29. Oktober 2012

Schönberg: Ode an Napoleon op. 41, Suite op 29 – Webern: opp. 11 und 22

»Gibt es nicht heftige Bewegungen der Seele, die doch sehr leise sind?« (Anton Webern)

Die Cellostücke op. 11 stellen das letzte Werk der aphoristischen Phase Weberns dar. Sie entstanden 1914 - drei Wochen vor Ausbruch des I. Weltkrieges - während der Arbeit an einer Cello-Sonate, die Webern nach Ermahnungen des Lehrers Schönberg, doch wieder zu größeren Formen zurückzukehren, konzipierte. Zur Entschuldigung schrieb er an Schönberg: Ich bitte Dich, nicht unwillig zu sein darüber, daß es wieder etwas so Kurzes geworden ist. … Ich hatte schon gannz deutlich die Vorstellung einer größeren zweisätzigen Composition für Cello und Klavier und begann sofort mit der Arbeit. Als ich aber schon ein gutes Stück im I. Satz hielt, wurde es mir immer zwingender klar, daß ich was anderes schreiben müßte. Ich hatte ganz deutlich das Gefühl, wenn ich das unterdrücke, etwas ungeschrieben zu lassen. … Und ich habe selten so das Gefühl gehabt, daß was gutes geworden ist. (Die ursprünglich geplante Cello-Sonate wurde nie fertiggestellt).

Zehn Jahre später erscheinen die Stücke im Druck und werden in Mainz uraufgeführt. Der Wiener Erstaufführung 1925 konnte er nicht beiwohnen, jedoch berichtet ihm Berg: Beim ersten Ton spürte man Dich und Deine so ganz einzige Art und ist dermaßen gebannt während der ganzen Dauer der Stücke, daß alle Relativität von Länge und Kürze völlig aufgehoben ist und man den beseeligenden Eindruck wie von dem Duft einer Blume empfängt, bei dem man, wäre er noch so flüchtig, den Hauch der Ewigkeit spürt. Eine Berliner Aufführung durch den weltberühmten Piatigorsky im Jahr 1926 rief heftiges Gelächter beim Publikum hervor. Noch 1939 riet Webern Willi Reich, der ein Konzert plante, von den Cellostücken ab: … Die lieber gar nicht! Nicht, weil ich sie nicht gut finde. Aber sie würden ja nur ganz mißverstanden. Die Spieler und die Hörer können nur schwer damit was anfangen. Nichts Experimentelles!!!

In der Programmreihenfolge eines Wiener Konzertes vom 13.4.1931, das zum ersten Mal ausschließlich der Musik Weberns gewidmet war, folgte den Cellostücken die Uraufführung des Quartetts op. 22. Die satztechnische Analyse der Partitur zeigt eine komplexe dodekaphonische Struktur, die dem personaltypischen Umgang mit Reihentechniken entspricht, wie sie Webern, unabhängig von Schönberg und Berg, für sich entwickelte. Entscheidend aber für das Verständnis dessen, was bei der Uraufführung noch auf völliges Missverstehen stieß, ist die Tatsache, daß Webern seine extreme Abstraktion von Assoziationen ableitet, die in seinen Skizzenbüchern eine deutliche Sprache sprechen.

Eduard Stein, Anton Webern, Arnold
Schönberg, Amsterdam 1914
In einem Brief schreibt er 1928 über seine Kompositionspläne: … ein Konzert für Geige, Klarinette, Horn, Klavier und Streichorchester. (Im Sinne einiger Brandenburgischen Konzerte von Bach). Im August 1929 berichtet er Berg vom Fortgang der Arbeit. Das Horn wurde durch ein Saxophon ersetzt, das Streichorchester entfiel - so entstand allmählich die endgültige Quartett-Besetzung. In den Skizzen finden sich direkt neben den ersten Reihenentwürfen Assoziationsketten aus Naturbegriffen, die die Quelle des Ausdrucksgehalts von Sätzen und Themen darstellen. Webern plante ursprünglich drei Sätze, deren dritter zum jetzigen zweiten wurde. Der langsame Satz entfiel. Er notiert im Skizzenbuch: 17.1.1929 - I.Satz: Ruhig (Annabichl, Berge) vielleicht Variationen. 2.Satz Langsam, Einleitung zum 3. (Schwabegg, nur soli). 23.1.1929 - 3.Satz: Rondo, I.Thema: Kühle des ersten Frühlings (Anninger, erste Flora, Primeln, Leberblumen, Küchenschelle), I.Seitensatz: behaglich warme Atmosphäre der Hochalmen, II.Thema: (Dachstein, Schnee und Eis, kristallklare Luft), II.Seitensatz: (Soldanelle, Blüten der höchsten Region), Thema (III.mal): die Kinder auf Eis und Schnee, Wiederholung des I. Seltensatzes: (Sphäre der Alpenrosen), II.Seitensatz: Licht, Himmel, Coda: Blick in die höchste Region.

Die Entstehung von Kunst wird ausgelöst durch Naturerlebnisse. Webern ist der Vermittler. Die musikalische Interpretation der Partitur muß diesem ursprünglichen natürlichen Ausdruck Gehör verschaffen. Die Wirkung des neuen Stils des Quartetts verstörte die Zuhörer der Uraufführung nachhaltig: … solche Schreckgebilde einer sich im Chaotischen verlierenden Musikmanie [hat] mit Musik fast nichts mehr zu schaffen. (Allgemeine Zeitung). Seine Stücke sind klangliche, geräuschartige Interjektionen außermusikalischer Art … Den Höhepunkt erreichte der musikalische Exzess im Quartett. Dieses Werk verstößt schon gegen den guten Ton, da die quiekenden, kläffenden und gurgelnden Klangfetzen der Klarinette und des Saxophons verblüffende Ähnlichkeit mit gewissen menschlichen Vitalitätsäußerungen unfairer Art aufweisen. … Der natürlich empfindenden Zuhörerschaft wenigstens bedeutet diese Schaffensart Sünde wider den Geist der Tonkunst, die uns bis heute gottlob noch heilig geblieben ist. (Dr. Friedrich Bayer, Neues Wiener Extrablatt). Aber es gibt auch Verständnis in der Nische der Provinz: … Seine Musik entbehrt jeglicher irdischen Schwere. Sie ist sparsamste Mosaikkunst. Wie Glas von tönender Transparenz. (Eisenacher Zeitung).

R Gerhard, A Schönberg, A Webern, Berlin 1927
Die Ode to Napoleon Buonaparte und das Melodram A Survivor from Warsaw von 1947, entstanden nach Berichten aus dem Warschauer Ghetto, sind Kompositionen, in denen Arnold Schönberg politisches Engagement zeigt. Er komponierte die Ode zwischen dem 12. März und dem 12. Juni 1942 unter dem Eindruck der historischen Ereignisse. In einem Brief an H.H. Stuckenschmidt, der die Meinung vertritt, daß hier eine Verwandtschaft in den Erscheinungen Napoleons und Hitlers zu erkennen sei, schreibt Schönberg am 15.1.1948: Lord Byron, der vorher Napoleon sehr bewundert hatte, war durch seine einfache Resignation so enttäuscht, daß er ihn mit schärfstem Hohn überschüttet: und das glaube ich in meiner Komposition nicht verfehlt zu haben.

1949 schreibt er u.a.: … Unleugbar hat die Kunst häufig politischen Zwecken gedient. Man darf nicht die vielen Dichter zu erwähnen vergessen, die politische Gedichte oder Dramen schrieben wie die Freiheitskämpfer und auch jene, die die Gesellschaft verändern wollten. In der Musik sollte man Mozart mit seiner Hochzeit des Figaro und seiner Zauberflöte und Beethoven mit seinem Fidelio nicht vergessen. … Dies zeigt, wie unzulänglich Prinzipien im allgemeinen sind, weil alles von der Inspiration abhängt. Vermutlich müßte man zugestehen, daß solch ein Gedanke das Ergebnis der Inspiration eines politisch überzeugten Künstlers ist. Ich selber habe einige Stücke geschrieben, die unbestreitbar politisch sind. Zum Beispiel meine Ode an Napoleon, und vielleicht wird man das gleiche von meiner Oper Moses und Aron finden. Ich muß zugeben, daß ich bei meiner Inspiration nicht das Gefühl hatte, in diesem Fall von irgendeinem künstlerischen Prinzip abzuweichen.

