Schuberts vierundzwanzig Stationen eines Wegs ins Nichts sind das zentrale Anliegen eines Sängers gewesen, der über 3000 Lieder von mehr als 100 Komponisten im Repertoire führte, neben den großen Baritonpartien von Bach und Händel über Verdi und Wagner bis hin zu Henze und Reimann. Als vielseitigste Sängerpersönlichkeit unserer Tage ist Fischer-Dieskau, der sich mittlerweile von Bühne und Podium zurückgezogen hat [1995], auch Maler, Buchautor, Rezitator und Dirigent. Die »Winterreise« von 1965 sah ihn stimmlich und gestalterisch auf einem der Höhepunkte seiner Weltkarriere: Verdis »Falstaff« unter Luchino Viscontis Regie, »Macbeth« bei den Salzburger Festspielen, Strawinskys »Abraham and Isaac«.
Dietrich Fischer-Dieskau, Sohn eines Berliner Gymnasialdirektors, faszinierte von seinen Anfängen an nicht nur durch Timbre, Radius und Bravour seiner Stimme, sondern gleichermaßen durch einen hohen Intellekt, wie er sich bereits in der Wortbehandlung äußert. Die Verse des Romantikers Wilhelm Müller, die Schubert 1827 vertonte, werden durchleuchtet bis ins kleinste, die Spiegelungen in Schuberts großenteils irritierend neuen, freien Liedformen hervorgehoben. In seinem Buch »Auf den Spuren der Schubert-Lieder. Werden, Wesen, Wirkung« (Wiesbaden 1971) schreibt Fischer-Dieskau über den Zyklus:
»Selbst Schubert, von dessen Ausspruch man weiß, daß es für ihn eigentlich keine lustige Musik gab, hatte zuvor noch keine solche Variationenkette über das Leid in Angriff genommen. Die Hauptperson ist nur unscharf umrissen. Um so eindringlicher tritt jedoch die Natur vor den Blick. Das winterliche Land mit seinem Schneesturm, den vereisten Flüssen, den kahlen Bäumen und dem sie durchwandernden Opfer der Unwirtlichkeit und Kälte formt sich zur immer wiederholten Klage. Schubert hört ja so gern auf die Sprache der Natur; vornehmlich leises, fast unhörbares Rauschen erhöhte er in Tönen. Rütteln der Stürme, Raunen des Waldes, Flüstern der Pflanzen, Weben der Wiesen, sie werden in seiner Sprache vernehmbar. Und nicht nur im Lindenbaum befreit er die Pflanze zum musikalisch sprechenden Wesen. So wenig ehrgeizig oder kompliziert sich Müllers Verse präsentieren, so wenig geht Schubert über die Einfachheit musikalischer Textur hinaus. Sein ungeteiltes Interesse gilt der Tiefe der Empfindung, nicht psychologischer Überfeinerung. Entbehrung, Verzicht, Träume bedrängen den Liebenden. Lang und verzweifelt dauert der Kampf mit seinen Gefühlen an. Sechzehn der Lieder stehen in Moll, die Agonie nimmt kein Ende, bevor nicht der Wahnsinn erreicht ist.«
Die »Winterreise«, Schuberts Selbstbekenntnisse aus der letzten Lebenszeit, hat Dietrich Fischer-Dieskau in Monstersälen in Japan wie in den USA, in Theaterräumen wie in Aufnahmestudios oft und oft gesungen, ja den Zykius international vollends bekannt gemacht. Er stellte sich die Frage »Soll man die Winterreise überhaupt öffentlich singen, ein so intimes Tagebuch der Seele vor den unterschiedlich interessierten Ohren der Hörer ausbreiten? Es hat sich inzwischen erwiesen: Die Sorge vor dem Teil des Publikums, der von einem Liederabend nur gepflegte ästhetische Unterhaltung erwartet, darf nicht vorherrschen. Man sollte keine Scheu vor dem vereisenden Eindruck haben, den diese Lieder in der richtigen Wiedergabe, ohne alle Konzessionen an österreichischen Charme oder Tränenseligkeit, hervorrufen, und sich gegebenenfalls auch dafür tadeln lassen. Wenn diese Stücke nicht mehr als Genuß, Rührung oder Schauer in uns wecken, ist das Ideal der völligen Offenheit gegenüber Schuberts Aussage noch nicht erreicht. Die Winterreise geht über nur lyrische Anforderungen weit hinaus, bis zur Dramatik reicht die Skala des Ausdrucks.«
Quelle: Karl Schumann, im Booklet
Track 1: Gute Nacht
Gute Nacht
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh' -
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.
Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wählen mit der Zeit;
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such ich des Wildes Tritt.
Was soll ich länger weilen,
Daß man mich trieb' hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht
Von einem zu dem andern
Fein Liebchen, gute Nacht!
