Die sechs hier aufgenommenen Werke stellen kaum mehr als zwei Jahre aus Wolfgang Amadeus Mozarts schöpferischem Leben dar - die Zeitspanne von Juli 1786 bis Oktober 1788.
Es ist dies die Zeit der Nozze di Figaro und des Don Giovanni, die Zeit auch seiner größten öffentlichen Berühmtheit, wenngleich die Dinge seit Mitte 1788 allmählich eine offenkundige Wendung zum Schlechteren nahmen.
Der unnötige Türkenkrieg Kaiser Josephs II. begann sich im öffentlichen Wiener Leben bemerkbar zu machen, da das Geld zur Unterhaltung knapp wurde; Don Giovanni hatte in Wien nicht den Erfolg erlebt, den er in Prag hatte feiern können (er war technisch zu schwer für die Musiker); und trotz seines unglaublichen Fleißes verschuldete sich Mozart. Vor dem Zeitalter des Urheberrechts war das Leben selbst für den erfolgreichsten Musiker unsicher.
M. M. Prechtl: Mozart in Mannheim
Trios mit einem Tasteninstrument gehörten zu Mozarts frühesten Produkten. Eine Serie von sechs Stücken (KV 10-15) erschien 1764 in London unter dem Titel "Sonate" (will sagen: Triosonaten) als sein Opus 3 im Druck. Ein weiterer Beitrag war das sehr schöne Divertimento KV 254 von 1776 - in fast jeder Hinsicht, nur nicht dem Namen nach ein Klaviertrio, das sich von den späteren Werken lediglich durch eine weniger selbständig geführte Cellostimme unterscheidet. Die fünf Trios für Klavier, Violine und Violoncello aus den Jahren 1786 und 1788 sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Einmal spielt das Cello hier eine emanzipiertere, wenngleich noch immer nicht wirklich prominente Rolle, zum andern haben Klavier und Violine brillante, virtuose Aufgaben zu erfüllen.
Das im Juli 1786 entstandene Trio in G-dur KV 496 bezeichnet Mozart selbst in der Überschrift des Manuskripts als "Sonata", wobei der Titel hier ein Witz ist. Das Stück tut in den ersten 17 Takten ganz wie eine Klaviersonate. Dann überrascht in Takt 18 der Einsatz von Violine und Violoncello (man könnte den Trick noch immer bei einer privaten Gesellschaft aufführen). Ein Solo spielt das Klavier auch am Anfang des langsamen Satzes; das Vorbild für den Einsatz der Stimmen ist hier der Beginn eines Opernensembles. Während sich der Satz entwickelt, ist es bis zu der nächtlichen Welt im vierten Akt des Figaro nicht mehr weit. Das Finale besteht aus einer Folge von Variationen über ein contredanseartiges Thema, das mehr wie eine dramatische Erzählung als um gegensätzlicher Wirkungen willen entwickelt wird.
M. M. Prechtl: Der gute Hirt Amadé
Der Kopfsatz des B-dur-Trios KV 502 (November 1786) ist sehr brillant; darin finden sich Andeutungen sowohl des "zigeunerischen" Stils als auch des Mozartschen alla turca, das Anfang der achtziger Jahre so etwas wie sein Markenzeichen war. Zugleich wird darin auch die Schreibweise der Beethovenschen Violinsonaten vorweggenommen. Selten gibt es bei Mozart Tempoangaben, die langsamer sind als Andante (= gehend); hier aber schließt sich als langsamer Satz ein Larghetto (= langsam, mit einer gewissen Breite) voller geduldiger Zärtlichkeit an. Das Finale ist ein Duo concertante für Klavier und Violine.
Der Kopfsatz des Trios E-dur KV 542 (Juni 1788) ist von beeindruckender Heiterkeit - wieder einer jener Augenblicke, in denen Mozart sich vor Beethoven beinahe wie Beethoven verhält. Das Andante grazioso hingegen nähert sich dem naiven Idiom der Zauberflöte. Das größte Gewicht der Erfindung findet man bei Mozart üblicherweise zu Beginn eines Satzes; in dem sprudelnden Rondo-Finale dieses Trios spart der Komponist jedoch einiges Feuerwerk bis zum Schluss auf. So scheint er damals kompositorisch überhaupt gedacht zu haben, denn dasselbe lässt sich auch im Finale des C-dur-Trios KV 548 beobachten, das er drei Wochen später in sein Verzeichnüß eintrug; gleichwohl markiert eben dieses Werk zugleich einen bedeutenden Schritt nach vorn, da es das erste dieser Stücke ist, in denen das Vioioncello als prominente Stimme hervortritt. Das Hauptthema des ersten Satzes spielt auf die Pauken und Trompeten an, die oft in C-dur benutzt wurden.
