Damit eckt Fauré immer wieder an und irritiert Traditionalisten und Avantgardisten gleichermaßen, gilt den einen als gefährlicher Revolutionär, den anderen als rückwärtsgewandter Epigone. Verinnerlichung, Emotion, Intimität, Leichtigkeit und Eleganz spielen in seiner Musik eine große Rolle, aber auch Innovation und die Überwindung von Regeln und Mustern.
Über die Musik von Gabriel Fauré äußerte sich sein Lehrer Camille Saint-Saëns überschwenglich: “Man findet in ihr alles, was verführen kann: neue Formen, kühne Modulationen, kuriose Klänge, einen gänzlich unvorhersehbaren Gebrauch der Rhythmen; und über all dem waltet ein Zauber, der das ganze Werk umhüllt und der die breite Masse der gewöhnlichen Zuhörer dazu bringt, ungeahnte Kühnheiten als die natürlichste Sache von der Welt hinzunehmen.”
Quellen: [1] [2]
CD 1, Track 5: Les Matelots, Op. 2 No. 2 (Théophile Gautier)
Les Matelots
(Théophile Gautier)
Sur l'eau bleue et profonde,
Nous allons voyageant.
Environnant le monde
D'un sillage d'argent.
Des îles de la Sonde,
De I'Inde au ciel brulé,
Jusqu'au pòle gelé!
Nous pensons à la terre
Que nous fuyons toujours.
A notre vieille mère,
A nus jeunes amours.
Mais la vague légère
Avec son doux refrain,
Endort notre chagrin!
Existence sublime.
Bercés par notre nid.
Nous vivons sur l'abîme,
Au sein de l'infini,
Des flots rasant la cîme.
Dans le grand désert bleu
Nous marchons avec Dieu!
CD 2, Track 16: Clair de Lune, Op. 46 No. 2 (Paul Verlaine)
Clair de Lune
(Paul Verlaine)
Votre ânne est un paysage choisi
Que vont charmants masques et bergamasques,
Jouant du luth et dansant, et quasi
Tristes sous leurs déguisements fantasques!
Tout en chantant sur le mode mineur
L'amour vainqueur et la vie opportune.
Ils n'ont pas l'air de croire à leur bonheur,
Et leur chanson se mêle au clair de lune,
Au calme clair de lune triste et beau,
Qui fait rêver, les oiseaux dans les arbres,
Et sangloter d'extase les jets d'eau,
Les grands jets d'eau sveltes parmi les marbres,
CD 3, Track 3: La Bonne Chanson, Op. 61 - III. La lune blanche luit dans les bois (Paul Verlaine)
La Lune blanche luit dans les bois
(Paul Verlaine)
La lune blanche
luit dans les bois
De chaque branche
part une voix
sous la ramée.
O bien aimé ...
L'étang reflète,
profond miroir,
la silhouette
du saule noir
où le vent pleure.
Rêvons, c'est l'heure.
Un vaste et tendre
apaisement
semble descendre
du firmament
que l'astre irise.
C'est l'heure exquise!
CD 4, Track 2: La Chanson d'Eve Op. 95 - II. Prima verba (Charles van Lerberghe)
Prima verba
(Charles van Lerberghe)
Comme elle chante
Dans ma voix
L'âme longtemps murmurante
Des fontaines et des bois!
Air limpide du paradis,
Avec tes grappes de rubis,
Avec tes gerbes du lumière,
Avec tes roses et tes fruits,
Quelle merveille en nous à cette heure!
Des paroles depuis des âges endormies,
En des sons, en des fleurs
Sur mes lèvres enfin prennent vie.
Depuis que mon souffle a dit leur chanson,
Depuis que ma voix les a créés,
Quel silence heureux et profond
Naît de leurs âmes allégées!
Lehrjahre eines Philosophen
Das "Erste Buch" aus des Kaisers Marcus Aurelius Antoninus Selbstbetrachtungen
Kaiser Marc Aurel. Porträtkopf, Büste ergänzt, Marmor, Höhe 37 cm, Römisch, 170 - 180 n. Ch, Kunsthistorisches Museum, Wien |
Mein Großvater Verus gab mir das Beispiel der Milde und Gelassenheit.
2.
Meinem Vater rühmte man nach, er habe einen echt männlichen und dabei bescheidenen Charakter besessen, worin ich ihm nachahmte.
3.
Meine Mutter war mir durch ihre Frömmigkeit und Wohltätigkeit ein Vorbild; ich bestrebte mich, ihr gleichzukommen und das Böse weder zu tun noch auch nur zu denken und wie sie einfach und mäßig zu leben, weit entfernt von dem gewöhnlichen Luxus der Großen.
