Als Robert Schumann seine drei Quartette, op. 41, schrieb, war er in Neuling im Genre des Streichquartetts. Seine Frau Clara hatte schon einige Jahre zuvor erste Quartettversuche ihres damaligen Verlobten mit der misstrauischen Frage quittiert, ob denn Robert auch genug von den Streichinstrumenten verstünde, um sich dieser Aufgabe zu stellen – eine Bemerkung, die Schumann mit sanfter Ironie beantwortete. 1842, nach der Komposition der ersten beiden Sinfonien und diverser anderer Kammermusiken, war der Weg zum Streichquartett dann endlich frei.
Schumann ging wohl vorbereitet an seine Aufgabe heran. Auf erste “quartettistische Gedanken”, wie er seinem Haushaltsbuch im Februar 1842 anvertraute, ließ er zunächst ein intensives Studium der Streichquartette Haydns, Mozarts und Beethovens im April und Mai dieses Jahres folgen, bevor er sich im Juni an regelrechte “Quartettversuche” heranwagte. Aus diesen gingen dann in der für ihn typischen Schnelligkeit drei vollständige Streichquartette hervor: die Werke in a, F und A, die er in nur sechs Wochen, zwischen Anfang Juni und Mitte Juli 1842, skizzierte und ausarbeitete. Den Erstfassungen schloss sich eine intensive Zeit der Erprobung durch das Quartett des Leipziger Konzertmeisters Ferdinand David an, in der noch manches geändert wurde. Erst im Januar 1843 beförderte der Komponist die Quartette als sein Opus 41 zum Druck, verbunden mit der Widmung an “seinen Freund Felix Mendelssohn-Bartholdy in inniger Verehrung”. Es sollten seine einzigen Streichquartette bleiben, ein Zyklus, der, aus romantischer Begeisterung und dem Studium der Klassiker erwachsen, dem Genre eine Fülle neuer Ausdrucksmöglichkeiten erschloss.
Schumanns eigene Gedanken über den idealen “Quartettstylisten” findet man in allen drei Quartetten bestätigt. Sie zeigen “Streben nach schöner Form”, “Reinheit des Satzes” und “künstliche Verflechtungen”, vor allem aber “originelles Gepräge der melodischen Führung”. Durch diese Originalität bilden sie in der Geschichte des Streichquartetts eine eigene Welt, unvergleichbar mit allen anderen Quartetten der Romantik, selbst mit denen eines Mendelssohn oder Brahms. Der intime Ton und die vokale Linie des Liederkomponisten Schumann verbindet sich hier mit Reminiszenzen an den späten Beethoven und dessen poetische Kunst der Themenverarbeitung. Eine Eigenart Schumanns, nämlich die Neigung, die Stimmen im Kanon zu führen, bringt außerordentliche Dichte in den Satz, der zudem von der seligsehnsuchtsvollen Harmonik des Klavierpoeten Schumann durchdrungen ist.
Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 63
Erst im Sommer 1847 schreibt Robert Schumann in Dresden das erste seiner drei zu Lebzeiten veröffentlichten und auch so bezeichneten Klaviertrios. Nach einigen Überarbeitungen kann er das vollendete Werk seiner Frau Clara zu deren 28. Geburtstag am 13. September 1847 als Geschenk überreichen. Noch am selben Abend spielt sie es im privaten Kreis mit zwei befreundeten Konzertmeistern aus der Dresdner Hofkapelle. Voller Begeisterung äußert sie in ihrem Tagebuch über dieses Stück: „Es klingt [...] so jugendfrisch und kräftig, dabei doch in der Ausführung so meisterhaft!“ Tatsächlich gehört dieses erste Werk in Trio-Besetzung aus Schumanns Feder von Anfang an zu den kammermusikalischen Perlen seines Oeuvres. Schon alleine die Tatsache, wie treffend er durch die voran gestellten deutschen Satzbezeichnungen Ausdruck und Charakter der nachfolgenden Sätze umreißt, beeindruckt den Hörer.
Schumanns Klaviertrio op. 63 erlebte in rascher Folge mehrere Aufführungen im privaten Kreis, bis es am 13. November 1848 bei einer Musikalischen Unterhaltung im Leipziger Tonkünstlerverein öffentlich uraufgeführt wurde. Noch im selben Jahr erschien es im Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig und schon am 20. Januar 1849 spielte man es im Leipziger Gewandhaus, wobei Clara Schumann den Klavierpart übernahm. Es zählt bis heute zu den bedeutendsten und populärsten Werken Schumanns, nicht zuletzt wegen seiner Umsetzung von Beethovens Gedanken „Durch Nacht zum Licht“: Vom aufwühlenden d-moll des Eröffnungssatzes bis zum triumphierend-strahlenden D-Dur im Finale.
Trio für Klavier, Violine und Violoncello, op. 88, “Phantasiestücke”
Schumanns erstes Klaviertrio wird heute nicht mehr so bezeichnet; es sind die vier Phantasiestücke, die er am Ende des Kammermusikjahres zwischen dem 6. und 28. Dezember 1842 entwarf und ausarbeitete. Bis 1850 konnte er sich nicht zu ihrer Veröffentlichung entschließen, so daß sie erst nach den beiden Trios op. 63 und 80 mit der Opuszahl 88 erschienen. Die Erklärung dafür liegt in der ungewöhnlichen Anlage des Werkes, das sich von einem klassischen Trio etwa in der Weise unterscheidet wie Antonin Dvoraks Dumky-Trio. Wie dieses, so besteht auch Schumanns op. 88 aus einem Potpourri von Sätzen in einfachen Liedformen und mit Tanzcharakteren, die den Anspruch eines Sonatenzyklus nicht erfüllen. Dennoch lassen die Tonartenfolge (a, F, d, a/A) und die Bezeichnung des letzten Stückes als Finale keinen Zweifel daran aufkommen, daß Schumann das Ganze als zyklisches Trio auffaßte.
