15. Mai 2018

Brahms: Lieder (Dietrich Fischer-Dieskau)

Bahnbrechend für die Geschichte des Liedes im 19. Jahrhundert aber sind nur noch zwei Männer geworden, zwei gänzlich verschiedene Naturen, die aber doch dem gleichen Ziele, der Schaffung des modernen Liedes zustreben: Johannes Brahms und Hugo Wolf. Von ihnen ist Brahms (1833-1897), der gebürtige Hamburger, der strengere und herbere. Seine Kunst, der er in zäher, nie rastender Arbeit die herrlichsten Früchte abgerungen hat, wurzelt in einem tiefen idealen Glauben an die Ausdruckskraft der Musik, die seine menschlich vornehme und reine Gesinnung wiederspiegelt. Ist auch der Grundzug seines Wesens eine dünstere, knorrige norddeutsche Stimmung, so stehen ihm doch auch Töne von erquickendem Wohllaut, ja von sprudelnder Lebenslust zur Verfügung. Was aber seine Kunst zu so einzigartiger Bedeutung erhebt, ist ihre meisterhafte Faktur, die in gerader Linie an die Polyphonie von Schütz bis Bach anknüpft unter gleichzeitiger Verwendung des Beethoven- und Schumannstils. Trotzdem hat man nicht die Empfindung, dass Brahms nur nach rückwärts schaut. Im Gegenteil: er ist eine so neuartige Erscheinung, dass von ihm stärkste lebendige Wirkung ausgeht. Doch nicht nur eine Fülle der herrlichsten Melodien entströmte diesen grüblerischen-versonnen Meister. Fast noch mehr fesselt seine Harmonik, die sich im Zeitalter einer sich immer feiner und differenzierter verästelnder Chromatik an die kernige Diatonik hält (z.B. unter Anlehnung an Kirchentonartliches) und diese durch planmäßige Verwendung von Nebenharmonien außerordentlich bereichert. Nicht zuletzt ist auch seine Rhythmik von stärkster persönlicher Ausprägung (Synkopen, rhythmische Verschiebungen usw.). Spricht Spitta bei Brahms von "durch eine edle Verschämtheit verschleierten Wärme des Gefühls", so läßt sich auch ein Wort Hebbels auf ihn anwenden: "Nicht sein Herz entblößen, ist die Keuschheit des Mannes." Selten ist, dass uns Brahms sein ganzes Herz enthüllt, er meidet leidenschaftliche Ausbrüche, sondern träumt still versonnen in sich hinein. Dass auch kräftig und urgesund pulsierendes Leben aus seinen Tönen spricht, zeigt das berühmte Lied "Der Schmied". Die Krone seines Liedschaffens aber bilden die "Vier ernsten Gesänge", jene wundervollen Lieder nach selbst zusammengestellten Bibeltexten, die den Schmerz über das verrinnende Leben so ergreifend zum Ausdruck bringen.

Quelle: Lieder Archiv

Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore, 1959

CD 1 Track 6: Parole, Op. 7 Nr 2 - Sie stand wohl am Fensterbogen Eichendorff


Dietrich Fischer-Dieskau, Gerald Moore

CD 2 Track 8: Die Mainacht, Op. 43 Nr 2 - Wann der silberne Mond durch dei Gesträuche blinkt Hölty


Dietrich Fischer-Dieskau und Gerald Moore

CD 3 Track 14: Vorüber, Op. 58 Nr 7 - Ich legte mich unter den Lindenbaum Hebbel


Daniel Barenboim

CD 4 Track 19: Vier Ernste Gesänge, Op. 121 Nr 1 - Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh Prediger Salomo, 3:19-21


Dietrich Fischer Dieskau und Swjatoslaw Richter

CD 5 Track 22: Mein Herz ist schwer, Op. 94 Nr 3 - Mein Herz ist schwer, mein Auge wacht Geibel


Wolfgang Sawallisch

CD 6 Track 1: Die schöne Magelone, Op. 33 Nr 1 - Keinen hat es noch gereut Tieck



Die frühgotischen Wandmalereien in Gurk


Gurker Dom. Westempore. Blick in die Kuppel..
Die Entwicklung der Mittelalterlichen Wandmalerei

