Clara Schumann wurde 1819 in Leipzig geboren. Sie war das erste überlebende Kind des Musiklehrers Friedrich Wieck, dessen Ruf - vielleicht nicht ganz zu recht - unter dem Widerstand gelitten hat, den er der Ehe seiner Tochter und seines früheren Schülers Robert Schumann entgegensetzte. Wieck selbst hatte zunächst Theologie studiert, bevor er sich der Musik zuwandte und zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn bei verschiedenen Familien Privatunterricht gab. Nach seiner Heirat im Jahre 1816 ließ er sich in Leipzig nieder, wo er nunmehr neben seiner musikpädagogischen Tätigkeit mit dem Handel und der Vermietung von Klavieren sein Brot verdiente. Bei Clara konnte er dann gezielt seine strengen, immerhin aber recht aufgeklärten Ausbildungsprinzipien verfolgen. Noch stärker fixierte er sich auf seine älteste Tochter nach der Trennung (1824) und anschließenden Scheidung von seiner Frau, die als Sängerin und Pianistin selbst Karriere machte und später den Klavierlehrer Adolf Bargiel heiratete, der ehedem mit Wieck befreundet und möglicherweise sogar dessen Mentor gewesen war.
Clara Wieck konnte, während sie zur Musikerin und Pianistin ausgebildet wurde, Schritt für Schritt mit ihrer Berufskarriere beginnen. Ihr erster öffentlicher Auftritt fand 1828 bei einem Konzert im Leipziger Gewandhaus statt, wo sie bei der Aufführung von Kalkbrenners Variationen über einen Marsch aus Moses für Klavier zu vier Händen mitwirkte. Sie spielte weiterhin im Freundeskreis, 1830 gab sie dann im Gewandhaus ihr öffentliches Solodebüt - und in den kommenden Jahren zeigten sich die Anfänge einer glanzvollen Laufbahn. Sie unternahm Konzertreisen nach Paris sowie durch Deutschland und kam 1837 schließlich nach Wien, wo sie gefeiert wurde und vom Kaiser den Titel einer Kaiserlich-Königlichen Virtuosin erhielt. All das geschah in völliger Abhängigkeit von ihrem Vater, der sich bei diesen Reisen um sämtliche Details kümmerte und sowohl als Lehrer wie auch als Manager fungierte.
Clara Wieck im Alter von 8 Jahren. Farbige Miniatur auf Elfenbein von einem unbekannten Künstler, um 1827, Robert-Schumann-Haus, Zwickau
Das Porträt, gefasst in dem noch original erhaltenen Metallrahmen, ist die erste bekannte Darstellung Clara Wiecks, die bald darauf als Wunderkind ihren ersten öffentlichen Auftritt im Leipziger Gewandhaus hatte. Bei diesem Konzert am 20. Oktober 1828 spielte die damals offenbar noch blondhaarige Clara zusammen mit Emilie Reichhold Friedrich Kalkbrenners Varations brillants à quatre Mains sur la marche de ‚Moisé’ de Rossini op. 94. Die Miniatur blieb lange in Familienbesitz und kam erst 1926 aus dem Besitz der ältesten Schumann-Tochter Marie in den Bestand des Robert-Schumann-Hauses in Zwickau.
Im Jahre 1830 kam es zum ersten Kontakt zwischen Robert Schumann und dem Leipziger Wieck-Kreis. Der junge Mann hatte auf Geheiß seiner verwitweten Mutter zunächst Jura studiert, sie dann aber zu einem Musikstudium in Leipzig überreden können, nicht zuletzt, weil Wieck - in dessen Haus er fortan lebte - eine vorsichtige Empfehlung ausgesprochen hatte. Als Clara älter und geistig selbständiger wurde, fühlte sie sich zu Schumann hingezogen. Vater Wieck jedoch kannte die Stärken und Schwächen seines Schülers, seine Unbeständigkeit ebenso wie seine grundlegende kompositorische, wo nicht gar pianistische Befähigung. Einige Zeit richtete Schumann seine Aufmerksamkeit auf Ernestine von Fricken, eine weitere Wieck-Schülerin; doch bald entschied er sich für Clara, mit der er sich 1837 heimlich verlobte. In den nächsten Monaten und Jahren stemmte sich Wieck immer heftiger gegen Claras Heiratspläne. Was immer er gegen Schumaun als Gatten seiner Tochter vorbrachte - und seine väterlichen Zweifel mochten durchaus gerechtfertigt gewesen sein - eigentlich sah er in Claras Heirat das Hindernis für eine glanzvolle Karriere, in die er viel investiert hatte. Seine zunehmende Verbitterung und eine lange, erzwungene Trennung führten schließlich dazu, dass sich das Paar bei Gericht darum bemühte, auch ohne die Zustimmung des alten Wieck heiraten zu köunen. 1839 unternahm Clara ohne ihren Vater eine Konzertreise nach Paris, und ein Jahr später folgte der Richterspruch zugunsten der Brautleute.
