote Jacke zu entdecken ist. Meist ist es eine von hinten gesehene, winzige Figur, die in gedeckte Farben gekleidet ist, aber eine leuchtend rote Jacke trägt. Die Porträts zeigen in der regel typische dörfliche Charaktere. Eine Ausnahme bilden neben Porträts der Familie Keßler eine Mitte der 1870er Jahre entstandene Porträtserie von Lina Weißenborn. Das 10-jährige Mädchen war Tochter einer der jüdischen Familien, die in Lüthorst seit Generationen ansässig war. Sie zeigen ein ernsthaftes Mädchen mit dunkel-orientalischen Zügen, das den Maler kaum wahrzunehmen scheint. Ihre Porträts werden von einigen Kritikern zu den ergreifendsten Bildnissen Wilhelm Buschs gezählt, die weit über das typenhafte seiner übrigen Porträts hinausgehen.

Der Einfluss der niederländischen Malerei ist im Werk Buschs unverkennbar. „Hals verdünnt und verkleinert ... aber etwas Hals eben doch“, schrieb Paul Klee nach dem Besuch einer Wilhelm Busch-Gedächtnisausstellung im Jahre 1908. Von besonderem Einfluss auf das malerische Werk Wilhelm Busch ist Adriaen Brouwer, der ausschließlich Szenen aus dem Bauern- und Wirtshausleben, Bauerntänze, Kartenspieler, Raucher, Trinker und Schläger thematisierte. Eine Auseinandersetzung mit prägenden deutschen Malern seiner Zeit wie Adolf Menzel, Arnold Böcklin, Wilhelm Leibl oder Anselm Feuerbach mied Busch. Die Entdeckung des Lichts im frühen Impressionismus, neuer Farben wie Anilingelb oder die Verwendung von Fotografien als Hilfsmittel fand in seiner Malerei keinerlei Berücksichtigung. Seine Landschaften aus der Mitte der 1880er Jahren zeigen allerdings den gleichen groben Pinselstrich, der für Bilder des jungen Franz von Lenbach charakteristisch war. Obwohl er mit mehreren Malern der Münchner Schule befreundet war und ihm auf Grund dieser Kontakte eine Ausstellung seiner Bilder problemlos möglich gewesen wäre, hat er diese Möglichkeit sein malerisches Werk zu präsentieren, nie ergriffen. Erst gegen Ende seines Lebens stellte er ein einziges Bild öffentlich aus.

Quelle: Wilhelm Busch, Wikipedia (Verwendete Version)

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Reposted on December 18, 2014

17. Januar 2012

Robert Schumann: Liederkreis Op. 24 & Op. 39

Wie jedes andere Kunstwerk werden großartige Einspielungen wegen ihrer eigenen Qualitäten berühmt, unabhängig von Einzelheiten wie ihre Entstehungszeit, der Ort oder die persönlichen Umstände, aber es ist nicht gerecht, wenn wir ihre Existenz als gegeben annehmen, ohne ganz zu verstehen was damals neu war. Es stimmt nicht, wenn man sagt, dass Schumann in den 1950er Jahren dem an Musik interessierten Publikum als Liederkomponist neu war: ein Dutzend einzelner Lieder kannte man gut, und Aufführungen der Zyklen Dichterliebe und Frauenliebe und -leben waren nicht ungewöhnlich. Aber Schumann als Komponist von ungefähr 250 Liedern war nicht bekannt. Sein Oeuvre kam auch in den Schallplatten-Katalogen nicht oft genug vor, beispielsweise gab es für ihn keine Ausgaben, die von einer Musikgesellschaft gefördert wurden, wie dies bei Schubert, Brahms und Wolf der Fall war. Und die informierten Meinungsmacher übernahmen nur unsicher die Führung. Sogar noch 1957 konnte Percy Young in seiner biographischen Studie Tragic Muse behaupten: "Schumanns posthumer Ruhm als Liederkomponist beruht vor allem auf, sagen wir, zwanzig Liedern."

Dies war eine Meinung, die Fischer-Dieskau (mehr als jeder andere Sänger) erfolgreich ändern konnte. Tatsächlich hätte Dr. Young nicht einmal ein Jahr später seine Schätzung so formulieren können. Fischer-Dieskaus Aufnahme von Eichendorffs Liederkreis kam 1954 auf LP heraus, der Heine-Zyklus (op. 24) 1957. Schließlich nahm er alle Lieder Schumanns auf, ausgenommen jene, die von einer Frau gesungen werden müssen wie Frauenliebe und -leben und die Maria Stuart-Lieder. Er widmete auch ganze Liederabende dem Komponisten (beginnend mit seiner ersten Aufführung von Dichterliebe im Jahr 1948) und gab 1981 ein Buch über Schumanns Lieder heraus.

Die beiden Liederzyklen und, mit Ausnahme von dreien, alle anderen Lieder auf dieser CD stammen aus Schumanns annus mirabilis: 1840, das Jahr seiner Heirat und wahrscheinlich das glücklichste seines Lebens. Sein Gefühl der Befreiung ist eng verbunden mit einer beinahe obsessiven Hinwendung zur Lyrik und zur Singstimme. Im Mai jenes Jahres schrieb er an seine Frau, Clara: "Ich habe wieder so viel komponiert, dass mir dies manchmal ganz unheimlich vorkommt. Ich würde mich gern zu Tode singen wie eine Nachtigall. Zwölf Eichendorff-Lieder, aber ich habe sie schon vergessen und etwas Neues angefangen." Und das von einem Komponisten, dessen Leidenschaft bis dahin dem Klavier galt. Diese neue Entwicklung brachte eine vollständige Änderung seiner Methoden mit sich: "Ich kann Dir gar nicht sagen, wie leicht mir das alles fiel und wie glücklich es mich gemacht hat. Gewöhnlich komponiere ich diese Lieder stehend oder gehend, nicht am Klavier. Das ist eine ganz andere Art von Musik, die nicht von den Fingern getragen werden muss - viel direkter und melodischer." In jenem Jahr schrieb er 138 Lieder, mehr als die Hälfte seines ganzen Liedschaffens.

Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore

Sie sind vor allem von der Phantasie der Romantik beeinflusste Lieder. Der Eichendorff-Zyklus steht obenan in diesem Genre. Eine zentrale Bedeutung darin hat das bestbekannte und idyllischste dieser Lieder: Mondnacht (Track 5). Es wirft ein sanftes Nachtlicht auf den ganzen Zyklus. Wie ein Bilderbuch betrachten wir Waldszenen, erblicken durch Regenschauer eine Burg hoch über dem Rhein, aber auch Freund und Feind im trügerischen Zwielicht. Die Liederfolge erzählt keine durchgehende Geschichte, sie beginnt jedoch mit Einsamkeit und endet vielversprechend. Der Zyklus vermittelt das Gefühl von Einheit, und über diese wird von Musikwissenschaftlern oft gesprochen. Die einen finden Motive, die die einzelnen Lieder verbinden, andere eine subtilere Einheit der Struktur. Sicher ist, dass der Zyklus im Hörer nachklingt, er beschwört eine eigenartige, traumhafte Realität herauf, ein Geflecht von instinktiven Ängsten und Sehnsüchten, mit Hilfe einer Musik, die beklommen und beruhigend ist, still und erregt.

