17. November 2017

Schumann: Symphonische Etüden op.13 – Bunte Blätter op. 99 – Fantasiestücke Nr. 5 & 7 (Sviatoslav Richter, 1971)

Im September 1834 komponierte Schumann einige – wie er sie nannte – „pathetische“ Variationen über ein „Thema quasi marcia funebre“ in cis-moll. Dabei wollte er sich bemühen, „das Pathetische, wenn etwas davon [im Thema] drinnen ist, in verschiedene Farben zu bringen“. Ignaz Ferdinand Freiherr von Fricken aus Asch in Böhmen war der Schöpfer dieses zunächst für Flöte gedachten Themas, das er mitsamt einigen eigenen Variationen Schumann zur Beurteilung geschickt hatte. Er konnte freilich nicht ahnen, was Schumann schließlich daraus entwickelte. Der Freiherr war selbst ein Flötist und galt als großer Musikliebhaber und -kenner. Seine Adoptivtochter, Ernestine von Fricken, genoss gemeinsam mit Schumann den Klavierunterricht Friedrich Wiecks in Leipzig. Heimlich hatten sich die beiden jungen Leute im Spätsommer 1834 verlobt. Schon im folgenden Jahr löste Schumann das Verlöbnis wieder auf, nachdem er erfahren hatte, dass seine Braut kein leibliches Kind des Barons war. Dieser von Schumann angegebene Grund muss allerdings als Ausrede betrachtet werden, denn wesentlich stärker trug zu seinem Entschluss bei, dass er sich seiner wachsenden Liebe zu Clara Wieck, der hoch begabten Tochter des gemeinsamen Klavierlehrers, bewusst wurde.

Über das Thema seines „Beinahe-Schwiegervaters“ Fricken komponierte Schumann insgesamt 18 vollständige Variationen sowie eine unvollständige und mehrere Variationen-Incipits. „Mit meinen Variationen steh' ich noch am Finale“, erklärte er dem Freiherrn einige Wochen später. „Ich möchte gern den Trauermarsch nach und nach zu einem recht stolzen Siegeszug steigern u. überdies einiges dramatisches Interesse hineinbringen, komme aber nicht aus dem Moll, u. mit der 'Absicht' beim Schaffen trifft man oft fehl und wird zu materiell.“ Bereits hier wird nicht nur die besondere Stellung des letzten Stückes betont, sondern es deutet sich auch eine zyklische Intention an, der die einzelnen Stücke folgen sollten. Der Kompositionsprozess der Symphonischen Etüden vollzog sich in einer Phase des schumannschen Schaffens, in der er sich formal und strukturell um eine Großform in seinen Klavierwerken bemühte. Stärker als in allen vorherigen Variationenwerken versuchte er daher gerade hier, die Grenzen der Gattung aufzubrechen. Nicht zuletzt erklären sich dadurch auch die unterschiedlichen Bezeichnungen, die er im Laufe der Zeit seinen Stücken gab: „Variations“, „Etudes“, „Fantaisies“. Im selben Zusammenhang steht das mehrfach erfolgte Umordnen von deren Reihenfolge.

Schließlich wählte Schumann zwölf der Stücke aus und ließ sie 1837 drucken. Bereits im Mai des vorausgehenden Jahres hatte der Verleger Haslinger aus Wien die Sammlung 1836 als X Etuden im Orchestercharakter für das Pfte. von Florestan und Eusebius angekündigt. Wie so häufig in seinen frühen Klavierwerken, hatte Schumann selbst die imaginären Figuren Florestan und Eusebius als Urheber angegeben. Diese beiden Gestalten symbolisierten in seinem Denken die kontrastierenden Seiten seines eigenen Charakters. Florestan steht dabei für die trotzige, leidenschaftliche, stürmische und kämpferische Komponente, Eusebius für die lyrische, verträumte, kontemplative und sanftmütige. Vorbilder dieser Gestalten fand Schumann in den Brüdern Walt und Vult aus Jean Pauls 1805 erschienenem Roman Flegeljahre. Nicht nur vom Werk Jean Pauls im allgemeinen, sondern ganz besonders von dessen Hang zu Doppelnatur- bzw. Doppelgänger-Konstellationen war Schumann so fasziniert, dass er lange Zeit selbst damit experimentierte und zahlreiche Fantasienamen für Personen seines Umfelds erfand.