Clara Wieck im Alter von 15 Jahren. Lithografie von Julius Giere, Hannover 1835, Robert-Schumann-Haus Zwickau
Vor Clara aufgeschlagen ist der Solopart mit dem Beginn des 3. Satzes aus ihrem Klavierkonzert a-moll op. 7, das zur Zeit ihres höchst erfolgreichen Konzertauftritts am königlichen Hof von Hannover, wo diese Lithografie entstanden ist, weder gedruckt vorlag noch vollständig öffentlich zu hören gewesen ist. Die von Felix Mendelssohn Bartholdy geleitete Uraufführung fand am 9. November 1835 im Leipziger Gewandhaus statt.
Robert und Clara blieben zunächst in Leipzig. Offenbar gab es widerstreitende Interessen, da Clara am Anfang einer ganz hervorragenden pianistischen Laufbahn stand und entschlossen war, ein Leben als konzertierende Künstlerin zu führen. Schumann hingegen hatte andere Bedürfnisse. Als Komponist forderte er von ihr, sich mit ihren notwendigen Übungen einzuschränken, und bisweilen wäre er wohl ganz froh gewesen, wenn er seine junge Frau ganz für sich gehabt hätte. Nach und nach kam sie allerdings mit den depressiven Phasen ihres Mannes ebenso zurecht wie mit der Folge von Schwangerschaften, die 1854 mit der Geburt des achten Kindes endete. Während sie ihren Mann nach bestem Vermögen in seiner kompositorischen und schriftstellerischen Tätigkeit unterstützte, tat sie andererseits alles erdenkliche, um weiterhin ihre eigene Karriere zu verfolgen. Das kam ihr zustatten, als die Familie nach etwa sechs Dresdner Jahren nach Düsseldorf zog, wo Schumann das Amt des Städtischen Musikdirektors übernahm - eine Position, für die er in vieler Hinsicht ungeeignet war, da er in schöner Regelmäßigkeit nicht nur mit andern Musikern, sondern auch mit den Ansprüchen des Stadtrates, seinem Arbeitgeber, zurechtkommen musste.
Nach seinem Selbstmordversuch und Zusammenbruch Anfang 1854 verbrachte Schumann die letzten Jahre seines Lebens in der privaten Irrenanstalt von Endenich bei Bonn. Clara Schumann konnte indessen dank der Unterstützung vieler Freunde ihre Konzertkarriere fortsetzen. Es war dies die einzige praktische Möglichkeit, für ihre junge Familie zu sorgen und die Anstaltsrechnungen ihres Mannes zu zahlen. Anfang Juli 1856 kam sie von einer Konzertreise aus England zurück, gerade rechtzeitig, um Schumann erstmals seit seinem Zusammenbruch noch einmal zu sehen. Zwei Tage darauf war er tot. Spätestens im Oktober nahm sie ihre Arbeit wieder auf.
Clara Schumann mit ihrer erstgeborenen Tochter Marie. Repro nach einer Daguerreotypie, vermutlich Dresden, um 1844/45, Robert-Schumann-Haus Zwickau
Die erste fotografische Aufnahme, die von Clara Schumann gemacht worden ist, und die sie mit ihrer ältesten Tochter Marie (geb. 1. September 1841) zeigt, entstand nach der Rückkehr von der gemeinsam mit ihrem Mann unternommenen Russlandreise, auf der Clara Schumann als Pianistin gefeierte Auftritte hatte. Die Daguerreotypie blieb bis zu ihrem Tod im Besitz von Marie Schumann und kam 1926 mit anderen Familienstücken an das Robert-Schumann-Haus in Zwickau.
In den nächsten Jahren verriet Clara Schumann eine bemerkenswerte Entschlossenheit. Als ihre Kinder heranwuchsen und ihre eigenen Wechselfälle erlebten, musste sie mit immer neuen Problemen und Tragödien fertig werden. Brahms, der die Schumanns 1853 durch den Geiger Joachim kennengelernt hatte, blieb ein treuer Freund; in mancher Hinsicht spielte er mit seinen Ratschlägen und seiner moralischen Unterstützung die Rolle eines Vaters und Ehemanns. Clara widmete sich mit ihrer angeborenen, vielleicht vom Vater geerbten Antriebskraft den praktischen familiären Dingen, und sie sorgte dafür, dass die Werke ihres Mannes weitere Verbreitung fanden. Nach und nach setzte sie diese auf ihre Programme, wobei sie sich stets darüber im klaren war, wie diese Programme auszusehen hatten, wenn sie auch weiterhin ihre führende Position im Konzertleben behalteu wollte. 1878 ging sie nach Frankfurt am Main, wo sie fortan am Hoch'schen Konservatorium unterrichtete, derweil sie ihre pianistische Karriere fortsetzte. Zehn Jahre später unternahm sie ihre letzte Konzertreise, die sie nach England führte. 1891 gab sie in Frankfurt ihr letztes Konzert. Nach einem Schlaganfall starb sie am 20. Mai 1896.