A Webern A Schönberg Berlin 1927
Einige Wochen nach seinem 50. Geburtstag, dem 13. September 1924, schreibt Schönberg erste musikalische Gedanken nieder, die auf die Suite op. 29 verweisen. Ein Zettel enthält eine siebensätzige Titelreihenfolge: I.(Satz) 6/8 leicht, elegant, flott, Bluff / 2. Jo-Jo Foxtrott / 3. Fl. Kschw. Walzer / 4. AS Adagio / 5. JdeB Muartsch Var / 6. Film Dva / 7. Tenn Ski.
Typisch für das Schönbergsche dodekaphonische Denken ist die latente Tonalität, gleichsam aus dem chromatischen Total herausgefiltert, der Reihe abgetrotzt. Sie prägt etliche Schlüsselstellen der Partitur. Der dritte Satz zitiert als Thema der Variationen Silchers Ännchen von Tharau, dessen diatonische Struktur von ergänzenden 12-Ton-Feldern umrahmt erscheint. B-A-C-H-Motive signalisieren die versteckten Beziehungsfäden zur Tradition. Ouverture und Gigue verwenden rhythmische Gestaltungsweisen barocker Musik, verzerren diese aber häufig durch metrische Manipulationen hemiolischer Art. Durch neuartige Akzentzeichen wird diese metrische Verfremdungstechnik bis hin zur Mikrostruktur der einzelnen kleinsten Schlageinheiten getrieben.

Analysiert man die rhythmisch-metrischen Parameter der Partitur, so erweist sich Schönberg als extrem einfallsreicher Komponist, der damit der, sich dem direkten hörenden Zugang verschließenden Tonhöhenreihenstruktur (…der leichte Enthüllung nicht droht…, Adorno), spontan wahrnehmbare rhythmisch-metrische Kräfte zuordnet, die den immer noch äußerst modern anmutenden, erfrischend sinnlichen Charakter spontan erfaßbar gestalten. Auch im dritten Satz erscheint die Silchersche Melodie in duolischem Metrum, mit leichten Defekten - quasi scherzando, eingebettet in eine 3/4-Takt-Umgebung. Die Palette der rhythmischen Erfindungen ist aber nicht nur auf die historischen Gestalten beschränkt. Ergänzend dazu werden im zweiten Satz – Tanzschritte - zeitgenössische Rhythmen der Unterhaltungsmusik in leicht ironisierender Weise adaptiert und sogar durch Stockschlageffekte der Streicher perkussiv eingefärbt. Die Synkope weicht einem rhythmischen Reichtum, wie er selbst bei Schönberg noch nicht da war (Adorno). Ein Adagio-Charakter taucht nur als Einschub kurz vor dem Ende des vierten Satzes auf. In einer Art Rückblende erscheint die Musik des Ännchen-Satzes als Traumsequenz. Anläßlich der Uraufführung, die Schönberg in Paris 1927 selbst dirigierte, schrieb Adorno: Den Werken des heutigen Schönberg gegenüber geziemt sich keine Kritik; mit ihnen ist Wahrheit gesetzt.

Quelle: Hermann Beyer, im Booklet

Track 8, Schönberg: Suite op. 29, II. Tanzschritte
TRACKLIST


ANTON WEBERN [1883-1945] 

Drei kleine Stücke op.11 
für Violoncell und Klavier (1914)                               02:29 

1 Mäßige Achtel                                        01:01 
2 Sehr bewegt                                          00:21 
3 Äußerst ruhig                                        01:06 

Quartett op. 22 
für Geige, Klarinette, Tenorsaxophon und Klavier (1930)         05:44

4 Sehr mäßig                                           02:58
5 Sehr schwungvoll                                     02:47 


ARNOLD SCHÖNBERG [1874-1951]

6 Ode to Napoleon Buonaparte op. 41 (Lord Byron) 
  für Sprechstimme, Streichquartett und Klavier (1942)          16:39 

Suite op. 29 
für Es-Klarinette, Klarinette, Baßklarinette, Violine 
Viola, Violoncello und Klavier (1926)                           30:38 

7 Ouverture                                            09:03 
8 Tanzschritte                                         07:51 
9 Thema und Variationen                                05:28 
10 Gigue                                               08:15 


ensemble KONTRASTE
Leitung: Hermann Beyer


GESAMTZEIT                                                      55:52

DDD
Digitalaufnahmen: Meistersingerhalle Nürnberg 
Aufnahmeleitung: Thilo Grahmann - Toningenieur: Manfred Retsch 
Titelbild: A. Webern und A. Schönberg auf einer Straße in Berlin (ca. 1926-29) 
© 2001

+
George Gordon Noel Lord Byron, Brustbild, Profil, Kupferstich von Friedrich Wilhelm Bollinger (1777-1825) nach Richard Westall (1765-1836)

Quelle: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Edocs

Goethe gab Schopenhauer einen Empfehlungsbrief an ihn, den dieser aber nicht ausnutzte. »Immer wollte ich mit Goethes Brief zu ihm, als ich es eines Tages aufgab. Mit meiner Geliebten [Teresa Fuga] ging ich auf den Lido spazieren, als meine Dulcinea in der größten Aufregung aufschrie: ‘Ecco, il poeta inglese’; [Byron sauste zu Pferde an mir vorüber, und die Donna konnte den ganzen Tag diesen Eindruck nicht loswerden. Da beschloß ich, Goethes Brief nicht abzugeben.] Ich fürchtete mich vor Hörnern. Was hat mich das schon geräut!« (In: Arthur Schopenhauer. Leben und Werk in Texten und Bildern. Hg. v. Angelika Hübscher. Ffm. Insel 1989. S. 187.)


Lord Byron (1788-1824)

George Gordon Byron, 1788 in London geboren, war durch seine Mutter mit dem schottischen Königshaus verwandt; sein Vater, ein flotter englischer Gardeoffizier, 'der tolle Jack' genannt, der das Vermögen seiner Frau in kürzester Zeit durchbrachte, starb als der Sohn drei Jahre alt war. Die Mutter zog nach Aberdeen und widmete sich in fast klösterlicher Abgeschiedenheit der Erziehung ihres Sohnes. Durch den Tod eines Verwandten erbte George Gordon im Alter von 10 Jahren den Adelstitel und ein großes Vermögen nebst dem Schloss Newstead Abbey in Nottinghamshire. Sein Vormund, der Earl of Carlisle, schickte ihn auf die berühmte Schule Harrow, und später studierte er am Trinity College in Cambridge, wo er 1807 seine ersten Gedichte veröffentlichte, die zwar keine Gnade vor den Augen der Kritiker fanden, ihn aber durch seine respektlose Antwort in Form einer Verssatire »English Bards and Scotch Reviewers« mit einem Schlage berühmt machten. Seine Versepen behandeln altertümliche Stoffe im ironischen Gewand, durchwoben von Selbsterlebtem und fantastischen Weiterungen (»Childe Harold's Pilgrimage«, »Don Juan«), ähnlich seine dramatischen Gedichte.

Das 19. Jahrhundert feierte ihn als den größten Dichter nach Shakespeare. Er besaß eine außerordentliche Kraft des Wortes, seine Lyrik bringt die englische Sprache zum Klingen wie es nur wenigen Dichtern gelang. Er übte großen Einfluß auf die englischen und deutschen Romantiker aus, und sogar Goethe beschäftigte sich mit seinen Werken (die er allerdings nur in Übersetzungen las). Vor allem beeindruckte Goethe »The Vision of Judgment«; und im Faust setzte er Byron mit der Gestalt des 'Euphorion' ein Denkmal. Goethe bewunderte die Kühnheit und Großartigkeit von Byrons Dichtungen, die - wie er sagte - zur Entwicklung der Kultur beigetragen hätten. Aber nicht nur als Dichter war Byron berühmt. Sein Kopf mit dem feinen 'klassischen' Profil und den braunen Locken machte Mode sowohl in England wie auf dem Kontinent: Die elegante Welt trug sich à la Byron mit kurzem Haar und offenem Hemdkragen. Er hatte etwas Unwiderstehliches, war ein vielgeliebter Herzensbrecher, der es jedoch schließlich (1809) für opportun hielt, den ihn begleitenden Skandalen ins Ausland zu entweichen.