Swjatoslaw Teofilowitsch Richter (1915-1997).
Der Pianist, der aus der Kälte kam.
Die letztlich von ihm zum Druck frei gegebene, erweiterte Version seiner Variationen nannte Schumann XII Etudes Symphoniques pour le Piano-Forte und wies ihnen die Opuszahl 13 zu. Nicht zuletzt die Wahl dieser Benennung zeigt, dass Schumann stärker als in allen zuvor komponierten Klavier-Sammlungen hier seine Vorstellungen der großformalen Anlage sowie einer zyklischen Verbundenheit der Einzelstücke realisieren konnte. Sinfonie, Etüde und Variation werden zusammenfasst, da keines alleine den Ansprüchen der Komposition und des Komponisten gerecht geworden wäre. Zwar entspricht der Begriff der Variation dem zu Grunde liegenden kompositionstechnischen Verfahren, erfasst aber nicht den sinfonischen Charakter der durchführungsartigen Verarbeitung, die weit über das Aneinanderreihen einzelnen Variationen hinausgeht. Als letztes tritt der etüdenhafte Aspekt durch die spezifische Geschlossenheit eines jeden Stückes hinzu, indem jeweils eine andere spieltechnische Fertigkeit im Vordergrund steht.

Das schlichte, auf den Freiherrn von Fricken zurückgehende Thema in cis-moll schreitet ganz feierlich und würdevoll einher. Aber schon bald entwickeln sich starke dynamische Steigerungen, die durch hohe pianistische Virtuosität umgesetzt werden. Ab der siebten Etüde weichen die Variationen immer mehr von dem zweimal acht Takte umfassenden Grundriss des Themas ab. Die Klangwirkung des Klaviers nimmt durch die große Akkordfülle tatsächlich orchestralen Charakter an. Einem wirklich sinfonischen Anspruch wird schließlich das ebenso glanzvolle wie dramatische Finale gerecht, in dem sich nur noch entfernte Verwandtschaft zum Thema ausmachen lässt. Gerade diesem Stück hatte Schumann von Anfang an die meiste Aufmerksamkeit gewidmet, um es aus der gesamten Komposition herauszuheben: Bildet es doch keine eigentliche Schluss-Variation, sondern kann als veritabler Finalsatz gelten. Nicht zuletzt zeichnet sich das Finale auch dadurch aus, dass es mit einem völlig neuen Thema in Des-Dur beginnt, bei dem es sich um das Zitat der Romanze „Du stolzes England, freue dich“ aus Heinrich Marschners Oper Der Templer und die Jüdin handelt. Lange Zeit hielt man dies für einen Gruß an die Nationalität des Widmungsträgers von op. 13, William Sterndale Bennett. Dieser junge englische Pianist, Komponist und Dirigent traf im Oktober 1836 zu einem längeren Aufenthalt in Leipzig ein, wo er bald zum schumannschen Freundeskreis gehörte. Erst da entschloss sich Schumann zur Dedikation, komponierte den Finalsatz aber vermutlich früher.

Während die erste, 1837 bei Haslinger in Wien erschienene Ausgabe dem Thema zwölf Etüden folgen lässt, kürzte Schumann sein op. 13 um zwei Etüden für deren zweite, von ihm revidierte Fassung, die er 1852 bei Schuberth & Co. in Hamburg unter dem Titel Etudes en formes de variations veröffentlicht. Die ehemaligen Etüden III und IX fehlen jetzt, möglicherweise aufgrund ihrer enormen technischen Schwierigkeiten. Eine dritte Ausgabe erschien posthum 1861 bei Schuberth & Co mit dem Titel Etudes en forme de Variation (XII Etudes Symphoniques pour le Piano-Forte). Hierin sind die Etüden III und IX sowie die „Varianten der vorhergehenden Ausgaben und nicht herausgegebenen Korrekturen des Autors“ aufgenommen. Schließlich wurden weitere fünf, von Schumann selbst nicht publizierte, aber dennoch sehr reizvolle Variationen 1873 durch Johannes Brahms bei Simrock in Berlin veröffentlicht.