M. M. Prechtl: Gehorsamster Diener, mein Arsch ist kein Wiener
Im Zentrum des G-dur-Trio KV 564 (Oktober 1788) steht eine imponierende Variationsfolge, in der jedem Instrument ein Solo zugewiesen ist. Diese wird von der ländlichen Szene des Kopfsatzes mit seinen Dudelsack-Anklängen und einem ausgelassenen Ballsaal-Finale umrahmt.
Dieser nostalgische Faden durchzieht auch - vielleicht beunruhigender - den Kopfsatz des bekannten "Kegelstatt"-Trios KV 498, das Mozart im August 1786 komponierte. Hier verflechten und entflechten sich einfache Themen, indessen ein ferner Donner grollt. Das "Kegelstatt"-Trio erhielt seinen Namen, weil es Mozart während einer Kegelpartie komponiert (oder zumindest niedergeschrieben) haben soll. Die gleichaltrigen, wenig bekannten zwölf Duette für Hörner KV 487 entstanden jedenfalls, wie der Komponist selbst im Manuskript vermerkte, "untern Kegelscheiben". Sehr oft war die Niederschrift der Musik für Mozart eine mechanische, ermüdende Pflicht, und es ist gut möglich, dass er auf diese Weise einen der unbeschwertesten Sommer seines Lebens verbrachte.
M. M. Prechtl: Liebstes bestes Bässchen oder Violoncellchen
Eine weitere Überlieferung will, dass das Stück für Franziska von Jacquin entstanden sei, die Tochter des Kaiserlichen Professors für Botanik. Aus Mozarts Briefen geht hervor, dass er damals häufig im Hause Jacquin zu Gast war, und aus dem ungewöhnlichen Merkmal der Partitur - dass nämlich aile drei Sätze in einem moderaten Tempo gehalten sind - könnte man auf die Mitwirkung einer Amateurpianistin schließen. Bei der Premiere dürfte Mozart die Bratsche gespielt haben, die er in den Wiener Jahren als Streichinstrument bevorzugt haben soll. Sein enger Freund, der Virtuose Anton Stadler, spielte die Klarinette. Die unüblichen technischen Beschränkungen des Stückes scheinen Mozart eher inspiriert als behindert zu haben: Das "Kegelstatt"-Trio ist eines seiner erhabensten Kammermusikwerke.
Quelle: John Stone (Ubersetzung: Eckhardt van den Hoogen), im Booklet, Seite 7-9
TRACKLIST Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Piano Trios Klaviertrios Trios avec piano Compact Disc 1 68.40 Piano Trio in G K496 Klaviertrio G-dur Trio avec piano en sol majeur 1 I: Allegro 7.52 2 II: Andante 7.28 3 III: Tema con variazioni: Allegretto 9.48 Trio in E flat K498 'Kegelstatt' for piano, clarinet and viola Trio Es-dur für Klavier, Klarinette und Viola Trio en mi bémol majeur pour piano, clarinette et alto 4 I: Andante 6.35 5 II: Menuetto - Trio 5.26 6 III: Rondeaux: Allegretto 8.18 Piano Trio in B flat K502 Klaviertrio B dur Trio avec piano en si bémol majeur 7 I: Allegro 8.14 8 II: Larghetto 8.17 9 III: Allegretto 6.20 CD 1, Track 7, Klaviertrio B-Dur K502, I. Allegro Compact Disc 2 56.23 Piano Trio in E K542 Klaviertrio E-dur Trio avec piano en mi majeur 1 I: Allegro 7.50 2 II: Andante grazioso 3.54 3 III: Allegro 7.18 Piano Trio in C K548 Klaviertrio C-dur Trio avec piano en ut majeur 4 I: Allegro 7.03 5 II: Andante cantabile 8.47 6 III: Allegro 4.28 Piano Trio in G K564 Klaviertrio G-dur Trio avec piano en sol majeur 7 I: Allegro 4.54 8 II: Tema con variazioni: Andante 6.27 9 III: Allegretto 5.19 Daniel Barenboim piano Nikolaj Znaider violin Kyril Zlotnikov cello Matthias Glander clarinet (K498) Felix Schwartz viola (K498) Recorded/Aufgenommen/Enregistré: 12-14.IX.2005, Teldex Studio, Berlin Producer/Produzent/Directeur artistique: Martin Sauer Recording Engineer/Tonmeister/Ingenieur du son: Tobias Lehmann Editor/Schnitt/Montage: Rene Möller © + ® 2006 DDD