Mit einem Freund reiste er von Portugal über Spanien nach Albanien und Griechenland bis in die Türkei. Die Freiheitskämpfe und Revolutionen, die damals an allen Ecken und Enden Europas aufflammten, entfachten seine tiefe Anteilnahme und wurden, zusammen mit persönlichen Reiseerlebnissen, Thema seines großen epischen Gedichts »Childe Harold's Pilgrimage«. Er war ein glühender Verehrer Napoleons, der ihn jedoch schmerzlich und bis zur Wut enttäuschte, als er 1814 abdankte und sich nach Elba bringen ließ, statt - wie Byron es von seinem Idol erwartet hatte - im Angesichte seiner Feinde wie ein Held zu sterben. Byron selbst nahm am griechischen Freiheitskampf 1823/24 teil mit zwei von ihm ausgerüsteten Schiffen und 500 albanischen Soldaten, starb aber - Ironie des Schicksals - an einem Sumpffieber bei Missolunghi im April 1824. Goethe sagte bei der Nachricht von seinem frühen Tode zu Riemer: »Byron ist zwar jung gestorben,… aber die Literatur hat dadurch nichts verloren. Er hatte die Höhe seiner poetischen Kraft erreicht.« (J.G.Robertson in "Publications of the Engl. Goethe Soc." 1925)

Quelle: Lotte Dempsey, im Booklet

Jacques-Louis David: Porträt des General Napoleon
 Bonaparte, [Detail], 1797, Öl auf Leinwand,
81 x 64 cm, Musée du Louvre, Paris

Lord Byron: Ode to Napoleon Buonaparte


Tis done - but yesterday a King!
And arm'd with Kings to strive –
And now thou art a nameless thing:
So abject - yet alive!
Is this the man of thousand thrones,
Who strew'd our earth with hostile bones,
And can he thus survive?
Since he, miscalled the Morning Star,
Nor man nor fiend hath fallen so far.

Ill-minded man, why scourge thy kind
Who bow'd so low the knee?
By gazing on thyself grown blind,
Thou taught'st the rest to see.
With might unquestion'd, - power to save, -
Thine only gift hath been the grave
To those that worshipped thee;
Nor till thy fall could mortals guess
Ambition's less than littleness!

Thanks for that lesson - it will teach
To after-warriors more
Than high Philosophy can preach,
And vainly preach'd before.
That spell upon the minds of men
Breaks never to unite again,
That led them to adore
Those Pagod things of sabre sway,
With fronts of brass, and feet of clay.

The triumph, and the vanity,
The rapture of the strife -
The earthquake voice of Victory,
To thee the breath of life;
The sword, the sceptre, and that sway
Which man seem'd made but to obey
Wherewith renown was rife -
All quell'd! - Dark Spirit! what must be
The madness of thy memory!

The Desolator desolate!
The Victor overthrown!
The Arbiter of others' fate
A Suppliant for his own!
Is it some yet imperial hope
That with such change can calmly cope?
Or dread of death alone?
To die a prince - or live a slave
Thy choice is most ignobly brave!

He who of old would rend the oak,
Dream'd not of the rebound;
Chain'd by the trunk he vainly broke –
Alone - how look'd he round?
Thou in the sternness of thy strength
An equal deed hast done at length,
And darker fate hast lound:
He fell, the forest prowlers' prey;
But thou must eat thy heart away!


The Roman, when his burning heart

Was slaked with blood of Rome,
Threw down the dagger - dared depart,
In savage grandeur, home. -
He dared depart in utter scorn
Of men that such a yoke had borne,
Yet left him such a doom!
His only glory was that hour
Of self-upheld abandon'd power.

The Spaniard, when the lust of sway
Had lost its quickening spell,
Cast crowns for rosaries away,
An empire for a cell;
A strict accountant of his beads,
A subtle disputant on creeds,
His dotage trifled well:
Yet better had he neither known
A bigot's shrine, nor despot's throne.

But thou - from thy reluctant hand
The thunderbolt is wrung -
Too late thou leav'st the high command
To which thy weakness clung;
All Evil Spirit as thou art,
It is enough to grieve the heart
To see thine own unstrung;
To think that God's lair world hath been
The footstool of a thing so mean;

And Earth hath spilt her blood for him,
Who thus can hoard his own!
And Monarchs bowed the trembling limb,
And thank'd him for a throne!
When thus thy mightiest foes their fear
Fair Freedom! we may hold thee dear,
In humblest guise have shown.
Oh! ne'er may tyrant leave behind
A brighter name to lure mankind!

Thine evil deeds are writ in gore,
Not written thus in vain -
Thy triumphs tell of fame no more
Or deepen every stain:
If thou hadst died as honour dies,
Some new Napoleon might arise,
To shame the world again -
But who would soar the solar height,
To set in such a starless night?

Weigh'd in the balance, hero dust
Is vile as vulgar clay;
Thy scales, Mortality! are just
To all that pass away:
But yet methought the living great
Some higher sparks should animate,
To dazzle and dismay:
Nor deem'd Contempt could thus make mirth
Of these, the Conquerors of the earth.

Jacques-Louis David: Entwürfe zu
 Napoleon Bonaparte, 1797, Bleistift,
 Musée d’Art et d’Histoire, Genf
And she, proud Austria's mournful flower,

Thy still imperial bride;
How bears her breast the torturing hour?
Still clings she to thy side?
Must she too bend, must she too share
Thy late repentance, long despair,
Thou throneless Homicide?
If still she loves thee, hoard that gem,
'Tis worth thy vanish'd diadem!

Then haste thee to thy sullen lsle,
And gaze upon the sea;
That element may meet thy smile
It ne'er was ruled by thee!
Or trace with thine all idle hand
In loitering mood upon the sand
That Earth is now as free!
That Corinth's pedagogue hath now
Transferr'd his by-word to thy brow.

Thou Timour! in his captive's cage
What thoughts will there be thine,
While brooding in thy prison'd rage?
But one 'The world was mine!'
Unless, like he of Babyion,
All sense is with thy sceptre gone,
Life will not long confine
That spirit pour'd so widely forth –
So long obey'd - so little worth!

Or, like the thief of fire from heaven,
Wilt thou withstand the shock?
And share with him, the unforgiven,
His vulture and his rock!
Foredoom'd by God - by man accurst,
And that last act, though not thy worst,
The very Fiend's arch mock;
He in his fall preserved his pride,
And, if a mortal, had as proudly died!

There was a day - there was an hour,
While earth was Gaul's - Gaul thine –
When that immeasurable power
Unsated to resign
Had been an act of purer fame
Than gathers round Marengo's name
And gilded thy decline,
Through the long twilight of all time,
Despite some passing clouds of crime.

But thou forsooth must be a king,
And don the purple vest, -
As if that foolish robe could wring
Remembrance from thy breast.
Where is that faded garment? where
The gewgaws thou wert fond to wear,
The star - the string - the crest?
Vain froward child of empire! say,
Are all thy playthings snatch'd away?

Where may the wearied eye repose
When gazing on the Great;
Where neither guilty glory glows,
Nor despicable state?
Yes - one - the first - the last - the best –
The Cincinnatus of the West,
Whom envy dared not hate,
Bequeath'd the name of Washington,
To make man blush there was but one!

Leonard Stein
Komponieren für die Musikgeschichte

Sigfried Schibli im Gespräch mit Leonard Stein

Leonard Stein, geboren am 1916 in Los Angeles, ist als engster Mitarbeiter Arnold Schönbergs bekannt geworden. Mit seinem Herausgeber-Namen sind die theoretischen Spätschriften aus Schönbergs amerikanischer Zeit verbunden. Stein hatte unmittelbar nach Schönbergs Emigration aus Berlin an der University of Southern California und an der University of California in Los Angeles bei Schönberg zu studieren begonnen. Der auch als Pianist ausgebildete Stein spielte schon 1940 in der Öffentlichkeit Klavierkompositionen von Schönberg. 1949 bestritt er mit Adolf Koldofsky die Uraufführung der Violin-Fantasie op. 47 von Schönberg. Mit Eduard Steuermann trug er das Klavierkonzert in der vierhändigen Fassung dem Komponisten vor. Er war Teaching Assistant von Schönberg an der University of California Los Angeles, wurde 1965 promoviert und lehrte an verschiedenen Colleges. Von 1974 bis 1991 war Stein Direktor des Arnold Schoenberg Institute in Los Angeles.

Sigfried Schibli: Herr Stein, stimmt es, dass Schönberg nur klassische Werke unterrichtete und keine modernen, insbesondere nicht seine eigenen?