Zwangsläufig hat Clara Schumann nur wenige Werke komponiert, doch in diesen spiegelt sich die Sorgfalt der allgemeinen musikalischen Erziehuug, die ihr der Vater hatte angedeihen lassen. In Berlin erhielt sie Kontrapunktstunden bei Siegfried Dehn, der auch Michail Glinka und Anton Rubinstein zu seinen Schülern zählte, und während der gemeinsamen Reisen wurde sie auch von andern Lehrern in Theorie und Komposition unterwiesen.
Clara Schumann, um 1853
Nach einem Foto des im Zweiten Weltkrieg vernichteten Ölgemäldes von der Hand des Malers Carl Ferdinand Sohn, mit dem Clara Schumann ihren Mann zu Weihnachten 1853 überraschen wollte. Die Überraschung gelang auf eine eher andere Weise als von Clara gewünscht. Denn während sie das Portrait sehr mochte, hielt Robert Schumann es für „frappant“, zumindest als ein Bild, in das man sich wie in etwas „Ungewohnte(s)“ erst „hineinfinden“ muss. Unbestritten lässt er aber gelten, dass „Alle, die es sahen, in Bewunderung gerieten“, wie er R. Härtel am 3. Januar 1854 mitteilte.
Der erste Entwurf des Klavierkonzerts a-moll, ihres einzigen Orchesterwerks, stammt aus dem Jahre 1833. Die Vierzehnjährige wollte es ursprünglich bei dem einen Satz belassen, den sie im November des Jahres beendete. Schumann kümmerte sich um die Orchestrierung, die im Februar 1834 vollständig vorlag. Dieser Satz, den Clara Schumann in ihr Repertoire aufnahm, bildet in dem späteren dreisätzigen Konzert das Finale. 1m Sommer 1834 begann sie mit der Arbeit am Kopfsatz des Werkes, und ein Jahr darauf bereitete sie die komplette Komposition zur Drucklegung vor, nachdem sie die neueu Teile selbst instrumentiert und die Stimmen eigenhändig herausgeschrieben hatte. Im November 1835 fand im Leipziger Gewandhaus die Uraufführung statt: Unter der Leitung von Felix Mendelssohn spielt Clara Wieck den Solopart. Als im Januar 1837 der Solopart mit den Orchesterstimmen als Supplement veröffentlicht wurde, war das Louis Spohr gewidmete Werk ein weiteres Mal revidiert worden.
Wie in Mendelssohns Klavierkonzert g-moll, das Clara Wieck 1835 erstmals in Leipzig gespielt hatte, gehen auch in ihrem eigenen Konzert die drei Sätze ineinander über. Der Kopfsatz, Allegro maestoso, beginnt mit einem Orchestertutti, das das Hauptthema exponiert und dann zum ersten Soloauftritt führt, dessen aufsteigende Oktav-Skalen vom Orchester begleitet werden. Dann übernimmt das Klavier das Hauptthema. Passagenwerk führt zum zweiten Thema und zu den Modulationen der Durchführung. Mit einem Übergang wird der zweite Satz erreicht, eine Romanze in As-dur für Klavier und Solocello mit typisch Brahmsschen Gegenrhythmen. Gegen Ende dieses Satzes beginnt ein Paukenwirbel, der an Lautstärke zunimmt, wenn der Ruf der Trompeten das abschließende Allegro non troppo einleitet. Das Hauptthema dieses Satzes beginnt im Klavier und bringt wieder jene Oktaven, die Clara Wieck anscheinend so gern gemocht hat. In diesem recht virtuosen Satz, der mit einer raschen Coda endet, gibt es weitere Wechselspiele zwischen Solo und Orchester.
Friedrich Wieck, Vater Clara Schumanns, Gemälde um 1828 (Robert-Schumann-Haus, Zwickau)
Das Klaviertrio g-moll op. 17 entstand im Sommer 1846, mithin etwa zehn Jahre nach dem Konzert. Im Februar war Clara Schumanns viertes Kind Emil geboren worden (das schon ein Jahr später sterben sollte); und eine Sommerfrische mit dem Ehemann auf der ostfriesischen Insel Norderney zog möglicherweise eine Fehlgeburt nach sich. Doch C1ara setzte ihre musikalischen Aktivitäten in einem engeren geographischen Rahmen fort. Mit der Gattung des Klaviertrios war die Komponistin durch ihre pianistische Tätigkeit vertraut, und es scheint, dass Schumann durch ihr Werk zu seinem eigenen, 1847 vollendeten Trio d-moll op. 63 angeregt wurde. Sie selbst hatte in Dresden eine Trioformation zusammengestellt und mit kammermusikalischen Recitals begonnen.
Der erste Satz des Klaviertrios überlässt der Violine die Exposition des Hauptthemas, das dann vom Klavier übernommen wird, worauf vorschriftsmäßig ein zweites Thema, die Durchführung und die Reprise folgen. Kecke Rhythmen bestimmen das B-dur-Scherzo, das sich im Tempo di Minuetto bewegt und ein Es-dur-Trio umrahmt. Im Andante G-dur darf sich das Klavier in größerer technischer Komplexität ergehen als zuvor. Im abschließenden Allegretto gibt es traditionellerweise Platz für eine Fugato-Episode des Hauptthemas, das in der Coda von Violine und Violoncello gespielt wird, derweil das Klavier eine kunstvoll ausgearbeitete Begleitung liefert.