Schumann setzte mit den Symphonischen Etüden einen Meilenstein auf seinem Weg zu den späteren großen Instrumentalwerken in zyklischer Form. Darüber hinaus führte kurioserweise ausgerechnet diese, mit seiner ersten Braut Ernestine von Fricken verbundene Komposition, indirekt zur heimlichen Verlobung mit Clara Wieck. Sie bestritt bei einem öffentlichen Konzert am 13. August 1837 in der Leipziger Buchhändlerbörse die Erstaufführung der Symphonischen Etüden in ihrer ersten Fassung und vermittelte Schumann dadurch nach langer, schmerzlicher Trennung ein deutliches Zeichen ihrer Zuneigung. Anschließend ließ Clara ihm noch einen Brief zukommen, der wohl den entscheidenden Anschub zur Aussprechung der Verlobung zwischen den jungen Leuten gab.

Quelle: Irmgard Knechtges-Obrecht im Robert Schumann Portal


Track 18: Etudes Symphoniques Op. 13 - XII. Finale. Allegro brillante


TRACKLIST


SCHUMANN Piano Works

Sviatoslav Richter

Etudes Symphoniques, Op. 13
with the variations "Anhang zu Op. 13 aus dem Nachlasse"

01 Theme                                1:32
02 No.1 poco piu vivo                   1:05
03 Etude No.2                           2:36
04 No.3 vivace                          1:09
05 Etude No.4                           1:00
06 Etude No.5                           1:04
07 Variation I                          1:37
08 Variation II                         2:08
09 Variation III                        1:30
10 Variation IV                         2:42
11 Variation VI                         2:39
12 No.6 agitato                         0:53
13 No.7 allegro molto                   1:11
14 No.8 andante                         2:27
15 No.9 presto possibile                0:49
16 No.10 allegro                        1:09
17 No.11 andante con espressione        2:21
18 No.12 Finale. Allegro brillante      6:06

Bunte Blätter, Op. 99

19 I    Nicht zu schnell mit Feurigkeit 1:51
20 II   Sehr rasch                      0:49
21 III  Frisch                          0:56
22 IV   Ziemlich langsam                2:11
23 V    Schnell                         0:36
24 VI Ziemlich langsam, sehr gesangvoll 2:11
25 VII  Sehr langsam, sehr gesangvoll   2:04
26 VIII Langsam                         1:26
27 IX   Novelette (Lebhaft)             2:27
28 X    Praeludium (Energisch)          1:10
29 XI   Marsch (sehr getragen)          8:54
30 XII  Abendmusik (Menuett-Tempo)      3:41
31 XIII Scherzo (Lebhaft)               4:11
32 XIV  Geschwindmarsch (sehr markiert) 3:00

Fantasiestücke Op. 12 (live)

33 No.5 In der Nacht                    4:06
34 No.7 Traumes-Wirren                  2:38

                            Total time 76:35

Etudes and Bunte Blatter: Recorded Sept 1971 
Fantasiestucke: Recorded 24 February 1979 at NKH Hall, Tokyo. 
Producer Tomoo Nojima; Engineer: Takashi Watanabe
Re-mastered by Paul Arden-Taylor

Track 33: Fantasiestücke Op. 12 - Nr. 5 In der Nacht



Griechische Tafelmalerei

Malerin im Heiligtum. Pompejanisches Wandbild. (Neapel)
Ruhm und Wirkung

Wie in der abendländischen Kunst hat die Malerei auch in der Antike ihre Schwesterkünste Architektur und Bildhauerei an Popularität weit übertroffen. Das geht nicht nur aus der verhältnismäßig hohen Anzahl überlieferter Schriftzeugnisse hervor, sondern wird von manchen Autoren, etwa von Plutarch, auch explizit festgestellt. Als eine „stumme Poesie“, wie Simonides sie im Gegensatz zur „sprechenden Malerei“ der Dichtung nennt, vermochte die Malkunst in den Farben des Lebens Geschichten zu erzählen und die Phantasie des Betrachters auf besondere Weise anzuregen. Philostrat schwärmt von ihr, sie sei eine „Erfindung der Götter, sowohl wegen der Farbenpracht auf Erden wie wegen der Erscheinungen am Himmel“. Ganz im Gegensatz zur Bildhauerei vermöge sie Licht und Schatten wiederzugeben und „den Blick eines Menschen, der beim Rasenden anders ist als beim Leidenden und Frohen“. Ausdruck, Vielfalt der Erzählung und die Nachahmung der farbigen Wirklichkeit hatte die Malerei der Skulptur, selbst der Reliefkunst, voraus.