Der Zyklus op. 24 ist freimütiger persönlich und subjektiver. Sogar noch heute hört man ihn seltener als op. 39. Das mag sein, weil er als kürzeres Werk nicht so hochrangig scheint, vielleicht auch wegen einer gewissen Diskrepanz zwischen den Gedichten und der Musik. Richard Miller formulierte es so in Singing Schumann (1999): „Heine leidet, Schumann genießt!" Der Komponist genießt auch die Sammlung Myrthen, aus der Du bist wie eine Blume (Track 25) stammt. Die Romanzen und Balladen sind weniger geprägt von Schumanns Stil, enthalten aber das Lied Die beiden Grenadiere (Track 32), das von so vielen Sängern in ihr Repertoire aufgenommen wird, die wahrscheinlich sonst nichts mit ihm zu tun haben. Ergreifender sind die Lieder vom „armen Peter" (Tracks 28-30) und dramatischer ist die erschütternde Beschreibung von Belsatzars Fest (Track 34), wieder eine Heine-Vertonung, und eines der ersten Werke, die 1840, im Jahr der Lieder, entstanden.

Belsatzar ist für beide Interpreten eine Herausforderung, die sie einschüchtern könnte. Fischer-Dieskau singt mit lebhafter Vorstellungskraft, eine Andeutung seiner "Operndekade", wie Kenneth Whitton in seinem Buch Dietrich Fischer-Dieskau Mastersinger, 1981 feststellte. Das Lied lenkt die Aufmerksamkeit des Hörers auch auf die Interpretation des Klavierparts. Hertha Klust war Fischer-Dieskaus Klavierbegleiterin und Mentorin in allen frühen Jahren seiner Karriere. Sie war Sängerin gewesen, Lehrerin und Korrepetitorin, sie kannte diese Partituren durch und durch. Der Pianist Gerald Moore, der wie Fischer-Dieskau ein Buch über Schumann schrieb (Poet's Love, 1981), spielt die Musik des Komponisten mit einem unfehlbar richtigen Anschlag. Fischer-Dieskau hat immer festgestellt, dass seine Bekanntschaft mit Moore zum Besten in seinem Leben gehöre, und als Moore seinerseits auf ihre lange Zusammenarbeit zurückblickte, kam er zu dem Schluss: "Für alles, was mir zuteil wurde, bin ich aufrichtig dankbar." (aus Am I too loud?, 1962, deutsche Übersetzung Bin ich zu laut?, Rainer Wunderlich Verlag, Tübingen, 1963)

Quelle: JOHN STEANE (Übersetzung: Helga Ratcliff), im Booklet

Track 14: Frühlingsfahrt (Eichendorff) Dietrich Fischer-Dieskau, Gerald Moore (1964)



Frühlingsfahrt

Es zogen zwei rüst'ge Gesellen
Zum erstenmal von Haus,
So jubelnd recht in die hellen,
In die klingenden, singenden Wellen
Des vollen Frühlings hinaus.

Die strebten nach hohen Dingen,
Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
Was Recht's in der Welt vollbringen,
Und wem sie vorüber gingen,
Dem lachten Sinnen und Herz. -

Der erste, der fand ein Liebchen,
Die Schwieger kauft' Hof und Haus;
Der wiegte gar bald ein Bübchen,
Und sah aus heimlichem Stübchen
Behaglich ins Feld hinaus.

Dem zweiten sangen und logen
Die tausend Stimmen im Grund,
Verlockend' Sirenen, und zogen
Ihn in die buhlenden Wogen,
In den wogenfarbigen Schlund.

Und wie er auftaucht' vom Schlunde,
Da war er müde und alt,
Sein Schifflein das lag im Grunde,
So still war's rings in der Runde,
Und über den Wassern weht's kalt.

Es klingen und singen die Wellen
Des Frühlings wohl über mir;
Und seh' ich so kecke Gesellen,
Die Tränen im Auge mir schwellen
Ach, Gott, führ' uns liebreich zu Dir!

Eichendorff


Track 34: Belsatzar op 57 (Heine) Dietrich Fischer-Dieskau, Hertha Klust (1956)



TRACKLIST TT: 79.28

Robert Schumann 1810-1856

Liederkreis Op.39 (Eichendorff)
(01) I: In der Fremde 2.11
(02) II: Intermezzo 1.52
(03) III: Waldesgespräch 2.10
(04) IV: Die Stille 1.32
(05) V: Mondnacht 3.50
(06) VI: Schöne Fremde 1.27
(07) VII: Auf einer Burg 3.17
(08) VIII: In der Fremde 1.34
(09) IX: Wehmut 2.32
(10) X: Zwielicht 3.23
(11) XI: Im Walde 1.29
(12) XII: Frühlingsnacht 1.16

Romanzen und Balladen I Op.45
(13) I: Der Schatzgräber (Eichendorff) 3.08
(14) II: Frühlingsfahrt (Eichendorff) 3.01
(15) III: Abends am Strand (Heine) 2.53

Liederkreis Op.24 (Heine)
(16) I: Morgens steh' ich auf und frage 1.04
(l7) II: Es treibt mich hin 1.05
(18) III: Ich wandelte unter den Bäumen 3.16
(19) IV: Lieb' Liebchen 1.00
(20) V: Schöne Wiege meiner Leiden 3.56
(21) VI: Warte, warte, wilder Schiffmann 2.01
(22) VII: Berg' und Burgen schau'n herunter 3.22
(23) VIII: Anfangs wollt' ich fast verzagen 0.48
(24) IX: Mit Myrten und Rosen 3.49

(25) Du bist wie eine Blume (Myrthen Op.25 No.24) (Heine) 1.49

Tragödie, I & II (Romanzen und Balladen IV Op.64 No.3) (Heine)
(26) I: Entflieh' mit mir 1.20
(27) II: Es fiel ein Reif 1.56

Der arme Peter, I-III (Romanzen und Balladen 111 Op,53 No.3) (Heine)
(28) I: Der Hans und die Grete 1.39
(29) II: In meiner Brust 1.19
(30) III: Der arme Peter wankt vorbei 1.41

(31) Mein Wagen rollet langsam (Vier Gesänge Op.:142 No.4) (Heine) 2.51

Romanzen und Balladen II Op.49 (Heine)
(32) I: Die beiden Grenadiere 3.56
(33) II: Die feindlichen Brüder 2.07

(34) Belsatzar Op.57 (Heine) 4.41

Dietrich Fischer-Dieskau baritone/Baryton/bariton
Gerald Moore piano/Klavier (1-14 & 32)
Hertha Klust piano/Klavier (15-31, 33 & 34)