Will dich im Traum nicht stören,
Wär schad um deine Ruh,
Sollst meinen Tritt nicht hören
Sacht, sacht die Türe zu!
Schreib im Vorübergehen
Ans Tor dir gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
An dich hab ich gedacht.
TRACKLIST Franz Schubert (1797-1828) Winterreise D 911 Voyage d'hiver - Viaggio d'inverno Liederzyklus nach Gedichten von / Song cycle to poems by / Cycle de lieder d'après des poèmes de / Ciclo di lieder su liriche di Wilhelm Müller Dietrich Fischer-Dieskau, Baritone Jörg Demus, Piano 01. Gute Nacht 5'38 02. Die Wetterfahne 1'46 03. Gefrorene Tränen 2'37 04. Erstarrung 2'58 05. Der Lindenbaum 4'41 06. Wasserflut 4'10 07. Auf dem Flusse 3'45 08. Rückblick 2'26 09. Irrlicht 2'33 10. Rast 3'02 11. Frühlingstraum 4'00 12. Einsamkeit 2'53 13. Die Post 2'20 14. Der greise Kopf 3'03 15. Die Krähe 2'00 16. Letzte Hoffnung 2'15 17. Im Dorfe 3'02 18. Der stürmische Morgen 0'52 19. Täuschung 1'34 20. Der Wegweiser 4'08 21. Das Wirtshaus 4'28 22. Mut! 1'25 23. Die Nebensonnen 2'37 24. Der Leiermann 3'09 Gesamt 71'22 ADD Recording/Aufnahme/Enregistrement: Berlin, Ufa-Studio, 5/l965 Executive Producer: Otto Gerdes - Recording Producer: Karl Faust Tonmeister (Balance Engineer): Hans-Peter Schweigmann LP released/veröffentlicht/paru 1966 CD released/veröffentlicht/paru 1995
Track 24: Der Leiermann
Der Leiermann
Drüben hinterm Dorfe
Steht ein Leiermann,
Und mit starren Fingern
Dreht er, was er kann.
Barfuß auf dem Eise
Wankt er hin und her;
Und sein kleiner Teller
Bleibt ihm immer leer.
Keiner mag ihn hören,
Keiner sieht ihn an;
Und die Hunde knurren
Um den alten Mann.
Und er läßt es gehen
Alles, wie es will,
Dreht, und seine Leier
Steht ihm nimmer still.
Wunderlicher Alter,
Soll ich mit dir gehn?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier drehn?
"Wenn du die Stimme hinzufügst, ist hier Derich selbst"
Eine Spurensuche zu den Stalhof-Portraits von Hans Holbein d. J.
Hans Holbein d. J., Portrait des Georg Gisze, 1532, Öl auf Holz, 96,3 x 85,7 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie. |
Zu diesem Zeitpunkt war der Maler auch in England kein Unbekannter mehr. Die Hanse-Kaufleute boten Holbein jedoch die Möglichkeit, sich abermals in der Gattung zu profilieren, die ihm bereits während seines ersten Londonaufenthaltes zu Ruhm verholfen hatte. Damals konnte er aus dem humanistischen Kreis um Thomas Morus Mäzenaten gewinnen, jedoch kehrte er zwei Jahre später noch einmal nach Basel zurück. Bei seinem zweiten Besuch wurde die Stadt an der Themse für den aus Augsburg stammenden Maler zu seiner neuen Heimat, in der er fortan bis zu seinem Tod 1543 leben sollte.
Als regelrechte "Spurensuche" erweist sich jede intensive Beschäftigung mit den Stalhof-Portraits. Die dürftige Quellenlage und eine nur mäßig interessierte Forschung sind Gründe dafür, daß das Wissen um die malerische Qualität der Bildnisse seit jeher in deutlichem Widerspruch zum Wissen über sie steht.
Bereits die Umstände, unter denen der neue Lebensabschnitt Holbeins begann, sind nur bruchstückhaft zu rekonstruieren. Zwei Briefe lassen auf den ungefähren Zeitpunkt schließen, an dem der Maler in London eintraf. Der Terminus ante quem ist durch ein Schreiben des Basler Rates gesichert, das auf den 2. September 1532 datiert und an den "Meister Hansenn Holbein dem Maler jetz in Engellant" gerichtet war. Mit schmeichelnden Worten und der Zusicherung eines Jahresgehaltes von 30 Gulden wollte man den Maler zur Rückkehr bewegen. Doch die Bemühungen fruchteten bekanntlich nicht: Holbein hatte sich in seiner neuen Heimat bereits etabliert.
