10. Mai 2016

»Kammermusik« von Carl Friedrich Abel

Seit jeher bestimmen sich Technik und Musikmachen, das Komponieren, in Folge dann die Musikpflege wechselseitig. Verbesserte Musikinstrumente für deren dienlichere Handhabung und zugleich für eine Qualifikation der Tongebung beeinflußten im ausgehenden 17. Jahrhundert den Ideengang der Komponisten so sehr, daß man von einer Musica nova instrumentalis zutreffend sprechen konnte. Es entstand eine Spielmusik, »Kammermusik« genannt, die nach Erfindung des Melos, der formalen Anlage nach und nicht zuletzt für den Spielvortrag gleichgut ein spezifisches Wohlklang-Musizieren erreichte.

Nun ist und bleibt als Bewegkraft zum Musizieren immer die Freude am Tun, am Spielvorgang, am Zusammenwirken, um schließlich doch das geschaffene Musikstück, das »Werk« zu entdecken. Zu diesem Erstvermögen ist zunächst wohl der Könner schlechthin, noch nicht gleich der »Virtuose« gefragt. Wenn dann der Komponist, der Musik-Urheber zugleich der Vortragende ist, dann wird das Kammermusik-Angebot für den Hörer uneingeschränkt ein »Erlebnis«.

Gewiß sind für diese CD solche Vorgedanken dem Zuhörer dienlich; denn diese CD bietet in unbezogener Folge vielartige Musik in verschiedenen instrumentalen Besetzungen; dazu von einem Komponisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der als Musikant, Solist, als Musikschöpfer einst hoch gerühmt war, den aber eine intensive Musikentwicklung über 150 Jahre vergessen hatte: Carl Friedrich Abel (1723-1787).

Von C. Fr. Abel - dennoch als der letzte große Virtuose des Gambespiels (Kniegeige), auch als Cembalist, als Könner auf vielen anderen Musikinstrumenten gerühmt - bietet diese Einspielung dem Zuhörer aus seinem OEuvre eindrucksvolle »Kammermusik« im besten Sinne des Wortes, Musik für den Musizierenden, um der Lust am Musikmachen willen. Diese Stücke waren einst, wie noch heute, nicht für das große Podium bestimmt, sondern für sich selbst, bestenfalls für eine Liebhaber-Runde im kleinen Raum, gewiß gar oft als Beigabe zu guter Unterhaltung.

Es geht hier darum, die Wirkung eines eindringlichen Musizierens aufzunehmen, eines Wirkens, das sich dennoch gar nicht »simpel« in der Kompositions-Anlage oder in der Ausdrucksgebung zeigt. Und so richtet sich beim Anhören dieser CD-Einspielung die Aufmerksamkeit schlechthin auf den unkompliziert zu hörenden Wohlklang dieser Musikstücke, wie zugleich die Achtung der für den Spielvortrag bereiten Ausführenden, denn diese mußten und müssen sich ja empfindungs- und gedankengleich zur »Komposition« einstellen; das ist wohl gelungen.

Alle für diese CD eingespielten Stücke - Sonaten, Trios, Gambe-Soli - repräsentieren den Komponisten Abel als Neuerer seiner Zeit, den des schwindenden Barockgeistes: ihm entgegen stehen Abels einfaches Melos, seine gewählte Formgestalt, seine schlichte, doch farbige Harmonik und auch eine abgestufte Dynamik. Alle Stücke dieser »Kammermusik« zeigen klar den Wandel von bisher gebotenen traditionellen Tanzformen zu absolutmelodischen »Charakterstücken« (ohne Titel freilich) von eindeutig unbeschwertem, klangfreudigem Ausdruck. Selbst die erhaltene Tanzform »Menuet« wird demgemäß verändert eingefügt. Erscheint dem heutigen Hörer manche Passage auch etwas naiv, so ist aber wohl doch mehr eine gewisse Sinnentiefe im Stile des Rokoko zuzugestehen.

Die führenden Melodiestimmen der Flöten-Soli mit Basso continuo, oder die Melodien in den Trios und Sonaten (mit Violinen oder Flöten) spiegeln Tendenzen für nahezu lyrische Passagen, und zwar gegen markante Basspartien.

Thomas Gainsborough: Porträt Carl Friedrich Abel,
 1777, Henry E. Huntington Library and Art Gallery,
 San Marino, Kalifornien.
Bei all seinem durch enge Freundschaft mit dem renommierten Maler Thomas Gainsborough bewiesenen Sinn und Blick für Natur und Farbe ist es doch unwahrscheinlich, daß der Komponist Abel für seine ausdrucksstarken Gambe-Stücke äußere, bildhafte Eindrücke musikalisch »wiedergegeben« hat. Nein - hier ist ursprüngliche musikalische Triebkraft, ist Improvisationskunst als das schöpferische Moment zu sehen.

Diese Gesichtspunkte scheinen für den Hörer dieser eingespielten verschiedenen Kammermusiken von Abel gewiß gebotener, als denn diesen Stücken mit musik-spezifischen Analysen oder gar irgendwelchen »Deutungen« (im Sinne romantischer Hermeneutik) beizukommen. Einzelnes sei gegebenenfalls dem Zuhörer noch empfohlen: Für die Solo-Gambe-Stücke mag der sensible, näselnde Eigenton »belauscht« werden; für den Melodiegang häufige Doppeltönigkeit, schließlich die Kunst des fließenden oder gar »statischen« Arpeggio.

Die Solo-Flöte-Stücke verlangen für sehr bewegte Passagen durchaus schon den »Virtuosen«, zumindest dann, wenn er noch auf der alten Lochflöte (statt neuer Klappenflöte) bläst.