Recorded/Aufgenommen/Enregistré: 10.III.1954 (1-12) & 10.X.1951 (32), No.3 Studio, Abbey Road, London;
26, 27.III.1964 (13 & 14) and 16.IX.1956 (15-31, 33 & 34), Gemeindehaus, Berlin-Zehlendorf
Producers/Produzenten/Directeurs artistiques: Walter Legge (1-12 & 32); Gerd Berg (13 & 14);
Fritz Ganss (15-31, 33 & 34)
Balance Engineers/Tonmeister/Ingénieurs du son: Douglas Larter (1-12 & 32); Ernst Rothe (13 & 14);
Horst Lindner (15-31, 33 & 34)
Digitally remastered at Abbey Road Studios by Jan Jones
® 1955 (1-12), 1965 (13 & 14) & 1957 (15-31, 33 & 34)
This compilation & digital remastering ® 2004

Carl Spitzweg: Der Briefbote im Rosenthal. Um 1858. Öl auf Leinwand, 73,6 x 46,5 cm. Marburg, Universitätsmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte

Carl Spitzweg (1808-1885)

Ein Meisterwerk der späten fünfziger Jahre, ja, eins der »klassischen« Spitzweg-Bilder überhaupt ist Der Briefbote im Rosenthal. Der Künstler vermochte nun alle kompositorischen und koloristischen Register zu ziehen, um eine heitere Situation von großem optischem Reiz zu vergegenwärtigen. Die beiderseits geschlossene, bewußt ausgeleuchtete Bildbühne führt in die tiefer gelegene, enge Schlucht einer Gasse, die wie abgeriegelt erscheint. Durch geschickte Lichtführung schuf der Maler vor dieser Dunkelheit in den verschiedenen Schichten des verschachtelten Raumgebildes eine gleichsam durchsichtige Klarheit, wobei der dominierende diagonale Schlagschatten, jenes für Spitzweg typische Bildmittel, ebenso entschieden wie differenziert eingesetzt ist. Allenthalben sorgen Halbschatten und im Widerschein aufgehellte Flächen für räumliche Übersichtlichkeit.

Was Spitzweg hier dem Betrachter darbietet, ist nun vollends das Konzentrat einer nicht nur für diesen, sondern auch für ihn selbst nicht mehr gegenwärtigen Kleinstadtpoesie. Mag er solche Einzelheiten wie die geschmiedeten Hauszeichen - eins hell vor dunkel, das andere dunkel vor hell -, wie die überrankte, mit Reliefs und Malerei verzierte Fassade, wie die Schindeln, die behäbige Turmhaube, den Brunnen und das steile Dach mit Schornstein und Storchennest, kurz: das typische Spitzweg-Arsenal auf seinen Reisen irgendwo gesehen und festgehalten haben, so bleibt doch das Ganze offenkundig ausgedachte Kulisse für die dargestellte Szene. Der Briefträger, der sich vom dunklen Grund scharf und effektvoll abhebt, hält das weiße, vielversprechende Kuvert in die Höhe, und an allen Fenstern erscheinen, wie Vögel aus Käfigen hervorlugend, die schönen Mädchen und Damen. Der alte Mann vermag kraft seines Amtes einen vielgestaltigen, köstlichen Anblick hervorzulocken, doch offensichtlich beschränkt sich sein Interesse auf das Lüften des Geheimnisses, welche Bevorzugte die Briefempfängerin ist. Der »Genießer« ist also auch hier ein anderer: der Betrachter des Bildes. Er kann seine Augen nach Belieben an der Schönheit weiden.

Carl Spitzweg: Der ewige Hochzeiter. Um 1858. Öl auf Leinwand, 48 x 27,5 cm. Privatbesitz

Ein anderes »klassisches« Bild dieser Jahre ist Der ewige Hochzeiter. Neben dem Briefboten-Gemälde wirkt hier die Malweise ein wenig bewegter und weicher. Die Pointe der Darstellung, obwohl mit ähnlicher Direktheit und einer geradezu beißenden Ironie vorgetragen, tritt etwas zurück, ja, durch die boshaften Nachbarn und die seltsam beteiligte Brunnenfigur bekommt dieses Bild etwas Mehrdeutiges. Der geschniegelte, in seiner Torheit nie zum Ziel gelangende Hochzeiter trägt sein Anliegen mit einer so leidenschaftlichen Hingabe vor, daß er alle Zuschauer vergißt. Einen unpassenderen Augenblick hätte er kaum wählen können, doch der Betrachter weiß angesichts der freundlichen Zurückhaltung des Mädchens das Ganze dennoch nicht recht zu beurteilen.

Solches In-der-Schwebe-Bleiben der Situation, durch das die erzählerische Tendenz, d. h. der Gedanke an ein Vorher und ein Nachher, zurückgenommen wird, gibt es nun immer häufiger auf Spitzwegs Bildern. Die Gewichte des Interesses verschieben sich, das spannende Moment besteht immer weniger in der »Geschichte« als solcher oder in deren zu erwartendem Ausgang, als vielmehr in der malerischen Erfassung eines humoristisch-bedeutungsvollen Augenblicks. - Der Blumenstrauß befindet sich in der Bildachse, die auch kompositorisch betont ist, vor allem durch den diagonalen Schlagschatten. Auf die beiden im vollen Rampenlicht stehenden Hauptakteure, die sich dem Strauß zuneigen, sind die farbigen Akzente verteilt: helles Gelb vor tiefem Dunkel, Rot, Schwarz, Weiß, Blau und Braun vor gebrochenen Tönen.

Der Hochzeiter wirkt in seiner stutzerhaften Aufmachung im Kleinstadtalltag denkbar deplaziert. Aber hat der Maler hier überhaupt eine Alltagssituation wiedergegeben? Geht es nicht vielmehr auch diesmal um eine verklärte Vergangenheit mit rankendem Wein, mit Turmuhr und anheimelnden Fensterläden? Allerdings scheint sich in die Erinnerung an eine possierliche, in ihrer Peinlichkeit komische Werbung und an ein schönes, gutmütiges Mädchen ein melancholischer Beiklang zu mischen.

Carl Spitzweg: Ein Hypochonder. Um 1865. Öl auf Leinwand, 54 x 31,4 cm. München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Beim Hypochonder teilt die Begrenzung des diagonalen Schlagschattens die Komposition in zwei Teile. Auf eine wohlüberlegte, die Räumlichkeit ebenso wie die einzelnen kubischen Formen klärende Weise ist er winklig gebrochen, teils mit hartem, teils mit weich verlaufendem Übergang. Wiederum sind die Baukörper vor einer dunklen, wie abgeriegelten Häuserschlucht eng verschachtelt, diesmal aber von oben gesehen. Bei Sonnenschein steckt ein Hagestolz ganz in der Nähe des Betrachters die Nase zum Fenster heraus, während eine junge Frau, im dunklen Bildteil, hinter einem anderen Fenster, bei Lampenlicht über ihre Arbeit gebeugt sitzt. Dieser Kontrast ergibt den Effekt einer Zweiheit von heiterem, dabei aber auch befremdlichem Ausdruck. Entsprechend dem erstarkenden Sonnenlicht spielen warme und kalte Töne herüber und hinüber. Doch es gibt keine Verbindung zwischen Mann und Frau in ihren Gehäusen. Das Gefangensein des Menschen im Käfig seiner selbst ist hier das Thema. Es geht also gleichsam um die betonte »Nichtbeziehung« des dargestellten Paares.