Quelle: Keith Anderson (Deutsche Fassung: Cris Posslac), im Booklet
Die hier gezeigten Bilder Claras wurden dem excellenten Schumann-Portal entnommen.
Track 2 - Piano Concerto in A minor, Op. 7 - II. Romanze
Francesco Nicolosi, Piano
Alma Mahler Sinfonietta, dir. Stefania Rinaldi
recorded on 25th and 26th May, 2004, in St Marcellino Church, Naples, Italy
TRACKLIST
Clara SCHUMANN
(1819-1896) TT 53:54
Piano Concerto in A minor, Op. 7 23:30
[1] Allegro maestoso 7:08
[2] Romanze: Andante non troppo con grazia 4:52
[3] Finale: Allegro non troppo - Allegro molto 11:30
Francesco Nicolosi, Piano
Alma Mahler Sinfonietta, dir. Stefania Rinaldi
recorded on 25th and 26th May, 2004, in St Marcellino Church, Naples, Italy
Piano Trio in G minor, Op. 17 30:24
[4] Allegro moderato 11:02
[5] Scherzo: Tempo di Menuetto 5:23
[6] Andante 6:33
[7] Allegretto 7:26
Francesco Nicolosi, Piano
Rodolfo Bonucci, Violin
Andrea Noferini, Cello
recorded on September 28th. 2004, at Studio 52, Naples, Italy
produced under the auspices of the
Fondazione Pasqua1e Valerio Per La Storia Delle Donne
Engineer: Paolo Rescigno
(P) & (C) 2005
Hans Holbein der Jüngere: Die Gesandten, 1533
Junger Bischof besucht jungen Diplomaten in England, beide kommen aus Frankreich, sind befreundet, ihre gemeinsamen Interessen macht der Maler sichtbar durch die Gegenstände zwischen ihnen: Musik, Mathematik, Himmelskunde. Auch der Tod ist versteckt dabei. Das Doppelporträt (207 x 209 cm) hängt in der National Gallery, London.
Hans Holbein der Jüngere: Die Gesandten, 1533
Karrieren im Dienste des Königs
Zwei Männer in Amt und Würden: ernst und respektabel, wie sie dastehen, würden wir sie auf etwa 40 Jahre schätzen. Aber beide waren sehr viel jünger, der linke war 29 Jahre alt, der rechte 25. Im 16.Jahrhundert lebten die Menschen im Durchschnitt nur halb so lang wie heute, kamen also auch früher in wichtige Funktionen. Der eine Mann ist schon Bischof, der andere französischer Gesandter am englischen Hofe.
Der Geistliche besucht den Diplomaten in London, denn die beiden sind befreundet, und der Kirchenmann wird gelegentlich vom französischen König auch als Gesandter eingesetzt. Die beiden Männer repräsentieren zwei Gruppen von Diplomaten, die nach ihrer Kleidung benannt wurden: »l'homme de robe courte« und »l'homme de robe longue« - Männer mit kurzem Rock waren weltliche Gesandte, trugen sie einen langen Rock, waren sie von geistlichem Stand.
Von seinem König für eine diplomatische Mission ausgewählt zu werden, war zwar eine Ehre, aber im 16. Jahrhundert selten ein Vergnügen. In erster Linie war es teuer. Der König verschaffte oder gewährte Adligen wie Geistlichen ihre Pfründe oder ihren Lehnbesitz, dafür mußten sie ihm dienen. Auch mit ihren Einkünften. Den Aufenthalt im fremden Land zahlten sie meist selber. Behandelt wurden sie dort in der Regel höflich, aber distanziert. Diplomaten galten immer auch als Spione. Venezianern etwa war es ab 1482 strikt verboten, mit ausländischen Diplomaten über öffentliche Angelegenheiten zu reden; und aus London berichtet 1653 ein Schweizer Gesandter, daß jedes Parlamentsmitglied, das mit einem ausländischen Botschafter spricht, seinen Sitz verlieren könne. Natürlich war es auch eine der Hauptaufgaben der Gesandten, möglichst viel und möglichst genau aus dem anderen Land zu berichten. Zeitungen gab es noch nicht.
Aus Handbüchern und Memoiren kann man entnehmen, welche Fähigkeiten ein Diplomat damals besitzen mußte. Er sollte seinen Herrn bereits äußerlich gut vertreten, also in reicher Kleidung eine gute Figur machen. Verlangt wurde ferner, daß er gewandt redete und Latein beherrschte, die Verkehrssprache der Zeit, und auch so weit gebildet war, daß er sich mit Wissenschaftlern und Künstlern unterhalten konnte. Er sollte auftreten als liebenswürdiger Weltmann und seine Neugier verbergen, unerschütterlich schlechte Nachrichten anhören, Verhandlungen hinauszögern oder beschleunigen können und ein asketisches Privatleben führen, um Skandalgeschichten zu vermeiden. Selbstverständlich wurde eine Ehefrau zu Hause gelassen. Sie könnte klatschen. Als außerordentlich wichtig galt ein fähiger Koch in der Dienerschaft, denn bei gutem Essen kann man sich vortrefflich informieren.