Es ist die Korrespondenz des Erasmus von Rotterdam, welche uns zusätzliche Rückschlüsse auf die schlecht dokumentierte Vita Holbeins erlaubt. Berühmt sind die Zeilen aus dem Jahr 1526, mit denen der Humanist unter Verweis auf die "frierenden Künste" des Festlandes den Maler seinem englischen Freund Thomas Morus empfohlen hatte. Auch 1532 hatte Holbein ein Empfehlungsschreiben von Erasmus im Gepäck, als er nach London aufbrach. Bei seiner Ankunft hatten sich die Dinge allerdings gewandelt. Die ehemals so mächtigen Förderer seiner Kunst hatten an Einfluß verloren oder waren nicht mehr am Leben. Diesmal konnte ihm Erasmus nicht helfen, Holbein mußte sich daher einen neuen Auftraggeberkreis suchen. Wenn wir den Zeilen im "Bildnis des sogenannten Hans von Antwerpen" trauen wollen, waren seine Bemühungen spätestens am 26. Juli 1532 von Erfolg gekrönt, denn dieses Datum ist zusammen mit der Altersangabe des Mannes auf dem Papier im Gemäldevordergrund zu lesen. Obgleich Zweifel an dessen Namen existieren (er steht nur schwer lesbar auf dem Brief in seiner Hand) - an dem Wort "Stallhoff" bestehen sie nicht.
Hans Holbein d. J., Portrait eines Mannes (sog. Hans von Antwerpen), 1532, Öl auf Holz, 61 x 46,8 cm, The Royal Collection, Her Majesty Queen Elizabeth II, Windsor Castle. |
Man kann nur vermuten, wer Holbein den Kontakt zu den Kaufleuten vermittelt hat. Möglicherweise war es der erwähnte Hans von Antwerpen, vielleicht auch der deutsche, ebenfalls in London tätige Astronom Nicolas Kratzer, den der Maler bereits 1528 portraitiert hatte. Zu beiden scheint er schon früher freundschaftliche Beziehungen gepflegt zu haben, doch sprechen auch praktishe Gründe dafür, daß Holbein sich zunächst seinen Landsleuten zuwandte.
Wie auch immer die Bekanntschaft zustande gekommen sein mag: Es zeugt nicht gerade von der Bescheidenheit der Stalhof-Mitglieder, sich von Hans Holbein portraitieren zu lassen. Nutzen hatten freilich beide Seiten davon. Den Wünschen der Kaufleute vermochte der Maler mit Bildnissen zu entsprechen, die stets individuell und nie formelhaft waren. Und Holbein selbst konnte anhand so unterschiedlicher wie repräsentativer Gemälde seine Fähigkeiten einmal mehr unter Beweis stellen. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: Spätestens 1533 stellten sich die ersten englischen Auftraggeber bei ihm vor.
Daß die hansischen Kaufleute mit ihrem Maler zufrieden waren, belegt eine Reihe von Portraits, die vor allem in den Jahren 1532/33 entstanden. Auf 1536 ist das letzte gesicherte Stalhof-Bildnis datiert, doch hat man angenommen, daß Holbein auch später noch Aufträge von den Mitgliedern des Londoner Kontors erhielt. Zusätzlich zu den Portraits führte er während der ersten beiden Jahre mit den "Triumphzügen des Reichtums und der Armut" monumentale Dekorationen in der Gildehalle des Stalhofes aus, die auf Umwegen das Festland erreichten und schließlich 1752 bei einem Brand zerstört wurden. Von diesen berichten neben erhaltenen Zeichnungen von Holbeins Hand und Kopien auch zeitgenössische Quellen.
Wir kennen bis heute nicht die genaue Anzahl der Bildnisse, die Stalhof-Kaufleute darstellen. Die Holbein-Forschung suggeriert in dieser Frage eine Gewißheit, die sie kaum begründen kann. Von mindestens acht Gemälden ist in sämtlichen Abhandlungen die Rede. Zu diesen zählen die 1532 entstandenen Bildnisse "Georg Gisze", "Hans von Antwerpen" und "Hermann Wedigh". Auf 1533 sind der sogenannte "Hermann Hillebrandt Wedigh", "Dirck Tybis", "Cyriacus Kale" und "Derich Born" datiert; auf 1536 das Portrait des "Derich Berck". Sie werden von einigen kleinen Rundbildern ergänzt, von denen drei in den Jahren 1532/33 entstandene Hans von Antwerpen zeigen, ein viertes, vermutlich 1533 zu datierendes, Derich Born.
Nicht selten werden diesen acht Gemälden noch einige andere zugeschlagen. Es gibt in Holbeins Œuvre eine Vielzahl von Bildnissen Unbekannter, die man alleine aufgrund formaler Parallelen als Hanse-Kaufleute bezeichnet hat. Dazu gehören beispielsweise das an der Yale University in New Haven verwahrte "Portrait eines Mannes" von 1538 sowie das 1541 entstandene Wiener "Portrait eines Mannes an seinem Schreibtisch", das auch als "Junger Kaufmann" in die Forschung eingegangen ist. Es mag aus stilgeschichtlicher Sicht zu rechtfertigen sein, diese Gemälde zu unserer Gruppe zu zählen, ähneln sie doch den "gesicherten" Stalhof-Bildnissen in vielerlei Hinsicht. Doch unter historisch-kritischen Gesichtspunkten spricht zu viel dagegen.