Der Sinn des Bildtitels bleibt unbestimmt, denn der einsame Mann wirkt weder von Krankheitswahn besessen noch melancholisch, sondern einfach ein wenig überspannt. Die nähende Frau erscheint dagegen ganz alltäglich. Dennoch gewinnt sie durch den dunkel gerahmten Lichtfleck, der sie erhellt und umgibt, etwas Entrücktes. Diese kleine Lichtfläche, ein Bild im Bilde, befindet sich an genau kalkulierter Stelle, in diagonaler Gegenposition zum Fenster des »Hypochonders«. Gerade weil das Gemälde in so auffallender Weise mit doppelter Diagonalwirkung zweigeteilt ist - im Sinne lapidarer Kontraste, wie Tag und Nacht, Mann und Frau - überwiegt bei diesem Einblick in die menschliche Komödie eine stille Resignation: In der Abkapselung des städtischen Gemeinwesens vertrocknet jeder für sich unter den Lasten eigener Marotten oder alltäglicher Mühen. Der einzige Ausweg, den der Maler aus dieser Enge zeigt, ist heitere Selbstironie.

Carl Spitzweg: Im Dachstübchen. 1882. Öl auf Pappe, 30 x 23 cm. München, Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Dient die Malerei der genauen Wiedergabe des Augenblickseindrucks und der »Naturtreue«, oder will sie dem Betrachter - im Gegenteil - gerade das veranschaulichen, was er sonst nicht sehen kann? Diese Frage wird wohl die Gemüter bewegen, solange gemalte Bilder entstehen, und entsprechend wird es wohl immer Künstler geben, die eine genaue Wiedergabe gesehener Wirklichkeit erstreben, und andere, die sich bei ihrer Arbeit vom »Augenschein« unabhängig machen. Die meisten aber beziehen einen Standort zwischen beiden Extremen. Freilich zeigt sich oft erst bei näherer Prüfung, welcher Seite sie stärker zuneigen. Gibt es doch Maler, die bei strengem Gebundensein an den optischen Eindruck zu kühnen, »abstrakt« anmutenden Formulierungen gelangen, und andere, die frei erfundene Vorstellungen malend in gesehene Wirklichkeit umzuwandeln vermögen.

Zu den letztgenannten gehört Carl Spitzweg, ja, vielleicht steht dieser Maler durch die besondere Art, in der er Ausgedachtes und Gesehenes verband, in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts ohne Vergleich da. Die Suggestion des Tatsächlichen ist in seinen Bildern ebenso stark wie die Offensichtlichkeit der Erfindung, und doch kommt der Betrachter nicht auf den Gedanken, das eine vom anderen zu trennen.

Diese besondere Wirkung hängt zweifellos damit zusammen, daß der Maler seine Tätigkeit als etwas sehr Persönliches, Privates aufgefaßt hat. - Wie war er, als Mensch und als Künstler? Von seinem Aussehen vermittelt die Zeichnung, die im Jahr vor seinem Tode Eduard Grützner schuf, eine unmittelbare Vorstellung. Angesichts dieses glatzköpfigen Mannes mit den zahllosen Lachfältchen möchte man Fontanes Satz zitieren, den der große Romancier auf seinen Vater münzte: »Denn wie er zuletzt war, so war er eigentlich«.

Eduard Grützner (1846-1925): Spitzweg malt. 1884. Zeichnung 28,4 x 23,3 cm. Privatsammlung
Da bin ich wie ich leib und leb
Doch leider sehr geschmeichelt;
Was hier viel an Apoll gemahnt
Ist offenbar erheuchelt.

Das »Eigentliche« bestand bei Spitzweg - so macht es diese Zeichnung anschaulich - vor allem in der liebevollen Hingabe an die Arbeit, unabhängig von deren Erfolg. Es gibt auch ausführliche Berichte darüber, wie er »eigentlich« war: von seiner bescheidenen, gegen Zudringliche abgeschirmten Wohnung am Münchener Heumarkt, von seinem anspruchslosen Lebensstil und seinen schrulligen Eigenheiten, ja selbst von der Art, wie er mit schauspielerischem Talent Geschichtchen erzählte und diese mit wirkungsvollen Pointen enden ließ. Seine kleinen, harmlosen Gedichte, auch in bayerischer Mundart, und die zahlreichen Briefe tun ein übriges, einen lebhaften Eindruck von ihm zu vermitteln. Hinzu kommt seine bekanntermaßen vielseitige Bildung, die ungewöhnliche Belesenheit, seine ausgeprägte Musikalität, die Theatervorliebe, nicht zuletzt die Geschäftstüchtigkeit.

Der Versuch freilich, etwas von den unwägbaren Besonderheiten des Künstlers in Worte zu fassen, muß sich naturgemäß auf Andeutungen beschränken. Offen zutage liegt in seinen Bildern das Komische, das sowohl aus der Beobachtung seiner Mitmenschen als auch aus Selbstironie hervorging. Doch die Faszination seiner Bildwelt besteht vor allem darin, daß die Komik immer unfreiwillig wirkt. Die agierenden Gestalten posieren nicht vor dem Betrachter, sie erscheinen selbstvergessen und unbewußt. Völlig »unbeobachtet« bewegen sie sich innerhalb der bühnenartigen Kompositionen, so als hätten sie uneingeschränkte Handlungsfreiheit gegenüber dem großen Regisseur, der sie doch in Wirklichkeit an wohlbedachter Stelle und mit gezielter Absicht zum Leben erweckte. Dies »unbewußte« Element ist wohl für die außerordentliche Wirkung von Spitzwegs Kunst entscheidend, und es verrät, über kritische Beobachtung und Selbstironie hinaus, etwas von seinen stillen Idealen.

