Dennoch verlor sich Gulda nie in willkürlicher Exzentrik, sondern durchdrang das Werk stets auch intellektuell und angemessen, wie auch Joachim Kaiser in seiner berühmten Monographie »Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten« schreibt: »Zurückhaltend im Ausdruck, dabei motorisch drängend. Seine Interpretation hat etwas ungemein Stilbewusstes, Abgezirkeltes, ja Akademisches.«
Den Ruf des Exzentrikers erarbeitete sich Gulda eher durch seine berüchtigten Auftritte, in denen er häufig den verknöcherten Musikbetrieb anprangerte und nicht selten erst durch nervenaufreibende Klangcollagen das Abonnentenpublikum aus dem Saal vertrieb, bevor er vor kleinerem Publikum das tatsächliche Programm spielte. Auch als Lehrer war Gulda aktiv und unterrichtete unter anderem so berühmte Pianisten wie Martha Argerich. Die Aufnahme der Beethoven-Klaviersonaten mit Gulda ist daher für alle Klassikliebhaber ein absolutes Muss und ganz sicher eine wichtige Referenzaufnahme.
Quelle: Eike Kronshage, auf Referenzaufnahme.De
CD 1, Track 1: Piano Sonata in F minor Op. 2 No. 1 - I. Allegro
TRACKLIST LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827) Piano SonataS (complete) Friedrich Gulda, Piano Recorded: Austria, 1967 Producer: Rudolf Mraz CD 1 59'58 Piano Sonata in F minor Op. 2 No. 1 1. Allegro 3'33 2. Adagio 4'36 3. Menuetto, allegretto 2'34 4. Prestissimo 4'31 Piano Sonata in A major Op. 2 No. 2 5. Allegro vivace 6'24 6. Largo appassionato 6'32 7. Scherzo, allegretto 2'40 8. Rondo, grozioso 5'47 Piano Sonata in C major Op. 2 No. 3 9. Allegro con brio 9'50 10. Adagio 5'50 11. Scherzo, allegro 2'43 12. Allegro assai 4'42CD 2, Track 2: Piano Sonata in E flat major Op. 7 - II. Largo, con gran espressione
CD 2 53'27 Piano Sonata in E flat major Op. 7 1. Allegro molto e con brio 7'29 2. Largo, con gran espressione 7'02 3. Allegro 4'51 4. Rondo, poco allegretto e grazioso 5'47 Piano Sonata in C minor Op. 10 No. 1 5. Allegro molto e con brio 4'59 6. Adagio molto 7'19 7. Finale, prestissimo 3'45 Piano Sonata in F major Op. 10 No. 2 8. Allegro 5'03 9. Allegretto 3'15 10. Presto 3'37
CD 3, Track 3: Piano Sonata in D major Op. 10 No. 3 - III. Menuetto, allegro
CD 3 66'12 Piano Sonata in D major Op. 10 No. 3 1. Presto 6'27 2. Largo e mesto 8'02 3. Menuetto, allegro 2'54 4. Rondo, allegro 3'26 Piano Sonata in C minor Op. 13 "Pathétique" 5. Grave-allegro di molto e con brio 8'19 6. Adagio cantabile 5'18 7. Rondo, allegro 4'12 Piano Sonata in E major Op. 14 No. 1 8. Allegro 6'18 9. Allegretto 3'05 10. Rondo, allegro commodo 3'03 Piano Sonata in G major Op. 14 No. 2 11. Allegro 7'00 12. Andante 4'52 13. Rondo, allegro assai 2'50
CD 4, Track 4: Piano Sonata in B flat major Op. 22 - IV. Rondo, allegretto
CD 4 70'05 Piano Sonata in B flat major Op. 22 1. Allegro con brio 6'50 2. Adagio con molto espressione 5'38 3. Menuetto 3'05 4. Rondo, allegretto 5'00 Piano Sonata in A flat major Op. 26 5. Andante con variazioni 6'51 6. Scherzo, allegro molto 2'26 7. Marcia funebre 7'04 8. Allegro 2'27 Piano Sonata in E flat major Op. 27 No. 1 "Quasi una Fantasia" 9. Andante-allegro 5'03 10. Allegro molto e vivace 1'50 11. Adagio con espressione 2'30 12. Allegro vivace, presto 4'56 Piano Sonata in C sharp minor Op. 27 No. 2 "Mondschein" 13. Adagio sostenuto 6'30 14. Allegretto 2'31 15. Presto agitato 6'53