Hans Holbein d. J., Portrait des Hermann Wedigh, 1532, Tempera und Öl auf Holz, 42,1 x 32,3 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, Bequest of Edward S. Harkness, 1940. |
Im günstigsten Fall lassen sich die Kaufleute in verschiedenen historischen Quellen nachweisen. In den Inventaren Hansischer Archive und den Antwerpener Notariatsnachrichten beispielsweise lesen wir von den Geschäften Derich Borns, der zusammen mit seinem Bruder in London und später Antwerpen als Kaufmann tätig war. Die Archiveinträge zeugen von sich jahrelang hinziehenden Streitigkeiten über die Begleichung ihrer finanziellen Verpflichtungen und lassen nicht den Eindruck einer zuverlässigen Zahlungsmoral entstehen. Das Resultat war der 1541 verhängte Ausschluß vom Stalhof, gefährdeten die beiden Brüder doch die Privilegien der anderen Kaufleute. Es ist ein glücklicher Fall, daß die Dokumente nicht nur Derich Borns Verbindungen zum Londoner Kontor belegen, sondern auch Einblick in die Lebensumstände des Kölner Kaufmanns geben.
Insgesamt differieren Anzahl und kunsthistorischer Nutzen der Nachweise beträchtlich. Der Musterfall eines "Georg Gisze", dessen Name im Gemälde siebenmal zu lesen ist, wo Kaufmannszeichen und Familienwappen nachgewiesen werden können und der namentlich wiederholt in deutschen und englischen Akten erwähnt wird, bildet die große Ausnahme. Ganz anders beim sogenannten "Hermann Hillebrandt Wedigh": Nicht mehr als Familienzugehörigkeit und Alter verrät uns das Berliner Bildnis.
Die Identifizierung dieses Wedigh sowie jene Hermann Wedighs stützt sich auf das Wappen im Siegelring der Portraitierten. Schon im späten 19. Jahrhundert gelang es einem Heraldiker, die drei Lindenblätter für eine Kölner Kaufmannsfamilie nachzuweisen. Im frühen 20. Jahrhundert konnte man sogar glaubhaft machen, daß es sich bei dem Dargestellten des New Yorker Gemäldes um einen gewissen Hermann Wedigh handeln muß, der später in seiner Heimatstadt wichtige Ämter bekleidete. Leider blieb bisher ungeklärt, in welchem Verwandtschaftsverhältnis die beiden Wedighs standen, wenngleich man sie wahlweise als Brüder oder Vettern bezeichnet hat.
Für den Vornamen Hermann Hillebrandt, der erstmals 1911 in einem Katalog der Königlichen Museen zu Berlin auftaucht, gibt es hingegen keinen einzigen Beleg. Mit der Aufnahme in das 1912 publizierte, erste Werkverzeichnis von Paul Ganz konnte sich die Bezeichnung in der Holbein-Forschung dennoch etablieren. Weder die Unkenntnis seiner wahren Identität noch die fehlenden Hinweise im Bild konnten verhindern, daß man den regungslos blickenden Mann bis heute als Hermann Hillebrandt und Stalhof-Kaufmann zu bezeichnen pflegt. Wir haben es hier mit einem Forschungskonstrukt zu tun, das sich als so unhaltbar wie langlebig erweist.
Zweifel an einer Verbindung zum Stalhof scheinen mir auch im Fall Hermann Wedighs angebracht. Den Schnitt des vor dem jungen Wedigh liegenden Buches ziert der als Wappen eingefaße Buchstabe "W", den Thomas Holman der Kölner Kaufleute-Gaffel Windeck zuschreiben konnte. Vergleichende Abbildungen legen die Richtigkeit dieser Deutung nahe. Doch was könnte dies für unser Gemälde bedeuten? Das Portrait "Hermann Wedighs" ist 1532 entstanden. Holbein reiste erst im Verlauf dieses Jahres zu einem unbekannten Zeitpunkt nach London. Es ist deshalb nicht gesichert, was stillschweigend vorausgesetzt wird: daß das Gemälde dort entstanden ist.
Zum einen stammte Wedigh aus Köln, und zum anderen könnte die mögliche Bildentstehung in Köln eine Erklärung für den Verweis auf die dortige Gilde bieten. Holbein reiste bekanntlich über Antwerpen nach London. Es ist deshalb doch wahrscheinlich, daß ihn seine Reise zunächst durch die Stadt am Rhein führte. Er hätte dort Station machen und das Portrait anfertigen können.