Carl Spitzweg: Auf der Alm. Um 1880. Öl auf Leinwand, 55 x 88 cm. Leipzig, Museum der bildenden Künste

Es gibt Bilder des Meisters, auf denen jede humoristische Note fehlt; jene Unbewußtheit aber bleibt bestehen, sie gewinnt sogar einen besonderen Akzent. Man sehe etwa eins der schönsten Spätwerke des Künstlers, das verhältnismäßig große Gemälde Auf der Alm. Alle Enge, alle Verklemmtheit - und alle Komik ist hier gewichen. Das Bild atmet Weite und selbstverständliches Glück. So zwanglos es sich aber, als »klassisches« Meisterstück realistischen Kunstschaffens, in den breiten Strom deutscher Landschaftsmalerei einordnet, so ist es doch zugleich ein »typischer Spitzweg«. Die Komposition beschränkt sich auf wenige Elemente: den großen Horizont, die rechts aufragenden Felsen, den karg bewachsenen Hügel, den Himmel mit seinen schwebenden Wolken und die beiden als Akzente genau an die richtige Stelle gesetzten Figuren. So sehr diese in die Atmosphäre der Landschaft einbezogen sind, so haben sie doch Individualität und Eigenbedeutung. Diese bäuerlichen Mädchen blicken in die Ferne, die im Dunst verschwimmt. Doch sie sind keine romantischen Sehnsuchtsgestalten, sondern Naturgeschöpfe, die einen Teil der Landschaft bilden, die deren Schönheit, gerade in der Alltäglichkeit, bestätigen und erhöhen, ohne über sich selbst nachzudenken.

Spitzweg dagegen schuf auch seine Landschaften aus der Vorstellung. So aufmerksam der Künstler immer wieder bestimmte oplische Eindrücke aufnahm und sie mit zunehmend realistischer Auffassung gestaltete, so ließ er doch auf seinen Gemälden Gras und Kraut wachsen, wo er wollte, richtete leuchtende Berge auf oder schuf sich Einblicke in schattige Wälder. Man kann ihn also nicht vorwiegend als Vorläufer des deutschen Impressionismus werten, will man das Besondere, von ihm selbst Erarbeitete seiner Malerei erfassen. Dies Individuelle, Unwiederholbare, zeigt sich wohl eher darin, daß er den Widerspruch zwischen pointierter Bilderzählung und schöner, pleinairistisch-kostbarer Bildhaut überwand. Mit dem persönlichen Wagnis seines Kunstwollens verband sich in solchem Ausgleich zwischen gedanklich bestimmtem Sujet und malerisch freier, vom optisch-atmosphärischen Eindruck bedingter Ausführung der Mut, auch im Vollbringen eigene Wege zu gehen. Und es war wohl in der Tat die Fähigkeit, diesen an sich unvereinbaren Gegensatz durch eine ungewöhnliche malerische Intensität vergessen zu machen, die seinem Schaffen einen so großen »Resonanzboden« verlieh: In erstaunlicher Weise steigerte sich die Breitenwirkung seines Werkes.

Quelle: Lisa Schirmer: Carl Spitzweg. Weltbild Verlag, Augsburg 1995. ISBN 3 89604 000 6, Seiten 28-30, 38, 44-47

Des Künstlers Signatur, der "Spitzweck", ein 4-Kreuzerbrot

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Reposted on March 14, 2014

2. Januar 2012

Alexander Skrjabin: Die Klaviersonaten

Skrjabin ist wie Schönberg ein gutes Beispiel für das fieberhafte Experimentieren und den überstürzten Radikalismus der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts. Jedoch muß man ihm zugestehen, daß er nie die Fähigkeit verlor, zu bezaubern und zu verzaubern. In den Klaviersonaten manifestiert sich ein künstlerischer Fortschritt, der von der chopinartigen 1. Sonate (1892) bis zur 10. Sonate (1913) reicht, in der seine Klangwelt sinnlich und süchtig sowie ausgesprochen originell ist.

Das auffallendste Merkmal der 1. Sonate besteht in dem Trauerfinale, das das berühmtere Finale von Tschaikowskis 6. Sinfonie, Pathétique, quasi vorwegnimmt. Dieser düstere Schluß bedeutete für Skrjabin ein "Aufschrei gegen das Schicksal, gegen Gott", da ihn eine Handverletzung befürchten ließ, das Ende seiner Laufbahn als Klaviervirtuose erreicht zu haben.

Der Präzedenzfall von Beethovens "Mondscheinsonate" erlaubte es Skrjabin, sich den Luxus eines langsamen Anfangssatzes für seine 2. Sonate zu leisten, die folgendes Programm enthält: "Der erste Teil stellt eine ruhige Nacht an einem Strand im Süden dar; die Durchführung besteht in der dunklen Bewegtheit der tiefen, tiefen See. Der Mittelteil in E-Dur beschreibt das sanfte, nach der ersten Dunkelheit der Nacht heraufsteigende Mondlicht. Der zweite Satz stellt den weiten, vom Sturm bewegten Ozean dar."

Die frische und belebende 3. Sonate ist neben dynamischen und dramatischen Episoden von hinreißender Zartheit. Skrjabin soll diese Sonate als "gotisch" bezeichnet und die Vision einer Schloßruine beschworen haben. Als sein Geist einige Jahre später in komplizierte philosophische Strudel geriet, verlieh er der Sonate den Titel "Seelenzustände", der mit einem Programm verbunden ist, das den Weg der Seele durch Leiden und Zwietracht, eine trügerische Atempause aus Blumen und Gesang, das unaussprechliche Meer der Gefühle und am Ende den Abgrund des Nichts beschreibt.

Alexander Skrjabin (1872-1915)

Die 4. Sonate entstand 1903, in einem für Skrjabin entscheidenden Jahr. Sein Stil bewegte sich schnell auf die berauschende, fiebrige Welt des Poème de l'Extase und des Prometheus zu. Deutlicher Ausdruck für diese neuen Horizonte sind das Divin Poème (3. Sinfonie) und diese Sonate. Das Werk besteht nominell aus zwei Sätzen - trotz der Wiederkehr der Anfangsidee, die einen Blick auf die ätherische, verschleierte Welt erlaubt, der viele seiner späteren Werke angehören. Die Deux Poèmes entstammen ebenfalls diesem besonders fruchtbaren Jahr.

Die eng mit dem Poème de l'Extase verbundene 5. Sonate ist das Ergebnis eines fieberhaften Schaffensdrangs, den Skrjabin als ein Geschenk erfuhr, das einen nahezu göttlichen Zustand versprach. Sogar in den wenigen Augenblicken sehnsüchtiger Reflexion dominiert eine rastlose Energie, wobei eine wirkungsvollere Darstellung des Zwiespalts zwischen schöpferischer Energie und kultureller Dekadenz nicht vorstellbar ist. Die beiden Werkreihen der Quatre Morceaux, op. 51 und 56 (von 1906 bzw. 1907) bilden ebenfalls einen Teil des Wegs, den Skrjabin zu dem neuen machtvollen Stil des Poème de l'Extase zurücklegte.

Die letzten, 1911-13 entstandenen fünf Sonaten, können zu Recht als die Summe des schöpferischen Lebenswerks von Skrjabin und seiner mystisch-philosophischen Weltanschauung betrachtet werden. Seine 6. Sonate, die ihn beängstigte, spielte er nie in der Öffentlichkeit, weil er sie als "alptraumhaft, düster, unrein und unheilvoll" erlebte. Das Werk besitzt kein ausgesprochenes Programm, aber die in ihm vorhandenen Stimmungen sind deutlich erkennbar - dazu zählt ein Moment des Horrors, den der Komponist als "l'épouvante surgit" (das Hervortreten des Schreckens) bezeichnet hat. Die letzten Seiten des Notentextes sind außerordentlich farbig und, wie in einem kunstvollen Prélude von Debussy, wunderbar verschleiert, während am Ende die dunkleren Kräfte freigesetzt werden.