Es gab Tafelbilder der Antike, die so berühmt waren wie im Abendland Werke von Leonardo, Raffael oder Rembrandt, etwa das Aphroditebild‚ das Apelles für die Stadt Kos gemalt hatte, oder das große Gemälde des Protogenes, das Jalysos, den Gründungsheros von Rhodos, darstellte. Griechische Gemälde verblüfften zwar zuweilen auch durch thematische Einfälle der Maler, vor allem aber durch die Kunst der Darstellung, an der man die Lebensnähe rühmte. Allerdings wurden in der gesamten Antike nicht die illusionistischen Effekte erreicht, die die abendländische Malerei seit der Renaissance erzielte, und der mit solchen Effekten Vertraute würde wohl die zu ihrer Zeit so bewunderten griechischen Gemälde als vergleichsweise schlicht empfunden haben. Nicht der Grad der Illusion, deren Steigerung grundsätzlich denkbar wäre, entschied über die Wirkung, sondern die Tatsache, daß es optische Täuschungen in der Malerei bis dahin gar nicht gegeben hatte. Man hat sich zu vergegenwärtigen, daß in der archaischen Kunst, die der altorientalisch-ägyptischen Tradition verpflichtet war, noch eine „vorstellige“, an die Fläche gebundene Darstellungsweise bis zur Stilwende um 500 v. Chr. üblich war, mithin die danach rasch fortschreitende plastisch-räumliche Wirkung im Bild als etwas unerhört Neuartiges erlebt worden sein muß.

Opferzug. Tempera auf Holz. Korinthisch, um 540 v. Chr. (Athen)
Der Ruhm dieser verlorenen Kunst spiegelt sich in zahlreichen Phänomenen wider, die literarisch bezeugt sind, in Nachrichten über das Staunen der Zeitgenossen, über Kunstraub und Verschleppung von Bildern, über hohe Gemäldepreise, erste Theorien der Kunstbetrachtung. Auch zahlreiche Künstleranekdoten bezeugen die damalige Popularität der griechischen Tafelmalerei. Da uns keines der berühmten Gemälde mehr im Original vorliegt, sind wir auf solche Re?exe und die bewundernden Kommentare der römischen Kaiserzeit zunächst angewiesen, ohne die über die griechische Tafelmalerei heute kaum noch etwas bekannt wäre. […]

Von der Bewunderung griechischer Gemälde im Altertum geben die Maleranekdoten eine erste, wenn auch legendär gefärbte Vorstellung. Zahlreicher sind die literarischen Quellen, die historische Fakten überliefem und Hinweise zur Wertschätzung der Bilder, auf ihre Besitzer, die Preise und den späteren Verbleib der Gemälde geben. Die Texte beziehen sich in erster Linie auf die Tafelmalerei. Plinius stellt ausdrücklich fest, daß ein Maler nur zu Ruhm gelangen konnte, wenn er nicht auf Wände, sondern „auf Tafeln“ malte (35,118). Als transportable Gegenstände verbreiteten die tabulae (griech. pinakes) den Ruhm ihrer Schöpfer rascher als die an einen Ort fixierten Wandgemälde, die zudem in ihrer ausschmückenden Funktion oft weniger sorgfältig gemalt waren. […]

Je kostbarer ein Gemälde war, um so mehr war man darum bemüht, es zu schützen und zu erhalten. Haltbarkeit strebten bereits die Maler selbst an. Dabei ging es zunächst um die richtige Auswahl des Holzes für die Tafeln, um deren gute Zusammenfügung und feste Rahmung, dann beim Malen um die Wahl geeigneter Pigmente und Bindemittel. Protogenes soll das große Heroenbild des Jalysos‚ das wahrscheinlich im Freien an der Stadtmauer von Rhodos seinen Platz fand, durch einen vierfachen Farbauftrag haltbar gemacht haben (Plinius 35,102; 7,126). Auch in den Heiligtümern waren viele Gemälde unter freiem Himmel der Witterung ausgesetzt; von einem Heroenbild des Parrhasios, das Perseus, Herakles und Meleager darstellte, erzählte man, daß es dreimal vom Blitz getroffen worden sei, ohne jemals Schaden zu nehmen (Plinius 35,69). Die Malschicht der Tafelbilder schützte man gewöhnlich durch Vorhänge oder Klapptüren gegen Lichtstrahlen und Witterungseinflüsse. […]