Die Flöte-Duos haben ihren Klangreiz durch die voll-harmonischen Parallelen, oder sie bewirken musikalischen Eindruck mit kecken Imitationen.

Ist der frühere Begriff »Tonkunst«, als das könnende Gestalten mit Tönen, heute leider recht ungebräuchlich geworden: - hier in Abels Kammermusik repräsentiert er sich nahezu im Sinne seines zeitgenössischen Kunstwissenschaftlers J. Winckelmann: »edle Einfalt und stille Größe«; Momente, die ja auch den Sinfoniker Abel auszeichnen.

Hier noch Biographisches zu Abel in Kürze: Die Abels waren eine über viele Generationen in Mitteldeutschland, Westfalen und Bremen wirkende Musikerfamilie. Carl Friedrich A. wurde 1723 in Köthen als Sohn des Christian Ferdinand Abel geboren, der in Joh. Seb. Bachs dortige Hofkapelle »Premier-Musicus« war. Carl Fr. Abel wurde nach 1743 - gewiß von Bach aus Leipzig empfohlen - Gambist (Violoncellist) in der Dresdener Hofkapelle bei J. A. Hasse. Als der Siebenjährige Krieg Sachsen überrollte floh Abel, er gelangte über süddeutsche Stationen (auch mit beachteter Aufnahme im Hause Goethe in Frankfurt), über einige in Frankreich und Paris nach London, das er kurz vor G. Fr. Händels Tod im März 1759 erreichte. Sein vielartiges Konzertieren in der damaligen Musik-Metropole brachte ihm unmittelbar einen steilen Aufstieg: sehr bald von der hohen englischen Gesellschaft akzeptiert wurde er zum Königlichen Kammermusiker ernannt. Als vielseitiger Instrumentalist, nicht zuletzt als Komponist (46 Sinfonien, 18 Konzerte, mehr als 200 Kammermusiken) genoß Abel internationalen Ruf.

Den in London mit seinem Freund aus Jugendzeit, Joh. Christian Bach, 1765 gegründeten »Bach-Abel-Konzerten« kam lange Zeit europäische Bedeutung zu. Selbst Meister wie Jos. Haydn und der junge Mozart blickten auf Abel als Vorbild, Mentor und Förderer; Abels Schaffen blieb nicht ohne Einfluß auf dessen eigenes Oeuvre. Carl Friedrich Abel starb 1787 in London. Enorme geistige, gesellschaftliche Veränderungen danach ließen ihn vergessen; eine neuartige musikalische Aera klammerte ihn aus.

Mit Studien über die Wurzeln der »klassischen« Sinfonie stieß der Verfasser dieses Textes um 1930 auf Name und Werk des Frühklassikers Abel. In jahrelanger Kleinarbeit sammelte er in Nachschriften Abels Werke, rettete die Manuskripte über Kriegsbrand und Flucht (Leipzig) und konnte sie, redigiert, ab 1959 von Cuxhaven aus als die »Erste Gesamtausgabe (Partituren) der Kompositionen C. Fr. Abels« mit 16 Bänden, einem Katalog-Band und einer Monographie publizieren, was weltweit Beachtung fand.

Quelle: Walter Knape, im Booklet

Track 15: Trio in F Dur für zwei Querflöten und b.c. - II. Allegro ma non presto


TRACKLIST


Carl Friedrich Abel (1723-1787) 

Chamber Music


   Sonata V in F major for transverse flute and harpsichord      8'20
01 Adagio                                                        2'52
02 Allegro                                                       2'40
03 Vivace                                                        2'48

   Sonata VI in G major for transverse flute and harpsichord     9'47 
04 Adagio                                                        2'30
05 Un poco allegro                                               3'42 
06 Minuet (con variazioni)                                       3'35 

   Pieces for viola da gamba                                    15'21      
07 Adagio                                                        1'46      
08 Tempo di Minuet                                               1'45     
09 Allegro                                                       1'01     
10 (Adagio)                                                      2'35     
11 Adagio                                                        3'35     
12 Arpeggio                                                      1'52     
13 Andante                                                       2'47   

   Trio in F major for 2 transverse flutes and basso continuo    8'43 
14 Adagio                                                        2'07 
15 Allegro ma non presto                                         3'58 
16 Vivace                                                        2'38 

   Trio in G major for 2 transverse f1utes and basso continuo    9'27 
17 Moderato                                                      4'20 
18 Adagio ma non troppo                                          2'39 
19 Allegretto                                                    2'28 

   Sonata in A major for violoncello and basso continuo          7'56
20 Allegro moderato                                              2'37
21 Adagio                                                        3'15
22 Tempo di Minuetto                                             2'04 

                                                          T.T.: 61'08 
La Stagione:

   Karl Kaiser, transverse flute 
   Michael Schneider, transverse flute (14-19) 
   Rainer Zipperling, viola da gamba, violoncello 
   Nicholas Selo, violoncello (20-22, basso continuo) 
   Harald Hoeren, harpsichord 
   Susanne Kaiser, harpsichord (1-6) 

Recorded January, 1993, Erzengel-Michael-Kirche, Michaelshoven
Recording Supervisor: Günther Wollersheim
Recording Engineer: Werner Sträßer
Executive Producer: Burkhard Schmilgun, Barbara Schwendowius
(P) 1994 

Stanislaw Lem:



Von den Drachen der Wahrscheinlichkeit


Trurl und Klapaucius waren Schüler des großen Kerebron Emtadrat, der siebenundvierzig Jahre in der Neantischen Hochschule die allgemeine Drachentheorie gelehrt hatte. Bekanntlich gibt es keine Drachen. Einem simplen Verstand mag diese primitive Feststellung vielleicht genügen, nicht aber der Wissenschaft, denn die Neantische Hochschule befaßt sich überhaupt nicht mit dem, was existiert; die Banalität der Existenz ist längst erwiesen, als daß man auch nur ein Wort darüber verlieren sollte. So entdeckte der geniale Kerebron, der mit exakten Methoden dem Problem zu Leibe ging, drei Arten von Drachen: Nulldrachen, imaginäre und negative Drachen. Es existieren, wie gesagt, alle nicht, aber jede Gattung auf eine besondere und grundverschiedene Weise. Die imaginären und die Nulldrachen, Einbilder und Nuller von Fachleuten genannt, existieren auf eine viel weniger interessante Weise nicht als die negativen Drachen.

In der Drakologie war seit langem ein Paradoxon bekannt, das darin bestand, daß, wenn zwei negative Drachen herborisiert wurden (eine Aktion, die in der Drachenalgebra etwa der Multiplikation in der üblichen Arithmetik entspricht), als Resultat ein Minidrachen in der Menge 0,6 entsteht. Die Welt der Spezialisten zerfiel nun in zwei Lager, von denen eins behauptete, es handele sich um einen Teil eines Drachen, vom Kopfe an gerechnet, das andere, es sei ein Teil, aber vom Schwanze aus betrachtet. Trurls und Klapaucius' großes Verdienst bestand darin, die Falschheit dieser beiden Ansichten zu beweisen. Sie wandten zum erstenmal die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf diesem Gebiet an und schufen damit die probabilistische Drakologie, aus der hervorgeht, daß ein Drachen thermodynamisch nur im statistischen Sinne unmöglich sei, ähnlich wie Elfen, Waldschratte, Heinzelmännchen, Gnomen, Hexen und anderes. Von der allgemeinen Formel der Unwahrscheinlichkeit zählten beide Theoretiker die Koeffizienten der Gnomisierung, Elfisierung u. ä. auf. Aus der gleichen Formel geht hervor, daß man etwa sechzehn Quintoquadrillionen Heptillionen Jahre auf eine spontane Manifestation eines durchschnittlichen Drachens warten müsse.

Gewiß wäre dieses Problem eine mathematische Rarität geblieben, hätte nicht Trurl die allseits bekannte Erfindergabe besessen und beschlossen, diesem Problem empirisch auf den Grund zu gehen. Und da es sich um unwahrscheinliche Erscheinungen handelte, erfand er einen Wahrscheinlichkeitsverstärker und erprobte ihn zuerst bei sich im Keller, dann auf einem besonderen, von der Akademie gestifteten drakogenetischen Polygon, dem sogenannten Drakolygon. Die in der allgemeinen Unwahrscheinlichkeitstheorie Unbewanderten fragen sich bis auf den heutigen Tag, warum Trurl eigentlich einen Drachen und nicht eine Elfe oder ein Heinzelmännchen probabilisiert habe, und sie tun das aus Ignoranz, denn sie wissen nicht, daß ein Drachen ganz einfach viel wahrscheinlicher ist als ein Heinzelmännchen; vielleicht beabsichtigte Trurl in seinen Versuchen mit Verstärkern auch noch weiterzugehen, doch bereits der erste brachte ihm eine schwere Kontusion ein, denn der sich realisierende Drache schlug mit dem Bein aus.

Zum Glück konnte Klapaucius, der bei der Inbetriebnahme zugegen war, die Wahrscheinlichkeit herabmindern, und der Drachen verschwand. Viele Gelehrte wiederholten dann die Versuche mit dem Drakotron, da es ihnen aber an Routine und Kaltblütigkeit gebrach, gelangte eine beträchtliche Menge der Drachensaat, nachdem sie sie übel zugerichtet hatte, in Freiheit. Erst dann erwies es sich, daß die ekelhaften Ungeheuer ganz anders existieren, nämlich als Schränke, Kommoden oder Tische; die Drachen zeichnen sich vor allem durch eine im allgemeinen recht beträchtliche Wahrscheinlichkeit aus, wenn sie erst einmal entstanden sind. Wenn man nämlich auf einen solchen Drachen eine Jagd veranstaltet, obendrein eine Treibjagd, stößt die Schar der Jäger mit schußbereiten Waffen nur auf ausgebrannte, ganz und gar stinkende Erde, denn der Drache flüchtet, wenn er sieht, daß es schlecht um ihn steht, aus dem realen Raum in den konfigurativen. Als äußerst stures und schmutziges Tier macht er das natürlich rein instinktiv.

Primitiv denkende Personen, die nicht begreifen können, wie das vor sich geht, verlangen mitunter jähzornig, man möge ihnen doch diesen konfigurativen Raum zeigen; sie wissen nämlich nicht, daß sich die Elektronen, deren Existenz ja niemand, der hell im Kopfe ist, verneinen wird, ebenfalls nur im konfigurativen Raum bewegen und ihr Schicksal von den Wellen der Wahrscheinlichkeit abhängt. Übrigens fällt es einem Eigensinnigen leichter, der Nichtexistenz von Elektronen als der von Drachen zuzustimmen, denn die Elektronen schlagen, zumindest wenn sie einzeln sind, nicht mit den Beinen aus.