Spätestens Ende der 1530er Jahre muß das Gemälde ohnehin wieder in Wedighs Heimatstadt gewesen sein, da sich Barthel Bruyn in seinem Braunschweiger "Bildnis eines unbekannten jungen Mannes" von 1539 offensichtlich direkt auf Holbein bezogen hat. Es ist unter diesen Umständen fraglich, ob das Bild wirklich in London entstanden ist und ob es tatsächlich einen Kaufmann des Stalhofes zeigt: Weshalb sollte Wedigh seine Kölner Verbindungen in einem angeblich in London entstandenen Gemälde demonstrieren lassen?
Was diese Geschichte nicht leichter macht, sind die anderen, die eindeutigen Fälle. Die Herren Gisze, Tybis, Kaie und Berck lassen Holbein nämlich ausdrücklich betonen, daß sie am Stalhof in London weilten: An den "Ersamen und fromen Derich Berck lvunden vpt Staelhoff" ist der Brief gerichtet, den uns der Kaufmann des 1536 entstandenen Bildnisses so freundlich entgegenhält. Auch den Schreiben der anderen Kontor-Mitglieder entnimmt man ähnlich offiziell anmutende Zeilen, die weder an ihrem Namen noch an ihrem Aufenthaltsort Zweifel aufkommen lassen. Will man strenge Maßstäbe anlegen, nach denen die Portraitierten entweder über die Bildbeigaben oder historische Dokumente als Stalhof-Kaufleute nachweisbar sein müssen, um sie der Gruppe zuzuordnen, wird sich deren Größe zwangsläufig reduzieren. Kompositionelle Parallelen in Bildaufbau und Attributen werden langfristig kaum ausreichen, von mehr als sechs Stalhof-Portraits zu sprechen.
Wie viele Bildnisse es auch sein mögen: Von einer homogenen Werkgruppe kann unter malerischen Gesichtspunkten schwerlich die Rede sein. Es ist alleine den gemeinsamen Auftraggebern zuzuschreiben, daß man die Portraits aus dem Blickwinkel der Kunstgeschichte seit jeher als zusammengehörig betrachtet.
Zweifellos gibt es einige formale Entsprechungen. Immer handelt es sich um Halbfigurenbildnisse, in denen die Dargestellten entweder frontal oder in einer Wendung nach links gegeben sind. Mit Ausnahme des Georg Gisze setzt sich in den Bildern der Kaufleute eine schlichte Hintergrundgestaltung durch, wie sie für Holbeins späte Portraits charakteristisch ist. Nur selten deuten Holzvertäfelungen, Vorhänge oder Tische Räumlichkeit an, meist weichen sie einem einfarbig blauen oder dunkelgrünen Fond, vor dem die Plastizität der Figur deutlich hervortritt. Dabei korrespondiert der großflächig angelegte Hintergrund mit der satten Farbigkeit von Kleidung und angedeutetem Interieur. Die beiden New Yorker Portraits von "Hermann Wedigh" und "Derich Berck" belegen dies eindrucksvoll.
Stets spielen die Hände eine wichtige Rolle. Sie sind für den Dargestellten persönlich wichtig, indem sie die an ihn adressierten Briefe halten. Zugleich geben sie über den sozialen Status Auskunft. Auf Siegelringe und die feinen, braunledernen Handschuhe als Zeichen ihres Wohlstandes möchten auch diejenigen Kaufleute nicht verzichten, die ansonsten sehr wenig von sich verraten. Nicht zuletzt geben ihre Hände die künstlerischen Fähigkeiten Holbeins zu erkennen, der sie in ihrer Naturnähe gleichsam sprechen läßt.
Doch bei allen formalen Parallelen trennt die Portraits so viel wie sie verbindet. Das beginnt bereits bei den Formaten, und wenn der lebensgroße Gisze wiederum die Ausnahme bildet, so differieren auch die Maße der übrigen Gemälde. Stutzig macht, daß das typische Beiwerk des Kaufmanns wie Siegelstempel und Münzen nur in den Bildnissen Giszes und Tybis zu finden ist. Und Derich Born? Von seiner Stalhof-Zugehörigkeit weiß man allein aus Archivbüchern, denn im Gemälde selbst wollte der Kaufmann augenscheinlich nicht auf sie verwiesen haben. Von Feigenblättern hinterfangen, lehnt er in durchaus ungezwungener Haltung und mit selbstbewußtem, auf den Betrachter gerichtetem Blick vor einer steinernen Brüstung. Der Unterschied zu Georg Gisze könnte kaum größer sein.
Hans Holbein d. J., Portrait des Dirck Tybis, 1533, Öl auf Holz, 47,7 x 34,8 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien. |
Im Gesamtoeuvre Holbeins nehmen die Stalhof-Gemälde eine wichtige Stellung ein. Sie greifen die Tendenzen des ersten Englandaufenthaltes auf: das, was in den großartigen Portraits von "Thomas Morus" (1527; New York, Frick Collection) oder "Nicolas Kratzer" (1528; Paris, Louvre) begonnen hat, in denen durch Verwendung weniger, harmonisch oder kontrastierend eingesetzter Farben die Wirkung gesteigert wird. Über die schlichten Hintergründe und das sparsame Beiwerk leitet die Gruppe gleichzeitig das Spätwerk ein.