Mumienbildnis eines Mannes.
Enkaustik auf Holz. 2. Jh. n. Chr. (Berlin)
Malerei auf Holz und die Enkaustik

Erst mit der Technik der Staffelei- bzw. Tafelmalerei befinden wir uns im zentralen Bereich der Malkunst. Wie […] betont, ist keines der von den antiken Autoren erwälmten Werke erhalten. Diese Zerstörung konnte auch nicht dadurch verhindert werden, daß die Tafeln aus besonders dauerhaftem Holz gefertigt waren. Man bevorzugte in der Antike das Holz des Buchsbaumes, ein dichtes, helles, sehr widerstandsfähiges Holz, das Plinius als Material der Tafelmalerei dort, wo er von ihrer Bedeutung spricht (35,77), ausdrücklich erwähnt. Ferner bot die Ulme ein festes, auch im Freien beständiges Holz, das an Stärke aber noch von dem des ägyptischen Maulbeerbaumes, der Sykomore, übertroffen wurde. Während man letzteres seiner Haltbarkeit wegen bevorzugt im Schiffsbau verwendete, wird in der Tafelmalerei wie auch bei der Herstellung von Schreibtafeln außer Buchs noch das Holz von Lärchen, Zypressen, Tannen und Linden erwähnt. Um ein späteres Reißen oder Verziehen der Tafeln zu vermeiden, ließ man das Holz vor der Verarbeitung gut austrocknen. Kleinere Bilder bestanden aus einem einzigen Brett, größere fügte man aus mehreren Teilen zusammen, indem man sie gut verdübelte, verleimte und vielleicht auch bereits, wie in der Neuzeit üblich, mit querlaufenden Einschubleisten versah.

Das Gemälde selbst schützte man durch einen Vorhang oder Teppich, und viele Bilder waren außerdem durch Klapptüren verschließbar. Die Klapptürbilder hatten in der Regel ein kleines Format, und ihre Türen dienten im Gegensatz zu jenen der großen christlichen Flügelaltäre nicht als zusätzliche Bildträger. Freilich gab es neben solchen, meist querformatigen pinakes tethyromenoi, wie man sie nannte, auch andere Bild- und Rahmenformen. Durchgehend findet sich beispielsweise die Naiskos- bzw. Ädikulaform mit oberem Giebelabschluß, und in späterer Zeit wurde bei annähernd quadratischen Bildern der Achtendrahmen beliebt, bei dem die Rahmenleisten an den Ecken überstehen und sich kreuzen.

Sehr große Tafelbilder, sanides genannt, dienten zur Verkleidung von Wänden, zumindest findet sich bei einem späten Autor diese Bezeichnung für die großen Wandgemälde des Polygnot in der Bunten Halle von Athen. Solche Bilder ließen sich bereits in der Werkstatt mit Sorgfalt malen, und gewiß war dies eine anspruchsvollere Art der Wanddekoration als die Frescomalerei. Auch die Attika der Fassade des „Prinzengrabes“ von Vergina war mit einem Gemälde auf Holz verkleidet, wie geringe Reste und Einlaßspuren noch erkennen ließen, ohne allerdings vom Gemälde selbst noch etwas zu zeigen. Auf entsprechende Spuren ist vielleicht bislang nicht ausreichend geachtet worden, jedenfalls ist mit dieser Art von Wandmalerei in größerem Umfang zu rechnen, als archäologische Indizien heute noch vermuten lassen.