Die mittelalterliche Wandmalerei steht mit ihrem Träger, der Architektur, in wirkungsvollem Wechselbezug. Die romanische Bauweise, die große, ungegliederte Wandflächen zum Einsatz brachte, hatte ihr einen weitläufigen Wirkungsbereich zur Verfügung gestellt, und es war ihre wesentliche Aufgabe, in der Gestaltung dieser Flächen den Architekturraum zu bereichern. Die Wandmalerei gehört durch diesen Konnex zwei wesensmäßig unterschiedlichen Bedeutungsebenen an. Sie äußern sich in ihrer malerischen und ihrer architektonischen Funktion. Der imitative Charakter der Malerei vermag es, das äußere Erscheinungsbild der Architektur zu verändern. Schon ehe die Wände Bilder trugen, wurde die Malerei dazu eingesetzt, mit ihrer Illusionskraft das Baumaterial zu vervollkommnen. Es wurden zum Beispiel Marmorinkrustationen vorgetäuscht oder einzelne Architekturdetails mit Ornamentik und Farbigkeit betont. Heute ist allgemein bekannt, daß die Bauwerke der Antike und der Romanik ursprünglich bunte Oberflächen besaßen. Sie sind in den meisten Fällen verlorengegangen.

Die frühmittelalterliche Wandmalerei betont die Fläche, auf der sie sich ausdehnen kann. Ihre in einfachen Systemen aneinandergereihten Bildfelder haben den Charakter von flachen Reliefs, deren tiefste Ebene mit der Wand konform geht, sie niemals durchbricht oder in Frage stellt. Sie entwickelt sich aus der römisch-antiken Wandmalerei, übernimmt ihre Architektur- und Ornamentformen. Ihre subtile, räumliche Illusionskraft wird aufgegeben. […]

Mit dem Einsetzen des gotischen Stiles in der Architektur ändert sich auch der Anbringungsort der Wandmalerei. Die Flächen werden kleiner. Neue Architekturgliederungen wie Rippen und Schlußsteine treten in Konkurrenz zu den Gliederungselementen der Wandmalerei. Dennoch gelingen in der Frühgotik einheitliche malerische Raumgestaltungen. Eines der eindrucksvollsten Beispiele am Übergang von der Romanik zur Gotik besitzt die Westempore des Gurker Domes.

Gurk, Westempore. Sündenfall, eingerahmt von den Paradiesesströmen.
Die Wandmalereien der Gurker Westempore

Die zwischen 1140 und 1220 errichtete hochromanische Basilika von Gurk besitzt im Bereich der Westtürme über der gesamten Vorhalle eine Westempore. Dabei handelt es sich um einen rechteckigen Raum. Er wird von einem Gurtbogen in zwei kreuzgratgewölbte Joche unterteilt. Zwei eingestellte Halbsäulen nehmen die Gurtbögen auf. Auch die Konsolen in den Ecken entstammen dieser Bauphase. Sie wurde 1220 abgeschlossen. Reich gegliedert ist die Ostwand. Sie umfaßt eine Apsis und daran anschließende Triforien mit Doppelsäulchen. Die Apsis wurde 1778 beim Orgelbau demoliert. Bis 1913 waren auch die Triforien, die ursprünglich den Blick in die Kirche ermöglichten, vermauert. Die Westwand öffnet sich zu einer Dreifenstergruppe, bestehend aus zwei Rundbogenfenstern und einem Rundfenster. Letzteres zeigt als Glasgemälde die Kreuzabnahme um 1260-1270 im Zackenstil. Die Wände im Süden und Norden besitzen Türöffnungen. Die Bodenfliesen sind zum Teil noch original. Sämtliche Wand- und Deckenbereiche tragen Malereien.

Inhaltliche Behandlung des Programms

Die Wandmalereien beherrschen die gesamte Architektur der Gurker Westempore. Sowohl die Wandflächen als auch die plastischen Details erscheinen malerisch gestaltet. Dabei dominiert die umfassende Bildfolge. Sie wird gerahmt von subtiler Ornamentik und eingeleitet von einem gemalten Wandvorhang aus frühchristlich italienischer Tradition, der bis in eine Höhe von 150 cm reicht. Die Kontinuität dieser Wandbilder wird nur von den Tür- und Fensteröffnungen sowie von dem Apsisvorbau mit den angeschlossenen Rundbogenarkaden unterbrochen. Bezeichnenderweise wurde sogar auf die endgültige Anbringung der ursprünglich geplanten und wahrscheinlich bereits ausgeführten Gewölberippen mit Rechteckprofil verzichtet. Man sieht heute noch die als Auflager vorgesehenen Konsolen in den Raumecken. Die Bildfolge der Decke sollte von keinem architektonischen Gliederungselement gestört werden.