Doch die Bildnisse sind nicht nur malerisch brillant. Sie geben auch Einblick in die Fähigkeit des Künstlers, subtil doppelbödig zu charakterisieren. Am Beispiel des berühmten Berliner Gemäldes von "Georg Gisze" wird das besonders deutlich. Holbein präsentiert uns den Danziger Kaufmann Gisze lebensgroß in seinem Londoner Kontor. Seinem Auftraggeber war offensichtlich an einem wirkungsvollen Auftritt gelegen: Die prächtige Kleidung und der Detailreichtum, mit dem er den Maler sein Lebensumfeld genau dokumentieren ließ, führen uns den Wohlstand des Hansekaufmanns vor Augen, der sich in London beruflich gut etabliert hatte. Die Dosenuhr als das Neueste aus der Nürnberger Werkstatt, die feine venezianische Glasvase und der anatolische Teppich sprechen von Giszes Weltgewandtheit.
Zahlreiche an ihn adressierte Briefe sind Zeugen der weitverzweigten Korrespondenz, ein dickes Kaufmannsbuch, Münzen und Federkiele, Siegelstempel und -lack komplettieren die eindrucksvolle Szenerie. Möglichst viel wollte Holbein in dem Bild unterbringen, was den Beruf Georg Giszes und seine Liebe zu schönen Dingen bezeugt. Schon früh war die Forschung um eine Erklärung bemüht, weshalb Holbein den Danziger Kaufmann im Vergleich zu den übrigen Stalhof-Mitgliedern so aufwendig in Szene gesetzt hat. Nach der frühesten und noch immer gern geäußerten These hat der Maler mit der aufwendigen Inszenierung ein Probestück liefern wollen, um das Interesse anderer Hanse-Kaufleute als potentielle Auftraggeber auf sich zu lenken. Man wird jedoch davon ausgehen dürfen, daß Holbein seinen Landsleuten spätestens seit seinem ersten Englandaufenthalt bekannt war, da er als Portraitist der berühmtesten Zeitgenossen bereits einen Namen hatte. Ohnehin mußte der Maler auf den konkreten Auftrag eines solventen Bestellers antworten - eine schlichte Tatsache, die per se gegen die Probestück-These spricht.
Die damit verbundene Klassifizierung des Georg Gisze als frühestes der Stalhof-Portraits kann man grundsätzlich kritisch beurteilen, insofern eine solche "Reihenfolge" immer ein Werturteil impliziert. Zudem ist einzuwenden: Das "Bildnis Giszes" hat sicher eine längere Arbeitszeit erfordert. Wenn Holbein - wie allgemein angenommen - im Frühjahr 1532 in London eingetroffen war, bereits im Juli aber das Gemälde Hans von Antwerpens fertiggestellt hatte, wäre ihm wenig Zeit für das aufwendige Portrait Giszes geblieben. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Maler sofort nach seiner Ankunft den ersten Auftrag erhielt, da er sich seine neuen Mäzene bekanntlich erst suchen mußte. Nicht zuletzt würde Holbeins Bekanntschaft mit Hans von Antwerpen, der ja vielleicht auch die Vermittlerrolle zum Stalhof übernommen hatte, einen anderen Schluß nahelegen: daß nicht das außergewöhnliche "Bildnis Giszes", sondern das weniger spektakuläre Hans von Antwerpens am Anfang stand.
Hans Holbein d. J., Portrait des Cyriacus Kale, 1533. Öl auf Holz, 60 x 44 cm, Herzog Anton Ulrich-Museum, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, Braunschweig. |
Vor dem Hintergrund der nur knapp skizzierten Forschungsgeschichte erstaunt es kaum, daß man erst in jüngster Zeit Rückschlüsse von der Wiedergabe Giszes und seiner Art der Stillebenschilderung auf die vom Maler intendierte Aussage gezogen hat. Denn offensichtlich fühlt sich der Kaufmann unbehaglich. Das zeigt sein Blick aus den Augenwinkeln, der uns so skeptisch-prüfend wie unsicher mustert. Auch sein Innehalten mag darauf hinweisen, die Art, wie er seine rechte Hand beinahe resignierend sinken läßt. Zwischen Giszes Erscheinung und seinem dezidiert gezeigten Wohlstand scheint ein Widerspruch zu bestehen, der sich als scheinbarer herausstellt.