M. M. Prechts: Mozarts Brief
Alle Bilder in diesem Post stammen von dem Nürnberger Maler, Zeichner und Illustrator Michael Mathias Prechtl (1926-2003), der im Frühjahr 2001 durch die umfangreiche Ausstellung "Prechtls Welttheater" im Deutschen Historischen Museum geehrt wurde. Die Mozart betreffenden Graphiken entstanden als Buchillustrationen zu den Bäsle-Briefen:
Aus den Jahren 1777 bis 1781 haben sich neun Briefe von Wolfgang Amadeus Mozart an seine Base Maria Anna Thekla Mozart erhalten. In seiner Korrespondenz an das "Bäsle-Häsle" befreite sich Mozart für einen Moment vom beständigen Druck seiner ungewissen Zukunft. Hier lebte er auf und brachte die unernste, komische Seite seines Wesens zum Klingen. Berühmt sind die Bäsle-Briefe wegen der direkten und freizügigen, manchmal drastisch derben, von analerotischen Phantasien gespickten Sprache. Prechtl schuf 1990 seine fünf Aquarellzeichnungen auf Büttenpapier aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Besonders am Herzen lag ihm der Ton der Briefe. Mozarts aberwitzige Sprachkompositionen transponierte er ins Bild durch surreal-phantastische Formen. Körper sind Musik, so hat es den Anschein, "Körpermusik".
M. M. Prechtl: Selbstbild im April 80
Michael Mathias Prechtl: Selbstbild im April 80 (1980)
Zuerst erscheint alles eindeutig. Wirklichkeitsgetreu gibt sich die Selbstdarstellung des Malers. Der Naturalismus ist so weit getrieben, dass selbst das feinste graue Barthärchen noch zu seinem Recht kommt. Kritisch blickt der Künstler auf die Welt, geht zu ihr auf Distanz, um ein unabhängiges und unbestechliches Zeugnis von ihr abzulegen.
Allerdings trügt der naturalistische Schein. Und das aus mehreren Gründen.
Das Proportionsverhältnis des Körpers stimmt nicht. Der Kopf mit dem gewaltigen Vollbart ist zu groß. Dieses Missverhältnis könnte man fälschlich als Mittel der Karikatur des Selbst deuten. Tatsächlich knüpft der Maler mit dieser Form an die Tradition der flämischen Porträtmalerei an. Brustporträts aus der Künstlerwerkstatt des Meisters von Flémalle oder Jan van Eycks illustrieren das. Die Körperhaltung, die Prechtl einnimmt, ist auch vom Spiegel bedingt. Daher begegnen wir ihr oft in Autoporträts.
M. M. Prechtl: Hans Sachs von Richard Wagner besetzt
Prechtls Selbstbildnis weist einen nicht minder hohen Grad an Ähnlichkeit auf. Jedoch irritieren in der mit größter Perfektion vorgetragenen naturalistischen Darstellung die Attribute, die kunstvoll in Bart und Kleidung eingefügt und gleichsam mit dem Hemd zur Verschmelzung gebracht sind.
Wer ist dieser mittelalterlich gerüstete Krieger mit Schwert, der wie ein Torero den Stier mit einem roten Tuch reizt? Was bedeuten die Attribute? Sind sie Symbole? Wenn ja, wofür?
Ein Blick auf die westeuropäische Kunstgeschichte des Spätmittelalters ermöglicht Antworten. Die Ritterfigur mit dem wallenden blauen Schulterumhang, der dem Künstler zum modischen Accessoire gereicht, stellt den Erzengel Michael dar. In der mittelalterlichen Kunst tritt er mit Rüstung und Schwert im Kampf gegen Luzifer oder andere dunkle Kräfte auf.