Das anspruchsvolle und umfassende Bildprogramm nimmt im östlichen Deckengewölbe seinen Ausgangspunkt. In seinem Scheitelpunkt entspringen radial aus den Kreuzesarmen die vier Paradiesströme Geon, Phison, Tigris und Euphrat. Jünglinge als allegorische Gestalten mit antikisierendem Habitus gießen sie aus Amphoren. Sie begrenzen mit ihrem Fließen entlang der Gewölbegrate, das von ornamental geordneten Wellenlinien veranschaulicht wird, die vier Bildfelder. Diese zeigen die Erschaffung Adams, den Baum der Erkenntnis und den Sündenfall. Die vierte Szene wurde bei einem Brand im Jahr 1808 durch die herabfallende Glocke zerstört. Sie stellte höchstwahrscheinlich die Vertreibung aus dem Paradies dar. Dies läßt sich anhand eines Nachfolgewerkes rekonstruieren. Der Karner von Pisweg, ein kleiner frühgotischer Rundbau (13. Jahrhundert), nur wenige Kilometer oberhalb von Gurk gelegen, zeigt nämlich in seinem um 1280 dauerten Wandmalereiprogramm die Vertreibung aus dem Paradies als vierte Szene des Gewölbes. In den Gewölbeanläufen sind die vier Evangelisten und vier sechsflügelige Serafim dargestellt.

Gurk, Westempore. Das himmlische Jerusalem,
 mit drei Aposteln und zwei Engeln
In der Gurker Westkuppel wird den Menschen das himmlische Jerusalem als neues Ziel in Aussicht gestellt. Es wird von der Ostkuppel durch den Gurtbogen mit der Darstellung der Jakobsleiter und dem zentralen Brustbild Christi getrennt. Auch die Wiedergabe des himmlischen Jerusalem ist in vier Einzelszenen unterteilt. Hier nehmen vier Türme mit den vier Evangelistensymbolen, angeordnet um das Lamm Gottes im Kreiszentrum, die Teilung vor. In den vier Gewölbeabschnitten befinden sich in den Stadttoren mit den Rundbogenarkaden jeweils drei der zwölf Apostel, flankiert von zwei Engeln. Es wird somit in dieser Darstellungsweise auch die mittelalterliche Zahlensymbolik zur Geltung gebracht: Die Weltzahl vier verbindet sich mit der heiligen Zahl Drei. Gemeinsam erzielen sie die Zahl Zwölf. In den Gewölbeanläufen tragen vier Propheten das himmlische Jerusalem. Bei ihnen erscheinen ein sitzendes Mädchen, eine Wolke, ein Doppelrad und ein Töpfer. Dieses Paradies kann allerdings nur über den an den Wandflächen beschriebenen Heilsweg erreicht werden. Hier nimmt Christus die entscheidende Rolle ein. Sein Kommen wird durch die Verkündigungsszene im Schildbogen der Südwand des Emporenostteiles vorbereitet. Auch die Verkündigung der Geburt Mariens durch den Erzengel Gabriel an Joachim und Anna an der gegenüberliegenden Nordwand schließt hier an.

Im Westabschnitt der Empore folgen in den Schildbögen im Süden der Zug der Heiligen Drei Könige und im Norden der Einzug Christi in Jerusalem. Bereits an dieser Stelle ist zu erkennen, daß sich die Bildfolge sowohl zeitlich als auch inhaltlich ungewöhnlicherweise nicht von West nach Ost entwickelt, gemäß der basilikalen Orientierung, sondern zunächst von Ost nach West.

Gurk, Westempore, Ansicht der Ostwand
Über der einst noch offenen Ostwand befindet sich die eindrucksvolle Darstellung Mariens auf dem Thron Salomonis mit dem Christuskind auf ihrem Schoß. Ihr steht, in der von Fenstern durchlichteten Westwand die Verklärung Christi gegenüber. Im Scheitelmedaillon erscheint Gottvater, begleitet von zwei Engeln; darunter stehen Moses und Elias. Liegend zeigen sich die Apostel Jakobus, Petrus und Johannes. Neben Petrus kniet der Canonicus Ulrich secundus. Wiederum wird eine Lesefolge von Ost nach West verlangt. Sie wurde allerdings im ursprünglichen Zustand von einer Darstellung Christi in der Mandorla in der Laibung der Ostapsis abschließend wiederum in den Osten zurückgeführt und somit inhaltlich vollendet.