Quintett Es-Dur für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier, op. 44
Am 8. Januar 1843 erlebte das Leipziger Gewandhaus eine der denkwürdigsten Uraufführungen seiner Geschichte: Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur, op. 44, wurde aus der Taufe gehoben. Seine Frau Clara saß am Klavier, der Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Ferdinand David, leitete das mitspielende Streichquartett. Es war das erste Kammermusikwerk mit Klavier, das Schumann öffentlich vorstellte, und das erste, das er veröffentlichte. Es entstand im “Kammermusikjahr” 1842, das in Schumanns Vita auf das Liederjahr 1840 und das sinfonische Jahr 1841 folgte und indem der Komponist außer dem Opus 44 noch seine drei Streichquartette, op. 41, das Klavierquartett, op. 47 und die Fantasiestücke für Klaviertrio, op. 88, geschrieben hat. Opus 44 ist insofern das bedeutendste dieser Werke, als es die Gattung des Klavierquintetts erst eigentlich begründete. Trotz erster Ansätze bei Boccherini, Louis Ferdinand von Preußen, Hummel und Schubert hatten sich weder Besetzung noch Gattungsstil bis zu diesem Zeitpunkt konsolidiert. Erst Schumanns Werk wurde in Besetzung (Klavier und Streichquartett) und Anlage zum Vorbild für alle späteren Klavierquintette (Brahms, Franck, Fauré usw.).
Entstanden war das Klavierquintett in einem schwärmerischen Schaffensrausch im Lauf von nur fünf Tagen jenes Jahres 1842: am 23. September hatte Schumann – laut Haushaltsbuch – den ersten “Anflug zu einem Quintett”, am 28. hatte er es vollständig skizziert, zwischen dem 5. und 7. Oktober folgte die Reinschrift. Clara Schumann notierte in dieser Zeit in ihr Tagebuch: “Die letzte Woche des Septembermonats ist, was unser äußeres Leben betrifft, sehr still hingegangen, umsomehr aber hat mein Robert mit dem Geist gearbeitet! er hat ziemlich ein Quintett vollendet, das mir nach dem, was ich erlauscht, wieder herrlich scheint – ein Werk voll Kraft und Frische!”
Quartett Es-Dur für Klavier, Violine, Viola und Violoncello, op. 47
Robert Schumann komponierte sein einziges Klavierquartett in Es-Dur, op. 47, als letztes größeres Werk in seinem sogenannten “Kammermusikjahr” 1842. Nach den frühen Klavierwerken und dem “Liederjahr” 1841 hatte sich der Komponist bekanntlich im folgenden Jahr intensiv der Kammermusik zugewendet. Auf die drei Streichquartette, op. 41, im Juni und das Klavierquintett, op. 44, im September folgte Ende Oktober das Klavierquartett, das er mit der ihm eigenen Schnelligkeit in nur fünf Wochen entwarf und instrumentierte. Bis zur Uraufführung im Leipziger Gewandhaus mit seiner Frau Clara am Klavier und Ferdinand David an der Geige vergingen freilich noch zwei Jahre intensiver Privataufführungen und Revisionen, an denen auch Felix Mendelssohn maßgeblich beteiligt war.
Die vier Sätze des Klavierquartetts sind in sich und untereinander thematisch eng verwoben: Die langsame Einleitung des Kopfsatzes kehrten im Lauf des Allegro noch zweimal wieder, vor der Durchführung und der Coda. Schumann hat diesen Zug des Satzes von Mozart übernommen (Streichquintett D-Dur, Ouvertüre zur “Zauberflöte”). Das zweite Trio greift dessen Hauptmotiv des Scherzos auf. Am Ende des langsamen Satzes wird die Kontur des Finalthemas vorweggenommen. Auf diese Weise scheinen alle Teile des Werkes zu einem geheimnisvollen Ganzen zu verschmelzen.
“Märchenerzählungen”. Vier Stücke für Klarinette, Viola und Klavier, op. 132
Die Märchenerzählungen Opus 132 waren Robert Schumanns vorletztes Kammermusikwerk. Ihre Entstehung und ihre ersten Aufführungen waren auf teils glückliche, teils tragische Weise mit den letzten Monaten seines Düsseldorfer Wirkens verknüpft. Ende September 1853 stellte sich beim Ehepaar Schumann in Düsseldorf ein junger Musiker aus Hamburg mit einem „Johanneskopf“ und langem blonden Haar vor: Johannes Brahms. Er war dem berühmten Ehepaar schon von zwei gern gesehenen Gästen im Hause Schumann angekündigt worden: von dem genial begabten Geiger Joseph Joachim und von Albert Dietrich. Dieses Dreigestirn junger Musiker beflügelte Schumann zu einem Schaffensrausch, der in wenigen Oktobertagen gleich drei neue Opera entstehen ließ.
In nur drei Tagen waren die “Märchenerzählungen” vollendet (9.-11. 10.). Darauf folgten die “Gesänge der Frühe”, sein letzter Klavierzyklus Opus 133 (12.-18.10.). Schließlich schrieb er gemeinsam mit Brahms und Dietrich die F.A.E.-Sonate für Violine und Klavier als Geschenk für Joseph Joachim (22./23.10.). Bis 1. November erweiterte er seine beiden Beiträge zu dieser Gemeinschaftskomposition zu einer vollständigen viersätzigen Violinsonate, der a-Moll-Sonate WoO 2, die sein letztes Kammermusikwerk bleiben sollte.
So schnell wie die Kompositionen zu Papier gebracht wurden, so rasch folgten die Aufführungen. Bereits am 23. Oktober wurden die „Märchenstücke“ zum ersten Mal gespielt, von seiner Frau Clara am Klavier mit dem Geiger Becker und dem Klarinettisten Kochner. Joseph Joachim führte sie wenig später bereits öffentlich in einer Soirée auf, wo sie mit Wohlwollen aufgenommen wurden.
Trotz der ungewöhnlichen Besetzung wurde der kleine Zyklus vom Verlag Breitkopf und Härtel sofort angenommen und schon im Februar 1854 publiziert. Stolz konnte Schumann am 20. Februar sein erstes Exemplar dem Widmungsträger Albert Dietrich überreichen – an einem jener Tage, an denen er von den Gehör-Halluzinationen verschont blieb, die ihn seit Wochen quälten. Nur eine Woche später, am Rosenmontag, stürzte sich der Komponist in geistiger Verwirrung von der Düsseldorfer Rheinbrücke in den Strom. Fischer zogen ihn aus dem Wasser. Mitten durch die grölende Narrenschar musste der durchnässte, verwirrte und verzweifelte Schumann nachhause getragen werden. Es folgte die Einweisung in die Nervenheilanstalt in Endenich bei Bonn, die er bis zu seinem Tod zweieinhalb Jahre später nicht mehr verlassen sollte.