Ein Kollege Trurls, Kyber Harboriseus, verquantete als erster einen Drachen, bestimmte eine Einheit, Drakon genannt, mit der man bekanntlich die Zähler der Drachen kalibriert, und fixierte sogar die Windung ihres Schwanzes, was er fast mit dem Leben bezahlt hätte. Was gingen jedoch diese Errungenschaften die von den Drachen geplagten breiten Massen an, unter denen diese durch Trampeln, allgemeine Zudringlichkeit, Gebrüll und Flammen großen Schaden anrichteten und hie und da sogar Abgaben in Form von Mädchen erzwangen? Was ging die Unglücklichen an, daß Trurls Drachen als indeterministische, also nichtlokale Drachen sich zwar gemäß der Theorie, aber jedem Anstand hohnsprechend, verhielten und daß diese Theorie sogar die Biegungen ihrer Schwänze voraussah, die Dörfer und Saaten vernichteten? Es war also nicht verwunderlich, daß die Allgemeinheit den spektakulären Erfolg Trurls verurteilte, statt ihn richtig einzuschätzen, und eine Gruppe ganz besonderer Ignoranten auf dem Gebiet der Wissenschaft recht schmerzhaft den hervorragenden Wissenschaftler verprügelte.

Er jedoch wurde mit seinem Freund Klapaucius nicht müde weiterzuforschen. Daraus ging hervor, daß ein Drache in dem Grade existiere, der von seiner Laune und vom Zustand der allgemeinen Sättigung abhängt, ebenso, daß die einzige verläßliche Liquidationsmethode die Reduktion der Wahrscheinlichkeit auf Null oder gar auf negative Werte sei. Es ist daher begreiflich, daß diese Forschungen viel Mühe und Zeit verschlangen, derweil sich die Drachen, die sich in Freiheit befanden, immer mehr ausbreiteten und zahlreiche Planeten und Monde verwüsteten. Schlimmer noch, sie vermehrten sich sogar. Das gab Klapaucius die Gelegenheit, eine glänzende Arbeit zu veröffentlichen, nämlich »Die kovarianten Übergänge von Drachen zu Schlangen oder der spezifische Fall des Übergangs von physisch verbotenen zu polizeilich verbotenen Zuständen«. Diese Arbeit machte in der wissenschaftlichen Welt viel Furore, wo es noch um den berühmten Polizeidrachen laut war, mit dessen Hilfe tapfere Konstrukteure das Unglück ihrer unvergessenen Kollegen an dem bösen König Greulich rächten.

Aber was für Verwicklungen entstanden, als bekannt wurde, daß ein Konstrukteur, ein gewisser Basilius, genannt der Emerdwaner, in der ganzen Milchstraße herumreiste und allein durch seine Gegenwart dort das Auftreten von Drachen verursachte, wo man sie früher nie zu Gesicht bekommen hatte. Wenn die allgemeine Verzweiflung und die nationale Katastrophe den Höhepunkt erreichten, erschien er bei dem Herrscher des jeweiligen Landes, um die Vernichtung der Monstren in Angriff zu nehmen, nachdem er zuvor das Honorar dafür in langen Verhandlungen bis zur Unmöglichkeit hochgeschraubt hatte. In der Regel gelang ihm auch die Vertilgung, obschon niemand wußte, wie er das zuwege brachte, denn er handelte einsam und im geheimen. Er verbürgte sich übrigens nur für eine statistische Garantie des Erfolges seiner Drakolyse, und als ihm ein Monarch Gleiches mit Gleichem vergalt und ihn mit Dukaten bezahlte, die auch nur statistisch gut waren, fluchte er furchteinflößend.

Trurl und Klapaucius begegneten sich zu jener Zeit an einem heiteren Nachmittag, und es kam zwischen ihnen zu dem folgenden Gespräch: »Hast du schon von diesem Basilius gehört?« fragte Trurl.

»Ja, das habe ich.«

»Und was ist deine Meinung?«

»Die Geschichte gefällt mir nicht.«

»Mir auch nicht. Was denkst du darüber?«

»Ich glaube, daß er einen Verstärker anwendet.«

»Für die Wahrscheinlichkeit?«

»Ja, oder auch räsonierende Systeme.«

»Oder einen Drachengenerator.«

»Du meinst das Drakotron?«

»Ja.«

»Tatsächlich, das wäre gut möglich.«

»Aber weißt du«, rief Trurl, »es wäre auch eine Niedertracht. Das würde ja bedeuten, daß er diese Drachen sozusagen mitführt, aber nur im potenziellen Zustand, mit einer Wahrscheinlichkeit, die Null nahekommt.« […]

»Meinst du nicht, daß man in dieser Angelegenheit eigentlich an das Hauptamt für Drachenregulierung schreiben sollte?«

»O nein, das nicht. Schließlich tut er das vielleicht gar nicht. Wir besitzen diese Gewißheit nicht. Auch keine Beweise. Aber statistische Fluktuationen treten auch ohne Verstärker auf; früher hat es weder Matrizen noch Verstärker gegeben, und die Drachen waren manchmal aufgetaucht. Einfach rein zufällig.«

»Scheint so ... «, versetzte Trurl, »aber ... sie tauchen erst dann auf, wenn er auf dem jeweiligen Planeten angekommen ist!«

»Gewiß. Doch es schickt sich eben nicht, zu schreiben; immerhin ist er ein Fachkollege. Wir könnten höchstens selbst gewisse Schritte unternehmen.«

»Das können wir.«

»Also gut, auch ich bin dieser Meinung. Aber was tun?« […]

Ergebnis dieser durchdringenden Analyse der Erscheinung war eine Expedition, auf die sich beide Konstrukteure sehr sorgfältig vorbereiteten, ohne zu versäumen, ihr Schiff mit einer Menge komplizierter Apparaturen vollzuladen.