Malgeräte. Beigaben eines römischen Malergrabes bei Fontenay-le-Comte.
Originalgemälde auf Holz, die sich zufällig konserviert haben, sind nur noch in ganz vereinzelten Fällen auf uns gekommen. Besonderes Aufsehen erregte seinerzeit der Fund von Pitsà in der nördlichen Peloponnes. Bei diesem nahe Sikyon gelegenen Dörfchen wurde 1934 in einer Höhle eine Kultstätte mit zahlreichen Weihgaben entdeckt, darunter kleine Votivfiguren, eine Öllampe und Münzen, vor allem aber die Reste von vier kleinen Pinakes aus Zypressenholz, die sich auf dem Grund der Höhle im Schlamm relativ gut konserviert hatten. Das am besten erhaltene Exemplar mit einer Opferszene trägt zusätzlich eine Weihinschrift an die Nymphen. Ein anderes, ebenfalls ganz erhaltenes Täfelchen weist leider nur noch geringe Spuren der Malschicht auf; von den restlichen Pinakes liegen zwar nur Fragmente vor, doch zeigt die noch sichbare Malerei gut konservierte Farben.

Dem Faltenstil der Gewänder ist zu entnehmen, daß das älteste Fragment der Serie, drei Frauen in einem Mantel zeigend, noch vor der Mitte des 6. Jahrhunderts entstanden ist, die Opferszene etwa um 540 v. Chr. und das andere Fragment mit bereits „räumlich“ gestaffeltem Faltensaum um 510 v. Chr. Die übrigen Weihgeschenke der Grotte entstammen wesentlich späterer Zeit; vielleicht hat man den Brauch, solche Pinakes zu weihen, später aufgegeben. Die Malerei ist in Temperatechnik auf eine gelblich-weiße Kreidegrundierung aufgebracht. Von ihr heben sich die Gestalten der Opferszene in ihren hellblauen Chitonen und roten Mänteln prägnant ab. Durchwegs sind die Farbflächen dunkel konturiert‚ lediglich für die Umrißlinien des helleren Fraueninkarnats ist ein rötlicher Ton gewählt. Im Gesamtkolorit dominiert der Blau-Rot-Kontrast, dies gilt auch für die beiden Fragmente. Sehr sparsam werden dagegen außer Schwarz ein blasses Gelb-Grün und ein dunkles Violett-Rot verwendet.

Mehr als zwei Jahrhunderte jünger ist das 18,4 cm hohe Fragment einer Holztafel mit einer thronenden Frau, das 1970-71 von britischen Forschern im ägyptischen Sakkara gefunden wurde. Auch auf dieser Tafel dient die grauweiße Grundierung zugleich als neutraler Bildhintergrund. Der elfenbeinfarbene Thron ist mit roten Palmetten und Rosetten verziert, und über dem Sitz liegt ein Tuch vom gleichen Rot. Der durchsichtige, blaßblaue Chiton der Frau ist mit Goldstickerei versehen, an dem weißen Mantel hat sich dagegen keine Binnenzeichnung erhalten. Die schwach getönten Hautpartien weisen Abschattierungen, aber auch noch schwarze Konturlinien auf. In flotter Manier ist das schwarze Haupthaar mit seinen üppigen Schulterlocken dargestellt. Die eher handwerkliche Qualität des Pinax entspricht der Malweise auf gleichzeitigen frühhellenistischen Grabstelen.

Familie des Kaisers Septimius Severus,
Tempera auf Holz, frühes 3. Jh. n. Chr. (Berlin)
Ebenfalls in Ägypten, nämlich in der Nekropole der Oase Fayum, haben sich schließlich in großer Zahl kaiserzeitliche, bemalte Holztafeln erhalten, die als Mumienbildnisse dienten. Obwohl in sehr viel späterer Zeit entstanden, können sie hier nicht übergangen werden, da sie maltechnisch die griechische Tradition fortsetzen und vom Aussehen der antiken Tafelmalerei eine farbige Vorstellung vermitteln. Die Bildnisse geben die individuellen Gesichtszüge des Verstorbenen oft in frappierender Lebendigkeit wieder. Das Gesicht des Leichnams bedeckend, waren sie in die Mumie eingebunden. Viele Exemplare sind in einfacher Temperatechnik gemalt, für die eine matte Oberfläche charakteristisch ist, wobei die Buntwerte ihre Intensität aber nicht verlieren. Auch heben sich die Farben meist von einer weißen Kreide- oder Gipsgrundierung ab, nur gelegentlich sind sie unmittelbar auf das Holz gesetzt.

