Henry Cowell wurde 1897 als Sohn eines irischen Einwanderers und einer couragierten Mutter aus dem amerikanischen Mittelwesten geboren. Nach der Scheidung der Eltern versuchte die Mutter, den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn zu verdienen, doch eine schwere Krankheit führte zu bitterer Armut. Henry verließ die Schule nach der dritten Klasse und verdiente mit dem Haus-zu-Haus-Verkauf von Blumen, als Kuhhirte und mit der Reinigung des Schulgebäudes das nötige Zubrot. Ein Professor der Stanford-Universität bemerkte, daß der verschmutzte Zwölfjährige einen immensen Wortschatz, ein außergewöhnlich breitgefächertes Wissen — einschließlich einer tiefen Kenntnis der Botanik — und ein enormes musikalisches Talent hatte, aber kaum buchstabieren konnte. Er vermittelte Cowell Englischunterricht in Stanford Unhersity und ein Musikstudium an der University of California in Berkeley, wo der renommierte Charles Seeger die unorthodoxen musikalischen Ansichten des jungen Studenten in geordnete Bahnen lenkte. Es dauerte nicht lange, bis Cowell mit ersten Kompositionen an die Öffentlichkeit trat.
Nach dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg entwickelte sich Cowells Karriere sprunghaft. Das sog. „Ton-Cluster" (ein Übereinanderstellen zweier oder mehrerer in der Notation unmittelbar benachbarter Töne) wurde zu seinem Markenzeichen. Diese Tontrauben, die gelegentlich bereits in der Klaviermusik früherer Jahrhunderte begegnen, dominieren bei ihm oft ganze Stücke und verlangen vom Interpreten nicht selten den Einsatz des Unterarms, der flachen Hand oder der Faust. Das Spektakel eines sich mit diesen ungewöhnlichen Mitteln produzierenden Pianisten, der später auch die Saiten des Flügels mit den Händen anriss oder über sie hinwegstrich, machte Cowell zu einer internationalen Kuriosität. Während nur wenige Kritiker die musikalische Basis dieser Technik erkannten, zweifelte kaum jemand an Cowells künstlerischer Integrität. Zu den Berufskollegen, die ihn bewunderten, zählten neben Artur Schnabel und Alban Berg auch Béla Bartók, der Cowell persönlich um Erlaubnis bat, Ton-Cluster auch in seiner eigenen Musik zu verwenden. Obgleich Cowells Klavierwerke neue Klanghorizonte öffneten, so koexistierten seine fortschrittlichen Ideen stets mit einer traditionellen, von seiner Vorliebe für Folklore beeinflussten Melodik, die selbst seine experimentellste Musik unmittelbar zugänglich macht.
Henry Cowell in jungen Jahren, mit Klavier |
Vestiges (1920) zeigt eine gewisse Verwandtschaft mit dem europäischen Expressionismus, schweißt jedoch atonale Harmonien zu einem tonalen Rahmenwerk zusammen. Der Suche nach rhythmischer Freiheit entsprang das kurze Stück Euphoria (ca. 1929), dessen Musik gleichsam über die Taktgrenzen hinausfließt. (Obwohl dieser Titel heute allgemein gebräuchlich ist, lässt Cowells Handschrift vermuten, dass er ursprünglich „Euphonia" lauten sollte. Das lärmende What's this (ca. 1915) ist wildgewordene Motorik; ein englischer Kritiker witzelte, seine Antwort auf die Frage nach den Werktitel sei nicht druckreif! Elegie, komponiert um 194l, verwendet Cowellsche Techniken in einem eher konservativen Stil.
The Banshee (1925), obwohl ursprünglich nicht als Programm-Musik konzipiert, ist untrennbar mit der Legende des irischen Hausgeists verbunden, der seine Klage immer dann erhebt, wenn ein Familienmitglied im Sterben liegt. Während ein Assistent das rechte Pedal betätigt, wirbelt der Pianist im Innern des geöffneten Flügels wie eine Hexe über einem brodelnden Kessel und zaubert protoelektronische Klänge hervor.