Vom tragischen Ende jener letzten Düsseldorfer Monate geben die Märchenerzählungen noch keine Vorahnung. Sie sind ein heiterer Zyklus von vier Charakterstücken, teils träumerisch zart, teils mutwillig verwegen und chevalresk. Schumann knüpfte hier an seine Märchenbilder von 1851 an, fügte aber dem Duo aus Viola und Klavier noch eine Klarinette hinzu. Wie die früheren Märchenstücke wurde auch das Opus 132 von den Zeitgenossen als konkrete Umsetzung bestimmter Grimmscher Hausmärchen in Musik verstanden – offenbar auch missverstanden. Ein Kritiker meinte, „dass der Componist in diesen Fantasiestücken musikalische Bilder über verschiedene Mährchen hat geben wollen“ (Neue Berliner Musikzeitung, August 1856).
An die Illustration etwaiger Grimmscher Hausmärchen dachte Schumann freilich weniger als an eine märchenhafte „Aura“, die vornehmlich von der Instrumentation ausgeht, wie seine Frau Clara in ihrem Tagebuch festhielt: „Heute vollendete Robert 4 Stücke für Klavier, Klarinette und Viola und war selbst sehr beglückt darüber. Er meint, diese Zusammenstellung werde sich höchst romantisch ausnehmen“ – romantisch im Sinne von geheimnisvoll. So nannte der Komponist die Stücke „märchenartig“, die Zusammenstellung der drei Instrumente erschien ihm „von ganz eigen-thümlicher Wirkung“.
Fantasiestücke für Klarinette (Violine) und Klavier, op. 73
In seinen späten Jahren ab 1849 überwog in Robert Schumanns Kammermusik das “kleine Genre” (Wasielewski) der Romanzen, Fantasiestücke und Idyllen. Wegen ihres durchweg beschaulichen Charakters und ihrer schlichten Formen hat man sie als Rückzug des Komponisten in die biedermeierliche Idylle gedeutet, ja geradezu als Flucht ins häusliche Glück vor den revolutionären Wirren von 1848/1849 (Dresdner Maiaufstand). Tatsächlich war der späte Schumann mit diesen kurzen, drei- bis fünfteiligen Zyklen jedoch nicht weniger innovativ als mit vielen seiner früheren Werke, denn sie zogen eine ganze Flut von ähnlichen Stücken bei Komponisten wie Reinecke, Bruch, Herzogenberg u.a. nach sich.
In ihrem Bemühen um Schlichtheit des Ausdrucks, um einen “Volkston”, der dem Interesse der demokratisch bewegten Öffentlichkeit um 1848 an allgemein verständlicher Kunst entgegenkam, entsprechen sie dem Zeitgeist. Zugleich waren sie ein Abbild Schumannscher Innerlichkeit, “zarte, duftende Blumen, die keinen Triumphzug durch den Saison machen -Hollen, sondern im stillen Kreise das Gemüth erquicken werden.
Wesentlich für den engen Zusammenhang der vier Zyklen Adagio und Allegro für Horn, Fantasiestücke für Klarinette, Romanzen für Oboe, Stücke im Volkston für Cello, alle mit Klavier – ist ihre Entstehung im Verlauf von knapp zehn Monaten, zwischen Februar und Dezember 1849. Die drei Bläserzyklen sind in enger Zusammenarbeit mit Solobläsern der Staatskapelle in Dresden entstanden. Auf den spezifischen Klang von Horn, Klarinette und Oboe nahm Schumann soweit Rücksicht, dass Übertragungen für ihn ausgeschlossen waren. Als ihm sein Verleger vorschlug, die Oboenromanzen mit einer alternativen Klarinettenstimme zu veröffentlichen, schrieb er erbost zurück: “Wenn ich originaliter für Klarinette und Klavier komponiert hätte, würde es wohl etwas ganz anderes geworden sein.”
Tatsächlich zeigen die “originaliter für Klarinette” komponierten Fantasiestücke, op. 73, einen anderen Charakter als die intimen Oboenromanzen. Sie sind größer im Ton, draufgängerischer, aber auch weicher in den gesanglichen Passagen. Schumann erfand hier jene gesangliche, dabei kraftvolle und kernige Manier der Klarinettenmusik, wie sie noch 30 Jahre später Brahms in seinen beiden Klarinettensonaten aufgreifen sollte. Vom melancholischen ersten Stück über das freundliche Zweite bis zum zerklüfteten Dritten beschreiben die drei Stücke Fantasiebilder, wobei freilich die Melancholie des späten Schumann fast durchweg vorherrscht.
Vier Stücke für Viola und Klavier, op. 113, “Märchenbilder”
Mährchen-Bilder war nur einer von mehreren Titeln, die Schumann für sein im März 1851 komponiertes Opus 113 in Erwägung zog. Andere lauteten Violageschichten, Mährchengeschichten, Mährchenlieder oder einfach Mährchen. Auf der Titelseite der Originalausgabe von 1852 war eine märchenerzählende Alte zu sehen. Einen Rezensenten verführte dies dazu, die Stücke kurzerhand als Märchen der Tante Bratsche zu bezeichnen, was jedoch den Sachverhalt nicht trifft. Zum einen sind die Motive der imaginären Märchengeschichten auf Klavier und Viola gleichmäßig verteilt. Zum anderen ist der Inhalt dieser “Geschichten” oder “Bilder” kein konkreter, sondern ein poetisch-musikalischer Versuch, den Ton des Märchens – das Erzählende – in Musik zu fassen. Dies wird – ähnlich wie in den Oboenromanzen – durch eine bewußt volkstümliche Melodik mit vielen Wiederholungen und klarer Periodik erreicht. Nebenbei wird auch die Idiomatik der Viola wunderbar ausgenutzt, so etwa in den Doppelgriffen des zweiten Stückes oder den “mit springendem Bogen” zu spielenden Triolen des dritten. Schumann selbst nannte die Stücke “Kinderspäße, es ist nicht viel damit”.