An einem unvollendeten Beispiel in Berkeley haben sich die Vorzeichnungen erhalten, dazu inschriftliche Angaben zur noch nicht ausgeführten Farbgebung. Wenn an den betreffenden Stellen vermerkt wird, daß die Dargestellte „ein grünes Kettchen" trug, am Gewand ein Purpurstreifen verlaufen solle oder welche Augenfarbe zu beachten sei, so wird damit ein Einblick in die Entstehung solcher Tafeln gewährt. Offenbar ließ man die Bildnisse vorsorglich anfertigen und bewahrte sie bis zum Todesfall auf. Der Notizen hätte es wohl nicht bedurft, wenn der Maler nicht das Gemälde in der eigenen Werkstatt hätte fertigstellen wollen. Bei der Tafel in Berkeley kam es aber aus uns unbekannten Gründen nicht mehr dazu.

Spuren der Wiederverwendung eines Tafelbildes
 des Apelles. Rom, Augustusforum.
Brillanter als die Temperabildnisse wirken die enkaustisch gemalten Mumienporträts; sie zeichnet allgemein ein leuchtendes, sehr differenziertes Kolorit aus. Wie man am pointillistisch wirkenden Farbauftrag erkennt, wurden meist nur die Gesichtszüge in dieser feineren Technik ausgeführt, während an den Gewandpartien ein breiterer Pinselstrich die flüchtigere Malweise verrät. Die oft ungeglättete Oberfläche der Inkarnatpartien rührt von der Arbeit mit dem Cauterium her, einem schmalen Bronzelöffelchen, mit dem man die Farbe auftrug. Als Bindemittel diente eine Emulsion aus Bienenwachs, das mit dem Pigment vermischt vor dem Auftragen erhitzt wurde. Die Cauterium-Enkaustik forderte vom Maler Sorgfalt und Geduld, da jeweils nur sehr kleine Farbmengen verarbeitet werden konnten, die, nebeneinander gesetzt, sich erst allmählich zur gewünschten Gesamtwirkung zusammenfügten. Aber diese Technik verlieh dem Gemälde Glanz und besondere Tiefe. In der als „Wachstempera“ bezeichneten Mischtechnik konnte durch Anwendung eines besonders flüssigen Wachses die Masse mit dem Pinsel, also rascher als mit dem Cauterium verteilt werden. Solche Bilder erwiesen sich jedoch als weniger haltbar. Mithin hat man den Gesichtern der Mumienbildnisse durch die Cauteriumtechnik nicht nur eine intensivere Farbwirkung, sondern auch bessere Haltbarkeit verliehen.

Was diese wenigen Originale antiker Tafelmalerei auf Holz zu unserer Kenntnis beitragen, verlangt eine Ergänzung durch die Hinweise des Plinius, die sich unmittelbar auf die Technik der verlorenen Meisterwerke beziehen. In seinem Malerkatalog geht er in einem gesonderten Teil auf diejenigen Maler ein, die sich in der Enkaustik einen Namen gemacht haben (35,53 ff.). Zu ihnen gehörten Euphranor, Nikias, Pausias und Athenion (35,122). Die Mehrzahl der Maler arbeitete aber in der von Plinius nicht eigens beschriebenen, weil als üblich betrachteten Temperatechnik. Die Wachsmalerei galt als die vornehmere und effektvollere Kunst. Die Frage nach den Anfängen der Enkaustik vermag Plinius nicht zu beantworten, sicher scheint aber, daß die Technik, Bilder mit heißem Wachs „einzubrennen“, im 4. Jahrhundert einen hohen Stand erreicht hatte und damals erst mit der Temperamalerei zu konkurrieren begann. Angesprochen wird auch das Zeitraubende der Technik und das gewöhnlich daraus resultierende kleine Format enkaustischer Bilder.

Klapptürbilder auf einem Gesims. Wandgemälde in Pompeji, um 30 v. Chr.
Im übrigen sind verschiedene enkaustische Techniken bekannt gewesen: „In alter Zeit hat es zwei Arten, enkaustisch zu malen, gegeben, die mit Wachs und die auf Elfenbein mit dem Cestrum (Brenngriffel), bis angefangen wurde, die Kriegsschiffe zu bemalen. So kam die dritte Art hinzu, heißflüssige Wachsfarben mit dem Pinsel aufzutragen, eine Malerei, die an den Schiffen weder durch die Sonne noch durch das Salzwasser oder durch Winde verdorben wird“ (35,149 ff.). Gemeinsam ist diesen Techniken nach Plinius offenbar das Einsetzen von Wärme. Seine Unterteilung bezieht sich auf die jeweils verwendeten Malgeräte, wobei allerdings das cauterium (griech. rhabdion) nicht nochmals eigens genannt ist.