CD 5, Track 5: Piano Sonata in G major Op. 31 No. 1 - I. Allegro vivace
CD 5 63'04 Piano Sonata in D major Op. 28 "Pastoral" 1. Allegro 9'04 2. Andante 6'11 3. Scherzo, allegro vivace 2'01 4. Rondo, allegro ma non troppo 4'45 Piano Sonata in G major Op. 31 No. 1 5. Allegro vivace 5'58 6. Adagio grazioso 7'56 7. Rondo, allegretto 5'50 Piano Sonata in D minor Op. 31 No.2 "Sturm" 8. Largo-allegro 7'09 9. Adagio 7'55 1O. Allegretto 5'54
CD 6, Track 6: Piano Sonata in G minor Op. 49 No. 1 - II. Rondo, allegro
CD 6 67'23 Piano Sonata in E flat major Op. 31 No. 3 1. Allegro 7'54 2. Scherzo, allegretto vivace 4'20 3. Menuetto, moderato e grazioso 3'49 4. Presto con fuoco 4'11 Piano Sonata in G minor Op. 49 No. 1 5. Andante 5'02 6. Rondo, allegro 2'57 Piano Sonata in G major Op. 49 No. 2 7. Allegro ma non troppo 4'25 8. Tempo di menuetto 3'06 Piano Sonata in C major Op. 53 "Waldstein" 9. Allegro con brio 9'26 10. Introduzione, adagio molto 2'45 11. Rondo, allegro moderato-prestissimo 8'18 Piano Sonata in F major Op. 54 12. In tempo d'un menuetto 5'16 13. Allegretto 5'22
CD 7, Track 7: Piano Sonata in G major Op. 79 - II. Andante
CD 7 63'51 Piano Sonata in F minor Op. 57 "Appassionata" 1. Allegro assai 7'35 2. Andante con moto 5'33 3. Allegro ma non troppo-presto 7'15 Piano Sonata in F sharp major Op. 78 4. Adagio cantabile- allegro ma non troppo 6'20 5. Allegro vivace 2'47 Piano Sonata in G major Op. 79 6. Presto alla tedesca 4'30 7. Andante 2'36 8. Vivace l'43 Piano Sonata in E flat major Op. 81a "Les Adieux" 9. Das Lebewohl 6'00 10. Die Abwesenheit 3'18 11. Das Wiedersehen 5'04 Piano Sonata in E minor Op. 90 12. Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck 4'35 13. Nicht zu geschwind und sehr singbar vorzutragen 6'01
CD 8, Track 1: Piano Sonata in A major Op. 101 - I. Allegretto ma non troppo
CD 8 57'01 Piano Sonata in A major Op. 101 1. Allegretto ma non troppo 3'40 2. Vivace alla Marcia 6'27 3. Adagio ma non troppo-allegro 9'49 Piano Sonata in B flat major Op. 106 "Hammerklavier" 4. Allegro 9'29 5. Scherzo, assai vivace 2'19 6. Adagio sostenuto 13'42 7. Largo-allegro risoluto 11'25CD 9, Track 3: Piano Sonata in A flat major Op. 110 - I. Moderato cantabile, molto espressivo
CD 9 58'11 Piano Sonata in E major Op. 109 1. Vivace ma non troppo- adagio espressivo-prestissimo 5'47 2. Andante, molto cantabile ed espressivo 11'00 Piano Sonata in A flat major Op. 110 3. Moderato cantabile, molto espressivo 6'05 4. Allegro molto 1'53 5. Adagio ma non troppo 9'02 Piano Sonata in C minor Op. 111 6. Maestoso-allegro con brio ed appassionato 8'35 7. Arietta, adagio molto semplice e cantabile 15'32
Die mechanische Erbauung
Orchestrion von Friedrich Theodor Kaufmann, Dresden, 1851 |
Der Münzeinwurf am Kaffee-Automaten setzt nicht nur die Mechanik in Gang, sondern wirft zuweilen auch Fragen auf: Sind die richtigen Knöpfe gedrückt, ist die richtige Wahl getroffen? Wird der Becher voll genug, droht er überzulaufen, klemmt irgendwas?