Insonderheit nahmen sie einen Diffusator sowie einen Mörser mit, der mit Antiköpfen schoß. Während der Reise, als sie nacheinander auf Enzien, Penzien und Coerulea landeten, wurde ihnen klar, daß sie außerstande sein würden, den gesamten von der Plage heimgesuchten Bereich durchzukämmen, selbst wenn sie sich für diesen Zweck in Stücke reißen würden. Einfacher war es natürlich, wenn sie sich trennten, und nach der Arbeitsbesprechung begab sich denn auch jeder in seine Richtung. Klapaucius arbeitete lange auf Prestopondien, wo ihn Kaiser Ruhmreich Ampetricius engagiert hatte, welcher auch bereit war, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, nur um die Monstren loszuwerden. Drachen von maximaler Wahrscheinlichkeit drangen sogar bis in die Straßen der hauptstädtischen Burg vor, und von virtuellen wimmelte es geradezu allenthalben.

Ein virtueller Drache »existiert« zwar nicht, würde ein naiver Durchschnittsmensch sagen, d. h. er kann in keiner Weise wahrgenommen werden, wie er auch nichts unternimmt, was seine Offenbarung hervorriefe, jedoch die von Kyber-Trurl-Klapaucius-Minog angestellte Berechnung, namentlich die Drako-Wellen-Gleichung, läßt deutlich erkennen, daß ein Drache aus dem konfigurativen Raum leichter in den realen Raum hinüberzuwechseln vermag als ein Kind aus dem Haus in die Schule. So konnte man also in der Wohnung, im Keller oder auf dem Dachboden jeden Augenblick bei allgemeinem Anstieg der Wahrscheinlichkeit einem Drachen begegnen, ja sogar einem Superdrachen.

Anstatt Drachen nachzujagen, was auch nicht viel eingebracht hätte, ging Klapaucius als echter Theoretiker methodisch an die Sache heran - stellte auf Plätzen und Squares, in Dörfern und Städten probabilistische Drakoreduktoren auf, und in kurzer Zeit waren die Ungeheuer eine große Seltenheit. Nachdem Klapaucius die Gebühren, das Ehrendiplom und die Wanderfahne kassiert hatte, startete er, um sich mit seinem Freund zu treffen. Unterwegs beobachtete er einen Planeten, von dem ihm jemand verzweifelt zuwinkte. In der Annahme, es könne Trurl sein, dem etwas Schlimmes widerfahren sei, landete Klapaucius.

Jedoch die Zeichen stammten von den Bewohnern Trufloforas, den Untertanen des Königs Grellius. Sie huldigten zahlreichen Vorurteilen und dem primitiven Glauben, und ihre Religion, die drakonistische Pneumatologie hieß, besagte, daß die Drachen als Strafe für Sünden erschienen und Seelen besäßen, die jedoch unsauber seien. Als er merkte, daß es zumindest unvernünftig wäre, sich mit den königlichen Drakologen auf Diskussionen einzulassen, denn die von ihnen benutzten Methoden beschränkten sich auf eine Beweihräucherung der heimgesuchten Stellen und auf die Verteilung von Reliquien, zog Klapaucius vor, das Terrain selbst zu sondieren. Den Planeten bewohnte augenblicklich nur ein Monstrum, aber eins von der scheußlichen Gattung der Jechiden. Er bot dem König seine Dienste an; aber der antwortete ihm nicht gleich frei heraus, da er sich ganz offensichtlich unter dem Einfluß der unsinnigen Doktrin befand, die die Ursachen der Entstehung von Drachen in eine metazeitliche Welt übertrug. […]

Gegen Ende einer der Audienzen fragte Klapaucius den König, ob nicht vielleicht schon Trurl auf seinem Planeten gewesen sei; und er beschrieb genau seinen Freund. Wie groß war seine Überraschung, als er vernahm, daß sein Kollege tatsächlich unlängst im Grelliusschen Reiche geweilt habe und es sogar übernommen hatte, die Jechide zu beseitigen, er habe eine Anzahlung genommen und sich in die nahe gelegenen Berge begeben, wo das Drachenweib besonders häufig beobachtet worden war; er sei darauf am nächsten Tage zurückgekehrt und habe das Gesamthonorar verlangt, und zum Beweis seines Triumphes habe er vierundzwanzig Drachenzähne gezeigt. Es kam jedoch zu gewissen Mißverständnissen, und die Auszahlung wurde bis zur Aufhellung der Angelegenheit gestoppt. Trurl soll darauf sehr erregt gewesen sein und sich in einer Weise mehrfach und laut über den herrschenden Monarchen ausgedrückt haben, die unverkennbar einer Majestätsbeleidigung geglichen habe, daraufhin habe er sich in unbekannter Richtung entfernt. Von diesem Tage an sei es um ihn still geworden, die Jechide jedoch sei zurückgekehrt, als wäre nichts geschehen, und verwüstete noch ärger Dörfer und Burgen zu allgemeinem Kummer.

Die Geschichte erschien Klapaucius recht verworren, aber es fiel schwer, die Worte, die aus dem königlichen Munde kamen, anzuzweifeln, so nahm er denn einen Rucksack voll der stärksten drakoziden Mittel und ging einsam in die Berge, deren verschneiter Kamm sich majestätisch über dem östlichen Horizont erhob.