Auf die Darstellung der Maria auf dem Thron Salomonis soll näher eingegangen werden, da sie eine eigene Bildprägung der Romanik darstellt. Sie entwickelte sich aus den Majestasbildern der Ostkirche. Die älteste Darstellung dieser Art wird im Salzburger Raum vermutet. Allerdings hat sich von der aufwendigen Innenausstattung der Salzburger Dome nichts erhalten. Der Hinweis, daß sich in der Kuppel des Lambacher Freskenzyklus vom Ende des 11. Jahrhunderts eine einfache Frühform dieser Bildprägung erhalten hat, darf an dieser Stelle nicht fehlen. Sie muß wohl an den Anfang dieser Themenentwicklung gesetzt werden.

Eine weitere Darstellung dieser Art wird für den Nonnberger Freskenzyklus um 1140 angenommen. Auch sie ist nicht mehr erhalten. Deutlich rekonstruierbar erscheint jedoch eine Mariendarstellung auf dem Thron Salomonis um 1220 in der Rupertikapelle des um 1180 erbauten Friesacher Burgfrieds. Sie bereitet die Gurker Bildprägung sowohl inhaltlich als auch formal vor.

Am oberen Rand des Apsisvorbaues beschreibt in Gurk eine Majuskelinschrift die Szene wie folgt: ECCE THRON MAGNI FULGESCIT REGIS ET AGNI. Großartig leuchtet der Thron des Königs und des Lammes. Dies ist eine inhaltliche Erweiterung des im 1. Buch von den Königen 10,18-20 und im 2. Buch der Chronika 9,17-19 fast übereinstimmend geschilderten Thron Salomonis. Er bestand aus Elfenbein und war mit Gold überzogen. Er hatte sechs Stufen und einen goldenen Fußschemel. An den Lehnen standen zwei Löwen. Weitere zwölf Löwen nahmen die Stufen ein. Der christliche Dichter Prudentius (um 348-413) knüpfte die Beziehung zu Christus, indem Christus als Salomo bezeichnete. Petrus Damiani (1007-1072), Kardinalbischof von Ostia, setzte diesen Gedanken fort. Er sah in den zwölf Löwen die zwölf Apostel, in den zwei Löwen an den Lehnen Gabriel und Johannes den Täufer. Nun trat auch Maria hinzu, die Thron Christi genannt wurde. Aus diesem Gedankengut ist die spezifisch mittelalterliche Bildform Maria auf dem Thron Salomonis abzuleiten.

Gurk, Westempore, Ostwand: Maria auf dem Thron Salomonis.
Auf den Thronstufen tummeln sich in Gurk, wie bereits auch in Friesach, zwölf Löwen. Sie sind als die zwölf Apostel oder die zwölf Stämme Judas zu deuten. Zwei aufgerichtete Löwen zu den Füßen Marias gelten als die unmittelbaren Verkünder Christi, Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist. Sie können aber auch als Sinnbilder des Alten und des Neuen Testamentes gesehen werden. Diese Interpretation unterstützt die Friesacher Darstellung mit dem Löwen, der Maria in den Schoß gesprungen ist und das Christuskind küßt. Hier wird noch deutlicher an das Alte Testament erinnert, das Christus freudig begrüßt. Die Gurker Maria ist mit Krone und Nimbus ausgezeichnet. Sie umschlingt mit ihrem linken Arm das stehende, bekleidete Christuskind und schmiegt mit ihrer rechten Hand zärtlich das Köpfchen des Kindes an ihr Gesicht,. Sie entspricht somit dem Typus der Glykophilousa. Dieser byzantinische Marientyp wird bereits 1180 in Deutschland von der Madonnenplastik oberhalb des Hermann-Josef-Altares in St. Maria im Kapitol zu Köln vertreten.

Über der Gurker Madonna schweben sieben Tauben, jeweils gerahmt von kleinen Rundbögen. Sie verkörpern die sieben Gaben des Heiligen Geistes. An den beiden Thronseiten stehen die Tugenden Caritas und Castitas. In den sechs, zu seiten der Thronstufen ansteigenden Nischen befinden sich sechs weitere Tugenden Mariens. lnschriftlich erhalten sind Humilitas, Prudentia, Solitudo und Verecundia. Zu ergänzen sind Virginitas und Oboedientia. Über ihnen erscheinen auf den Zinnen der Rundbogennischen die Halbfiguren von Propheten.