Die moderne Diplomatie fing im 16. Jahrhundert gerade an sich zu entwickeln. Das alte Konzept vom Heiligen Römischen Reich, in dem viele europäischen Staaten vereinigt waren und dessen Kaiser den zwischenstaatlichen Verkehr regelte, dieses Konzept hatte seine Kraft verloren. Bilaterale Verständigung wurde wichtig und mit ihr die Diplomatie. Ständige Vertretungen bildeten noch die Ausnahme, meist dauerten die Missionen nur Wochen oder Monate. Ziel der Außenpolitik war auch noch nicht, langfristig Vertrauen herzustellen. Es ging um schnellen Erfolg. Diente ein Vertrag nicht mehr den eigenen Interessen, wurde er gebrochen. Die Zeiten waren unsicher. Von Monat zu Monat änderte sich das Kräfteverhältnis. Dauerhaftere Bindungen versprach man sich durch ein einziges Mittel - durch das Heiraten.
An Verlöbnissen und deren Auflösung, an Eheschließungen und deren Annullierung läßt sich der Wandel der Bündnisstrukturen im 16. Jahrhundert ablesen. Heinrich VIII. in London hatte als Jüngling Katharina von Aragonien geheiratet. Sie war eine Tante des mächtigen Kaisers Karl V. in Madrid. Heinrich und Katharina zeugten eine Tochter, Maria, die wiederum mit dem spanischen Karl verlobt wurde. Doch während Maria heranwächst, löst Karl V. das Verlöbnis, weil er Isabella, die Infantin von Portugal, heiraten will, denn die vergrößert seinen Machtbereich und seinen Reichtum unmittelbar. Der Engländer, dem Karl V. zu mächtig wird, sucht alsbald die eheliche Verbindung mit Frankreich. Bevor er aber wieder heiraten kann, muß der Papst seine Ehe mit Katharina lösen. Der Papst jedoch befindet sich seit 1527 in der Macht Karls V. Also kann er Heinrich nicht freisprechen. Noch komplizierter wird alles durch den englischen Kronrat, der statt einer französischen Prinzessin eine englische Adlige als Königin sehen will: Anna Boleyn.
In dieser Situation wird im Frühjahr 1533 ein französischer Gesandter nach London geschickt, der sich dort zusammen mit seinem Freund malen läßt. Daß die beiden tatsächlich auf englischem Boden stehen, dokumentiert Hans Holbein durch die Mosaiken unter ihren Füßen. Sie entsprechen denen vor dem Hochaltar in der Westminster Abbey, einem berühmten Werk italienischer Handwerker. Heute ist der Boden abgetreten und mit einem großen Teppich bedeckt. Nur am Rande sieht der Kirchenbesucher noch ein wenig von den kreisförmigen Ornamentbändern.
Ein Edelmann unterwegs in heikler Mission
Der französische Gesandte heißt Jean de Dinteville. Er wurde 1504 geboren, residierte auf Schloß Polisy in der Champagne, war Gerichtsherr und Vertreter des Königs in Troyes, der Hauptstadt der Provinz. Schon sein Vater hatte dieses Amt ausgeübt. Jean de Dinteville gehörte nicht zu den großen Adelsfamilien des Landes; er gehörte auch nicht zu den wichtigen historischen Persönlichkeiten seiner Zeit, aber er war ein typischer Edelmann der Renaissance: mit humanistischer Bildung, mit Interesse für Musik und Malerei und die Naturwissenschaften, tätig im Dienst des Königs, abhängig von dessen Wohlwollen. Sein größter Verdienst für die Nachwelt war zweifellos sein Entschluß, sich zusammen mit seinem Freund von Hans Holbein malen zu lassen.
Der Künstler zeigt den Adligen mit dem St.-Michaels-Orden an einer langen Goldkette. Es war das französische Gegenstück zum Goldenen Vlies der Spanier und zum englischen Hosenbandorden. Mit den Orden des späten Mittelalters, den Männerbünden und deren Ideal einer mönchisch-ritterlichen Lebensform, haben die Königsorden des 16. Jahrhunderts nichts zu tun. Sie bekräftigen die Treuepflicht, wurden verliehen, um tüchtige Männer mölichst eng an den König zu binden. Wichtig für das Ansehen war die begrenzte Zahl von Mitgliedern. Im Michaels-Orden durften es nicht mehr als 100 sein.
1532 schickt Franz I., der französische König, Dinteville zum erstenmal nach London; im Frühjahr 1533 ist er wieder dort: Denn inzwischen ist die Bündnissituation noch verworrener geworden. Heinrich VIII. hat im Januar heimlich die schwangere Anna Boleyn geheiratet. Noch aber wurde seine alte Ehe vom Papst nicht gelöst.