Seine 7. Sonate, der er einen priesterlichen Charakter zuschrieb, hat Skrjabin sehr geschätzt und ihr den Untertitel "Weiße Messe" beigegeben. Die französischen Worte, die wie ein Kommentar über die Noten verstreut sind, suggerieren Bilder, die von einem mit Flügeln bewehrten Flug sowie von sinnlicher Ekstase, versteckter Bedrohung und von überwältigender Kraft sprechen. Dennoch besitzt die Sonate keine programmatische Abfolge. Die Kontraste in der 7. Sonate sind - im Gegensatz zur ihrer unmittelbaren Vorgängerin - eher von größerer Helligkeit als von Dunkelheit geprägt, oder sie sind "eher gut als böse", wie Skrjabin es ausgedrückt hätte.

Wladimir Dawidowitsch Aschkenasi, (geb. 1937) in jüngeren (nicht all zu jungen) Jahren

Der Charakter der 8. Sonate erscheint weniger ausgeprägt als der der beiden Vorgängerwerke. Es sind dort weniger aggressive Dissonanzen, keine leidenschaftlichen Höhepunkte sowie kaum erläuternde Kennzeichnungen zu finden. Skrjabin betrachtete einige Teile dieser Sonate, die er nie öffentlich gespielt hat, als "die tragischste Episode meines schöpferischen Werks" und beschrieb ihre Harmonik als "nach der Natur gezeichnet, als ob diese zuvor nicht existiert hätte."

Die 9. Sonate ("Schwarze Messe") ist ohne jeden Zweifel ein Meisterwerk. Ihre Kennzeichnung als "légendaire" fängt die Wahrnehmung eines aus weiter Ferne kommenden, geheimnisvollen Klagens ein, das an Kraft und Bedrohlichkeit zunimmt und schließlich mit raschen Kaskaden in einen grotesken Marsch übergeht. Skrjabin entwirft eine durchgängige Struktur organisierter Vielschichtigkeit und Spannung, verfolgt mit ungewöhnlicher Beharrlichkeit die Kombination von Themen und gelangt schließlich zu einem in seiner Musik sonst nie erreichten schroffen Höhepunkt.

Die Anfangsatmosphäre der 10. Sonate erscheint wie ein Echo Debussys: verschleiert und in die Ferne gerückt. Doch bald schleichen sich Triller in alle Winkel der Musik ein, und gegen Ende werden sie - als groteske Erinnerung an Beethoven und ein Vorausahnen von Messiaen - in ein wahnsinniges Zwitschern verwandelt, das aber dennoch ausgesprochen charakteristisch für die eigene phantasievolle Welt des Komponisten ist. Skrjabin bezeichnete dieses Werk als eine "Sonate von Insekten".

Die Deux Danses entstanden 1914, als Skrjabin zunehmend zur Gewißheit fand, daß die Welt bereits in naher Zukunft durch ein umwälzendes Ereignis erneuert würde. Daher begrüßte er sogar den Ausbruch des Weltkriegs, aber durch seinen Tod im April 1915 blieb ihm der volle Schrecken des Kriegs erspart.

Quelle: DECCA 1997, übersetzt von Theo Schmitt, im Booklet

Yves Klein: RE 19 (1958


TRACKLIST


ALEXANDER SCRIABIN 1872-1915
The Piano Sonatas

VLADIMIR ASHKENAZY



CD 1 76.43

Piano Sonata No.1 in F minor, op.6 (1892)*
fa mineur · f-Moll · fa minore
[01] I. Allegro con fuoco 6.31
[02] II. [Adagio] 4.47
[03] III. Presto 3.20
[04] IV. Funebre 6.04

Piano Sonata No.2 in G sharp minor, op.19 (1892-97)
'Sonata-fantasy'
sol dièse mineur · gis-Moll · sol diesis minore
[05] I. Andante 8.19
[06] II. Presto 3.48

Piano Sonata No.3 in F sharp minor, op.23 (1897-98)
fa dièse mineur · fis-Moll · fa diesis minore
[07] I. Drammatico 6.19
[08] II. Allegretto 2.17
[09] III. Andante - 5.03
[10] IV. Presto con fuoco 5.48

Piano Sonata No.4 in F sharp major, op.30 (1903)
fa dièse majeur · Fis-Dur · fa diesis maggiore
[11] I. Andante 3.08
[12] II. Prestissimo volando 5.01

[13] Quatre Morceaux, op.56 (1907) 5.03
I. Prélude (Violent, très accentué)
II. Ironies (Vivo scherzoso)
III. Nuances (Fondu, velouté)
IV. Étude (Presto)

[14] Deux Danses, op.73 (1914) 5.12
I. Guirlandes
II. Flammes sombres

[15] Deux Poèmes, op.32 (1903) 4.50
I. Andante cantabile
II. Allegro con eleganza. Con fiducia

CD 1 Track 12 Piano Sonata No 4 in F sharp major, II. Prestissimo volando


CD 2 75.28

[1] Piano Sonata No.5, op.53 (1907) 11.53

[2] Piano Sonata No.6, op.62 (1911)* 11.28

[3] Piano Sonata No.7, op.64 (1911) 10.46
'White Mass' . "Messe blanche"
"Weiße Messe" . "Messa bianca"

[4] Piano Sonata No.8, op.66 (1912-13)* 13.16

[5] Piano Sonata No.9, op.68 (1912-13) 8.00
'Black Mass' . "Messe noire"
"Schwarze Messe" . "Messa nera"

[6] Piano Sonata No.10, op.70 (1913) 12.10

[7] Quatre Morceaux, op.51 (1906)* 6.55
I. Fragilité
II. Prélude
III. Poème ailé
IV. Danse languide

[ADD] / [DDD]*

CD 2 Track 5 Piano Sonata No 9 'Black Mass'


Producers: Ray Minshull (Sonatas 3, 4, 5 & 9), Andrew Comall (Sonatas 1, 6 & 8; Quatre Morceaux, op.51),
Richard Beswick (Sonatas 2, 7 & 10; Quatre Morceaux, op.56; Deux Poemes, op.32; Deux Danses, op.73)

Recording engineers: John Dunkerley (Sonatas 1, 2, 7, 8 & 9; Quatre Morceaux, op.56; Deux Poemes, op.32; Deux Danses, op.73),
Tryggvi Tryggvason (Sonatas 3, 4, 5, 8 & 9), Stanley Goodall (Sonata 6; Quatre Morceaux, op.51)

Recorded between 1972 and 1984 in the Kingsway Hall, London (Sonatas 1-5 & 7-9; Quatre Morceaux, op.51; Quatre Morceaux, op.56;
Deux Poemes, op.32; Deux Danses, op.73); Walthamstow Assembly Hall (Sonata 6) & All Saints' Church, Petersham, Surrey (Sonata 10)

Art direction: David Chase

(P) 1975, 1978, 1987 (C) 1997

Der Mensch im Raum. Der Maler des Raumes stürzt sich in die Leere, 1960 Der Traum vom Fliegen gehört zu den ältesten Phantasien der Menschheitsgeschichte. Mit dem Sprung in die Leere macht Yves Klein ihn ein Stück weit zu seiner Wirklichkeit und porträtiert damit gleichzeitig sein künstlerisches Universum.