Leonard Stein: Ja, er war tatsächlich aus praktischen Gründen dazu gezwungen. Ich kann mich nur an wenige Gelegenheiten erinnern, als er seine eigenen Werke analysierte. Seine bedeutendste Vorlesung war der Vortrag »Komposition mit zwölf Tönen«. Doch darin ging er nicht in die Theorie, er erklärte mehr durch klangliche Illustration, durch Beispiele. Und als ich sein Diktat für seinen Vortrag über Zwölftonkomposition aufnahm, sagte er dazu, dies sei mehr eine Hypothese als eine Theorie.

Welches Verhältnis hatte Schönberg zu seinen eigenen tonalen Frühwerken wie »Verklärte Nacht« oder »Pelleas und Melisande«?

Er ging sie im Unterricht regelmäßig durch, auch im Aufsatz »Selbstanalyse« von 1948. Dort beschreibt er die unterschiedlichen Stationen seiner eigenen Entwicklung, vom Brahms-Wagner-Stil der sequenzierenden Wiederholung über die von ihm so genannte entwickelnde Variation bis zu dem, was er »Kondensation und Juxtaposition« (»Verdichtung und Aneinanderreihung«) nannte, zum Beispiel im Streichtrio. Er war sich des evolutionären Prozesses in seinem Schaffen wohl bewusst. Evolutionär, nicht revolutionär!

Mehr als dieses evolutionäre Moment fällt einem in Schönbergs Œuvre die außerordentliche Vielfalt auf, wenn man etwa die »Brettl-Lieder« und die Orchestervariationen oder »Moses und Aron« und die kurzen Klavierstücke nebeneinander hält – da scheint es fast keine kompositorische Identität zu geben.

Nein, er zieht ganz klar seine Entwicklung durch jede dieser Phasen, die tonale, die atonale, die Zwölfton-Phase. Das ist wie ein Pfad.

Ist das nicht auch ein Stück Schönberg-Ideologie?

Nein, er sagte zugleich, als er die erste Kammersinfonie schrieb, habe er seinen Stil gefunden. Dann entdeckte er die Dichtung von Stefan George, schrieb die Klavierstücke op. 11 und so weiter.

Arnold Schönberg mit Hund Roddie,
Rockingham Avenue, LA, 1937
Seine späten tonalen Werke sind schwer zu verstehen.

Ja, das ist sehr komplexe Musik, die aber immer um ein tonales Zentrum herum gebaut ist. Aber auch schon in Schönbergs Frühwerken hat man oft das Gefühl, es werde unablässig moduliert. Als wir gemeinsam am Buch »Structural Functions of Analysis« arbeiteten, da entwarf Schönberg eine Art Theorie, die ich dann ausarbeiten musste… Er schritt vor von Region zu Region, wie er sagte, ging ans Klavier und ging von Tonika zur Moll-Mediante zur verminderten Quinte, und ich musste das alles notieren. Er spielte, und ich schrieb es auf. Das setzte ein sehr gutes Gehör voraus. Also kurz gesagt, er studierte Probleme der Tonalität, »Structural Functions of the Harmony«.

Die meisten Musikfreunde lieben das Frühwerk Schönbergs, »Verklärte Nacht«, die »Gurrelieder«. Das Spätwerk ist viel weniger populär geworden. Litt Schönberg darunter?

Ich denke schon. Aber er legte sich zugleich eine Art Resignation zu. Anlässlich seines 75. Geburtstags 1949 sagte er, dass er zu seinen Lebzeiten nicht mit allgemeiner Wertschätzung seinem Werk gegenüber rechnen könne.

Ist Schönbergs Musik für Sie ein Endpunkt oder ein Anfang zu etwas Neuem?

Sie ist beides. Er verglich sich mit Bach, ein Ende und ein Anfang.

Sie haben als Pianist viel Schönberg gespielt, zum Beispiel die »Brettl-Lieder« und andere frühe Lieder mit der Sängerin Marni Nixon. Sie zeigen Schönberg als erstaunlich witzigen Entertainer. Warum ging er diesen Weg nicht weiter?

Er hat, um Geld zu verdienen, ungefähr 6.000 Seiten Wiener Operettenmusik kopiert… Das half ihm später insgeheim, er kannte diese Art Musik, und sie blitzt in manchen seiner späteren Werke auf wie in der Serenade…

…im „Pierrot lunaire“

… ja, auch im Streichtrio, in der Suite op. 29, wo er das Volkslied »Ännchen von Tharau« zitiert. Er kannte den Wiener Dialekt ganz genau. Es war in der Zeit seiner zweiten Eheschließung, und er widmete das seiner jungen Frau Gertrud und Wien. Er hatte wirklich viel Humor. Wie Beethoven, viel Ernst und viel Humor! Manchmal ist das in der Zwölftonmusik nicht leicht zu finden wie im letzten Satz des dritten Streichquartetts, das für den musikalischen Kenner in Dur-Phrasen geschrieben ist. Man kann wirklich nicht sagen, das sei nicht humorvoll.

Zu seinen amerikanischen Schülern zählte ein so bahnbrechender Komponist wie John Cage.

Für kurze Zeit, ja. Aber Cage war zu jener Zeit kein wirklicher Komponist, er lernte nur ein bisschen Kontrapunkt.

Arnold Schönberg, Rockingham Avenue, LA, 1940
Welches ist für Sie die „logische“ Fortsetzung der Ästhetik Schönbergs?  

Nach dem Tod Schönbergs kannte man die seriellen Verfahrensweisen Weberns und des späten Strawinsky besser als die Zwölftonmethode Schönbergs. Es brauchte einige Zeit, aber sie wurde dann doch an den Universitäten gelehrt. Spätere Komponisten wie Boulez und Stockhausen interessierten sich weniger für die Zwölftonwerke Schönbergs als für die so genannten atonalen Werke.

Pierre Boulez verkündete programmatisch: »Schönberg ist tot«, aber »Strawinsky bleibt«.

Oh, das war gute Werbung für ihn selbst! Ich war erstaunt, als er zum ersten Mal nach Südkalifornien kam, das war 1957, und sagte, er möge die Zwölftonwerke Schönbergs nicht besonders, Schönberg habe nicht wirklich zwölftönig komponiert. Da sagte ich zu mir selbst: Eines Tages wird er sie alle auch dirigieren… Und so kam es.

Könnte man sagen: Das Werk Schönbergs ist als Ganzes wie eine Zwölftonreihe, es darf kein Ton wiederholt werden, bis alle anderen dran waren?

Ja, jedes seiner Werke steht für sich selbst. Und was mich eigentlich erstaunt, ist, dass seine Musik heute besser verstanden wird als zu seinen Lebzeiten. Es ist eine Frage der Gewöhnung. Das Klavierkonzert von Schönberg zum Beispiel wird heute von sehr vielen Pianisten gespielt, von Leuten wie Emanuel Ax und von vielen jungen Pianisten.

Man sagt vom Klavierkonzert, es sei wie Brahms mit Zwölfton-Harmonik. Stimmt das?

Nun, es fällt in eine seltsame Kategorie, vielleicht. Es beginnt mit einem simplen Walzer und hat eine sehr traditionelle Form und traditionelle Phrasen. Deshalb spielt ein Pianist wie Alfred Brendel, der sonst nie moderne Musik spielt, das Klavierkonzert von Schönberg.

Schönberg lebte in Los Angeles nicht weit von Strawinsky entfernt.

Ja, wir hatten damals um 1942 zwei der bedeutendsten Komponisten der Zeit bei uns, Schönberg und Strawinsky, und wir konnten jedes Jahr ihre jeweils neuen Werke hören. Sie hatten nicht viel Kontakt miteinander, und ich weiß natürlich nicht genau, worüber sie sprachen. Strawinsky war eher auf das Publikum angewiesen als Schönberg, er brauchte die Gesellschaft von Künstlern und Schriftstellern und später, als er mehr Zwölftonmusik schrieb, auch von Hochschulangehörigen. Schönberg dagegen komponierte mehr für die Geschichte als für Hörer.

Stimmen Sie mit Adorno überein, dass diese beiden Komponisten den wesentlichen dialektischen Gegensatz in der Musik des 20. Jahrhunderts bilden?

Ja, das gilt sicher für den neoklassizistischen Strawinsky. Aber auch Schönberg schrieb neoklassische Werke wie die Klaviersuite, das Bläserquintett oder das Violinkonzert.

Arnold Schönberg, UCLA,
Kerckhoff Hall, LA 1943
Strawinsky näherte sich mehr Schönberg als umgekehrt.