Franz I. unterstützt Heinrich bei der katholischen Kirche, ein Treffen zwischen Klemens VII. und Franz I. ist verabredet. Heinrich aber will noch warten. Er läßt die alte Ehe vom Erzbischof von Canterbury für ungültig erklären: ein Eingriff in die Rechte des Papstes. Er erschwert die Verhandlungsversuche des französischen Königs.
Am 23.Mai 1533 schreibt Dinteville an seinen Herrn, er habe Heinrich VIII. gebeten, das Urteil des Erzbischofs von Canterbury "geheimhalten zu wollen, damit unser Heiliger Vater nicht davon unterrichtet werde, bevor Ihr nicht zusammen darüber gesprochen hättet. Er hat mir gesagt, daß es unmöglich sei, es geheimzuhalten, und daß es öffentlich bekannt werden müsse, und dies sogar vor der Krönung."
Am 21. Juni wird Anna Boleyn in der Westminster Abbey zur Königin gekrönt. Der französische Gesandte wird bei den folgenden Feierlichkeiten besonders ausgezeichnet. Dintevilles Souverän jedoch, Franz I., verhandelt inzwischen mit dem Papst über eine ganz andere Verbindung, über eine Heirat seines Sohnes mit einer päpstlichen Nichte. Franz hofft dabei Mailand zu gewinnen. Heinrichs Interessen vergißt er. Unter diesen Umständen ist für Dinteville im Augenblick nichts mehr zu tun, am 18. November 1533 reist er aus London ab.
Dinteville erlebt nicht nur die Krönung Anna Boleyns in London, sondern auch deren Hinrichtung. Dreimal war er noch in verschiedenen Missionen in England, dann fällt seine Familie in Ungnade. Angeblich haben sich seine drei Brüder gegen Franz I. verschworen. 51jährig stirbt Jean de Dinteville in Polisy. Zuvor hat er am Schloß noch umbauen lassen, und dabei - wie die englischen Könige und auch Franz I. - Kunsthandwerker aus Italien beschäftigt. Ein Fliesenboden im italienischen Stil ist noch heute zu sehen. Holbeins Bild hat lange im Schloß gehangen, heute befindet es sich in der Londoner National Gallery.
Ein frommer Mann bangt um seine Kirche
Der Bischof hat nicht wie sein weltlicher Freund in der Rechten einen Zierdolch, sondern er trägt Handschuhe. Sein Arm ruht auf einem Buch; ein Text ist nur teilweise zu lesen: »aetatis suae 25«. Ergänzt man das Wort »anno«, so lautet die deutsche Übersetzung: im 25. Jahr seines Daseins. Das Alter von Dinteville steht übrigens auf seinem Dolch. Diese Daten halfen mit, die beiden Personen zu identifizieren. Der Bischof heißt Georges de Selve.
Wie auf repräsentativen Bildern üblich, sind die Gesichter der beiden Freunde ohne viel Ausdruck wiedergegeben. Ohne die unterschiedlich geschnittenen Bärte sähen sie einander sogar ausgesprochen ähnlich. Nur die Augen sind anders. Die des Bischofs sind kleiner, die Pupillen durch die Lider stärker abgedeckt, der Blick scheint dadurch weniger auf die Umwelt konzentriert als bei dem weltlichen Gesandten. Der gleiche Unterschied findet sich auch in Kleidung und Haltung. Dintevilles aufgeplusterter Pelz macht ihn in den Schultern fast doppelt so breit wie seinen Freund; der Diplomat trägt seinen Pelz weit offen, der Geistliche dagegen hält seinen Mantel eng geschlossen. Der eine lebt mehr nach außen, der andere mehr nach innen. Holbein charakterisiert mit den zwei Persönlichkeiten auch zwei Stände: robe longue, robe courte.
Georges de Selves Vater war Präsident des Pariser Parlaments und dank vielfältiger Verdienste vom König mit einer Bischofspfründe für seinen Sohn belohnt worden: Zwanzigjährig wurde Georges im Südwesten Frankreichs Bischof von Lavaur. Zwar sollte 25 das Mindestalter sein für ein solches Amt, aber ein Dispens des Papstes ermöglichte Ausnahmen. Die waren nicht selten: Zu junge Bischöfe bekamen Einkünfte und Titel, die geistlichen Aufgaben wurden von Priestern wahrgenommen.
Auch nachdem Georges de Selve die geistlichen Funktionen selber ausüben durfte, lebte er die meiste Zeit außerhalb seiner Diözese. Im Herbst des Jahres 1533, als er privat nach London gereist war, schickte ihn sein König noch als Gesandten nach Venedig, später zum Papst nach Rom und zu Karl V. nach Madrid. 1540 bat de Selve aus gesundheitlichen Gründen um seine Entlassung, im April des folgenden Jahres stirbt er mit 33 Jahren.