Die Szene von der Verklärung Christi an der gegenüberliegenden Westwand nutzt optimal die räumlichen Gegebenheiten. Sie ist genau zwischen den drei Fensteröffnungen der Westwand angeordnet, so daß das hier in der zweiten Tageshälfte intensiv einfallende Licht das Christusbild umflutet und zum transzendenten Ausdrucksträger macht.

Groß ist die Schar der heiligen Männer und Frauen, die den Heilsweg bereits beschritten haben. Jeweils zehn von ihnen sind in Rundmedaillons an der Nord- und Südwand unter den Schildbogenszenen dargestellt. Auch in den Fenster- und Bogenlaibungen finden sich figurale Darstellungen. […]

Auf der Südseite des Westabschnittes im Anschluß an die Westwand symbolisiert das Doppelrad Ezechiels die beiden Testamente in ihrem untrennbaren geistigen Zusammenhang. Der Töpfer neben Jeremias verweist auf das irdische Paradies, das zerbrach, und auf das himmlische Jerusalem als seine Erfüllung. Gegenüber symbolisiert die trauernde Jungfrau mit den frierenden Händen das zerstörte irdische Jerusalem. Der Wachstab des Propheten Jeremias deutet auf das himmlische Jerusalem. Letztlich wird der Blick des Betrachters wieder nach Osten geführt. In der Laibung der Ostapsis erschien ehemals vor ihrer Zerstörung Christus in der Mandorla.

Gurk, Westempore, Ostwand: Maria auf dem Thron Salomonis.
Der Erhaltungszustand

Bald nach der Entstehung der Wandmalereien wurde bereits im 13. Jahrhundert eine weitgreifende Restau- rierung vorgenommen. Die tatsächliche Auswirkung dieser Wiederherstellungsarbeiten stellt ein eigenes Forschungsproblem dar. Sonst jedoch blieb die Gurker Westempore von späteren verfremdenden und die Grundsubstanz gefahrdenden Übermalungen verschont. Lediglich die in Mörtelschicht auf den Verputz aufgetragenen plastischen Verzierungen, die die Goldauflagen trugen, mußten 1899 erneut an die Oberfläche gebunden werden.

Die Technik plastisch unterlegter Goldauflagen ist in Österreich erst ab 1220 nachweisbar. Sie kann erstmals in der bereits vorhin im Zusammenhang mit den Gurker Darstellungen erwähnten Rupertikapelle des Friesacher Burgfrieds nachgewiesen werden.

Trotz dieser guten Bedingungen scheinen die Malereien einem zwar langsamen‚ jedoch unaufhaltsamen Verfall preisgegeben zu sein. Allein durch die Benutzung des Raumes, durch die von zahlreichen Besuchern erhöhte Luftfeuchtigkeit, durch Temperaturschwankungen, durch Licht und durch Staub gingen folgende Substanzen verloren: Zunächst verschwanden die auf trockenem Putz aufgetragenen Details der Farbmodellierung, der Weißhöhungen und der Konturierungen in Schwarz. Ferner verdarb das kost- bare Ultramarin. Statt seiner sieht man heute nur mehr die kupferoxydgrüne Untermalung, die jetzt eine fälschliche Pastellwirkung erzielt. Auch vom ursprünglich wertvoll strahlenden Gold sieht man heute nur mehr das unterlegte und nun oxydierte Silber mit schwärzlichem Charakter. Am besten erhielt sich die in den nassen Mörtel geritzte Vorzeichnung. Sie ist in einem dem Englischrot ähnlichen Oxyd aufgetragen. Die Farben wurden bereits auf dem trockenen Grund aufgesetzt. Sie umfassen folgende Farbpigmente: Weiß, Ocker, Eisenoxydrot, Ultramarinblau, Kupferoxydgrün, Schwarz, Rot und ihre Ausmischungen. Es handelt sich folglich um keine reine Freskomalerei, sondern um die im Mittelalter übliche Mischtechnik von Fresko- und Seccomalerei.