Selbst in unserer vollautomatisierten Zeit bleibt die Benutzung von Automaten noch häufig ein Abenteuer. Ein Schrecken überfällt jeden, der die Geheimnummer beim Geldabheben nicht auf Anhieb richtig eingegeben hat - zwei Versuche nur noch! Bedienungsfehler sind gefürchtet, weil es ab einem gewissen Punkt keinen Weg zurück mehr gibt. Von diesem Punkt an arbeitet der Automat allein. Er gehorcht nur noch seiner eigenen Mechanik und wickelt einen Vorgang ab, auf den wir keinen Einfluß mehr haben; er nimmt schlicht keine Notiz mehr von uns.
Das griechische Wort ›automatos‹ bezeichnet etwas, das »sich selbst bewegt«. Die selbständige Tätigkeit ist alles, was von einem Automaten erwartet wird - und sie ist das, was an den Automaten seit jeher so fasziniert. Den Mechanismus löst der Benutzer aus, indem er etwa eine Feder aufzieht, einen Schalter umlegt oder eine Münze einwirft.
Das Prinzip mit der Münze war schon in der Antike bekannt: Phiion von Byzanz erwähnt im 2. Jahrhundert v. Chr. ein Gerät, das nach Einwurf einer Münze einen Bimsstein zum Händewaschen herausgibt - ein antiker Seifenautomat. Und Heron von Alexandria, ein griechischer Physiker, der wohl im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte, beschreibt in seiner Schrift über den Automatenbau einen Weihwasserspender, der mit Hilfe von Münzen funktionierte. Der Münzbetrieb von Automaten setzte freilich eine überregional gebräuchliche und wertstabile Währung voraus, die es nach dem Zerfall des Römischen Reichs nicht mehr gab.
Ein mechanischer Motor: Die Räderuhr
Eine genaue Zeitmessung war für das christliche Mönchtum wichtig: Jede volle Stunde sollte durch Glockenschlag angezeigt werden. Außerdem sollten die Mönche sieben Mal am Tag zu festgesetzten Zeiten zum Gebet gerufen werden. In Nordeuropa ließ sich dies nur schwer umsetzen: Die Sonne ist allzuoft von Wolken verdeckt, Sanduhren und Kerzen messen zu kurze Zeitabstände, und die in der Antike erfolgreich verwendete Wasseruhr vertrug keinen Winterfrost.
Das Problem löste erst die Erfindung der Räderuhr. Sie lief über einen längeren Zeitraum regelmäßig. Anhand des Sonnenstandes korrigierte man sie hin und wieder. Und sie konnte bei Tag und bei Nacht die Zeit angeben. Das wesentliche Merkmal der Räderuhr, die vermutlich in England in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfunden wurde, ist die sogenannte Spindelhemmung: Zahnräder werden durch ein Gewicht angetrieben und durch zwei Haken an einer Stange dergestalt gehemmt, daß sich die Räder schrittweise unter kurzen, regelmäßigen Pausen weiterdrehen. Damit war ein gleichmäßig laufender Motor erfunden, der nur von der Schwerkraft abhängig war und vielseitig eingesetzt werden konnte. Auf diesem Prinzip beruhte der Mechanismus der allermeisten Automaten - nicht nur der Uhren.