Fünf Stücke im Volkston für Violoncello und Klavier, op. 102
Obwohl Schumann auch diesen kleinen Zyklus bereits im April 1849 komponierte, ließ er die fünf Cellostücke erst 1851 als Opus 102 veröffentlichten. Ihren besonderen Reiz beziehen diese Miniaturen nicht nur aus den wunderbaren Kantilenen des Cellos, besonders im dritten Stück, sondern auch aus den ungarischen, nordischen und sonstigen „Volkstöne“, die Schumann hier aufgriff und zu feinsten Dialogen verarbeitete. Wie schon der Titel besagt, ging es ihm um die Stilisierung der Musik im Sinne einer „imaginären Folklore“. Parallel mit den Cellostücken komponierte er das Spanische Liederspiel für vier Solostimmen und Klavier aus, das von der gleichen zündenden Wirkung der Rhythmen und folkloristischen Kraft der Melodien inspiriert ist.
Sonate a-Moll für Violine und Klavier, op. 105
Die späten Violinwerke von Robert Schumann verdanken ihre Entstehung hauptsächlich einem genialen, jungen Geiger, mit dem sich der alternde Komponist in Düsseldorf anfreundete: Joseph Joachim. Der Ungar, der bald Deutschlands bedeutendster Geiger und Kammermusiker sowie der engste Freund von Johannes Brahms werden sollte, brachte ins Düsseldorfer Haus der Schumanns bei jedem seiner Besuche Glanz und eine ungetrübte Freude am Musizieren, der Clara und Robert frönten.
Joachims Spiel und Persönlichkeit inspirierten Schumann zu zwei seiner drei Violinsonaten: zur “großen Sonate” Nr. 2 in d-Moll und zur heute noch kaum bekannten Nr. 3 in a-Moll, die Schumann nachträglich aus den ergänzten Beiträgen zur sogenannten F.A.E.-Sonate zusammenstellte.
Die erste Sonate in a-Moll ist in den Proportionen deutlich gedrungener als ihre beiden Geschwister, beinahe eine “kleine Sonate” in nur drei Sätzen. Sie wurde für den Geiger und späteren Schumann-Biographen Joseph Wasielewski geschrieben, der sie auch mit Schumanns Frau Clara aus der Taufe hob. Freilich nahmen sich schon wenig später auch der Leipziger Konzertmeister Ferdinand David und Joseph Joachim des Werkes an. Die Pianistin Fanny Davies hat beschrieben, wie Joachim diese Sonate zusammen mit ihrer Lehrerin Clara Schumann gespielt hat: “am Anfang unter Hochdruck mit einem impulsiven Crescendo der Geige über dem atemlosen Agitato der gebrochenen Klavierdreiklänge; den zweiten Satz als Tongedicht von pastoraler Einfachheit; das Finale fließend wie in einem Bachstück. Unvergesslich, wie Joachim am triumphalen Höhepunkt des Finales seine Geige wie ein Horn erschallen ließ.”
Große Sonate d-Moll für Violine und Klavier, op. 121
Robert Schumann nannte seine 2. Violinsonate – im Gegensatz zur ersten – “große Sonate”, was sich sowohl auf ihre gesteigerte Virtuosität als auch auf ihre größere Ausdehnung bezieht. Durch die Anlage in vier Sätzen mit langsamer Einleitung erreicht sie quasi sinfonische Dimensionen. Die gesteigerte Brillanz war auf die Fähigkeiten des Widmungsträgers zugeschnitten, des Geigers Ferdinand David. Der langjährige Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters und Widmungsträger des Mendelssohnschen Violinkonzerts erschien Schumann als idealer Interpret dieser “großen Sonate”.
Wie durch viele seiner Klavier- und Kammermusikwerke lies Schumann auch durch die Violinsonate aus dem Jahre 1851 den Namen des Widmungsträgers in Form von Tonbuchstaben geistern: aus dem Namen DA(vid), F(erdinan)D gewann er das Motto d-a-f-d, das gleich zu Beginn in den Spitzentönen der Akkorde “kurz, aber energisch” vorgestellt wird: vom d zur Unterquart abspringend, dann vom f zum d, schließlich vom a zum f. Am Anfang des Allegro kehren die gleichen Töne in tiefer Lage in der Geige wieder, grundiert von einem unruhigen Synkopenmotiv des Klaviers. In der Überleitung wird die kleine Terz des Mottos (f-d) besonders hervorgehoben, während das lyrische Seitenthema von demselben synkopischen Motiv begleitet wird wie das Hauptthema. Der weitere Satzverlauf wird ganz von dem viertönigen Motto und seinem Kontrapunkt bestimmt.
Quellen: Kammermusikführer Villa Musica Rheinland-Pfalz | Irmgard Knechtges-Obrecht im Schumann-Portal
CD 1, Track 7: String Quartet No 1 F major Op 41 No 2 - III Scherzo Presto Trio L'istesso tempo
TRACKLIST Robert Schumann (1810-1856) CHAMBER MUSIC (complete) CD 1 49:40 String Quartet No. 1 in A minor Op. 41 No. 1 01 I. Introduzione - andante espressivo - allegro 9:12 02 II. Scherzo, presto - Intermezzo 3:44 03 III. Adagio 7:04 04 IV. Presto - moderato 6:45 String Quartet No. 2 in F major Op. 41 No. 2 05 I. Allegro vivace 6:06 06 II. Andante, quasi variazioni 8:40 07 III. Scherzo - presto - trio - l’istesso tempo 3:15 08 IV. Allegro molto vivace 4:25 Alberni Quartet: Howard Davis, Violin I Peter Pople, Violin II Berian Evans, Viola David Smith, cello Recording: l976, Unitarian Church, Rosslyn Hill, Hampstead, UK Producer: Simon Lawman - Engineer: Bob Auger :
CD 2, Track 6: Piano Trio No 1 D minor Op 63 - II Lebhaft doch nicht zu rasch