4.
Meinem Urgroßvater, nach dessen Willen ich die öffentlichen Schulen nicht besuchen sollte, verdanke ich es, daß ich zu Hause den Unterricht tüchtiger Lehrer genoß, und ich erkannte, daß man hierin nicht genug tun könne.
5.
Von meinem Erzieher lernte ich, in den Zirkusspielen weder für die Grünen noch für die Blauen, in den Gladiatorengefechten weder für die Rundschilde noch für die Langschilde Partei zu nehmen, wohl aber Anstrengun gen zu ertragen, mit Wenigem zufrieden zu sein, selbst die Hand ans Werk zu legen, mich nicht in die Angelegenheiten anderer zu mischen und unzugänglich für Angeberei zu sein.
Denar des Marcus Aurelius, Rom, 168 n. Chr. |
Diognetus ?ößte mir Haß gegen alle nichtigen Befürchtungen ein und Ungläubigkeit gegenüber den Gauklern‚ Beschwörern‚ Wahrsagern und dergleichen, hielt mich von der Wachtelpflege und ähnlichem Aberglauben zurück und lehrte mich das freie Wort dulden und mich ganz der Philosophie ergeben. Er ließ mich erst den Bacchius, dann den Tandasis und Marcianus hören, unterwies mich, als Knabe Dialoge zu schreiben, und bewirkte es, daß ich kein anderes Nachtlager als ein Bretterbett und eine Tierhaut begehrte und was sonst zur Lebensart der griechischen Philosophen gehort.
7.
Rusticus machte mir begreiflich, daß ich immer an der Bildung und Besserung meines Charakters zu arbeiten hätte, die falschen Wege der Sophisten vermelden müßte, keine leeren Theorien aufstellen, keine Reden des Beifalls wegen halten, noch den Mann von großer Wirksamkeit und Mildtätigkeit vor den Augen der Menge spielen sollte. Durch ihn blieb mir jedes rednerische und dichterische Wortgepränge, jede Schönrednerer fremd, sowie jede Eitelkeit in der Kleidung oder sonstiger Luxus. Er riet mir auch, meine Briefe immer ganz einfach zu schreiben, wie er einen solchen von Sinuessa aus an meine Mutter schrieb; mich leicht versöhnlich zu zeigen; jeden Augenblick zum Verzeihen bereit zu sein, sobald diejenigen, die mich beleidigt haben, durch ihre Worte oder ihr Benehmen mir ihr Entgegenkommen zeigen; auf meine Lektüre eine gewisse Sorgfalt zu wenden; mich nicht mit oberflächlichem Wissen zu begnügen, nie den Großsprechern vorschnell meine Zustimmung zu geben. Endlich verdanke ich ihm die Erklärungen des Epictet‚ die er mir aus seiner Büchersammlung mitteilte.
Reiterstatue Mark Aurels, Kapitolinische Museen, Rom. |
Von Apollonius lernte ich die freie Denkart, zwar mit Bedachtsamkeit, doch ohne Wankelmut auf nichts Rücksicht zu nehmen als auf die gesunde Vernunft und stete Seelenruhe zu bewahren unter den heftigsten Schmerzen, beim Verlust eines Kindes und in langwierigen Krankheiten. Er war mir ein lebendiges Beispiel, wie man zugleich ernsthaft und doch leutselig kein könne. Er zeigte sich beim Unterrichte nie mürrisch oder ungeduldig und war dabei auf seine Lehrgeschicklichkeit nicht im geringsten eingebildet. Von ihm endlich lernte ich, wie man Wohltaten von Freunden anzunehmen hat, ohne sich weder zu demütigen noch auch unerkenntlich dafür zu sein.
9.
Sextus war mir das Muster des Wohlwollens, das Beispiel eines echten Familienvaters; an ihm lernte ich, was es heißt, nach der Natur leben. Seine Würde hatte nichts Gezwungenes‚ er wußte zuvorkommend die Wünsche seiner Freunde zu erraten und ertrug geduldig die Unwissenden und diejenigen, die ohne Überlegung urteilen. Er schickte sich in alle Menschen, und so fand man seinen Umgang angenehmer als alle Schmeicheleien, und dabei empfand man gleichzeitig eine tiefe Hochachtung für ihn. Er verstand es, die zur Lebensweisheit erforderlichen Vorschriften klar und regelrecht zu entwickeln und zu verknüpfen. Man bemerkte niemals das geringste Zeichen des Zornes oder irgendeiner andern Leidenschaft an ihm, aber bei aller Leidenschaftslosigkeit war er der liebreichste Mensch. Er hielt auf den guten Ruf, jedoch ohne Aufsehen, er war ein Gelehrter ohne Kleinigkeitskrämerei.