Cowells Schaffen begann bereits früh vielfältigere Formen anzunehmen. In dem visionaren Buch New Musical Resources (1916-19. erschienen 1930) formulierte er erstmals seine Ideen. Zur Theorie kam mit der Gründung der California Society for New Music 1925 die Praxis hinzu — dieser Verein, ein Unterstützungsorgan für junge Komponisten, organisierte zunächst Konzertveranstaltungen und brachte später auch die Zeitschrift New Music mit neuen Werken etablierter und aufstrebender Künstler sowie eine Schallplattenreihe heraus. In den frühen 1930er Jahren initiierte Cowell ein zukunftweisendes Musikprogramm an der New School for Social Research in New York, das einzigartige Einblicke in außerwestliche Musik vermittelte. Ein Guggenheim-Stipendium gab ihm 1931-32 die Gelegenheit, seine Kenntnisse der Musik anderer Weltkulturen am Berliner Phonogrammarchiv zu erweitern. All diese Erfahrungen flossen in seine Kompositionen, Vorlesungen und Schriften ein, in denen er seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, dass sich die gigantische ethnische Vielfalt der Musik zu neuen, ungewöhnlichen Amalgamen umschmelzen lässt. Nicht zuletzt durch seine Rundfunksendereihe Music ofthe World's‘ Peoples und das Folkways-Schallplattenlabel wurde er zum führenden Propagator für außerwestliche Musik.
Henry Cowell, mit Assistent |
Das Jahr 1936 war der Beginn einer für den Komponisten schwierigen Zeit. Im Rahmen einer allgemeinen kalifornischen Hysteriekampagne gegen sexuelle Delikte wurde er wegen angeblicher Gesetzesübertretungen zu einer fünfzehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der er vier Jahre in der San Quentin-Haftanstalt verbüßte, bevor er auf Bewährung entlassen wurde und nach New York ging. wo er die Volksliedsammlerin Sidney Hawkins Robertson heiratete. 1942 hatte ihn der Gouverneur von Kalifornien begnadigt, nachdem sogar der Staatsanwalt eingesehen hatte, dass die Verurteilung unrechtmäßig gewesen war. Während der letzten Jahre seines Lebens unterrichtete Cowell an der New School for Social Research, der Columbia University, dem Peabody Conservatory und anderen Institutionen.
Eines seiner erstaunlichsten Werke der Nachkriegszeit — und eines von verschiedenen Stücken, in denen er seine eigenen Ideen einer Weltmusik verwirklichte — ist Set of Five (1952). Im gleichsam barocken Largo werden Klavier und Violine von einem rhythmischen „Continuo“ aus gedämpften Gongschlägen begleitet. Das Allegro verschmilzt Violine, Klavier und Xylophon zu einer einzigen Farbe, während ein kontrastierendes „Trio" mit Effekten im tiefen Klangregister überrascht. Der mittlere, einem barocken Cantabile ähnelnde Satz besitzt gleichwohl eine höchst unbarocke, von indischen Tablas oder, wie in unserer Einspielung, von Tam-Tams erzeugte Begleitung. Im Presto setzen ein indisches Jalatarang bzw. fünf Porzellan- oder Metallschüsseln (Continuum verwendet Suppenschüsseln) die charakteristischen Akzente. Hinter der kontinuierlichen Variation, die die beiden scherzoartigen Sätze zu monumentalen Zungenbrechern macht, verbirgt sich eine klare formale Logik. Im majestätischen Finale lässt Cowell seine ganze Kompositionspalette aufblitzen: Ton-Cluster, Obertöne der Klavier-Saiten, außerwestliches Schlagzeug, tonale Harmonien und eine geradezu herausfordernde Sang1ichkeit.
Henry Cowell spielt die Shakuhachi, mit Edgar Varese |
Hommage to Iran, als Duo veröffentlicht, war ursprünglich als Trio gedacht. In der Druckfassung dämpft der Pianist die Klaviersaiten mit den Fingern, um den Klang einer Trommel zu imitieren. In der 1963 mit Cowells Zustimmung entstandenen Einspielung wurden der erste und dritte Satz sowie Teile des vierten von einem Geiger und einem Schlagzeuger gespielt, wobei als Trommel ein arabisches oder türkisches Dombak verwendet wurde: Gemeint war jedoch das persische Zarb, eine becherförmige Trommel aus Holz, die auch als Tombak bekannt ist. Nachdem ich das Stück bereits in der veröffentlichten Version aufgeführt hatte, studierte ich das Zarb, um Cowells Originalfassung so nahe wie möglich zu kommen. Ahnlich wie Set of Five enthält auch Hommage to Iran einen Cowellschen „Hummelflug“.