Gurk, Westempore, Westwand,
Der verklärte Christus in der Mandorla.
Das Stilbild

Die gesamte Bildfolge vertritt ein sehr graphisches‚ linearbetontes und dekoratives Stilbild. Hierbei darf nicht übersehen werden, daß im heutigen Zustand die graphische Linie durch die beeinträchtigten Farbflächen noch intensiver zur Geltung gelangt und ein Eigenleben entwickelt. Sie besitzt die größte Eigendynamik der gesamten Komposition, schwingt entlang der Konturen und bricht sich vielfach scharfkantig in den Gewändern. Aufgrund dieser markanten Linienstrukturen wird dieser Stil als Zackenstil bezeichnet. Er erscheint im deutschen Raum in seiner ausgeprägtesten Form um 1230 in den Wandmalereien der Frankenbergkirche von Goslar. Man leitet ihn von der mittelbyzantinischen Kunst her. Sie wurde durch die Kreuzzüge in einzelnen Wellen nach Norden übermittelt. […]

Georg Dehio charakterisiert den Zackenstil folgendermaßen: „Man setzt über die Längsfalten ein System von Querfalten, an den Rändern scharf abgesetzt, in den Konturen zerrissen, die Enden in langen Zipfeln wegflatternd; wie diese heftige Linienbewegung entsteht, darüber wird keine Rechenschaft abgelegt; sie ist Selbstzweck, um so sichtlicher, wenn die Gestalten selbst in ruhiger Haltung bleiben.“ Er erklärt ferner, daß beim Zackenstil nur noch einige formale Äußerlichkeiten an Byzanz erinnern. Der Gesamttonus wirkt abendländisch. […]

In dieser vom Zackenstil vorgegebenen Flächigkeit beginnen die Gurker Figuren eine sanfte Eigenräumlichkeit zu entwickeln. Sie drehen sich mit Körperhaltung und Gestik aus der Bildfläche und haben die starre Frontalität und die Bewegungslosigkeit der Romanik überwunden. Ein neues Zeitmoment dringt in die sich zwar noch wiederholenden, jedoch nicht mehr formelhaften Posen ein. So tragen Adam und Eva die höfische Eleganz der ritterlichen Kultur, veranschaulicht durch die französische Buchmalerei des frühen 13.Jahrhunderts. Sie lieferte die Anregung für die westliche Prägung der Figurenbildungen und Bewegungen. Man vergleiche das reichbebilderte lngeborg-Psalter von 1193-1220 (Chantilly, Musée Conde, MS. 1695). Dort findet man die hohen, schlanken Gestalten mit den feingliedrigen Händen und Füßen und die tänzelnde Schrittstellung mit den extrem nach außen gedrehten Fußspitzen. Der ältere Stil dieser Handschrift zeigt ferner ein starres, winkeliges Faltenbild mit versteiften Tuchzipfeln als Vorbild für den Gurker Zackenstil. […]

Gurk, Westempore, Domherr Dietrich II.
Abschließend ist zusammenzufassen, daß die Wandmalereien der Gurker Bischofskapelle sowohl retardierende romanische Züge tragen als auch gotische Stilelemente aufweisen. Die Gestaltung der Ostwand mit dem Thron Salomonis zeigt die jüngsten Anteile (gotisch inspiriertes Madonnenbild mit Parallelbeispielen in der Plastik und Malerei ab 1260, gotische Blattkapitelle, später ergänzte Stifterbildnisse) und scheint der im Zuge der Restaurierung vor 1260 am einschneidendsten erneuerte Teil zu sein. Unter den Stifterbildnissen sind Reste einer ersten Ausmalung nachweisbar. Eine gravierende Zerstörung der Ostpartie durch einen Brand in der Kirche vor 1260 ist am plausibelsten. Die Westwand zeigt ebenfalls Übermalungen in den Fensterlaibungen. Für Beschädigungen dieses Bereichs scheint der historisch überlieferte Brand 1247-1253 verantwortlich gewesen zu sein, der den Westen des Klosters heimsuchte. Sollten also die Wandmalereien tatsächlich in den dreißiger / vierziger Jahren begonnen worden sein, wurden bereits ein Jahrzehnt nach ihrer Entstehung Wiederherstellungsarbeiten notwendig, die erst in den sechziger Jahren abgeschlossen werden konnten.

Quelle: Margit Stadlober: Gotik in Österreich. Styria, Graz, Wien, Köln, 1996. ISBN 3-222-12427-2. Seiten 79, 80-83, 84, 86.


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