Doch um bei den Uhren zu bleiben: Ihr praktischer Nutzen lag natürlich im Ablesen der Zeit. Nicht nur die Mönche, sondern auch die Laien richteten sich nach dem Glockenschlag und später, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, auch nach dem Ziffernblatt der Kirchturmuhr. Dennoch war die Uhr vor allem ein Instrument der Erbauung: Im Rahmen der scholastischen Weltanschauung, derzufolge jede weltliche Erscheinung als Symbol Christi galt, kam der Räderuhr die Aufgabe zu, die göttliche Ordnung des Kosmos vor Augen zu führen. Infolgedessen gab es in manchen Kathedralen (etwa in Chartres) gleich mehrere Uhren, die die Bewegungen des Mondes, der Sonne und des Fixsternhimmels am Firmament anzuzeigen vermochten.
Die frühesten Räderuhren setzten vermutlich keine Zeiger, sondern nur den Klöppel für den Glockenschlag in Bewegung. Die öffentliche Neugier an der Schlagmechanik der Stundenglocke war gewiß groß; welch ein Aufsehen wird da erst das Schauspiel eines eisernen Mannes geboten haben, der die Stunde schlug! Diese sogenannten Jacquemarts kamen in der Mitte des 14. Jahrhunderts auf: metallene Figuren, die den Klöppel in einer einfachen Drehung oder Verbeugung gegen die Glocke schlugen. Die Bedeutung ihres Namens, der sich vielleicht von ›Jacques-marteau‹ (Jakob mit dem Hammer) herleitet, ist ungewiß. Seit 1499 schlagen auf der Torre del l'Orologio auf dem Markusplatz in Venedig zwei große Mohren jede Viertelstunde. Die Zeit wurde zur Schau gestellt und durch vielerlei Mechaniken angereichert: durch ineinander verschachtelte Ziffernblätter, karussellartig vorbeiziehende Figuren - und schließlich durch Glockenspiele, die verschiedene Möglichkeiten bieten:
Sei es, daß zur Mittagsstunde einige wenige Glöckchen eine Weise erklingen lassen oder daß die 45 Glocken der um 1560 installierten Uhr von St. Rombout in Mechelen regelrecht zum Konzert aufspielen. Anders als bei den Jahrmarktsautomaten mit ihrem Überraschungsmoment liegt der Reiz der Turmuhr-Schauspiele in ihrer Regelmäßigkeit. Nur dem auswärtigen Besucher bietet sich auch hier die Überraschung, die Sensation; die Einheimischen dagegen nehmen das Spiel als einen Teil ihres Tageslaufs wahr, als einen besonders schönen und erbaulichen vielleicht.
Bewegungsautomaten
Zu allen Zeiten waren Menschen von mechanisch erzeugten Bewegungen fasziniert und suchten nach geeigneten Antriebsarten. Heron von Alexandria, der antike Erfinder des münzbetriebenen Weihwasserspenders, entwarf etwa eine automatische Tempeltür, deren Funktion der Eintretende mit einem kleinen Feuer in Gang setzte: Die Luft in einer Kammer unter dem Feuer erwärmte sich und trieb einen Mechanismus an, der die Türen, wie von Geisterhand bewegt, aufschwingen ließ. Für den täglichen Gebrauch sicher nicht geeignet, mag der Automat als Teil eines magischen Ritus' in einer der seinerzeit unzähligen Sekten um Gläubige geworben haben.
Rekonstruktion der automatischen Tempeltüren des Heron von Alexandria, Frankfurt, 1688 |
Luft, die sich durch Erwärmung ausdehnt oder durch Wind in Strömung versetzt wird, machte man sich in Windmühlen und auch zur Erzeugung von Klängen, etwa in Orgelpfeifen, nutzbar. Es blieb jedoch aufwendig, die Luft für den gleichmäßigen Antrieb zu regulieren. Einfacher war die Wasserkraft zu gebrauchen. Sie wurde bereits in der Antike zum Betreiben von Wasserspielen eingesetzt. Dieses diente seit dem 16. Jahrhundert als Vorbild ähnlicher Anlagen. Beliebt war auch die Möblierung künstlicher Grotten mit lebensechten Figuren und ebensolchen Automaten, die mythologische Geschichten erzählten: etwa die vom einäugigen, schalmeispielenden Polyphem und seiner angebeteten, aber desinteressierten Galatea, die auf ihrer Muschel im Meere dahintreibt.