Zunächst einmal trügt das auf den ersten Blick völlig "realistisch" wirkende Bild. Außer perspektivischen Mängeln wie sie an den zwei keineswegs im rechten Winkel zusammentreffenden Holzwänden zu erkennen sind, offenbart sich bei genauerem Hinsehen auch, daß nicht alle Gegenstände eindeutig fixiert sind. Das Schreibzeug droht wegen der merkwürdig nach unten gezogenen Tischdecke zu fallen und die Anbringung des nur lose über das linke Holzbord gelegten alten Petschaft wirkt wenig stabil. Mit kleinen Kunstgriffen unterbindet der Künstler ein völlig wahrheitsgetreues Bild, um es seinem Betrachter dennoch vorzutäuschen. Mangelndes Können dürfte kaum der Grund sein. Was ist er dann?
Als Folge der verzerrten Perspektive zwängen Bretterwand, Regale und Tisch Gisze stark ein. Holbein läßt uns im Unklaren darüber, wie sein Auftraggeber noch Platz finden konnte. Zudem sind die Gegenstände auffällig an den Tischrand gerückt. Eine wertvolle Vase würde man nie so plazieren. Holbein hat sie bewußt eingesetzt, denn sie trägt in ihrer Zerbrechlichkeit entscheidend bei, den Spielraum Giszes einzuschränken: Eine falsche Bewegung, und sie fiele herunter.
Lorne Campbell hat als erster darauf aufmerksam gemacht, daß das am linken Bildrand angebrachte und mit "G. Gisze" unterzeichnete Motto direkt auf dessen wenig glücklichen Zustand zu beziehen ist: "Keine Freude ohne Kummer" steht gut sichtbar auf lateinisch geschrieben. Es dürfte kein Zufall sein, daß eine der Waagschalen direkt auf diese Zeile hinweist - ebenso, daß das Gerät alles andere als ausbalanciert ist. Alles hat zwei Seiten, so will es der Spruch Glauben machen und in Giszes Mimik ist deutlich zu lesen, wie die Entscheidung in seinem Fall ausfällt. Erst vor diesem Hintergrund machen die gängigen Vanitas-Deutungen ihren Sinn, nach denen die in naher Zukunft welkenden Blumen, das zerbrechliche Glas und die Uhr von der Vergänglichkeit alles Irdischen und dem Verstreichen der Zeit sprechen. Alles zusammen läßt keinen Zweifel, daß Holbein das Gemälde bewußt doppelbödig konstruiert hat. Dem flüchtigen Betrachter zeigt der Maler den selbstbewußten Vertreter seines Standes, den auch die Forschung zeitweilig in Gisze sah. Nur dem, der die subtilen Kunstgriffe Holbeins kennt, erschließt sich Giszes ganze Persönlichkeit.
Das stärkste Argument liegt jedoch im Portraitierten selbst: Sein Blick spricht Bände. Es ist bereits an einigen Stellen von den Inschriften gesprochen worden, die in keinem Stalhof-Portrait fehlen. Das Gemälde Georg Giszes bildet geradezu ein Musterbuch der verschiedenen Spielarten, wenn die Zeilen nicht alleine der Identifizierung dienen, sondern in Form eines Sinnspruches zugleich die seltsam verhaltene Stimmung des Auftraggebers widerspiegeln.
Hans Holbein d. J., Portrait des Derich Born, 1533, Öl auf Holz, 60,3 x 45,1 cm, The Royal Collection, Her Majesty Queen Elizabeth II, Windsor Castle. |
Außer "Derich Born" geben sich auch "Georg Gisze", "Hermann Wedigh" und "Derich Berck" über die lateinischen Sinnsprüche als humanistisch gebildete Vertreter ihres Standes zu erkennen. Zugleich ermöglichen die Zeilen Holbein, in Form zeittypischer Topoi über Macht und Grenzen der Bildnismalerei zu sinnieren - und sich implizit selbst zu loben. Aus der dezidierten Betonung der Lebenswahrheit in den Portraits "Giszes" und "Borns" spricht der Stolz des Malers auf seine Kunstfertigkeit: "Sic oculos vivos", so lebendig ist sein Auge, daß der Betrachter kaum zwischen dem Mensch Gisze und seinem Abbild zu unterscheiden vermag wie gleichfalls bei Born Zweifel aufkommen sollen, ob Schöpfer oder Künstler am Werk waren.
Für die Qualität eines Bildnisses konnte es in dieser Zeit kein größeres Lob geben als die lebensgetreue Wiedergabe. Holbein befindet sich hier in bester Tradition, denn zahllose Portraits des 16. Jahrhunderts sprechen in ihren Inschriften davon. Daß Holbeins Auftraggeber ihm die Gelegenheit gaben, auf sein Können zu verweisen, darf als Ausdruck ihres Respekts verstanden werden. Zweifelsfrei war das implizierte Lob aber auch ein stolzer Hinweis der Kaufleute, die einen so kunstfertigen Maler zu ihrem Portraitisten berufen hatten.