CD 2 62:04 String Quartet No. 3 in A major Op. 41 No. 3 01 I. Andante espressivo - allegro molto moderato 7:37 02 II. Assai agitato - un poco adagio - tempo risoluto 6:57 03 III. Adagio molto 9:10 04 IV. Allegro molto vivace 7:07 Piano Trio No. 1 in D minor Op. 63 05 I. Mit Energie und Leidenschaft 12:05 06 II. Lebhaft, doch nicht zu rasch 4:48 07 III. Langsam, mit inniger Empfindung 5:58 08 IV. Mit Feuer 8:11 Alberni Quartet (1-4): Israel Piano Trio (5-8) Howard Davis, violin I Alexander Volkov, piano Peter Pople, violin II Menahem Breuer, violin Berian Evans, viola Marcel Bergman, cello Gregory Baron, cello Recording: 1975 (1-4) resp. 1986 (5-8), Church of St. George the Martyr, Holborn, London Producer: Simon Lawman - Engineer: Bob Auger :
CD 3, Track 9: Fantasiestücke Op 88 - I Romanze
CD 3 73:57 Piano Trio No. 2 in F major Op. 80 01 I. Sehr lebhaft 8:07 02 II. Mit innigem Ausdruck 8:37 03 III. In mässiger Bewegung 4:47 04 IV. Nicht zu rasch 5:45 Piano Trio No. 3 in G minor Op. 110 05 I, Bewegt, doch nicht zu rasch 9:30 06 II. Ziemlich langsam 6:42 07 III. Rasch 4:04 08 IV. Kräftig, mit Humor 7:00 Phantasiestücke Op. 88 09 I. Romanze 2:32 10 II. Humoreske 6:47 11 III. Duett 3:30 12 IV. Finale, in Marschtempo 5:48 Israel Piano Trio: Alexander Volkov, piano Menahem Breuer, violin Marcel Bergman, cello Recording: September 1988 Rosslyn Chapel, Hampstead, London Producer: Jill White - Engineer: Bob Auger
CD 4, Track 6 Piano Quartet E flat major Op 47 - II Scherzo molto vivace
CD 4 55:22 Piano Quintet in E fkat major Op. 44 01 I. Allegro brillante 8:57 02 II. In moda d’una marcia - un poco largamente - agitato 8:20 03 III. Scherzo, molto vivace 4:50 04 IV. Allegro ma non troppo 6:51 Piano Quartet in E flat major Op. 47 05 I. Sostenuto assai - allegro ma non troppo 8:46 06 II. Scherzo, molto vivace 3:30 07 III .Andante cantabile 6:15 08 IV. Finale, vivace 7:26 Thomas Rajna, piano Alberni Quartet: Howard Davis, violin I Peter Pople, violin II Berian Evans, viola Gregory Baron, cello Recording: 1976, Rosslyn Hill Chapel, Hampstead, London Producer: Simon Lawman - Engineer: Bob Auger CD 5 50:02 Märchenerzählungen, for piano, clarinet and viola Op. 132 01 I. Lebhaft, nicht zu schnell (allegretto) 3:11 02 II. Lebhaft und sehr markiert (vivace e ben marcato) 3:24 03 III. Ruhiges Tempo, mit zartem Ausdruck (andante espressivo con tenerezza) 4:29 04 IV. Lebhaft, sehr markiert - etwas ruhigeres Tempo 5:03 Fantasiestücke, for clarinet and piano Op. 73 05. Zart und mit Ausdruck - Lebhaft,leicht - Rasch und mit Feuer 10:55 Märchenbilder, for viola and piano Op. 113 06 I. Nicht zu schnell 3:40 07 II. Lebhaft 3:27 08 III. Rasch 2:27 09 IV . Langsam, mit melancholischem Ausdruck 5:11 10. Adagio and Allegro for viola and piano Op. 70 7:45 Nash Ensemble (1-5): Ian Brown, piano Antony Pay, clarinet Roger Chase, viola Jolanta Bartosiak, viola (6-10) Beata Cywinska, piano (6-10) Recording: 1984, Rosslyn Hill Chapel, Hampstead, London Producer: Simon Lawman - Engineer: Bob Auger
CD 6, Track 1: Adagio and Allegro Op 70 - I Langsam, mit innigem Ausdruck
CD 6 48:03 Adagio and Allegro Op. 70 0l. Langsam, mit innigem Ausdruck 4:12 02. Rasch und feurig 4:50 Drei Romanzen Op. 94 03 I. Nicht zu schnell 3:15 04 II. Einfach, innig 3:50 05 III. Nicht schnell 4:02 Fantasiestücke Op. 73 06 I. Zart und mit Ausdruck 3:24 07 II . Lebhaft, leicht 3:20 08 III. Rasch und mit Feuer 4:34 5 Stücke im Volkston Op. 102 09 I. Mit Humor 3:09 10 II. Langsam 3:34 11 III. Nicht zu schnell, mit viel Ton zu spielen 3:44 12 IV . Nicht zu rasch 2:07 l3 V. Stark und markiert 3:ll Marek Jerie, cello Ivan Klansky, piano Recording: Juni 1985, Kirche Blumenstein, Stockental, CH Producer: Jakob Stämpfli CD 7 72:50 Violin Sonata No. 1 in A minor Op. 105 01 I. Mit leidenschaftlichem Ausdruck 8:35 02 II. Allegretto 4:47 03 III. Lebhaft 5:44 Violin Sonata No. 2.in D minor Op. 121 04 I. Ziemlich langsam - lebhaft 13:10 05 II . Sehr lebhaft 4:31 06 III. Leise, einfach 6:20 07 IV . Bewegt 8:47 Violin Sonata No. 3 in A minor Op. posth. 08 I. Ziemlich langsam - lebhaft 6:48 09 II. Scherzo 3:23 10 III. Intermezzo 3:30 11 IV. Finale 7:15 Ara Malikian, violin Serouj Kradjian, piano Recording: October 1988, Tonstudio Vagnsson, Hannover, Germany Producer and engineer: Hrolfur Vagnsson 7 CD BOX ADD/DDD STEMRA
Aus dem »Buch ohne Titel«
von Raymond M. Smullyan
Soll man sich Sorgen machen?
Wenn sich jemand viele Sorgen macht, ist er offensichtlich unglücklich, denn sich Sorgen zu machen, ist eine der kummervollsten Beschäftigungen im Leben. Sorgt man sich nicht genug, dann (so habe ich jedenfalls gehört) ist man womöglich noch schlimmer dran, weil man vielleicht die notwendigen Vorkehrungen nicht trifft, um eine Katastrophe abzuwenden, die unter Umständen noch unangenehmer ist, als sich ständig Sorgen zu machen.
Wer ist nun besser dran, der Luftikus, der den Tag genießt und sich ums Morgen nicht kümmert, oder der sorgenvolle, vorsichtige Mensch, der alle erdenklichen Vorkehrungen für die Zukunft trifft, aber sich ständig sorgt, daß er nicht besorgt genug ist?