Ja, das denke ich auch. Sehen Sie, als wir 1954 für eine Plattenaufnahme die Suite für sieben Instrumente op. 29 von Schönberg einstudierten – ich spielte dabei das Klavier –, kam Strawinsky meistens zu den Proben. Und ein Jahr später schrieb er sein eigenes Septett… Es ist ein ganz anderes Stück, aber er lernte viel von Schönbergs Partitur. Robert Craft brachte ihn dazu. Er studierte sicher mehr Schönberg als umgekehrt.

Sie kennen sicherlich das Schönberg Center in Wien.

Ja, sie haben es mir gestohlen… (lacht). Nun, Sie wissen, dass ich 17 Jahre lang Direktor des Schoenberg Institute in Los Angeles war. Und nachdem ich pensioniert worden war, brachte mein Nachfolger, den ich nicht mit Namen nennen möchte, die ganze Geschichte herunter. Es war nicht meine Schuld. Es gab deswegen viele Auseinandersetzungen mit den Schönberg-Erben, aber jetzt ist alles ausgebügelt.

Haben Sie sich damit abgefunden, dass die Sachen jetzt in Wien sind?

Viele denken, dass das eine große Blamage ist, dass der Nachlass Schönbergs Amerika verlassen hat.

Wien hat in der Vergangenheit nicht sehr viel für Schönberg getan.

Die Erben sind sich sehr wohl bewusst, was Wien in Schönbergs Leben bedeutete. Aber sie haben einen guten Deal gemacht. Das Schönberg Center ist wunderbar geworden, und sein Leiter Christian Meyer ist sehr klug und macht ein interessantes Programm.

Ein berühmtes Buch über Schönberg heißt »Der konservative Revolutionär«. Was ist er für Sie mehr, der Bewahrer oder der Umstürzler?

Er dachte selbst, dass er einen Weg weiterverfolgte, der in der klassischen Musik wurzelte. Das war seine eigene Vorstellung. Er sagte später, dass er eine Verpflichtung hatte, so zu verfahren. Sie kennen ja sicher die Geschichte aus dem Militär. Als Schönberg gefragt wurde, ob er wirklich der Komponist Arnold Schönberg sei, hat er geantwortet: »Einer hat es sein müssen, keiner hat es sein wollen, so habe ich mich dazu hergegeben«.

Dieser Begriff der Pflicht ist typisch für Schönberg – und auch typisch deutsch.

Ja, in keiner anderen Sprache könnte man das sagen.

Haben die Komponisten heute eine Verpflichtung?

Ich glaube nicht, dass ein hervorragender Mann wie Boulez das heute so sieht. Und dennoch folgt auch er einer bestimmten Entwicklung, einer Logik.

Arnold Schönberg, Rockingham
 Avenue, LA 1946-47
Und die heute berühmten amerikanischen Komponisten wie Phil Glass oder John Adams?

Meiner Meinung nach schreiben sie interessante Musik, aber sie haben nicht die starke Persönlichkeit, die Bartók oder Schönberg oder Strawinsky hatten. Einer meiner besten Freunde ist Elliott Carter. Er folgt mehr oder weniger eng dem Weg von Schönberg und Strawinsky. Er entwickelt sich konsequent von den ersten Werken, die er bei Nadia Boulanger schrieb, weiter. Er ist einer der wenigen Komponisten heute, die sich wirklich konsequent auf das einlassen, was sie tun.

Was ist das Problem der heutigen Komponisten? Dass heute alles möglich ist?

Ja, und dass sie zu viel Musik hören! Schönberg hörte manche seiner eigenen Werke nur ein einziges Mal, und es gab von einigen gar keine Aufnahmen. Die Orgel-Variationen hörte er zum Beispiel gar nie integral. Heute gibt es von allem Aufnahmen. Ich habe viel Sympathien für die jungen Komponisten. Aber sie müssen ihren eigenen Weg finden.

Quelle: neue musikzeitung, Ausgabe 7/01

Als Beilage im Infoset finden Sie Arnold Schönbergs Artikel "Neue Musik, veraltete Musik, Stil und Gedanke" (aus: Schönberg, Arnold: Gesammelte Schriften 1 (hrsg. von Ivan Vojtech). Nördlingen, 1976, S. 25-34, von hier)

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Reposted on September 07th, 2015


15. Oktober 2012

Die Kunst der Viola: Hindemith • Britten • Beethoven • Schumann • Händel/Halvorsen

Das Folgende klingt wie das Atemholen zu einem Bratschenwitz, ist aber nichts als die Wahrheit. Was haben Joseph Haydn und die Viola (auch Bratsche genannt) gemeinsam? Die Antwort lautet: Sie waren beide der Anfang und die Vollendung in Personalunion. Sie wurden beide von den Folgegenerationen marginalisiert und belächelt. Ihnen beiden widerfuhr in jüngerer und jüngster Zeit Rehabilitation. Und so wie Haydn die Symphonie, das Streichquartett, die Klaviersonate, das Oratorium in ihrer modernen Form erfunden hat, ohne seither in einem dieser Genres nachweisbar eines Besseren belehrt worden zu sein: so ist auch die Viola Ursprung und Zentrum der reichen und schillernden Geschichte der Streichinstrumente.

Aus ihr entwickelten sich Violine (wörtlich: 'kleine Viola') und Violone ('große Viola'), ein kontrabaßähnlichcs Gerät, dessen Verkleinerungsform 'Violoncello' lautet. Auch anderweitig ist die Etymologie auf unserer Seite: Viola leitet sich aus lateinisch vitulari (frohlocken) her. Geige hingegen kommt von gige und bezeichnet lautmalend das Gicksen, das heute eher den Kollegen von der Blechfraktion vorbehalten ist. Und 'Cello' ist - wir haben es schon erwähnt - überhaupt bloß eine Verkleinerungssilbe.

Sich all das zu vergegenwärtigen tut gut angesichts der stürmischen und spektakulären Karrieren, mit denen besagte Instrumente lange Zeit über uns hinweggebraust sind und uns ins Souterrain des Orchesters verbannt haben.

John Constable: Salisbury Cathedral from the Bishop's
Grounds, 1820, Öl auf Leinwand, 74.3 x 92.4 cm,
National Gallery of Canada, Ottawa
Eine kurze Geschichte der Viola

Beginnen wir in der gemeinsamen Urzeit: Die Streichinstrumente haben sich - in Asien, wo fast alle zivilisatorischen Standards ihren Anfang nahmen - aus Zupfinstrumenten entwickelt. Am Anfang war der Bogen - ein Stock, an dessen Enden ein Strick gespannt wurde. Der erste Resonanzraum war der Mund, vor den das Gerät gehalten wurde. Später griff man auf Flaschenkürbisse, Muscheln, Schildkrötenpanzer, Kokosnußschalen und Holzkästchen zurück, spannte Stricke über sie und wies dem Bogen eine neue - die heutige - Funktion zu.

Das indische Ravanstron, schon ein funktionstüchtiges Streichinstrument, datiert 5000 vor Christus, aus dem nordafrikanischen Rebab wurde das birnenförmige europäische Rebec. Die französische vielle mit vier Saiten und Schallöchern in f-Form verweist schon auf die spätere Form der Viola.

Im Mittelalter war die Fidel (wie Viola von lateinisch vitulari) das beliebteste Instrument. Sie wurde von Vaganten und Spielleuten durch Europa getragen und erfreute Könige wie Bauern.

Ab dem 16. Jahrhundert machten sich in den norditalienischen Städten Mailand, Brescia, Cremona und Venedig Meister wie Andrea und Nicola Amati, Gasparo da Salò, Andrea Guarneri und Antonio Stradivari auf, die bis heute unübertroffenen Standards des Instrumentenbaus zu setzen.

Es waren zwei prototypische Violen, aus denen sich dann alles Weitere entwickelte (die Viola d'amore, noch in der Romantik für spezielle Klangwirkungen eingesetzt, ist ein Zwischending aus beiden):

• Die viola da braccio (italienisch Arm, wovon sich auch Bratsche herleitet), flach, mit gewölbtem Boden, Schallöchern in f-Form und vier Saiten auf einem gewölbten Steg, lag auf der Hals-Schulter-Partie auf, wurde also horizontal gespielt. Aus ihr entwickelte sich die Violine.

• Die viola da gamba wurde, wie ihr Name besagt, auf dem Knie aufgestützt, war wesentlich voluminöser, hatte einen flachen Boden und Schallöcher in c- oder f-Form. Fünf bis sieben Saiten lagen auf einem flachen Steg. Obwohl das Cello klanglich und baulich zur Violinfamilie gehört, wird es (unerlässlich wegen seines Umfangs) da gamba gespielt.