Marc Aurel erscheint um 13 Uhr auf der Ankeruhr, Wien |
Von Alexander, dem Grammatiker, sah ich, daß er gegen jedermann nur mit Schonung verfuhr; er machte niemals eine beleidigende Bemerkung wegen eines fremdartigen oder sprachwidrigen Ausdrucks oder wenn sonst jemand fehlerhaft sprach; an dessen Stelle nannte er einfach den richtigen Ausdruck, doch nicht so, daß es eine absichtliche Korrektur schien, sondern als wäre es eine Antwort oder Bestätigung oder um zu untersuchen, nicht etwa das Wort, sondern die fragliche Sache, oder er gebrauchte einen andern derartigen Ausweg, den der Unterricht mit sich brachte.
11.
Durch Fronto wurde ich belehrt, daß mit der Willkürherrschaft Neid, Ränkesucht und Verstellungskunst verknüpft sind und wie wenig Menschenliebe diejenigen im Herzen tragen, die wir Patrizier nennen.
l2.
Von Alexander, dem Platoniker, habe ich gelernt, niemals ohne Not zu sagen oder zu schreiben: Ich habe keine Zeit, und nie ein solches Mittel zu gebrauchen, um unter Vorwand dringender Geschäfte die Pflichten, die uns die Freundschaft auferlegt, zurückzuweisen.
13.
Catulus lehrte mich, gegen die Klagen eines Freundes, selbst wenn sie unbegründet wären, nicht gleichgültig zu sein, vielmehr sein volles Vertrauen zu gewinnen, sich immer seiner Lehrer zu rühmen, wie Domitius und Athenodotus getan, und seinen Kindern die reinste Liebe zu erweisen.
14.
Severus war mir ein Beispiel in der Liebe zu unseren Verwandten wie auch in der Wahrheitsund Gerechtigkeitsliebe. Durch ihn wurde ich auf Thraseas, Helvidius, Cato, Dion und Brutus hingewiesen, durch ihn bekam ich einen Begriff, was zu einem freien Staate gehört, wo vollkommene Rechtsgleichheit für alle ohne Unterschied herrscht und nichts höher geachtet wird als die Freiheit der Bürger. Von ihm lernte ich, immer dieselbe sich nie verleugnende Hochachtung für die Philosophie zu bewahren, wohltätig und freigebig zu sein, von meinen Freunden das Beste zu hoffen und auf ihre Liebe zu vertrauen; wenn sie Veranlassung zur Unzufriedenheit gegeben, dies nicht zu verhehlen, so daß sie nicht zu erraten haben, was man will oder nicht will, sondern es ihnen offen vor Augen zu führen.
15.
Beherrsche dich selbst! sagte Maximus, sei fest in den Krankheiten und allen Verdrießlichkeiten, behalte immer die gleiche mit Milde und Würde gepaarte Laune und verrichte die dir obliegenden Geschäfte ohne Widerstreben. Von ihm war jeder überzeugt, daß er so sprach, wie er es meinte, und daß seinen Handlungen ein guter Zweck zugrunde lag. Er zeigte über nichts Verwunderung oder Erstaunen, auch nirgends Übereilung oder Saumseligkeit, war nie verlegen, trostlos oder nur scheinfröhlich, nie war er zornig oder übler Laune. Wohltätig, großmütig und wahrheitsliebend, bot er eher das Bild eines Mannes, der von Natur recht war und keiner Besserung bedurfte. Es konnte sich niemand von ihm verachtet glauben, aber auch ebensowenig sich besser dünken. Im Ernst und Scherz war er voll Anmut und Geist.
16.