Der Sprung in die Leere

Mit dem Sprung in die Leere - von Yves Klein benannt als Der Mensch im Raum. Der Maler des Raumes stürzt sich in die Leere, fotografiert von Harry Shunk, 1960 in der kleinen Vorortstraße Rue Gentil-Bernard in Fontenay-aux-Roses bei Paris, inszenierte Yves Klein ein Selbstporträt seines künstlerischen Universums. Der Sprung in die Leere wurde zur Bild-Ikone des 20. Jahrhunderts.

Im Jahr 1957 wurde der »Sputnik« als erster Satellit in eine schwerelose Umlaufbahn ins All geschossen, und die Raumfahrt schien das physikalische Gesetz und unausweichliche Schicksal des Menschen, schwerer als Luft zu sein, aufzuheben. Vor diesem Hintergrund wird der künstlerischen Inspiration Yves Kleins zur Darstellung eines fliegenden Menschen im freien Raum, noch ein Jahr, bevor ein bemanntes Raumschiff zum Mond startet, eine ganz neue Bildwirkung zuteil. Die Fotomontage Der Mensch im Raum aktivierte zugleich das unmittelbare Erinnerungsreservoir des uralten Traums vom Fliegen und entsprach als Abbildung des Zeitgeistes den zukunftsorientierten Möglichkeiten einer kommenden Kunst.

Als formalen Anlaß der Veröffentlichung gab es die offizielle Einladung von Jacques Poliéri im Rahmen des dritten Pariser Festivals avantgardistischer Kunst im Palais des Expositions an der Porte des Versailles, an einem Aktions-Schauspiel teilzunehmen. Intuitiv nutzte Yves Klein die Situation, um in der Erfindung einer Zeitung zum Thema »Theater der Leere« auf die Pariser Öffentlichkeit einzuwirken, und - das ist der Höhepunkt - sein außergewöhnliches Selbstporträt ganz unbemerkt, quasi nebenbei auf der Titelseite einer Pariser Sonntagszeitung abzudrucken. Es war eine Zeitung, die er als willkommenen Beitrag erfunden hatte, um spontane Ideen für das Theater in vorgetäuschter aktueller Berichterstattung vorzustellen. Genau im Format des »Journal du Dimanche« (Sonntagsausgabe der Pariser Tageszeitung »France-Soir« machte er eine einzige Nummer für Sonntag, den 27. November 1960, und beschrieb in ihr seine bislang unveröffentlichten theatralischen Szenarios als Ritual eines Welttages für das Theater. Die Zeitung wurde auf den Druckpressen der Tageszeitung »Combat« in mehreren tausend Exemplaren vervielfältigt und mit Hilfe von Freunden an die Pariser Zeitungskioske verteilt und auch verkauft.

Selbst heute, angesichts einer neuen Generation einer mit hohen Geschwindigkeiten ausgestatteten Nachrichtenübermittlung über den vernetzten Luftraum, bleibt der mediale Erfindungsgeist dieses Künstlers beachtlich. Daß Yves Klein schon vor dreißig Jahren ein mittels Medien veröffentlichtes Selbstporträt als neues Terrain für die Kunst der reinen Imagination eroberte, erklärt bis heute die weltweite Bedeutung seines Sprungs in die Leere. Sein authentisches Statement zum Bild vom Fliegen macht deutlich, warum Yves Klein nicht nur zum Pionier der Kunst der 60er Jahre par excellence in Europa wurde, sondern darüber hinaus zum geheimen Star der 70er und 80er Jahre auf internationaler Ebene. Joseph Kosuth feierte ihn als Begründer der Concept Art. Fluxus-Bewegung, Happening, Performance, Body Art und alle innovativen Kunstformen bezogen sich in ihrer Struktur darauf. Der Antrieb war, über nationale Grenzen hinweg eine universelle Kreativität zu entdecken und diese in formalen Kriterien auszuarbeiten und bekannt zu machen. Hier galt Yves Klein als der klassische Botschafter für eine kommende Kultur - unsichtbar für das Auge, aber gleichwohl allgemein gegenwärtig.

»Was ist Sensibilität? Das, was außerhalb unseres Wesens existiert und uns trotzdem immer gehört. - Das Leben gehört uns nicht; nur mit der Sensibilität, die uns gehört, können wir es kaufen. Die Sensibilität ist die Währung des Universums, des Weltraums, der großen Natur, die uns erlaubt, das Leben als Rohstoff zu kaufen. Die Imagination ist der Träger der Sensibilität! Von der Imagination getragen gelangen wir zum Leben, zum eigentlichen Leben, das die absolute Kunst ist«, formulierte er 1959 sein Credo der Kunst im 20. Jahrhundert, das ihm damals noch niemand glauben wollte.

Bis 1959 hatte Yves Klein noch hauptsächlich sein Leben als Judolehrer finanziert, und man sagt auch, daß seine Judofreunde bei seinem Sprung, den er an verschiedenen Tagen erprobte, auf der Straße anwesend waren, um ihn aufzufangen. Auch die Idee der Körperabdrücke ist sicherlich nicht ohne das Training im freien Fall beim Judo zu verstehen, da die Körper auf den Bodenmatten sichtbare Abdrücke hinterlassen. Schon am 27. Juni 1958 hatte er in der Wohnung von Robert Godet, der u.a. auch ein großer Judomeister war, einen ersten Versuch gemacht, bei dem ein nacktes, blau eingefärbtes Modell über ein auf dem Boden liegendes Papier rollte, bis das Blatt mit den Spuren gefärbt war. Offensichtlich erhielt diese Vorführung aber für Yves Klein zu viele zufällige Elemente wie in der Aktionsmalerei von Georges Mathieu, der damals in Paris Furore machte. Diese Art Kunst hatte für Yves Klein nicht genügend Distanz für eine bewußte Gestaltung, aber die Idee, »mit lebenden Pinseln« zu malen, ließ ihn nicht mehr los.