Mein ganzes Leben lang haben mir Leute gesagt, daß mein Hauptproblem meine Sorglosigkeit sei, und ich muß gestehen, das macht mich besorgt.
Der Mann, der ein ausgeglichenes Leben führen wollte
Es war einmal ein Mann, der wünschte sich ein Leben in heiterer Gemütsruhe. Merkwürdigerweise verbrachte er all seine Tage damit, darüber zu schimpfen, daß sein Leben nicht seinen Vorstellungen entsprach.
Glück
Jim: Bist du im Augenblick glücklich?
John: Teils, teils.
Jim: Kannst du mir das erklären?
John: Ja, ich habe gerade das erste wirklich überzeugende Argument für die Unsterblichkeit der Seele gehört. Jetzt weiß ich sicher, daß ich nach meinem körperlichen Tod weiterexistieren werde. Das macht mich sehr glücklich. Andererseits ist eben mein Steak angebrannt.
Drei Arten von Optimisten
Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Optimisten und einem unheilbaren Optimisten? Nun, ein Optimist ist jemand, der sagt: „Es steht alles zum besten; die Menschheit wird überleben.“ Ein unheilbarer Optimist ist jemand, der sagt: „Es steht alles zum besten; die Menschheit wird überleben. Und auch wenn die Menschheit nicht überlebt, steht alles zum besten.“
Dann gibt es noch, was ich einen pessimistischen Optimisten nennen würde. Ein pessimistischer Optimist ist jemand, dertraurig seinen Kopf schüttelt und sagt: „lch fürchte wirklich, es steht alles zum besten!“
Bescheidenheit
A: Für einen Mann mit deinen Fähigkeiten bist du bemerkenswert bescheiden!
B: Ich bin nicht bescheiden.
A: Ah, jetzt habe ich dich durchschaut! Indem du deine Bescheidenheit ableugnest, versuchst du den Eindruck zu erwecken, so bescheiden zu sein, daß du überhaupt kein Lob für dich in Anspruch nehmen willst - nicht einmal für deine Bescheidenheit. Aber ich durchschaue dich! Du gibst dir den Anschein von Bescheidenheit, aber indem du das tust, bist du höchst unbescheiden!
B: Das sagte ich bereits - ich bin nicht bescheiden.
Bescheidenheit?
Ein Gegenstück zur vorigen Begebenheit ist die Geschichte von dem Mann, der in dem Ruf stand, der bescheidenste Mensch der Welt zu sein. Er unterzeichnete all seine Briefe mit „Er, der bescheiden ist“.
Diesen Fall diskutierte nun eines Tages ein Student mit seinem Rabbi.
Er sagte: „Wie kann der Mann denn bescheiden sein, wenn seine Signatur ,Er, der bescheiden ist‘ so offensichtlich vom Gegenteil zeugt?“ Der Rabbi erwiderte: „Das siehst du falsch; das siehst du ganz und gar falsch! Er ist die Bescheidenheit in Person. Bescheidenheit ist so sehr zum Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden, daß er sie nicht mehr als Tugend ansieht.“
Kann nicht oder will nicht?
ich kenne eine Frau, die raucht. Sie sagt: Es ist nicht etwa so, daß ich rauchen muß; ich tue es gern. Wenn ich wollte, könnte ich es jederzeit ohne weiteres aufgeben, aber ich sehe keinen Grund, das zu tun. ich kann dir versichern, ich könnte es, wenn ich wollte.“ Ihr Mann sagt zu ihr: „Das ist doch bloß eine spitzfindige Bemäntelung! Du könntest das Rauchen nicht aufgeben, auch wenn du wolltest. Du bist nicht willensstark genug um aufzuhören, du mußt rauchen. Nur um dich besser zu fühlen und um dir deine Charakterschwäche nicht eingestehen zu müssen, redest du dir ein, du rauchtest gern. Aber das ist nur eine spitzfindige Bemäntelung!“
Ich kenne noch eine Frau, die raucht. Sie sagt: „Es ist nicht so, daß ich rauchen möchte; ich kann es nicht lassen! ich habe mehrfach versucht aufzuhören, aber ich habe es nicht geschafft! Ich fürchte, ich bin eben ein willensschwacher Mensch. Ich würde nur zu gern aufhören, aber ich kann es einfach nicht.“ Ihr Mann sagt zu ihr: „Das ist doch bloß eine spitzfindige Bemäntelung! Natürlich könntest du sofort aufhören, wenn du es wirklich wolltest. Nein, du ziehst es vor zu rauchen (schließlich zwingt dich ja niemand) und fühlst dich unwohl und schuldig, weil du etwas tust, wovon du weißt, daß es schädlich ist. Und nur um die moralische Verantwortung für dein Verhalten nicht auf dich nehmen zu müssen, redest du dir ein, daß du es nicht ändern kannst. Aber das ist bloß eine spitzfindige Bemäntelung.“
Für mich stellt sich bei all dem nur die Frage: „Warum sind die Menschen nur so unglaublich dumm?“
Geschlossene Denksysteme
Eines der menschlichen Phänomene, das mich sehr stört, ist bei Leuten zu finden, deren Art zu denken dergestalt ist, daß sie keine Möglichkeit haben, jemals festzustellen, ob sie sich irren. Jedem rationalen Einwand gegen ihr Denksystem können sie mit rationalen Gegenargumenten im Rahmen ihres Systems begegnen, die nur dann überzeugend sind, wenn man die Prämissen des in Frage gestellten Systems akzeptiert. Betrachten wir einige offensichtliche Beispiele dafür:
1. Ein Calvinist, der, nach der fundamentalen Doktrin des Calvinismus gefragt, ausruft: „Natürlich kannst du nicht verstehen, daß ich recht habe. Du bist eben nicht errettet!"