Recht bald entdeckte er auf den Felsen die ersten Spuren des Monstrums, und selbst wenn er sie nicht bemerkt hätte, hätte er den charakteristischen stickigen Geruch der Schwefelausdünstungen wahrgenommen. Unverdrossen ging er weiter, jeden Augenblick bereit, zur Waffe zu greifen, die er sich über die Schulter gehängt hatte, und schaute ununterbrochen auf den Drachenzähler mit dem Pfeil. Eine Zeitlang stand er auf Null, dann begann er beunruhigend zu oszillieren, bis er allmählich, einen unsichtbaren Widerstand überwindend, in die Nähe der Eins rückte. Jetzt konnte Klapaucius nicht mehr daran zweifeln, daß sich die Jechide in der Nähe befand. Ihn wunderte es maßlos, denn es wollte ihm nicht in den Kopf, daß sein erprobter Kumpan und ein berühmter Theoretiker, wie Trurl es war, in seinen Berechnungen einen Bock schießen und somit das Drachenweib nicht vernichten konnte. Es fiel auch schwer, daran zu glauben, daß er, ohne sein Ziel erreicht zu haben, an den königlichen Hof zurückgekehrt sei und Belohnung für etwas verlangt habe, was er nicht gemacht hatte.

Bald begegnete er unterwegs einer Kolonne Einheimischer, die ganz augenscheinlich maßlos verängstigt waren, denn sie warfen besorgt Blicke nach allen Seiten und waren bemüht, dicht beieinander zu bleiben. Gebeugt unter der Last, die sie auf dem Rücken und auf dem Kopf trugen, stapften sie im Gänsemarsch den Hang hinauf, Klapaucius grüßte sie, hielt den Zug an und fragte den Wegführer, was sie denn täten.

»O Herr!« erwiderte ihm jener, ein königlicher Beamter niederen Ranges. »Wir bringen dem Drachen den Tribut.«

»Den Tribut? Ach so! Und was ist das für ein Tribut?«

»Er besteht aus dem, was der Drachen verlangt: aus Gold, Edelsteinen, ausländischen Parfüms und einer Menge anderer Sachen, die von höchstem Wert sind.«

Hier kannte Klapaucius' Verblüffung keine Grenzen mehr, denn Drachen fordern nie einen solchen Tribut, und ganz bestimmt nicht aromatische Düfte, die gar nicht imstande wären, ihren natürlichen Gestank zu überwinden, auch kein Bargeld, mit dem sie überhaupt nichts anzufangen wüßten. […]

Klapaucius entfernte sich, hierauf zog die Trägerkolonne weiter zum Berg, gebeugt unter der Last, denn der Drachentribut war schwer. […] Er schritt fürbaß auf dem Weg dahin, den er nach den Messungen des Drakoindikators wählte, welches Gerät er sich um den Hals gehängt hatte, auch den Zähler vergaß er nicht, doch der zeigte ununterbrochen Null und acht Zehntel Drachen an.

»Das muß ein sehr diskreter Drache sein, weiß der Teufel!« dachte Klapaucius, während er so marschierte, und alle Augenblicke blieb er stehen, denn die Strahlen der Sonne brannten entsetzlich, und in der Luft war eine Hitze, daß es über den erwärmten Felsen nur so zitterte, ringsum war nicht ein einziges Blättchen Vegetation zu sehen, nur rissiger trockener Schlamm in den Felsspalten und glühende Geröllhaufen, die sich bis zu den majestätischen Gipfeln erstreckten.

Eine Stunde verging, die Sonne neigte sich bereits auf die andere Seite des Himmels, und er schritt noch immer über Kiesfelder, über Felsspalten, bis er sich schließlich im Land der engen Hohlwege und Spalten voller Finsternis befand. Der rote Pfeil kroch bis zur Neun unter der Eins und erstarrte zitternd.

Klapaucius legte den Rucksack auf den Felsen und war gerade dabei, den Entdrakonisator herauszunehmen, als der Zeiger lebhaft zu schwanken begann. Er packte also den Wahrscheinlichkeitsreduktor und musterte scharfen Auges die Umgebung. Er befand sich auf einem Felsrücken und konnte in die Tiefe des Hohlwegs hineinschauen, in dem sich etwas bewegte. »Potzblitz, da ist sie!« durchfuhr es ihn. Die Jechide war nämlich weiblichen Geschlechts.

Ihm kam der Gedanke, daß sie sich vielleicht aus diesem Grunde keine Jungfrauen wünsche. Früher jedoch hatte sie sie gern genommen. »Merkwürdig, sehr merkwürdig, aber jetzt ist Treffgenauigkeit die Hauptsache, dann wird alles noch gut!« überlegte er und langte für alle Fälle noch einmal in den Rucksack nach dem Drakodestruktor, dessen Kolben die Drachen ins Nichtsein befördert hatten. Er beugte sich hinter einem Felsen vor. Auf dem Grunde des engen Talkessels kroch eine Drachin riesigen Ausmaßes in einem trockenen Flußbett, dunkelgrau, mit eingefallenen Flanken, als hätte sie großen Hunger gelitten. Chaotische Gedanken jagten einander in Klapaucius Hirn. Konnte er sie annihilieren, indem er das Vorzeichen der Drachenmatrix von positiv in negativ änderte, wodurch die statistische Wahrscheinlichkeit des Nichtdrachens Oberhand über den Drachen bekommen hätte?