Aus seinen Schriften geht hervor, daß Georges de Selve ein frommer Mann war. Die Lösung aller Probleme, auch der weltlichen, lag für ihn in der Erneuerung des religiösen Lebens. Er tadelte den Zustand seiner Kirche ebenso wie die egoistischen Machtinteressen der Könige und Fürsten. Für Luthers Bemühungen hatte de Selve offensichtlich Sympathien, doch bekämpfte er die Kirchenspaltung. Höchstwahrscheinlich war er 1529 Frankreichs Vertreter beim Reichstag in Speyer und hielt dort ein großes Plädoyer für die konfessionelle Wiedervereinigung.
Holbein weist in seinem Bild auf diese Wiedervereinigungswünsche hin mit dem aufgeschlagenen Liederbuch in dem unteren Bord. Es ist kein französisches, kein englisches Exemplar, sondern ein deutsches: Johann Walthers »Geystliches Gesangbüchlein« gedruckt 1524 in Wittenberg. Zu sehen sind zwei Luther-Lieder: »Kom Heiliger Geyst Herregott« und »Mensch wiltu leben seliglich«. Der erste Text ist eine Eindeutschung von »Veni Creator Spiritus«, der zweite eine Hinführung zu den Zehn Geboten; beide Texte sind nach Inhalt und Tradition gut »katholisch«, sie zeigen das Gemeinsame der neuen lutherischen und der alten römischen Kirche.
In der Mitte Mathematik
Auf Doppelporträts des 16.Jahrhunderts werden die Personen meist eng beieinander gezeigt. Nicht so Dinteville und de Selve. Holbein rückt sie so weit wie möglich auseinander - bis jeweils an den Bildrand. Zwischen ihnen steht ein grob gezimmertes Doppelbord voller Bücher und Instrumente. Fast sieht es so aus, als wollte Holbein betonen, daß vor allem ihr gemeinsames Interesse für Naturwissenschaft die beiden Junggesellen verbinde.
Die Instrumente gehören alle in den Bereich der angewandten Mathematik. Links oben steht ein Himmelsglobus, daneben eine zylindrische Sonnenuhr, eine sogenannte Hirtenuhr. Gleich mehrere Sonnenuhren sind auf dem Polyeder angebracht, sie wurden auf Reisen benutzt. Dann gibt es zwei verschiedene Formen von Quadranten, auf dem unteren Bord ferner Handglobus, Richtscheit und einen Zirkel unter einem Lautenhals: Auch Musik wurde damals als mathematische Kunst begriffen. Die Rohre dürften als Behälter für Landkarten gedient haben.
Eine solche Anhäufung von Meßinstrumenten zur Charakterisierung eines Diplomaten und eines Geistlichen scheint uns heute absonderlich, war es aber damals keineswegs. Beide Männer hatten die Universität besucht. Mathematik wurde in der Renaissance zu einer der wichtigsten Disziplinen. Das ganze Mittelalter hindurch war sie vernachlässigt worden, das geistliche Weltbild hatte mehr gegolten als die Naturwissenschaften. Doch jetzt suchten die Menschen wieder nach den mathematischen und physikalischen Gesetzen, nach denen die Welt funktioniert. Auch die Maler beschäftigten sich mit Mathematik; Holbeins Landsmann Albrecht Dürer pries in seiner "Underweysung der messung mit dem zirckel und richtscheydt" die Geometrie als das wahre Fundament der Malerei. Vielleicht sind die beiden Instrumente auf Holbeins Bild ein Hinweis auf das Kollegenwerk.
Das Richtscheit liegt in einem Buch, das man ebenso wie das "Geystliche Gesangbüchlein« identifiziert hat. Es heißt: "Eyn unnd wolgegründte underweysung aller Kauffmanß Rechnung in dreyen Büchern mit schönen Regeln un fragstucken begriffen ...« Also ein Lehrbuch für kaufmännisches Rechnen, verfaßt von dem Ingolstädter Universitätsmathematiker Peter Apian und gedruckt 1527. Apian beginnt mit den Grundrechenarten und führt seine Leser bis zum Wurzelziehen; an Beispielen zeigt er, wie man etwa Goldwert in Silberwert oder die eine Münzart in eine andere umrechnet, und gibt dann »Fragstücke«, wie sie heute noch in den Schulen benutzt werden: »Item ein bot geht auß zu Leipzig un geht in 18 tagen ken Venedig und gleich in der stund geht ein bot zu Venedig auß der geht in 24 tagen kein Leipzig. Ist die frag in wie vil tagen komen sie zusamen.«
Der Globus hinter Apians Buch wird Johann Schöner aus Nürnberg zugeschrieben. Holbein stammt aus Augsburg, und es ist anzunehmen, daß die süddeutschen Gegenstände auf dem Bild von ihm eingebracht wurden und nicht von dem Auftraggeber. Holbein hat den Schönerschen Globus allerdings auf Dintevilles Wunsch hin ergänzt. Das ergibt ein Vergleich der Namenseintragungen mit dem Original. Etwa 100 Angaben haben sie gemeinsam, aber 20 Orte gibt es nur in Holbeins Wiedergabe. Es sind alles Eintragungen, die für Dinteville und seine Familie wichtig waren: Burgund etwa, Avern und Polisy.