2. Ein dogmatischer Theist, der, nach der Existenz Gottes befragt, sagt: „Natürlich kannst du nicht an Gott glauben! Du bist zu stolz, die Existenz einer Wesenheit zuzugeben, die dir überlegen ist.“
3. Jemand, der an den Teufel glaubt und sagt: „Natürlich glaubst du nicht an den Teufel. Das erste, was der Teufel schlauerweise tut, ist, den Menschen weiszumachen, er existiere nicht.“
4. Ein Atheist, der sagt: „Alle rationalen Argumente, die ich anführen kann, werden dich nicht überzeugen können, daß es keinen Gott gibt. Du hast ein kindisches‚ irrationales Bedürfnis, daran zu glauben.“
5. Ein Marxist, der sagt: „Natürlich kannst du weder die ökonomische Interpretation der Geschichte akzeptieren, noch kannst du begreifen, daß der Klassenkampf das Wichtigste ist. Du bist in einem zu bourgeoisen Elternhaus aufgewachsen.“
6. Ein Freudianer, der sagt: „Du kannst natürlich nicht einsehen, daß ich recht habe. Alle Gründe, die du gegen die Theorie der Psychoanalyse angeführt hast, sind nur defensive Rationalisierungen, um das nichtsehen zu müssen, wovor du dich am meisten fürchtest.“
7. Eine Feministin, die sagt: „Natürlich siehst du nicht, daß dies eine Männerwelt ist, und Männer die Frauen unterdrücken, nicht nur auf ökonomischem Gebiet, sondern außerdem auch in psychologischer Beziehung und im persönlichen Bereich. Das bemerkst du natürlich nicht, du bist ja ein Mann!“ (Oder, wenn sie mit einer Frau spricht: „Natürlich merkst du das nicht; du stehst unter dem Einfluß männlich-chauvinistischer Ideologie, was nur beweist, daß ich recht habe“)
Ich habe nun wohl mehr als genug Beispiele gegeben. interessant ist, daß in der Mehrzahl der Fälle jede der erwähnten Gruppen ohne weiteres die Vorurteile der anderen durchschaut. Und ich muß sicherlich in eine vergleichbare Kategorie gehören, ohne daß ich mir dessen bewußt bin.
Ich frage mich nur, was ich für Vorurteile habe.
Ein seltsames Paradoxon
lch glaube, das folgende ist recht typisch für unser Denken. Betrachten wir den Menschen, der sagt: „Oh Gott! Ich bin ein Nichts! Ich bin nichts als ein unbedeutendes Stäubchen in der Unendlichkeit. Ich bin wirklich ein Nichts!“ Aber derselbe Mensch wird auch sagen: „Ich bin ein Mensch, und Menschen stehen natürlich über den Tieren (da Gott uns mit einem freien Willen ausgezeichnet hat). Die Tiere nun stehen natürlich über den Pflanzen. Blumen sind Pflanzen. Blumen! Was ist schöner und vollkommener als eine Blume? Die Schönheit und Vollkommenheit einer Blume ist unübertrefflich. Blumen sind das Schönste an Gottes Schöpfung. Es gibt nichts Schöneres.“
Nun stehe ich ja offensichtlich über der Blume. Eine Blume ist unübertrefflich, und dennoch bin ich nur ein elendes Nichts. Ist das nicht bemerkenswert?
Vier amerikanische Indianer
Erster Indianer: Ob ich an den Großen Weißen Geist glaube? Natürlich glaube ich daran. Ich kann ihn sogar spüren.
Zweiter Indianer: Wie ich dich beneide! Ich habe immer an den Großen Weißen Geist geglaubt, aber ich habe ihn nie verspürt.
Dritter Indianer: Wie seltsam! Bei mir ist es umgekehrt. Ich habe den Großen Weißen Geist immer verspürt, konnte aber nie an ihn glauben. Ich bin der Ansicht, daß ich ihn verspüre, ist nichts als kindlicher Aberglaube, den mich die Ältesten gelehrt haben.
Vierter Indianer: Es scheint, als sei ich der einzige hier, der gesund ist und über die nötige Reife verfügt! Ich spüre den Großen Weißen Geist nicht, noch glaube ich an ihn.
Eine traurige Geschichte
Es war einmal ein Mann, der verbrachte die erste Hälfte seines Lebens mit dem Versuch, berühmt zu werden. Es gelang ihm nicht. Dann verbrachte er die zweite Hälfte seines Lebens mit dem Versuch, jenen mystischen Zustand zu erlangen, in dem es nicht mehr wichtig war, ob er berühmt war oder nicht. Auch das gelang ihm nicht.
Noch eine traurige Geschichte
Es war einmal ein Mann, der mystische Eingebungen empfing. Er erlangte dadurch bemerkenswerte Einblicke in das Wesen der Welt. Darüber schrieb er umfangreiche Bücher, er schrieb und schrieb und schrieb. Er war jedoch durchaus nicht frei von Eitelkeit, sondern war sehr stolz auf seine Werke. Wenn er ein Buch fertiggestellt hatte, las er es noch mehrmals mit Freude und wachsendem Stolz.
Während der nächsten Jahre verlor er langsam seine Gabe, mystische Eingebungen zu empfangen. Eines Tages las er eines seiner letzten Werke nochmals und verstand kein Wort mehr von dem, was er geschrieben hatte.
Ein Kompromiß
Zwei Jungen fanden einmal einen Kuchen. Einer sagte: „Toll‚ den werde ich essen!“ Der andere sagte: „Nein, das ist nicht gerecht! Wir haben den Kuchen zusammen gefunden und müssen ihn deshalb teilen, für jeden eine Hälfte.“ Der erste Junge sagte: „Nein, ich will den ganzen Kuchen!“ Der zweite sagte: „Nein, wir teilen ihn zu gleichen Stücken, jeder bekommt eine Hälfte.“ Der erste sagte: „Nein, ich will den ganzen Kuchen.“ Der zweite sagte: „Nein, wir teilen ihn halbe halbe.“ Ein Erwachsener, der das Gespräch gehört hatte, kam herbei und sagte: „Ihr solltet euch darum nicht streiten, schließt doch einen Kompromiß: gib ihm drei Viertel des Kuchens.“
Verrückt?
A: Warum nennst du Hans verrückt? Hat er wirklich Wahnvorstellungen?
B: Nein, das Problem ist, daß er sich einbildet, er hätte welche.
Ein skeptischer Mystiker
Peter: Hast du schon einmal okkulte Erscheinungen gehabt?
Paul: Oh ich habe dauernd welche, aber ich glaube nicht daran.