Diese Grotten dienten aber nicht nur der bloßen Kurzweil und dem Entzücken an drolligen Figuren, die sich ungelenk im Kreis bewegen. Sie versinnbildlichen auch jene alchemischen Kräfte,
die den Gebirgen beim Wachstum der Metalle zugeschrieben wurden: Man wußte, daß der Berg aus seinem Innern heraus - die Grotte also eine Art Gebärmutter - die Metalle hervorbrachte, und verstand darunter durchaus einen Bewegungsvorgang; denn Aristoteles zufolge war alles Natürliche durch Bewegung gekennzeichnet. In der Bewegung lag das Geheimnis der Natur, die Bewegung mußte der Künstler nachempfinden, um seinem Kunstwerk Natürlichkeit zu verleihen. In der Antike wurde den besten Bildhauern nachgesagt, daß ihre Statuen den Eindruck erweckten, zu atmen; legendär war beispielsweise der antike Maler Apelles, der auf einem seiner Bilder eine Fliege so täuschend echt gemalt hatte, daß die Betrachter sie zu verscheuchen versuchten. Doch erst mit den Automaten war es gelungen, etwas Künstliches wirklich in selbständige Bewegung zu versetzen und es damit dem Natürlichen einen kleinen, aber entscheidenden Schritt näherzubringen. Der Automatenbauer konnte folglich eine ›gebärende‹, schöpferische Kraft für sich beanspruchen, die in einer Grotte ausdrucksvoll zutage trat. In das Staunen über diese lebensechten Maschinen mischte sich beim Publikum die Ehrfurcht gegenüber dem fürstlichen Auftraggeber.
Die Grottenautomaten waren an die Wasserkraft gebunden und konnten kaum woanders aufgestellt werden. Neue Dimensionen eröffnete hingegen der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erfundene Federantrieb: Das Aufziehen einer Spiralfeder sorgte für eine langanhaltende und, dank weiterer Hilfsmittel, auch gleichmäßige Kraftübertragung. Der Antrieb konnte auf kleinstem Raum untergebracht werden. Das ermöglichte den Transport und eine Vielzahl von Anwendungen.
Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wurden bevorzugt Tier- und Menschenpuppen automatisiert. Alfonso Borelli (1608-1679) hatte die Funktionsweise des tierischen Bewegungsapparates erkannt und auf mathematische Formeln zu bringen versucht. Er folgte hierin der heftig umstrittenen These von René Descartes (1596-1650), daß Tiere nichts anderes seien als atmende und verdauende Maschinen, die sich vom Menschen nur wegen des Fehlens von Verstand und Seele unterschieden. In der Tat könnte man die Knochen als Hebel auffassen, die Gelenke als Achsen und die Muskeln als Seilzüge: der tierische Organismus als eine Art Uhrwerk. Heute läßt sich kaum nachvollziehen, daß man damals glaubte, alle Erscheinungen der Welt mit den Gesetzen der Mechanik erklären zu können. Daher die Sensation, aber auch der Schrecken vor den Automaten, die Tieren und Menschen nicht nur ähnlich, sondern sogar verwandt erschienen. Freilich wurde ein kleiner Unterschied mit einiger Erleichterung bald erkannt. Ein gewisser Bernhard Le Bevier de Fontenelle hatte ihn 1685 so formuliert: »Stellen Sie die Maschine eines Rüden und jene einer Hündin die eine auf die andere, so kann daraus niemals eine dritte kleine Maschine hervorgehen«. Erst die Gewißheit, daß seine Automaten sich nicht fortpflanzen, konnte den Besitzer eines Automatenpärchens beruhigen.