Die Schiffsmalerei spielte in Griechenland eine wichtige Rolle, auch sie hatte gewiß als einfacher Handwerkszweig eine alte Tradition, und Plinius erwähnt sie als letzte in seiner chronologischen Abfolge, weil sie wohl seit dem 4. Jahrhundert reichere Formen annahm (vgl. Plinius 35,101; 135). Selbstverständlich wurde hier angesichts der großen Flächen mit einem gröberen Werkzeug, dem Borstenpinsel, gearbeitet.

Plinius liefert auch einige Informationen zu den in der Antike verwendeten Bindemitteln. Wachs mußte zu einer Emulsion aufbereitet werden, um die Farbe verstreichbar zu machen. Man vermutet, daß es sich dabei vorwiegend um das häufig erwähnte punische Wachs handelte, dessen Herstellungsrezept Plinius an anderer Stelle beschreibt (21,84). Von Interesse sind ferner verstreute Angaben zu den in der Temperatechnik üblich gewesenen Bindemitteln. Danach ist die Eitempera ebenso bezeugt wie die Verwendung von Gummi und von Leim, den man aus Stierohren oder Stierhoden kochte.

Frauenprozession. Klapptürbild in hellenistischem Stil
Unter den Malgeräten der Temperatechnik ist außer dem Pinsel aus feinen Haaren, dem penicillum (gr. grapheion oder graphis) auch der Schwamm zu nennen. Man hatte ihn nicht nur zur Reinigung und zum Auswischen mißlungener Teile stets zur Hand, sondern konnte mit kleineren Stücken, die an einem Griffel befestigt waren, auch Farbe auftragen (Plinius 9‚148). Es muß offen bleiben, welche Form des Schwamms man sich vorzustellen hat, als Protogenes bzw. Nealkes damit den Effekt des Schaumes vor dem Maul des Tieres erzeugte. Möglicherweise ist in den Anekdoten das Malgerät selbst gemeint.

Zusätzliche Informationen lassen sich schließlich aus den Beigaben römischer Malergräber und bildlichen Darstellungen von Malerwerkstätten gewinnen. Das Grab von St. Médard-des-Prés bei Fontenay-le-Comte enthielt neben zahlreichen Farbnäpfchen und einem Mörser aus Alabaster ein Bronzekästchen mit Schiebedeckel, das in vier mit einem Silberrost oben abgedeckte Behälter unterteilt ist, ferner ein Etui mit zwei Bronzelöffelchen, zwei kleine Schaufeln aus Bergkristall und zwei 12 cm lange Pinselstiele aus Bein. Bei den Löffelchen handelt es sich offenbar um Cauteria; am einen Ende zeigen sie den sehr schmalen Löffel, am anderen eine Verdickung zum Verstreichen oder Festdrücken der Farbe. In dem Kästchen fanden sich auch Farbreste, und man vermutet, daß es zum wechselweisen Erhitzen der Cauteria diente. Bildliche Darstellungen römischer Zeit weisen dagegen Kästchen auf, in denen Farbnäpfe stecken; wahrscheinlich handelt es sich um die von Varro erwähnte arculae loculatae. Die Bilder zeigen außerdem, daß der Maler noch keine Palette der heutigen Form verwendete, sondern in der linken Hand die Farben in einer Schale oder Muschel bereit hielt. Die Holzgestelle, die als Staffelei dienten, ähneln dagegen verblüffend den heute noch verwendeten Formen. […]

Quelle: Ingebog Scheibler: Griechische Malerei der Antike. München, Beck, 1994, ISBN 3-406-38492-7. Zitiert wurde aus den Seiten 9-10, 14, 21-22, 94-100.

Götterpaar. Tafelbild aus dem Fayum, Tempera auf Holz, 3. Jh. n. Chr.



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