Doch wie riskant war es, zog man in Betracht, daß schon eine winzige Oszillation eine Änderung verursachen konnte, deren Folgen katastrophal wären, denn schon manchem war in solcher Bestrahlung an Stelle eines Nichtdrachens ein Nichtlachen der Lohn, und wie soll auch von einem einzigen oder auch von zwei Buchstaben soviel abhängen! Übrigens würde eine totale Deprobabilisierung eine Untersuchung der Natur der Jechide unmöglich machen. So zögerte er und sah in Gedanken schon das reizvolle Bild der gewaltigen Drachenhaut in seinem Arbeitszimmer, zwischen dem Fenster und dem Bücherschrank; doch es war jetzt nicht die Zeit, sich Träumereien hinzugeben, obwohl sich ihm nun eine weitere Möglichkeit aufdrängte, als er niederkniete: dieses Exemplar mit so eigenartigem Geschmack an einen Drachenzoo abzutreten! Er hatte sogar noch Zeit für den Gedanken, was für eine wissenschaftliche Arbeit er, gestützt auf ein gut erhaltenes Exemplar, nebenbei schreiben könnte, er nahm also die Flinte mit dem Reduktor aus der rechten Hand in die linke, packte mit der rechten die mit dem Antikopf geladene Donnerbüchse, zielte sorgfältig und drückte ab.

Es krachte mordsmäßig. Ein perlgraues Rauchwölkchen ringelte sich um den Lauf und um Klapaucius, so daß er das Ungeheuer für einen Moment aus den Augen verlor. Aber gleich verzog sich der Rauch wieder.

Die alten Mären berichten eine Unmenge unwahrer Dinge über die Drachen. So heißt es zum Beispiel darin, die Drachen besäßen sieben Köpfe. So ist es nie. Ein Drache kann nur einen Kopf haben, denn zwei würden sogleich zu heftigen Streitigkeiten und Zänkereien führen; deshalb auch sind die Vielköpfer, wie die Gelehrten sie nennen, infolge innerer Zwistigkeiten ausgestorben. Von Natur aus hartnäckig und stumpfsinnig, vertragen diese Monstren nicht den geringsten Widerspruch, also führen zwei Köpfe an einem Körper zum schnellen Tode, denn jeder verweigert, um dem anderen zuwiderzuhandeln, die Nahrungsaufnahme und hält böswilligerweise sogar den Atem an mit sattsam bekanntem Erfolg. Ebendieses Phänomen hatte sich Euphorius Rührselig, der Erfinder der Antikopfbüchse, zunutze gemacht. Man schießt dem Drachen ein kleines handliches Elektronenköpfchen in den Leib, und es kommt im Nu zu Hader und Skandalen, und als Folge davon bleibt der Drache wie gelähmt, völlig erstarrt, einen Tag, eine Woche, manchmal einen Monat auf einer Stelle; es kommt vor, daß ihn die Erschöpfung erst nach einem Jahr bezwingt. In dieser Zeit kann man mit ihm anstellen, wozu es einem gerade gelüstet.

Jedoch der Drache, den Klapaucius angeschossen hatte, verhielt sich zumindest sonderbar. Er stellte sich zwar auf die Hinterbeine mit einem Gebrüll, von dem Steinlawinen über die Hänge rollten, er schlug auch mit dem Schwanz gegen die Felsen, bis der Geruch der entfachten Funken den ganzen Talkessel ausgefüllt hatte, dann kratzte er sich aber am Ohr, räusperte sich und ging weiter, als wäre nichts gewesen, er beschleunigte lediglich ein wenig seine Gangart, so daß er nun trabte. Klapaucius traute seinen Augen nicht, er jagte ihm über den Felsgrat nach und verkürzte sich so den Weg zum Ausgang des ausgetrockneten Flußbetts, denn nun schwebten ihm nicht nur eine kleine wissenschaftliche Arbeit vor oder ein, zwei Artikel im »Drachenalmanach«, sondern zumindest eine Monographie auf Kreidepapier mit einem Abbild des Drachen und dem des Autors!

An der Biegung kauerte er sich hinter dem Felsen nieder, legte den Unwahrscheinlichkeitswerfer an, zielte und betätigte die Depossibilitatoren. Der Kolben zitterte ihm in der Hand, die erwärmte Waffe umgab sich mit einem Schleier, den Drachen umringte ein Halo, wie den Mond, wenn sich schlechtes Wetter ankündigt, doch er löste sich nicht auf! Erneut machte Klapaucius den Drachen ganz und gar unwahrscheinlich; die Intensität der Impossibilität wuchs dermaßen an, daß ein vorbeifliegender Schmetterling mit dem Morsealphabet das zweite »Dschungelbuch« zu senden begann, und inmitten der Felsumrisse tauchten Schatten von Wahrsagerinnen, Hexen und Wurzelweibchen auf, und das vernehmliche Echo galoppierender Hufe kündete an, daß irgendwo Zentauren hinter dem Drachen einherjagten, die die horrende Spannung des Werfers aus der Unmöglichkeit beschworen hatte. Der Drache jedoch tat, als wäre nichts geschehen, kauerte sich schwerfällig hin, gähnte und begann vergnügt die hängende Wamme mit den Hinterpranken zu kratzen.

Die glühende Waffe brannte bereits Klapaucius' Finger, der verzweifelt auf den Abzugshahn drückte, denn er hatte bisher noch nie derartiges erlebt - die kleineren Steine in der Nähe erhoben sich langsam in die Lüfte, der Staub aber, den der sich kratzende Drache unter seinem Hinterteil emporwühlte, ordnete sich, anstatt in völligem Chaos niederzugehen, in der Luft in die gut lesbare Aufschrift Doktor, stehe ihnen zu Diensten. Es war dunkel geworden, denn aus dem Tag wurde Nacht, und ein paar Kalkfelsen brachen zu einem Spaziergang auf, unterhielten sich leise über dies und jenes, mit einem Wort, es geschahen wahre Wunder, das scheußliche Vieh jedoch, das kaum dreißig Schritt von Klapaucius entfernt ruhte, dachte nicht im geringsten daran, zu verschwinden. Klapaucius ließ den Werfer fahren und griff in den Brustlatz, holte eine Antidrachengranate hervor und schleuderte sie, seine Seele der Matrix allspinoraler Umwandlungen anvertrauend, nach vorn. Es donnerte, mit den Felsbrocken flog auch der Schwanz des Drachen in die Luft, welch letzterer mit unverfälscht menschlicher Stimme »Hilfe« rief und davonstiebte, geradewegs auf Klapaucius zu. Dieser sprang, als er den unausweichlichen Tod nahen sah, aus seinem Versteck hervor und hielt die kurze Antimateriearmbrust fest umklammert. Er holte aus, doch erneut ließ sich ein Schreien vernehmen: »Hör auf! Hör auf! Schlag mich nicht tot!«