Das reiche künstlerische Erbe, das Cowell bei seinem Tod neben einer Vielzahl großartiger Werke hinterließ und das in den Arbeiten namhafter Schüler wie John Cage oder Lou Harrison eine würdige Fortsetzung fand, besteht nicht zuletzt in den von ihm ausgehenden Impulsen für die Bereitschaft eines breiten Publikums, sich für außerwestliche Musik zu begeistern. Cowells unermüdlicher Einsatz für den kompositorischen Nachwuchs seines Landes sorgte für ein Klima des Individualismus, das jene grenzenlosen Energien freisetzte, die die Vereinigten Staaten zu einem Weltzentrum der Komposition machten.
Quelle: Joel Sachs (Deutsche Fassung: Bernd Delfs), im Booklet
TRACKLIST Henry Cowell (l897-l965): A Continuum Portrait - 2 Homage to Iran 14:50 01 Andante rubato 6:43 02 Interlude: Presto 1:09 03 Andante rubato 3:18 04 Con spirito 3:41 Mark Steinberg, Yiolin; Joel Sachs, Persian Drum; Cheryl Seltzer, Piano 05 Piece for Piano with Strings 3:34 06 Vestiges 2:31 07 Euphoria 0:59 08 What's This 0:35 09 Elegie 5:16 10 The Banshee 2:05 Cheryl Seltzer, Piano Two Songs (Poems of Catherine Riegger) 4:23 11 Sunset 1:52 12 Rest 2:31 Raymond Murcell, Baritone; Cheryl Seltzer, Piano Six Casual Developments 7:43 13 Rubato 0:51 14 Andante 1:11 15 Andante 1:57 16 Allegro 0:53 17 Adagio cantabile 1:44 18 Allegretto con moto 1:09 David Krakauer, Clarinet; Joel Sachs, Piano Set of Five 16:32 19 Largo sostenuto 3:21 20 Allegro 2:10 21 Andante 4:09 22 Presto leggiero 2:20 23 Vigoroso 4:31 Marilyn Dubow, Violin; Gordon Gottlieb, Percussion; Joel Sachs, Piano Playing time: 59:44 Continuum (Cheryl Seltzer and Joel Sachs, Directors) www.continuum-ensemble-ny.org Tracks 5-12 and 19-23 recorded 1984 at the Great Hall at Copper Union, New York City. Tracks 1-4 and 13-18 recorded 1992 at the American Academy and Institute of Arts and Letters Producers: Cheryl Seltzer and Joel Sachs Engineer and Editor: Dr. Frederick J.Bashour Cover Photo: Henry Cowell playing The Banshee c. 1926 (C) 2006
Hugo Friedrich:
Petrarcas LauraLaura und Petrarca. Ausschnitt aus einem Wandgemälde in der Casa di Petrarca, Via Valleselle, 4, 35032 Arquà Petrarca (Padua). |
Weitere Datierungen enthält der Canzoniere selber. Sie bezeichnen jeweils die seit jener Begegnung in Avignon verstrichenen Jahre bis zum Tod der Herrin, es sind einundzwanzig, und vom Tode an weitere zehn Jahre; eine letzte Datierung (Sonett Nr. 336) gibt noch einmal Jahr, Tag und Stunde des Todes an. Vage Anspielungen auf Laura sind in einigen lateinischen Dichtungen enthalten. Ausführlich mit ihr beschäftigt sich der dritte Teil des Secretum, jedoch in bezug auf die Liebe zu ihr und auf das Schuldgefühl dieser Liebe, an der im übrigen weiterzudichten Petrarca ja nicht abließ.
Das ist alles: Rufname, Ort und Zeitpunkt der Begegnung, Ort und Zeitpunkt des Todes, Daten der Liebesdauer. In den dreißiger Jahren schon sind dem Freund und Gönner Petrarcas, Giacomo di Colonna, Zweifel an der realen Existenz Lauras gekommen. Er nennt die Liebesdichtungen erfunden und die Seufzer Petrarcas geheuchelt (ficta carmina; simulata suspiria). Dies wenigstens entnimmt man dem Antwortbrief Petrarcas. Dessen Antwort selber ist pathetisch, ausweichend, nichtssagend. Meine Blässe und mein Leiden, so lesen wir, sind doch Beweise genug für meine Liebe, denn wie sollte man derartiges heucheln? (Famil. II,9). Man kann es heucheln, vor allem dann, wenn der Briefschreiber in Avignon wohnt und der Adressat in Rom.