Der Tod verbirgt sich im Vexier-Bild
Alles - die Personen ebenso wie die Gegenstände - hat Holbein auf seinem Bild annähernd realistisch wiedergegeben, mit einer Ausnahme; den Totenschädel über dem Steinboden. Auf den ersten Blick kann der Betrachter ihn kaum identifizieren. Erst wenn er vom rechten oder linken Bildrand aus hinsieht, wird der Schädel erkennbar, und nur mit einer die Proportionen verändernden Linse tritt er deutlich vors Auge.
Solche Anamorphosen, verzerrte Darstellungen also, waren damals durchaus bekannt. Sie wurden meist bei gezeichneten Porträts angewandt und technisch ermöglicht durch die Verwendung von Lineal und Längenmaß; also durch mathematisches Handwerkszeug: Zuerst fertigte der Maler ein normales Porträt in Umrissen und überzog es dann mit einem Netz rechtwinklig aufeinanderstoßender Linien. Auf einem zweiten Blatt deformierte er das Liniennetz - drückte es in der einen Richtung zusammen, zog es in der anderen auseinander - und übertrug dann das Porträt in die entsprechenden Felder. Eine mathematische Vexierspielerei.
Es gibt noch einen weiteren Totenkopf auf dem Bild, und zwar sehr klein auf der Brosche an Dintevilles Barett. Die zweifache Abbildung ist kein Zufall: Dafür ist Holbeins Bild zu durchdacht, zu sehr kalkuliert. Einen Hinweis auf die Bedeutung könnten zwei Bilder von Fra Vincenzo dalle Vacche geben, gemalt etwa 1520 für eine Kirche in Padua. Sie zeigen keine Personen, keine Anamorphosen, aber wie in Holbeins Gemälde Borde mit Gegenständen. Das eine Gemälde heißt "Eitelkeit der irdischen Macht der Kirche und der Laien" und zeigt beispielsweise Bischofskreuz, Krone, Sanduhr, Totenschädel. Auf dem anderen Bild mit dem Titel "Eitelkeit der Wissenschaft« sind versammelt: Himmelsglobus, Sextant, Mathematikbuch, Notenblatt und eine Viola mit gesprungener Saite. Auch die Laute bei Holbein hat eine gesprungene Saite. Sein Arrangement von Gegenständen wirkt wie eine Kombination der beiden italienischen Bilder. Thema: Eitelkeit, Vanitas.
Der Begriff "Eitelkeit« umfaßte damals mehr als heute, er bedeutete Blindheit gegenüber dem, was wichtig ist im Leben, er meinte auch die Vergeblichkeit aller menschlichen Bemühungen. Wer eitel ist, vergißt leicht, daß er sterben muß. Wer eitel ist, glaubt, er könne mit Hilfe von Wissenschaft die Welt erkennen. Die »Ungewißheit und Eitelkeit aller Künste und Wissenschaften« prangerte ein Pamphlet an, das 1529, also wenige Jahre bevor Hans Holbein sein Bild malte, in Latein erschien und von Cornelius Agrippa stammt, einem deutschen Autor. Dieser Agrippa schreibt darin, es seien "alle Künste und Wissenschaften nichts als Menschensatzungen und derselben einbildliche Gedanken ...", die Wahrheit dagegen sei "so groß und frei, daß sie mit keinem Nachgrübeln der Wissenschaft ... , sondern allein mit dem Glauben kann begriffen werden ...«
Holbeins Bild ist also mehr als nur ein Doppelporträt. Auf den ersten Blick wirkt es ganz irdisch, ganz diesseitig: zwei junge Männer, in Amt und Würden, umgeben mit Instrumenten zur mathematisch-naturwissenschaftlichen Erforschung der Welt. Auch der Aufbau des Bildes selbst mit der starken Betonung der Waagerechten und der Senkrechten scheint mathematisch angeordnet. Nur die schräg im Raum schwebende Anamorphose des Totenschädels widerspricht der rechtwinkligen Ordnung, gibt dem Werk eine nachdenkliche Note, verbirgt einen Kommentar.
Zieht man Texte wie den yon Agrippa oder Bilder wie die von Vicenzo dalle Vacche heran, dann könnte die Botschaft lauten: Alle Künste, Wissenschaften und Würden sind eitel. Jedoch, für eine solche Aussage hätte Holbein den Schädel nicht unkenntlich machen müssen. Deshalb scheint angemessener: Die Beschäftigung mit Wissenschaft und Kunst muß keineswegs eitel sein. Sie kann sehr wohl zu tieferen, zu umfassenderen Einsichten führen, und gelegentlich ist es sogar nur mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln möglich, den Tod hinter den Dingen, hinter dem schönen Schein sichtbar zu machen. Wie auf diesem Bild.
Quelle: Rose-Marie und Rainer Hagen: Bildbefragungen. Alte Meister im Detail. Taschen, Köln 1994, ISBN 3-8228-9611-X, Seite 44 bis 49
CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Booklet, Music Samples, Pictures) 41 MB
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Reposted on November 11, 2014
Ed or fra noi parliam da buoni amici
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