John Constable: Cloud Study, 1822, Öl auf Papier auf Karton
30.5 x 49 cm, Courtauld Institute Galleries, London
Im 16. Jahrhundert wurden Alt- und Tenorinstrumente unterschiedlicher Größe, aber gleicher Stimmung gebaut: c, g, d', a', was der heutigen Viola entspricht. Auch die Korpuslänge von 40 bis 42 Zentimetern ist bis heute unverändert. So stehen wir vor dem Phänomen, daß sich die Streichinstrumente im Prinzip seit 400 Jahren kaum verändert haben. Den letzten Veränderungen in bautechnischen Details wurden sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterworfen, da man in den großen Hallen das Klangvolumen erhöhen mußte. Die Spannung der nunmehr schwereren Saiten wurde erhöht, der Winkel des Halses zum Korpus leicht nach hinten gekippt, der Hals verlängert.

Die Auslese hingegen war rigide, und die Musikgeschichte stand nur selten auf Seiten der Violen: Im 17. Jahrhundert, mit der Ausbreitung der Barockoper, verschwanden die Gamben, deren weicherer, leiserer Klang den Anforderungen orchestraler Prachtentfaltung in großen Räumen nicht mehr genügen konnte. Als nächstes hatte die Tenor-Viola ausgedient - sie mußte dem Violoncello weichen. Die Alt-Viola und das immer dominanter werdende Cello etablierten sich endgültig als orchestrale Standardbesetzungen.

Ende des 18. Jahrhunderts erschienen die ersten Lehrwerke für Viola. Sie waren noch Geigern zugedacht, und in der Tat war das Instrument tief in der Etappe verschwunden. Während ihre wendigere Nachfahrin, die Violine, als Soloinstrument brillierte, war die Bratsche zur Grundierung und Erzeugung von Stimmungen eingesetzt. Die spärlichen Konzerte für Viola schrieben Georg Friedrich Telemann, Carl Stamitz, selbst ein namhafter Virtuose dieses Instruments, und vor allem Mozart, der sie in der Sinfonia concertante gleichberechtigt neben die Geige stellte. Berlioz, der sie in seiner Instrumentenlehre als 'traurig-leidenschaftlich' bezeichnete, schrieb ihr Harold en Italie, eine Symphonie mit konzertanter Viola.

John Constable: Study of Clouds at Hampstead, 1821
Öl auf Papier auf Karton, 24.2 x 29.8 cm,
 Royal Academy of Arts, London
War die Viola im Orchester lange Zeit bloß ein supporting act, so konnte sie sich in der Kammermusik behaupten. Wie in allen Belangen war Haydn auch hier bahnbrechend (Streichquartette op. 33). Mozart wies ihr vor allem in den Quintetten Protagonistenrang zu: Die Klangfülle in der Mittellage durch die verdoppelte Bratsche erhebt diese Werke auch in der Publikumsgunst noch über die Quartette. Beethoven - selbst ausgebildeter Bratscher - ließ ihr in allen seinen Quartetten alle Ehre widerfahren. Schuberts Der Tod und das Mädchen in seiner Schwärze und Verzweiflung ist auch ein bedeutendes Bratschenwerk. Schumann (Märchenbilder, Märchenerzählungen) muß sich dem Instrument seelenverwandt gefühlt haben. Brahms schrieb seine Klarinettensonaten alternativ auch für Bratsche.

Im 20. Jahrhundert wurde die Bratsche dann in allen Belangen zum ihr angemessenen Rang befördert: Seit Richard Strauss steht sie im Orchester auch hinsichtlich der technischen Schwierigkeiten den Geigen nicht mehr nach. Hindemith, selbst ein bedeutender Virtuose, wurde zum Gottvater aller Bratscher. Britten widmete wesentliche Werke dem Bratschisten William Primrose, Strawinsky und Schostakowitsch schufen zentrale Kammermusikwerke für das Instrument. Henze, Schnittke, Takemitsu, Bruno Maderna, Kancheli emanzipierten die Bratsche zuletzt endgültig.

Der Charakter der Bratsche im Orchester

Sie ist das Instrument der spröden Seelentöne, der Selbstzweifel, der deformierten Gefühle, des unterdrückten Aufbegehrens. Wenn sich der Komponist Pierluigi Palestrina in Hans Pfitzners Oper am Ende seiner Schaffenskraft wähnt, untermalt die Bratsche seine Verzweiflung. Die wesentlichen Opern Hindemiths - Cardillac, Mathis der Maler - sind Bratschenopern, in den zentralen musikdramatischen Werken - auch den Kammeropern - des Instrumentationsgenies Britten kann unsereiner schwelgen. Richard Strauss bietet uns in Elektra, Rosenkavalier und Arabella schöne (und schwere) Aufgaben, die alle mit Verlust der Lebensorientierung zu tun haben.

John Constable: Flatford Lock and Mill, 1812
Öl auf Leinwand, 66 x 92.7 cm, Corcoran Gallery of Art, Washington
In früherer Zeit allerdings waren unsere orchestralen Aufgaben undankbar: In Tristan und Siegfried ist sie unablässig im Einsatz, erzeugt aber nur grundierend Stimmungen. Und was uns in Webers Freischütz zugedacht ist, rangiert hart an der Beleidigung: Während die Seelenqualen des Jägerburschen Max von der Klarinette und Agathes Hoffen und Sehnen vom Cello in betörenden Zwiegesängen zelebriert werden, ist uns die an der Albernheitsgrenze rangierende Arie des Ännchen zugeordnet.

Im Orchesterbereich ist Richard Strauss gleichfalls unser großer Gönner: Der Sancho Pansa in Don Quixote (neben dem von einem Cello verkörperten Ritter) ist eine unserer größten Aufgaben. Bruckners Vierte und Mahlers Zehnte stellen an die Bratsche hohe Anforderungen.

Um Bratscher zu sein, muss man das Dunkle lieben. Der von mir bewundertste Sänger war der samtene Baß Cesare Siepi. Tenöre mochte ich nie besonders. Ich lese am liebsten Lyrik, und mein bevorzugter Maler ist Goya. Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß sich viele für die Bratsche entscheiden, weil sie auf der Geige nicht taugen. Das aber ist ein Irrweg: Wenn auf der Geige nichts los ist, ereignet sich auch auf der Bratsche nichts Nennenswertes. Prinzipiell muß jeder Bratscher zunächst Geige studieren, weil die Dimensionen des Instruments für Kinderhände ungeeignet sind. Der Bratscher braucht große Hände und, physikalisch berechnet, ein Drittel mehr Kraft als der Geiger. Krafttraining ist dennoch ungeeignet, denn das verfestigt und verhärtet die Finger.

John Constable: Hadleigh Castle, 1829
Öl auf Leinwand, 122 x 164.5 cm, Yale Center for British Art,
 New Haven
Viele Bratschisten begehen den fundamentalen Fehler, auf der Bratsche Geige zu spielen: Sie verfehlen den spezifischen dunklen Ton. Man muß tiefer und kräftiger streichen, muß die Amplitude des Vibratos vergrößern. All das kann man nicht lernen, man muß es spüren, weil man es liebt.

Und noch eine Voraussetzung darf nicht verschwiegen werden: Ein professioneller Musiker muß für ein gutes Instrument mindestens 100.000 Dollar veranschlagen.

Der Mythos der alten Instrumente

Ein Mythos für sich sind die alten, kostbaren Violen und Violinen der italienischen Meister. Die großen Geigenbauer waren allesamt auch große Violenbauer (sehr im Gegensatz zum Cello, für das es eigene Meister gab). Die bis heute teuerste Geige, die 'Lady Blunt' von Stradivari aus dem Jahr 1721, kostete 7,5 Millionen Dollar. Wäre eine der nur 12 Stradivari-Bratschen auf dem Markt, müsste man für sie wegen ihrer immensen Seltenheit 10 bis 15 Millionen Dollar veranschlagen.