Vernunft und Unvernunft
Es war einmal ein Mann, der war ständig und unbeirrbar vernünftig. Er wurde gefragt: „Warum sind Sie so vernünftig?“ Er antwortete: „Weil es unvernünftig ist, so vernünftig zu sein. Im Grunde genommen bin ich unvernünftig. Ich finde es herrlich, unvernünftig zu sein - je mehr desto besser. So vernünftig wie ich zu sein, ist das Unvernünftigste‚ was man tun kann. Deshalb bin ich so vernünftig.“
Über Leben und Tod
A: Würdest du Henry einen lebensbejahenden Menschen nennen?
B: Ganz bestimmt! Er liebt das Leben. Er ist ein Mensch, der sein Leben in vollen Zügen genießt.
A: Aber einmal wird auch er sterben!
B: Darüber macht er sich keine Sorgen! Er pflegt zusagen: „Warum sollte ich mir Sorgen übers Sterben machen? Es wird nicht wahrend meiner Lebenszeit passieren!“
Über das Alleinsein
A: Wie kommt es, daß du nie Leute besuchst? Fühlst du dich nicht allein?
B: Ganz und gar nicht! Ich bin zwar in der Tat allein aber ich fühle mich nicht allein. Wenn ich mit Menschen zusammenkomme, wird mir schmerzlich bewußt, daß es Menschen gibt, mit denen ich nicht zusammen sein kann. Und dann fühle ich mich allein. Aber wenn ich allein bin, vergesse ich völlig, daß es andere gibt, und dann fühle ich mich überhaupt nicht allein.
Berühmt
Ich diskutierte einmal mit einem sehr scharfsinnigen Freund über das Thema Ruhm. Nach einer Weile sagte er: „Es kommt ganz darauf an, was man unter berühmt versteht. Hältst du beispielsweise Gott für berühmt?“
Offenbarungen
Warum sollte ich an die Offenbarungen anderer Leute glauben? Es fällt mir schwer genug, an meine eigenen zu glauben!
Ich denke, also bin ich?
Ich denke, also bin ich?
Kann sein!
Oder ist es in Wirklichkeit jemand anders, der bloß denkt, er wäre ich?
Die Frucht der Erkenntnis
Adam aß die Frucht der Erkenntnis, weil er es nicht besser wußte. Wenn er nur ein bißchen mehr gewußt hätte, hätte er genug gewußt, um nicht etwas so Dummes anzustellenl
Können wir in den Garten Eden zurückkehren? Wenn wir ganz von vorn beginnen könnten, wenn wir noch einmal in den Zustand völliger Unschuld zurückversetzt würden, hätten wir auch nicht mehr das Wissen, das uns davon abhalten würde, den Apfel wieder zu essen. Deshalb würden wir wieder vertrieben werden. Den Garten Eden und den Zustand der Unschuld als die bestmöglichen Verhältnisse zu betrachten, muß daher als Fehler angesehen werden. lhr Manko besteht darin, daß sie offenkundig innerlich instabil und selbstzerstörerisch sind.
Es ist zu schade, daß es nicht zwei Bäume der Erkenntnis im Garten Eden gab, einen großen und einen kleinen. Der kleine Baum hätte nur die Erkenntnis zu vermitteln brauchen: „Es ist ein Fehler, Früchte vom großen Baum zu essen.“
Was gibt es?
Jemand hatte einmal folgende Idee für eine Frage in einer Physikprüfung: „Definiere das Universum und gib zwei Beispiele.“
Mir ist dazu die Variante eingefallen: „Definiere Entität und führe ein Gegenbeispiel an.“
Quine beginnt seinen berühmten Essay „On What There Is“ mit den Worten: „Eigenartig am ontologischen Problem ist seine Einfachheit. Es kann durch drei Wörter formuliert werden: ‚Was gibt es?‘ Die Antwort besteht nur aus einem Wort - ‚Alles‘.“
Das erinnert mich an eine Begebenheit in Oscar Mandels bezauberndem Buch „Chi Po und der Zauberer“. Besonders gut gefällt mir der Untertitel: „Eine chinesische Erzählung für Kinder und Philosophen.“ lch kaufte es, weil ich mich beiden Gruppen zugehörig fühlte - ganz bestimmt der ersten und eventuell auch der zweiten. In dieser Geschichte hat der Junge Chi Po Malunterricht beim Zauberer Bu Fu. Eines Tages schaut sich Bu Fu Chi Pos Malerei an und sagt: „Nein, nein! Du hast nur das gemalt, was es gibt. Das kann jeder! Die wahre Kunst ist, zu malen, was es nicht gibt.“ Worauf Chi Po sehr verwirrt sagte: „Aber was gibt es, das es nicht gibt?“
Eine Bemerkung über den Mystizismus
Ich denke, man kann den Mystizismus als das Studium der Aussagen charakterisieren, die ihrer eigenen Negation äquivalent sind. Für das westliche Denken sind Aussagen dieser Art sinnlos. Für das östliche Denken sind sie sinnlos, wenn und nur wenn sie es nicht sind.
Östliches und westliches Denken komprimiert
Östlicher Denker: Und deshalb ist das Begreifen des Geistes und seine Befreiung von Sorgen und Ängsten unser höchstes Ziel im Leben.
Westlicher Denker (ängstlich): Nein, nein! Sorgen und Ängste brauchen wir im Lebenskampf!
Noch eine Bemerkung über den Mystizismus
Ich habe mich manchmal gefragt, ob Mystiker nicht auf der Suche nach etwas sind, das die meisten Menschen schon haben.
Eine Bemerkung zu Kants Kategorischem Imperativ
Mir fiel kürzlich zu meiner Überraschung auf, daß ich Kants Kategorischem Imperativ gehorche, den ich ablehne, denn ich wünsche mir in der Tat als universales Gesetz, daß ihn jeder ablehnt. („Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“)
Magische Objekte
Wäre es nicht lustig, wenn die gegenständlichen Dinge nur existierten, solange sie nicht wahrgenommen würden! Das hieße, solange sie nicht gesehen, gefühlt, gehört usw. würden, existierten sie, aber in dem Moment, in dem sie jemand wahrnähme, hörten sie auf zu existieren; sie würden dann nur noch zu existieren scheinen, aber ihre Erscheinung wäre nur eine Illusion.
Witzigerweise ist ein solches Universum logisch möglich!
Quelle: Raymond M. Smullyan: Buch ohne Titel. Eine Sammlung von Paradoxa und Lebensrätseln. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1983. ISBN 3-528-08485-5
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