An meinem Vater bemerkte ich Sanftmut, verbunden mit einer strengen Unbeugsamkeit in seinen nach reiflicher Erwägung gewonnenen Urteilen. Er verachtete den eitlen Ruhm, den beanspruchte Ehrenbezeigungen verleihen, liebte die Arbeit und die Ausdauer, hörte bereitwilligst gemeinnützige Vorschläge anderer, behandelte stets jeden nach Verdienst, hatte das richtige Gefühl, wo Strenge oder Nachgiebigkeit angebracht ist, verzichtete auf unnatürliche Liebe und lebte nur dem Staatswohl. Er verlangte nicht, daß seine Freunde immer mit ihm speisten, auch konnte er ihrer auf Reisen entbehren; diejenigen, die ihm aus dringender Ursache nicht folgen konnten, fanden ihn bei seiner Rückkehr unverändert. In den Beratungen versäumte er nichts, um gründlich zu untersuchen; er verwendete hierauf alle denkbare Geduld und begnügte sich nicht mit der Wahrscheinlichkeit. Seine Freunde wußte er sich zu erhalten; er wurde ihrer nie überdrüssig, aber seine Liebe zu ihnen war auch nicht übertrieben. Er war überall zufrieden, auf seinem Antlitz lag immer dieselbe Heiterkeit; er sorgte für die Zukunft und nahm, ohne viel Aufhebens zu machen, selbst auf die unbedeutendste Angelegenheit Bedacht. Das Zujauchzen des Volkes, überhaupt Schmeicheleien jeder Art, wies er zurück. Auf die Staatsbedürfnisse war er unaufhörlich wachsam und sparsam beim Ausgeben öffentlicher Gelder und war nicht ungehalten, daß man ihn deswegen manchmal tadelte. Vor den Göttern hatte er keine abergläubische Furcht, und hinsichtlich der Menschen erstrebte er nicht Beliebtheit durch Gefallsucht oder irgendwelche Künste der Volksverführung, vielmehr war er in allen Dingen behutsam und fest, verstieß nie gegen die Schickliehkeit und zeigte keine Neuerungssucht.
Die Güter, die das Leben angenehm machen und die die Natur uns so reichlich bietet, brauchte er mit Freiheit ohne Übermut, indem er das, was er hatte, wohl anwendete und das, was er nicht hatte, auch nicht begehrte. Niemand konnte sagen, er sei ein Sophist, ein Einfältiger, ein Pedant, sondern jeder erkannte in ihm einen reifen und vollkommenen Mann, erhaben über Schmeicheleien, fähig, sowohl seine eigenen Angelegenheiten als die der andern zu besorgen. Dazu ehrte er die wahren Philosophen und zeigte sich nichtsdestoweniger nachsichtig gegen diejenigen, die es nur zum Scheine waren. Im Umgang war er höchst angenehm, er scherzte gern, jedoch ohne Übertreibung. Seinen Körper pflegte er nicht wie jemand, der das Leben liebt oder der sich schön machen möchte; er vernachlässigte aber nichts, so daß er dank dieser Sorgfalt selten nötig hatte, seine Zuflucht zur Arzneikunst mit ihren inneren und äußeren Heilmitteln zu nehmen. Er war groß darin, Männern, die in irgendeiner Fähigkeit, in der Beredsamkeit, Geschichte, Gesetzkunde‚ Sittenlehre oder sonstwie hervorragten‚ den Vorrang zu lassen, ihnen sogar zur Erlangung des Ruhmes, der jedem gebührte, behilflich zu sein. Indem er sich in seinem Verhalten immer nach den Beispielen der Vorfahren richtete, prahlte er doch nicht mit der Treue zu den alten Überlieferungen. Er war kein unbeständiger, unruhiger Geist, er gewöhnte sich an die Orte und an die Gegenstände. Er litt oft an Kopfschmerzen, aber kaum waren sie vorüber, so ging er mit der Munterkeit eines Jünglings wieder an seine gewohnten Arbeiten. Er hatte nur sehr wenige Geheimnisse, und diese betrafen einzig und allein die Staatsinteressen. Er bewies Klugheit und Maßhalten bei der Veranstaltung der öffentlichen Schauspiele, bei der Errichtung von Gebäuden und Beschenkungen des Volks und handelte immer wie ein Mann, der nur darauf sieht, was die Pflicht ihm zu tun gebietet, und nicht darauf, was er für Ehre davon haben wird.
Er badete nie zur Unzeit, hatte keine übertriebene Baulust, achtete nicht auf Leckerbissen, nicht auf Gewebe und Farbe der Kleider, nicht auf Schönheit seiner Sklaven. In Lorium trug er einen sehr einfachen Anzug, der zu Lanuvium hergestellt war. Wegen des Oberrocks, den er in Tusculum trug, bat er die Gäste um Entschuldigung, und so im übrigen. In ihm war nichts Hartes, nichts Unehrerbietiges, keine Heftigkeit und nichts, wie man sagt, bis aufs Blut, sondern alles war wohl und gleichsam bei guter Muße überlegt, unerschütterlich geordnet, fest und mit sich selbst übereinstimmend. Auf ihn ließ sich trefflich anwenden, was man von Sokrates berichtet, daß er entbehren und genießen konnte, wo viele zum Entbehren zu schwach und im Genusse zu unmäßig gewesen sein würden. Dort aber mutig zu ertragen, hier nüchtern zu bleiben, ist das Kennzeichen eines Mannes von einer starken und unbesiegbaren Seele, und so zeigte er sich während der Krankheit des Maximus.