Das Kuriose ist: Ausgerechnet die legendäre 'Lady Blunt' wäre heute kaum spielbar, denn sie ist in ihrer vollkommenen, unveränderten Gestalt zwar ein singuläres Studien- und Museumsstück. Wer aber heute eine kostbare, alte Viola oder Violine spielt, benutzt ein wesentlich umgebautes Instrument. Die Violen waren für heutige Verhältisse zu groß und unhandlich, also beschnitt man die Ränder, wodurch im Baßbereich einiges verloren ging. Dafür werden heute bessere Saiten aufgezogen als die ständig reißenden Darmsaiten, die früher dafür verantwortlich waren, daß während des Konzerts neben dem Musiker der Geigenbauer saß und ständig neue Saiten aufzog - für die heutige Orchesterpraxis ein unvorstellbarer Vorgang. Ich selbst habe mich von umsponnenen Darmsaiten zu erstklassigen neuen Kunststoffsaiten bekehrt, denn der Wohlklang am Ohr kann in den großen Sälen leicht untergehen. Stahlsaiten lehne ich ab.

John Constable: Hampstead Heath, Looking Towards Harrow,
1821, Öl auf Papier auf Leinwand, 23.8 x 29.8 cm,
Royal Academy of Arts, London
Ich spiele ein Mailänder Instrument aus dem Jahr 1720, doch mit seiner ursprünglichen Form hat es nur noch bedingt zu tun: Es wurde etwas verkleinert, ist aber immer noch sehr groß. Das Griffbrett wurde verlängert, das gesamte Instrument wegen der heute erbeblich größeren Saitenspannung verstärkt. Es klingt also wesentlich anders als anno 1720 und ist dennoch unvergleichlich im Klang, was mit dem vollen, reichen Frequenzbereich, insbesondere den berückenden Obertönen, zu tun hat. Oben Silber, unten schwarzer Baß - das ist das Ideal des Bratschenklanges, dessen Geheimnis die alten Meister verstanden.

Der Jammer mit den Bratschenwitzen

In früheren Zeiten wurde der Bratschist unfreundlich als 'dritter Geiger' tituliert. Ausrangierte oder ungebührlich phlegmatische Violinisten wurden zur Bratsche versetzt, was den Ruf nicht beförderte. An der zweiten Bratsche kann man bis heute sehr, sehr alt werden. Deshalb lautet auch der inbegriffliche Bratschenwitz, daß es gar keine Bratschenwitze gibt - nur Tatsachenberichte. Der schlimmste lautet: 'Was macht man mit einem verstorbenen Solobratschisten?' - 'Man setzt ihn ans zweite Pult'.

Die Scherze, die über die Bratsche kursieren, gehen in die Aberhunderte. Haltlose Theorien über ihre Erfindung werden in Umlauf gebracht (jemand soll versehentlich Saiten über einen Geigenkasten gespannt haben) und letzte Fragen der musikausübenden Menschheit geklärt: 'Wenn du auf der Straße einen Dirigenten und einen Bratschisten siehst, welchen überfährst du zuerst?' - 'In jedem Fall den Dirigenten, denn Arbeit kommt vor Vergnügen'. Und: 'Wenn man den Dirigenten erledigt hat, kann der Bratschist noch nicht weit gekommen sein'.

John Constable: The Lock, c. 1823-24, Öl auf  Leinwand,
141.7 x 122 cm, Philadelphia Museum of Art
Übel auch die Sache mit dem Bratscher, der sich beim Dirigenten über den Soloklarinettisten beschwert: 'Er hat mir eine Saite verstimmt und will mir nicht sagen, welche!' - Wir werden bezichtigt, unser Instrument nur unter Zuhilfenahme eines Spickzettels mit dem Hinweis 'Bratsche links, Bogen rechts' in Betrieb nehmen zu können. - Zu alledem werden wir des Kleinmuts geziehen: 'Wie bringt man einen Bratscher dazu, Tremolo zu spielen?' - 'Über die betreffende Note groß SOLO schreiben' .

Momente des Aufbegehrens sind selten, und so entwickelt der Bratscher eine Art stolzer Gelassenheit, die den einschlägigen Ruf womöglich noch verstärkt. Dennoch empfehle ich niemandem, uns zu beleidigen: Erstens verfügt der Bratschist naturgemäß über große Hände. Und zweitens widerlegen wir durch die Tat alle Vorurteile: Die erste Frau, die (von den traditionellen Harfenistinnen abgesehen) in den jahrhundertealten Männerbund der Wiener Philharmoniker Eingang fand, war meine Kollegin Ursula Plaichinger.

Fortsetzung folgt nach der Tracklist


Track 1: Hindemith: Sonata for Viola and Piano, op 11 nr 4
TRACKLIST


THE ART OF THE VIOLA 


    Paul HINDEMITH (1895-1963): 

[1] Sonata for Viola and Piano, Op. 11, No. 4                                16:03

    Ludwig van BEETHOVEN (1779-1827): 

    Duo for Viola and Cello in E flat major 'with Two Eyeglasses', WoO 32    13:14
[2] Allegro                                                         9:08 
[3] Minuetto: Allegretto                                            4:06

    Robert SCHUMANN (1810-1856): 

    Märchenerzählungen for Clarinet, Viola and Piano Op. 132                 13:59
[4] Lebhaft, nicht zu schnell                                       2:46 
[5] Lebhaft und sehr markiert                                       3:07
[6] Ruhiges Tempo, mit zartem Ausdruck                              3:31
[7] Lebhaft, sehr markiert - etwas ruhiges Tempo                    4:36

    George Frideric HANDEL (1685-1759) / Johan HALVORSEN (1864-1935): 

[8] Passacaglia for Violin and Viola                                          7:39

    Benjamin BRITTEN (1913-1976): 

[9] Lachrymae Op. 48 - Reflections on a song by Dowland for Viola and Piano  13:41


Playing Time:                                                                65:01

Heinrich Koll, Viola
Madoka Inui, Piano
Peter Schmidl, Clarinet
Alexandra Koll, Violin
Milan Karanovic, Cello 

Recorded at ORF Funkhaus Vienna, Studio 2, 19th-22nd May, 2004
Producer: Alfred Treiber - Recording Supervisor: Erich Hofmann
Sound engineer: Josef Schütz - Editor: Elmar Peinelt
Cover Photo: Koll and Inui, by Martin Vukovits
(P) & (C) 2004
*
John Constable: Dedham Lock and Mill, c. 1820
Öl auf Leinwand, 54.6 x 77.5 cm, The Currier Gallery of Art,
 Manchester, N.H
Paul Hindemith (1895-1963): 

Hindemith war eine Art heiliger Erlöser der Bratschistenzunft. Selbst einer der bedeutendsten Virtuosen in der Geschichte des Instruments, erzwang er der Viola als Opern-, Orchester- und Kammermusikkomponist den Rang, den sie schon beinahe verloren hatte. Die sogenannte 'Phantasiesonate' op. 11 Nr. 4 (benannt nach dem ersten Satz mit der Bezeichnung 'Phantasie') entstand Anfang 1919. Hindemith war soeben aus der Wehrmacht entlassen worden und hatte sich inmitten des nationalistischen Gedröhnes des verlorenen Weltkriegs mit dem inbegrifflichen Gegenteil dieser Stimmung, mit Debussy, beschäftigt. Das Werk, zwischen Romantik und Impressionismus angesiedelt, hat noch nichts von der Anarchie späterer Zeiten, in denen sich Hindemith als junger Wilder gefiel. Doch es geht schon in den Bereich der freien Tonalität, ist von fabelhafter Musikantik, voll Ironie und Farbenpracht und steigert sich zuletzt zu fast erotisch erregter Sinnlichkeit. Hindemith selbst wies die Ausführenden an: 'Die Sonate wird ohne Pause zwischen den Sätzen gespielt, besonders der zweite und dritte Satz sollen so gut verbunden sein, daß der Zuhörer nicht die Empfindung hat, ein Finale zu hören, sondern den letzten Satz lediglich als Fortsetzung der Variationen auffassen muß.' Mit dem Werk förderte er seinen Ruf und wurde einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands. Bis ihn die Barbarei anno 1933 als 'Kulturbolschewisten' denunzierte und sein Werk auszulöschen trachtete. Doch auch diesfalls hatte die Kunst den längeren Atem.