Fast unverändert zitiert Prechtl diese Figur aus einem berühmten Gemälde: Der Fall der rebellischen Engel von Pieter Brueghel dem Älteren (1527/28?-1569).
M. M. Prechtl: Amor und Psyche untersuchen Dr. Freud
Einzige Abweichungen: das rote Tuch, das den Schild, und der Stier, der das Ungeheuer ersetzt. Aber warum ein Stier? Und in welcher Beziehung stehen Tier, Erzengel und Maler? Eine Gemeinsamkeit liegt auf der Hand. Erzengel und Künstler sind Namensvettern. Beide heißen Michael. Das ist aber nicht alles. Der Erzengel Michael war im Mittelalter der Schutzpatron der Maler. Der Stier ist
Sternzeichen - Prechtl ist im April 1926 geboren - und Symboltier zugleich. Und er ist das Attribut eines weiteren Heiligen, des heiligen Lukas, des Schutzpatrons der Malergilden.
Lukas ist einer der vier Evangelisten. In der mittelalterlichen Evangelistendarstellung hat jeder der vier ein Tiersymbol. Bei Lukas ist es der Stier. Er symbolisiert die inspirative Kraft. Zwei Darstellungstypen des Lukas waren in der Kunst des Spätmittelalters weit verbreitet: der sitzende Gelehrte, der die heiligen Schriften zu Papier bringt, und der Maler der Gottesmutter Maria, die ihm mit dem Kind "Modell" sitzt. Oft dabei ist der Stier.
M. M. Prechtl: Die Vollendung der Malerei in der jüngeren Altsteinzeit, der Altamira-Maler bei der Arbeit
Das Attribut des Stieres legt nahe, dass sich Prechtl in seinem Selbstbildnis auch als Evangelist Lukas darstellt. Dass hier ein "Rollenspiel" aufgeführt wird. Wir sehen Prechtl am Tisch sitzend, im Begriff, mit seinem Pinsel seine Gedanken auf das vor ihm liegende Papier zu bringen. Beide angesprochenen Darstellungstypen des Evangelistenbildes sind in Prechtls Selbstbildnis zu einem Bild "zusammengezogen". Es zeigen sich der Denker an seinem Schreibtisch und der Maler (in seiner Werkstatt), dessen Blick von etwas außerhalb des (Bild)Raumes, für uns unsichtbar, gebannt ist. Durch die Verknüpfung beider Darstellungstypen präsentiert sich Prechtl als Denker und Maler, als Denkmaler.
In der figurativen Kunst der BRD und der DDR der 70er und 80er Jahre ist die Reflexion und die Rezeption der Kunst des Spätmittelalters und der Renaissance keinesfalls selten. Prechtls manieristische Form ist kein Einzelfall. Besonders in der Kunstströmung des Realismus ist sie anzutreffen, oft als Verfremdungs- (V-) Effekt. Hierin offenbart sich Prechtl als "Realist". Er verfremdet die von ihm aufgezeichnete Gegenwart oder Vergangenheit so, dass sie von sich andere als die vertrauten Ansichten gibt und damit eine weitere, entweder nicht gezeigte oder nicht wahrgenommene Wirklichkeit preisgibt.
M. M. Prechtl: Das utopische Prinzip
Seine "Ehrfurcht" vor den großen Traditionen und Werken der Kunstgeschichte ist keine Ehrfurcht in dem Sinne, dass sie ihn in Ehrerbietung, gar Anbetung einer fetischisierten Kultur paralysiert, wie das oft der Fall war beim Umgang des Bildungsbürgers mit den Relikten der sogenannten Hochkultur Westeuropas. Prechtl arbeitet dagegen. Er sieht in Kunstgeschichte und Geschichte einen nützlichen Steinbruch zum Schaffen von Neuem. Er spielt mit dem alten Material, passt es seinen Interessen und Bedürfnissen an, befragt es als Dialektiker zugleich neu auf die Gegenwart hin. Geschichte und Gegenwart werden zu einem neuen, verfremdeten Bild der Wirklichkeit zusammengesetzt.
Quelle: Kai Artinger: Lukas und der Stier – Bildbetrachtung zu M. M. Prechtls Selbstbild April 80
CD 2, Track 6, Klaviertrio C-Dur K548, III. Allegro
CD Info (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 50 MB
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Reposted on May 10, 2014
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