17.
Ich danke den Göttern, daß ich rechtschaffene Großeltern, rechtschaffene Eltern, eine rechtschaffene Schwester, rechtschaffene Lehrer, rechtschaffene Hausgenossen, Verwandte, Freunde, ja fast durchweg rechtschaffene Menschen um mich gehabt habe, daß ich gegen keinen von ihnen mich aus Übereilung vergangen, wozu ich sogar meiner Anlage nach leicht geneigt gewesen wäre. Doch die Huld der Götter hat es nicht zugelassen, daß eine Gelegenheit, in solchen Fehler zu verfallen, sich darbot. Außerdem verdanke ich es den Göttern, daß ich nicht zu lange meine Erziehung bei der Geliebten meines Großvaters erhielt, daß ich meine Jugendunschuld bewahrte, die Manneskraft nicht vor der Zeit verschwendete, sondem bis in ein reiferes Alter keusch blieb; daß ich unter einem Fürsten und Vater stand, der jeden Keim des Hochmuts in mir unterdrückte und mich überzeugte, daß man selbst am Hofe ohne Leibgarde, ohne Prachtkleider, ohne Fackeln und Ehrensäulen und sonstigen Aufwand leben und sich fast wie ein einfacher Privatmann einschränken kann, ohne darum in seinen Verrichtungen als Staatsoberhaupt weniger Würde und Kraft zu beweisen.
Den Göttern verdanke ich auch, daß mir ein Bruder beschieden ward, der mich durch sein Betragen ermunterte, über mich selbst zu wachen, und der durch seine Achtung und Liebe mein Herz erfreute; daß mir Kinder geboren wurden, deren Geist nicht stumpf und deren Körper nicht verkrüppelt war. Weiter danke ich den Göttern, daß ich nicht zu große Fortschritte in der Redeund Dichtkunst gemacht habe, noch auch in andern solchen Wissenschaften, die mich sonst leicht gänzlich gefesselt haben könnten; daß ich mich beeilt habe, diejenigen, die für meine Erziehung gesorgt haben, zu solchen Ehrenstellen, die mir das Ziel ihrer Wünsche schienen, emporzuheben, und daß ich sie nicht mit der Hoffnung abspeiste, daß ich später an sie denken würde; daß ich den Apollonius, den Rusticus und Maximus kennenlernte; daß ich mich mit der Art und Weise eines naturgemäßen Lebens lebhaft und oft in Gedanken beschäftigte; daß mir durch die Gaben, Hilfeleistungen und Eingebungen der Götter nichts gefehlt hat, der Natur gemäß zu leben, und wenn ich noch vom Ziel entfernt bin, so ist es meine Schuld, daß ich die göttlichen Mahnungen, fast möchte ich sagen Offenbarungen, schlecht befolgt habe. Der göttlichen Güte schreibe ich es auch zu, daß mein schwächlicher Körper so viele Beschwerden des Lebens hat ertragen können, daß ich keine Gemeinschaft mit der Benedikta oder dem Theodotus gehabt, sondern unreine Leidenschaften überwunden habe; daß ich bei dem öfteren Unwillen gegen den Rusticus nie eine Handlung gegen ihn begangen, die mich jetzt gereuen könnte; daß meine Mutter, wiewohl sie jung sterben mußte, dennoch ihre letzten Jahre bei mir zubringen konnte, daß, so oft ich einem Dürftigen oder sonst Leidenden helfen wollte, ich nie zu sagen brauchte, ich hätte nicht die Mittel dazu, daß ich auch selbst nie in die Notwendigkeit geriet, etwas von anderen annehmen zu müssen; daß ich eine Gattin von gefälligem, hingebendem und einfachem Charakter erhielt; daß ich für meine Kinder geschickte Erzieher gefunden habe; daß mir in Träumen verschiedene Arzneimittel, besonders gegen Blutspeien und Schwindel, angegeben wurden, namentlich zu Cajuta wie durch ein Orakel; daß ich bei meiner Neigung zur Weltweisheit nicht in die Hände der Sophisten geriet, daß ich meine Zeit nicht durch Lesen ihrer Schriften, Verwicklung in Trugschlüsse oder Untersuchungen über die Geheimnisse des Himmels vergeudete. Ja, dies alles war nur durch den Beistand der Götter und ein günstiges Geschick möglich.
Geschrieben bei den Quaden am Granua.
Quelle: Marc Aurel: Selbstbetrachtungen. Übersetzt von Albert Wittstock. Universal-Bibliothek Nr. 1241/42. Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1966. Seiten 11 bis 23
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