„Le Rime di M. Francesco Petrarca“ aus der Kölner „Biblioteca Petrarchesca Reiner Speck“. |
Trotzdem besteht kein zwingender Anlaß, Lauras Existenz zu leugnen. Allen Anlaß aber haben wir, die im Canzoniere gedichteten Situationen von realen Vorkommnissen zu trennen, und weiterhin, wie unten noch ausgeführt werden soll, zu bezweifeln, ob die Bedichtete auf den Namen Laura getauft war, obwohl das damalige Vorkommen dieses Namens in der Provence durchaus gesichert ist. Die Geschichte Lauras ist das, als was sie vor uns tritt: die innere Geschichte eines Liebenden. Wie diese, so hat auch sie ihre Wirklichkeit nur in der Dichtung selber. Aus einem Minimum an Tatsachen, die sich abgespielt haben können — die Begegnung, der Tod —, macht der Canzoniere ein Maximum an seelischen Ereignissen. Der Canzoniere hat genau den Rang, den Petrarca selber, im dritten Dialog des Secretum, der Erzählung Vergils von der Liebe Didos (Aeneis IV) zuschreibt: „Du weißt — so läßt er sich von Augustin sagen —, daß dies alles nur erdichtet ist, und doch achtete der Erdichter auf die Ordnung der Natur.“ Dies bedeutet: Dichtung muß in ihren Stoffen, die erfunden sein können, auf seelische Glaubwürdigkeit und Wahrheit bedacht sein. Der Canzoniere hat diese Wahrheit. Wir bedürfen zu seiner Auslegung nicht der Rekonstruktion einer Wirklichkeit, zu der uns ohnehin alle Materialien fehlen.
Francesco Petrarca im „Codex Pluteus“. Siena, 1463, Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz. |
Die dichterisch transformierte Laura ist eingesponnen in ein Netz von Zahlen. Auffallend dabei, daß Tag und Monat der Begegnung mit ihr die gleichen sind wie diejenigen ihres Todes: 6. April. Im dritten Gedicht des Canzoniere wird umschreibend gesagt, daß die Begegnung am Karfreitag stattgefunden habe; nach den Angaben eines anderen Sonettes (Nr. 211), sowie nach der Eintragung im Vergil-Kodex war es der Karfreitag des Jahres 1327. Doch fiel in jenem Jahr der Karfreitag auf den 10. April. Die Abänderung des Datums kann kaum anders als aus dem Bedürfnis nach Zahlensymbolik verstanden werden; sechs ist eine Sakralzahl: sechs Schöpfungstage, am sechsten ist der Mensch erschaffen; die patristische Theologie, mit der Petrarca vertraut war, fügte hinzu, daß am sechsten Tag Adam gesündigt habe und an einem sechsten Tag der Erlöser von der Sünde, Christus, geboren worden sei. Die Übereinstimmung zwischen beiden Daten wird noch dadurch enger, daß Begegnung wie Tod „zur ersten Stunde“ erfolgt sein sollen, d. h. zu einer Stunde, die nach heutiger Zeitrechnung acht Uhr morgens wäre (Nr. 336). […]
Laura im „Codex Pluteus“. Siena, 1463, Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz. |
Die wichtigste Verbindung in diesem System ist diejenige von Laura und lauro, Lorbeer. Letzterer ist das Attribut des Dichterruhms und des Gottes der Dichter, Apollon. Der immergrünende Baum, der, nach Plinius, als einziger unter allen Bäumen nicht vom Blitz getroffen wird, symbolisiert die Unsterblichkeit der Dichter. So kann Petrarca mit dem zu lauro umgebildeten Namen der Herrin auf sein eigenes, Unsterblichkeit erhoffendes Dichten verweisen, ja eine urbildliche Kausalität zwischen ihr und dem Dichten herstellen. Möglicherweise hat die wirkliche Laura gar nicht so geheißen; zu auffallend ist die Tauglichkeit des Namens zur symbolischen Verwendung, als daß man nur an einen Zufall glauben dürfte. Es scheint, daß Petrarca diesen Namen gewählt hat, um mit ihm eine für ihn so wichtige Funktion der Herrin auszudrücken, die Erweckung zum Dichter. Wie sehr er die Gleichsetzung von Laura und Lorbeer wollte, geht zudem aus dem dritten Dialog des Secretum hervor. Aus dem Gesichtspunkt der Selbstkritik, nämlich mit tadelnden Worten des Gesprächspartners Augustin, bekennt er, daß er nicht nur der Schönheit Lauras, sondern ebenso ihrem Namen verfallen sei, so sehr, daß er jeglichem verfalle, was diesem Namen ähnlich klinge, dem Ruhm am meisten.