»Was, ein redender Drache?« überlegte Klapaucius. »Das kann nicht sein, ich muß wahnsinnig geworden sein ...« Jedoch er fragte: »Wer spricht? Bist du's, Drache?«

»Was für ein Drache? Ich bin's!«

Und tatsächlich tauchte Trurl aus der zerfließenden Staubwolke empor; er faßte den Hals des Drachen an, hantierte daran, und der Riese fiel sacht auf die Knie und erstarb mit lang anhaltendem Klirren.

»Was soll diese Maskerade? Was hat das zu bedeuten? Woher der Drache? Was hast du in ihm gemacht?« Klapaucius' Fragen prasselten auf Trurl nieder, der seine vollgestaubte Kleidung säuberte und sich seines Freundes zu erwehren versuchte.

»Aber woher, wie denn, wo, was ... Laß mich doch zu Wort kommen! Ich habe einen Drachen vernichtet, der König verweigerte mir aber den Lohn dafür ...«

»Weshalb?«

»Sicherlich aus Geiz, ich weiß es nicht. Er wälzte das auf die Bürokratie ab, es müsse erst das Gutachtenprotokoll einer Kommission vorliegen, mit Messungen und mit einer Sektion, der Thronbetriebsrat müsse zusammentreten, dies und das, der Hauptschatzmeister habe geäußert, man könne sich nicht einigen, wie die Auszahlung vorzunehmen sei, denn sie falle weder in den Bereich des Lohnfonds noch in den des Allgemeinfonds, mit einem Wort, obwohl ich ihn bat und drängte, obwohl ich zur Kasse und zum König ging, beim Thronrat antichambrierte, es wollte mich niemand anhören; und als sie mir schließlich empfahlen, meinen Lebenslauf mit Paßbildern einzureichen - da ging ich eben, doch der Drache befand sich bereits in einem nicht mehr umkehrbaren Zustand. Ich zog ihm die Haut ab, schnitt einige Armvoll Haselnußruten, dann fand sich noch ein alter Telegraphenmast, und mehr war nicht nötig, ich stopfte ihn aus, na, und dann - dann spielte ich eben etwas vor ...«

»Unmöglich! Solltest du zu einer so schändlichen Methode Zuflucht genommen haben? Du? Warum, um Himmels willen, wenn sie dich nicht bezahlten? Ich begreife überhaupt nichts mehr.«

»Ach, dumm bist du!« Trurl zuckte herablassend mit den Schultern. »Sie zollen mir ja unablässig Tribut! Ich habe schon mehr erhalten, als ich verlangen durfte.«

»So ist das!!!« Eine Erleuchtung kam über Klapaucius. Aber gleich fügte er hinzu: Es ist ungehörig, durch Zwang ...«

»Wieso ungehörig? Habe ich denn etwas Böses getan? Ich bin in den Bergen herumspaziert, und abends habe ich etwas geheult. Ich war schrecklich echauffiert ...«, fügte er hinzu und setzte sich neben Klapaucius.

»Wodurch eigentlich? Vom Heulen?«

»Nein, wieso das? Kannst du wirklich nicht eins und eins zusammenzählen? Was denn für Heulen? Jede Nacht bin ich gezwungen, Säcke mit Gold aus der verabredeten Höhle nach oben zu schaffen, schau nur dorthin!« Er deutete mit der Hand auf einen entfernten Bergrücken. »Dort habe ich mir einen kleinen Startplatz vorbereitet. Wenn du solche Zwanzigpudlasten von früh bis spät schleppen müßtest, würdest du schon sehen! Dieser Drache ist ja gar kein Drache, allein die Haut wiegt an die drei Tonnen, ich muß sie schleppen, muß brüllen, muß stampfen - das am Tag, und nachts diese Plackerei. Ich freue mich, daß du gekommen bist. Ich hatte es wirklich schon satt ...«

»Aber warum eigentlich ist dieser Drache - das heißt diese scheußliche Larve - nicht verschwunden, als ich die Wahrscheinlichkeit bis auf Wunder herabminderte?« wollte Klapaucius wissen.

Trurl räusperte sich, als wenn er verwirrt wäre.

»Das ist meiner Umsicht zu verdanken«, erläuterte er. »Schließlich hätte hier irgend so ein dummer Jäger auftauchen können, meinetwegen der Basilius, also habe ich unter der Haut antiprobabilistische Schirme angebracht. Und jetzt komm, da sind noch ein paar Säcke Platin übriggeblieben - es ist das Schwerste von allem, ich wollte es nicht allein tragen. Es trifft sich wunderbar, du wirst mir helfen ...«

Quelle: Stanislaw Lem: Robotermärchen. Bibliothek Suhrkamp 366, Suhrkamp Frankfurt am Main, 1980, Seite 182-199 (gekürzt). Übersetzt von Caesar Rymarowicz

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