1. Vorführung der Anthropometrien der Blauen Epoche am 9. März 1960 in der Galerie Internationale d' Art Contemporain
Am Abend des 23. Februar fand in der Pariser Wohnung, 14 Rue Campagne-Première, die Uraufführung im Beisein von Pierre Restany, Rotraut, dem Modell Jacqueline und dem Kunsthistoriker Udo Kultermann statt: Auf ein Zeichen von Yves Klein entkleidete sich das Modell, Rotraut bestrich die Brüste, den Bauch und die Schenkel bis zu den Knien mit einer blauen Pigmentemulsion, und nach Anweisung von Yves Klein drückte das Modell seinen Körper fünfmal gegen ein an der Wand befestigtes Papier. Es war Piene Restany, der voller Spontanität und Begeisterung ausrief: »Dies sind die Anthropometrien der Blauen Epochei« Damit war der Titel geboren. Die Formen des weiblichen Körpers waren auf die wesentliche Dimension des Rumpfes reduziert als anthropometrisches, d. h. auf die Lehre vom Maß des menschlichen Körpers bezogenes Symbol. Sie waren für Yves Klein die konzentrierteste Ausdrucksform vitaler Energie. Sie stellten die »Gesundheit, die uns zum Sein bringt«, wie er es nannte, dar, um das Leben durch die Spur des Lebens selbst festzuhalten, in gleichzeitiger Gegenwart und transpersonaler Abwesenheit.
Für seine großen Vorhaben, die Pierre Restany als »kosmogonisches Aufblühen seiner Vision« bezeichnete, benötigte er weiterführende Gesprächspartner und die entsprechenden finanziellen Mittel zu ihrer Verwirklichung. So kam es zu einem Bruch mit der Avantgardegalerie von Iris Clert. Die Kunsthändler Samy Tarica, Jean Larcade und George Marci vermittelten nun die internationalen Kontakte und die finanzielle Unterstützung für seine Projekte.

Yves Klein: ANT 123 (1961) Es war Pierre Restany, der spontan und voller Begeisterung ausrief: »Das sind die Anthropometrien der Blauen Epoche!« Somit war der Titel geboren. Und Yves Klein notierte 1958: »Sehr schnell wußte ich, daß der Block des Körpers, das heißt, der Rumpf und ein Teil der Schenkel mich faszinierten.«
Das Ereignis der ersten Vorführung der Anthropometrien der Blauen Epoche am 9. März 1960 in der Galerie Internationale d' Art Contemporain des Graf von Arquian war eine Sensation. Der Inhaber war bekannt für seine qualitätvollen Präsentationen zeitgenössischer Kunst in Paris und Brüssel, zu denen in Paris auch internationale Künstler wie Georges Mathieu, die Brüder Arnaldo und Giò Pomodoro zählten. Die vornehm-seriöse Atmosphäre der Räume in der Pariser Rue Saint-Honoré kamen dem etwas riskanten Vorhaben entgegen, eine erhabene, feierliche Situation mit der ungewöhnlichen Darbietung durch nackte weibliche Modelle und einem Orchester mit zwanzig Solisten vor einem ausgesuchten geladenen Publikum zu manifestieren. Nach leidenschaftlichen nächtlichen Diskussionen um die Kunst von Yves Klein war der eigenwillige Kunstkenner Arquian bereit, die Anthropometrien der Blauen Epoche als ein groß inszeniertes Schauspiel darzustellen, allerdings nur unter der Bedingung, daß der Abend nicht öffentlich sein sollte, die Besucher im Abendanzug zu erscheinen hätten und der von ihm gegründete Cercle d'Art Contemporain die versandten Einladungen überprüfen würde. Yves Klein kam im schwarzen Smoking, und auf sein Handzeichen begann das Orchester die Aufführung der Monotonen Symphonie (diesmal ein zwanzig Minuten andauernder, ununterbrochener Ton mit zwanzig Minuten anschließender Stille.) Innerhalb dieses orchestralen Klangs kamen drei nackte Modelle mit Gefäßen blauer Farbe herein, und unter der nervösen Spannung des Publikums und gleichzeitiger Konzentration auf die Aufführung dirigierte der Künstler in der Art einer telekinetischen Anweisung die blauen Abdrücke. Die Aktion, die die Sublimierung des nackten Fleisches im gleichwohl sinnlichen Akt einer erotischen Handlung nicht zuletzt durch das Entstehen von Kunstwerken dem Publikum unmittelbar vor Augen führte, vollzog sich in einem nahezu magisch-märchenhaften Ablauf. Jedoch sofort nach Ende der immerhin vierzig Minuten andauernden Veranstaltung kam es zu einer lebhaften Diskussion über die Funktion von Mythos und Ritual in der Kunst, die sich wesentlich auf die Begegnung zwischen den beiden Künstlern Georges Mathieu und Yves Klein konzentrierte.

Im Studio, 1961 »Die Form des menschlichen Körpers, seine Linien, seine Farbe zwischen Leben und Tod interessieren mich nicht; es geht mir ausschließlich um das Klima der Empfindungen; es zählt: Das Fleisch ... ! Gewiß, der ganze Leib ist aus Fleisch gemacht, aber die eigentliche Masse - das ist der Rumpf, die Schenkel. Genau hier befindet sich das wirkliche Universum, die verborgene Schöpfung.«
In der Folgezeit entstanden über hundertundfünfzig Anthropometrien (ANT) auf Papier und etwa dreißig auf nicht präparierten Seidentüchern als Anthropométries Suaires (ANT SU), die auch Schweißtücher genannt werden. Sie unterscheiden sich in Größe, Technik und Gestalt voneinander. Das kleinste mißt 27,5 mal 21,5 Zentimeter und das größte, das Vorhanggedicht, 148 mal 78 Zentimeter. Die Morphologie des Bildes ist abhängig von der Anatomie und dem Ausdruck und Temperament des Modells. Je nach der Stellung, die der Körperabdruck auf dem Bild einnimmt, werden die Anthropometrien in statische oder dynamische, positive oder negative unterteilt. Neben den erwähnten positiven Abdrücken gibt es Negativabdrücke, in denen mit einer Farbpistole um die Modelle herum gesprüht wurde, so daß die Körperformen ausgespart bleiben. Gelegentlich werden auch beide Techniken kombiniert. Allen gemeinsam ist der Spurencharakter, wobei die unmittelbare Handschrift des Künstlers ausgeschaltet ist und die Abdrücke sich nach genauen mündlichen Anweisungen in einem privaten oder öffentlichen Ritual vollziehen

Quelle: Hannah Weitemeier: Yves Klein. 1928-1962. International Klein Blue. Köln, Taschen, 1994. Seite 51-61


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Reposted on September 12, 2014

Yves Klein und Jean Tinguely. Paris 1958

»Yves Klein le Monochrome ist ein stolzer Angreifer
er macht seine Handlung total grundlos
und sehr stark und geschmeidig
Auflöser der gegebenen Einrichtung
genialer Architekt
großer Meister und sehr schöne Wahnsinnsideen
der beste Kamerad
der beste Herausforderer, den ich je gefunden habe
ein großer Dichter: sehr reich
konzentriert absolut umgänglich
Luft pochend und wahrhaft lebhaft
ein sehr großer Erfinder
logisch und absurd
und wirksam und menschlich und
angenehm und Antifaschist
sonst niemals »Anti«
sehr guter Maler
großer Bildhauer
es lebe Yves:
Jean Tinguely 12. Okt. 67«