Doch die symbolische Namenbeziehung reicht weiter. Da der Lorbeer die heilige Pflanze des Apollon ist, wird der Gott mehrmals im Canzoniere genannt, unter Auswertung seiner verschiedenen mythischen Rollen. Als Gott der Musen rechtfertigt er Petrarcas Äußerungen über das Dichten. In der Nachantike sah man beharrlicher als in der griechischen Mythologie in ihm den Sonnengott, Phoibos Apollon.
Laura krönt den Poeten. Miniatur aus Petrarcas Canconiere, 15. Jahrhundert, Biblioteca Medicea Laurenziana, Florenz. |
Zu diesen Vcrstrebungen treten noch folgende hinzu. Das klangähnliche l’auro, l’oro, erscheint im Goldhaar der Herrin. Das aus oro abgeleitete dorare (vergolden) wird von ihrem Antlitz, aber auch von den Pfeilen Amors gesagt. Die Sonne (Phoibos Apollon) wiederum dient zur Metapher für die Augen der Herrin. Aus dem Lorbeer ergibt sich weiterhin die Bildgruppe: Baum, Wurzel, Rinde, Blätter, dazu die Farbe grün, überwiegend auf Landschaften bezogen und nur in wenigen Fällen metaphoriseh gemeint. Zur Landschaft führt aber auch das Laub des Lorbeers und zugleich das Haar der Herrin. Denn gemäß einer schon antiken Gepflogenheit kann Haar metaphorisch für Laub verwendet werden. Dies ist auch bei Petrarca so, weshalb das entsprechende Wort chioma zum einen zwischen Laura und lauro vermittelt, zum andern von belaubten Bäumen zu sprechen gestattet. Landschaftlich auswertbar ist ferner l’aura soave, eine seit den Provenzalen übliche Metonymie für den Frühling, so daß Laura auch zum Symbolnamen des Frühlings als der Zeit des Liebens wird. Schließlich deutet der Komplex „Dichten“ ebenfalls in landschaftliche Elemente, nämlich vermittels des Wortes fiore, das als rhetorischer Terminus Schmuck des Ausdrucks, eine Figur der Redekunst bedeutet und mühelos zu Versen über blumenreiche Wiesen hinlenkt.
Gespräch im Garten |
Laura. Italienische Schule, 16. Jahrhundert. Habsburger Porträtgalerie, Schloss Ambras, Innsbruck |
Die in der Lyrik Petrarcas hin und her gehenden Wege zwischen Worten und Sachen sind keine natürlichen, vielmehr solche, die durch das Wort und den Mythos gebahnt werden. Wiederum sind sie nicht willkürliche Wege oder bloße Spielereien, denn sie gehorchen dem Gedanken, daß ein Wort das Wesen der Sache ausdrücke und die Wortähnlichkeit eine Gewähr für die Sachverwandtschaft biete. Das ist antik-mittelalterliches Erbe. Im Canzoniere vermählt sich die humanistische Sensibilität für die Schönheit der Sprache mit dem mittelalterlichen, auch bei Dante noch lebendigen Prinzip, ein Wort und eine Sache um so höher zu stellen, je reicher ihre Beziehungen und Analogien sind. Daher die Fülle im Namen der Laura: er ist verbunden mit Lorbeer, Ruhm, Apollon; daher die Vergeistigung der Landschaft: sie ist sinnenhaft, hell, bewegt und kommt mit ihren Blüten, ihrem Laub, ihrem Gold doch her aus den Unsichtbarkeiten, die in jenem Namen geborgen sind; daher die Rechtfertigung dieser Liebe: sie ist die Analogie zu Apollons Liebe für Daphne und ist der Ursprung eines Dichtens, das mythologisch in Beziehung zu Apollon steht.
Anselm Feuerbach (1829-1880): Laura in der Kirche, 1865. Neue Pinakothek, München |
Quelle: Hugo Friedrich: Epochen der italienischen Lyrik. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main, 1964. Zitiert wurde aus Kapitel IV: Francesco Petrarca, Seiten 192-201 (gekürzt)
Und es hat noch mehr moderne Klavier-Musik in der Kammermusikkammer:
... von Aribert Reimann (* 1936) | zur "Eisenbahn" von Edouard Manet.
... von Erik Satie (1866-1925) | zu den "Seagram Murals" von Mark Rothko.
... von Charles Ives (1874-1954) | zum "Hören-Sagen" von Lucien Febvre.
... von Fritz Kreisler (1875-1962) | Na gut: Violine statt Klavier, und der Klang ist auch nicht modern... Aber Caravaggios liebliche/grausame Bilder lohnen immer einen Besuch.
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