 



John Constable: Branch Hill Pond, Hampstead Heath, 1828
Öl auf Leinwand, 60.6 x 78 cm, Cleveland Museum of Art
Ludwig van Beethoven (1779-1827):


Duett Es-Dur 'mit zwei obligaten Augengläsern', WoO 32, für Viola und Violoncello

Beethoven, gutgelaunt, ja ausgelassen. Nicht glücksverklärt wie in der Frühlingssonate, nicht beurlaubt von der Unerträglichkeit der Lebenslasten wie in der Pastorale. Sondern gutgelaunt und ausgelassen. Ein seltenes und großes Vergnügen ist es, das uns Beethovens fröhliches, temperamentvolles kompositionstechnisch brillantes Duo da bereitet. Der Meister schrieb es als hoffnungsvoller Endzwanziger in den Jahren 1796 und 1797 in Wien. Hier galt es, sich als Komponist und ausübender Musiker zu positionieren. Und hier fand er als Schüler Haydns Zutritt zu den besten aristokratischen Kreisen, aus denen ihm wichtige Gönner und Freunde erwuchsen, unter ihnen der Graf Waldstein und die Fürsten Eszterházy, Lichnowsky und Rasumowsky. Beethoven brauchte die finanziellen Zuwendungen dringend: Seit 1794 bezog er aus der Geburtsstadt Bonn keine Einkünfte mehr. Ein Gönner, der nicht aus der höchsten Aristokratie kam und daher ein lebenslanger Freund werden konnte, war der in Wien lebende ungarische Baron Hofsekretär Nikolaus Zmeskall von Domanovecz und Lestine, der als begabter Amateur das Cello strich. Mit ihm pflog Beethoven eine Korrespondenz von fast Mozartischer Albernheit, für ihn schrieb er auch das scherzo musicale 'Graf, Graf, liebster Graf'. Beethoven hatte in Bonn eine seriöse Ausbildung als Bratscher genossen, und so schrieb er - wohl zu gemeinsamer hausmusikalischer Ausübung - für Zmeskall das Duett 'mit zwei obligaten Augengläsern'. Beide Herren, so die Fama, seien stark kurzsichtig gewesen - womit auch der Titel des Stücks enträtselt ist. Es zeigt uns, nebstbei, auf welch hohem technischem Niveau damals Hausmusik getrieben wurde.

John Constable: Rainstorm off the Coast at Brighton,
c. 1824-28, Öl auf Papier auf Leinwand, 22.2 x 31 cm,
Royal Academy of Arts, London
Robert Schumann (1810-1856):

Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier op. 132

1854 war ein verheerendes und lebensentscheidendes Jahr für Robert Schumann: Seine Geisteskrankheit brach aus und führte zum ersten Selbstmordversuch. Zwei Jahre lang, bis zu seinem Tod am 29. 7. 1856, verdämmerte er dann mit gelähmter Schaffenskraft. Wenige Monate vor dem fatalen Datum, im Oktober 1853, schrieb er die vier Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier, und sie unterscheiden sich fundamental von den 1849 entstandenen Märchenbildern für Viola und Klavier. Dominieren dort hausmusikalischer Charme und poesievolle Lebensbejahung, so hatte in den Märchenerzählungen die Krankheit schon die Macht über den Komponisten ergriffen. Die Wahl der für seelische Ausnahmesituationen zuständigen Instrumente Viola und Klarinette erzeugt insbesondere im langsamen dritten Satz eine Stimnmung der Depression und Lebensschwärze. In den anderen entdecken wir einerseits berührende Augenblicke der Nostalgie nach glücklicheren Zeiten, andererseits neurotische, ja aggressive Stimmungen. Für Schumann schloß sich mit diesem Werk (einem der letzten, die zu schreiben er in der Lage war) ein Kreis: Die Besetzung Klarinette - Viola - Klavier kreierte Mozart, das Idol, mit dem Kegelstatt-Trio. Weit mehr als ein Jahrhundert nach Schumanns Tod schloß dann der ungarische Komponist György Kurtág mit der Hommage à Robert Sch. für Klarinette, Viola und Klavier op. 15 d einen weiteren Kreis.
John Constable: A View on the Stour, 1810
Öl auf Papier auf Leinwand, 26.7 x 26.7 cm,
Philadelphia Museum of Art

George Frideric Handel (1685-1759) / Johan Halvorsen (1864-1935):

Passacaglia for Violin and Viola

Der Violinvirtuose, Dirigent und Komponist Johan Halvorsen war neben Grieg der bedeutendste norwegische Komponist der Spätromantik. Seine 1894 entstandene Bearbeitung der Passacaglia (ein spanisches Tanzlied) aus der siebenten Suite für Cembalo von Händel in g-moll ist ein Virtuosenstück hohen Ranges: Geschrieben in der Form der typischen achttaktigen Passacaglia, spielt es mit Staccato, Pizzicato und Richochet, ohne sich im entferntesten um die ein Jahrhundert später zum guten Ton zählenden Bedenken zu kümmern. Im Zeitalter des Originalklangs erscheint der unbekümmerte romantisch-virtuose Umgang mit barocker Musik unstatthaft. Im 19. Jahrhundert war er selbstverständlich. Und wenn man Halvorsens Werk hört, wird der Verdacht nicht geringer, daß die Zeiten für Ausübende und Zuhörer früher freudvoller waren.

Benjamin Britten (1913-1976)
Lachrymae op. 48 - Reflections on a Song of John Dowland for Viola and Piano

Britten, der bedeutendste britische Komponist des 20. Jahrhunderts, war ein immens gebildeter Kopf und schöpfte, unbeeinflußbar von allen Moden, aus dem Reichtum der Vergangenheit. Als Dirigent, Pianist und Komponist erwarb er sich höchste Verdienste um das Werk seines Landsmannes Henry Purcell, dessen Werke er teils transkribierte, teils bis heute gültig edierte. Aus dem thematischen Material der Beggar's Opera von John Gay formte er, ein fulminanter Instrumentierungskünstler, eine kompositorisch ganz und gar eigenständige Kammeroper. Mit Faszination betrachtete er auch das Werk des Komponisten und Lautenspielers John Dowland (1563-1626). Der schrieb unter dem Titel Lachrymae ('Tränen') einen Zyklus hypnotischer Liebeslieder. 'If my complaints could passions move' ('Wenn meine Klagen Leidenschaft auslösen könnten') nimmt dabei eine kuriose Sonderstellung ein: Unter der Tarnung eines Liebesliedes artikulierte Dowland seine Sehnsucht nach einer lukrativen Anstellung bei Hof!


John Constable: The Opening of Waterloo Bridge, 1829
Öl auf Leinwand, 62 x 99 cm, Yale Center for British Art,
New Haven
Dieses Lied machte Britten 1950 zum Gegenstand seiner 'Reflections', denn das Wort Variationen mochte er nicht. Das Werk, dem schottischen Bratschisten William Primrose zugeeignet und von Britten bei der Uraufführung selbst begleitet, ist nach dem umgekehrten Variationenprinzip gestaltet: Britten beginnt in größtmöglicher Entfernung zum Originalmotiv, das erst im 12. und letzten Satz in seiner ursprünglichen Gestalt auftaucht. In den sechsten Satz ist übrigens auch Dowlands 'Flow my tears' ('Fließt, meine Tränen') verwoben. Britten erweist sich hier abermals als fabelhafter Techniker und suggestiver Harmoniker. 1976, in seinem letzten Lebensjahr, schuf er eine Bearbeitung für Viola und Orchester. Doch die klare Aufteilung zwischen Singstimme und Laute auf die Instrumente Viola und Klavier ist wesentlich schlüssiger und auch faszinierender.

Quelle: Heinrich Koll, im Booklet

Geboren 1951 in Wien. Studium an der Musikhochschule Wien. 1976 bis 1980 Solobratschist der Wiener Symphoniker. Seit 1980 Solobratschist des Wiener Staatsopernorchesters und der Wiener Philharmoniker. Seit 1978 Mitglied des Musikverein Quartetts ('Küchl Quartett') mit Zyklus im Wiener Musikverein.

Die hier vorgestellte CD ist Teil der Serie »The Art of the …«, die Solisten der Wiener Philharmoniker vorstellt. Davon ist die Ausgabe »The Art of the Vienna Horn« auch hier in der Kammermusikkammer vorgestellt worden.

Die Gemälde von John Constable (1776-1837), der wie der Bratscher Heinrich Koll das Dunkle liebte, stammen von Mark Harden’s famosem Artchive. Marks Kunstarchiv ist eine der ältesten Quellen hochaufgelöster Kunstbilder im Cyberspace, die frei zugänglich war und ist. Dem Artchive verdankt die Kammermusikkammer auch das bereits früher veröffentlichte und von Ernst H. Gombrich kommentierte »Wivenhoe Park, Essex«.

Rezension der CD bei Klassik heute

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Reposted on July 9th, 2016