Zwischen den Zeilen finden sich bisweilen Anspielungen auf Zeit und Tod. Auf dem Zettel, den Holbein zur Rechten des Duisburger Kaufmanns "Dirck Tybis" sorgsam abgebildet hat, lesen wir: "Da ick was 33 jar was ick Deryck Tybis to London / dyser gestalt en hab dyser gelieken den mael ges[shriebenJ / myt myner eigener hant en was halffs mert anno 1533 ..."
Zunächst läßt sich an dieser Inschrift neben der primären Funktion - den Kaufmann namentlich bekannt zu machen - auch eine weitere erkennen. In Verbindung mit Tybis' Altersangabe und dem Entstehungsdatum des Gemäldes dient sie als eine Art Beglaubigungsformel. Die Zeilen betonen in offizieller Form die Wahrhaftigkeit des Portraits, indem sie darauf verweisen, daß der Dargestellte zu einem festgelegten Zeitpunkt genau so ausgesehen habe, wie es das Werk des Künstlers für die Zukunft festhält. Ungewöhnlich offiziell mutet die Inschrift im Bildnis von Tybis an, der darauf Wert gelegt zu haben scheint, daß die Zeitangabe mit Mitte März besonders exakt ausfällt. Die doch sehr kühl-distanzierte Wiedergabe des Kaufmanns paßt vollkommen zur juristisch anmutenden Akribie, mit der die Zeilen verfaßt sind. Da Tybis ausdrücklich unterstreicht, er selbst habe sein Kaufmannszeichen auf das Papierstück gemalt, ist die Beglaubigungsfunktion zusätzlich verstärkt: Der Auftraggeber höchstpersönlich bürgt für die naturgetreue Wiedergabe.
Hans Holbein d. J., Portrait des Derich Berck, 1536, Öl auf Leinwand von Holz übertragen, 53,3 x 42,6 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, The Jules Bache Collection, 1949. |
Wir haben bisher die Frage nach der" Verwendung" der Gemälde ausgeklammert. Sind die Stalhof-Portraits ursprünglich als zusammengehörig konzipiert worden? Oder wird man ihnen nur gerecht, wenn man sie alleine als Ausdruck individuellen Repräsentationsstrebens und persönlicher memorialer Absichten der jeweiligen Auftraggeber versteht? Die bisherige Forschung hat in dieser Frage noch keine Einigung erzielen können. Der frühe englische Holbein-Kenner Chamberlain vermutete, daß die Gemälde dem Schmuck der Gildehalle im Stalhof dienten und schloß ein Versenden in die Heimat der Kaufleute aus. Einige Autoren haben gerade dies geglaubt und sich dazu verführen lassen, aus den Sinnsprüchen Schlußfolgerungen für eine solche Memorialfunktion der Bildnisse zu ziehen. Derartige Thesen halten einer genauen Überprüfung jedoch kaum stand. Chamberlains Annahme hat man unter Verweis auf formale und kompositionelle Unterschiede der Gemälde mehrheitlich widersprochen. Verschiedene Indizien machen dennoch wahrscheinlich, daß der Engländer mit seiner Vermutung Recht gehabt haben könnte. Ob das Rätsel endgültig zu lösen ist, scheint angesichts der unzulänglichen Quellenlage allerdings fraglich.
Wie auch immer: Die Stalhof-Mitglieder haben sich als glänzende Auftraggeber erwiesen. Sie gaben dem Künstler Gelegenheit, seine Fähigkeiten an unterschiedlichen Charakteren und Intentionen zu beweisen. Stets spricht das Individuum aus ihren Bildnissen. Daß sie an keinen Geringeren als Hans Holbein ihre Aufträge vergaben, läßt Rückschlüsse auf den repräsentativen Anspruch der Kaufleute zu. Sie werden gewußt haben, daß er vor ihnen die großen Humanisten hatte konterfeien dürfen, und als "Derich Berck" sein Bildnis in Auftrag gab, müßte Holbein bereits Hofmaler Heinrichs VIII. gewesen sein. Was der Maler in den Stalhof-Portraits an künstlerischem Selbstbewußtsein und intellektuellem Ehrgeiz zu erkennen gibt, läßt sich auf seine Auftraggeber übertragen: Die hansischen Kaufleute schienen das Mittelmaß offensichtlich nicht zu schätzen.
Quelle: Katrin Petter: "Wenn du die Stimme hinzufügst, ist hier Derich selbst ...". Eine Spurensuche zu den Stalhof-Porträts von Hans Holbein d. J. In: Belvedere. Zeitschrift für bildende Kunst. Heft 1/2002. Seite 4-17.
KATRIN PETTER studierte Kunstgeschichte sowie Deutsche Sprache und Literatur in Marburg und Wien. Sie beendete ihr Studium im vergangenen Jahr mit einer Magisterarbeit über die Stalhof-Portraits von Hans Holbein d. J. Gegenwärtig [2002] setzt sie ihre Studien in einer Dissertation zum gleichen Thema fort.
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