Unter Beschuß
Die Herstellung von Automaten war das Metier des Uhrmachers, und die feinen, fließenden Bewegungen forderten sein höchstes Können. Aber an der Produktion waren etliche Gewerke beteiligt, so daß erstklassige Automaten nur dort entstehen konnten, wo eine besondere Vielfalt qualitätvollen Handwerks bestand. Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war dies in Nürnberg und in Augsburg der Fall: zwei berühmte Silberschmiedezentren, die in ihrer Blütezeit unzählige Kunsthandwerker der verschiedensten Zweige beherbergten, und zwar in Manufakturen, die neben einer eindrucksvollen Serienproduktion auch Einzelstücke von europäischem Rang hervorbrachten. In beachtlicher Zahl sind in Augsburg hergestellte Tischautomaten erhalten; selbstfahrende Geräte aus vergoldetem Silber und in vielfältiger Gestalt - etwa ein Kentaur mit rollenden Augen, der Jagdgöttin Diana auf dem Rücken und etlichem Getier zu seinen Füßen. Einmal in Gang gesetzt, rollt dieser Zoo unkontrolliert über den Tisch, und der Kentaur schießt einen kleinen goldenen Pfeil ab: Der Gast, vor dem der Pfeil zu liegen kommt, ist damit aufgefordert, ein Glas zu leeren. Der Kentaur war offenbar sehr beliebt und ist in gleicher Ausstattung im Grünen Gewölbe in Dresden und im Kunsthistorischen Museum Wien erhalten; ein drittes Exemplar schenkte Herzog Maximilian I. von Bayern 1616 den Jesuiten für ihre Chinamission.
Dem natürlichen Vorbild am nächsten kam man bei der Nachahmung von Gliedertieren, etwa ein nur drei Zentimeter großer Maikäfer in Kassel, der laufen kann und Fühler und Flügel bewegt. Eine Analogie findet solcherlei Getier in den ›Schüttelkästen‹, die diverse, federgelagerte Nachbildungen von Insekten und Kriechtieren enthalten. Schüttelt man einen solchen Kasten, gerät alles in Bewegung, so daß der Eindruck entsteht, lauter Ungeziefer krabble darin herum.
Viele der Automaten wurden in den ›Kunst- und Wunderkammern‹ verwahrt, die von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 17. fast jeden Fürstenhof auszeichneten. Automaten sind deshalb besonders gut in den großen fürstlichen Sammlungen überliefert. Allerdings haben sich überwiegend solche Geräte erhalten, deren Äußeres aus Edelmetall besteht und mit Emails und Edelsteinen verziert ist. Viele Automaten waren jedoch auch mit Fellen oder mit Stoff überzogen und ahmten auf diese Weise ihre natürlichen Vorbilder nach. Ideale Schönheit war gewiß nicht das Ziel dieser Ausstattung, wie ein besonders häßlicher, allerdings vom Zahn der Zeit auch stark mitgenommener, fellüberzogener Löwe im schwedischen Schloß Skokloster beweist.
Der Versuch, auch die Gesichter von Automaten beweglich zu gestalten, führte oft zu unfreiwilliger Komik - dank grinsender Mäuler und schielender Augen. Bei der Nachbildung von Menschen konnte dies nur durch Grimassengesichter kaschiert werden, wie zum Beispiel beim Triumphwagen des Königs Gambrinus: Dieser mythische Erfinder des Biers lagert träge aber glücklich auf seinem von Elefanten gezogenen Thron, führt ein Glas zum Mund und leckt sich anschließend die Lippen.
Wahre Schönheit verbergen die Automaten indes in ihrem Inneren. Die Mechanik aus Antriebsfeder, Übertragungsschnecke, Zahnrädern und Hemmungen erfüllt wichtige Kriterien eines Kunstwerks: Alle Teile sind genau aufeinander abgestimmt und jedes Teil für sich zeigt die sorgfältigste Durchzeichnung; keines ließe sich hinzufügen oder weglassen. Den Sinn für die Ästhetik dieser Uhrwerke zeigten schon die Zeitgenossen, doch ermöglichen erst die Automaten ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen mehr oder weniger ungehinderten Blick auf dieses Kunstwerk im Kunstwerk.
Vollendung
Während in Deutschland infolge des Dreißigjährigen Krieges das Automatengewerbe in Schwierigkeiten kam, boten sich am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. (Regierungszeit von 1643 bis 1715) in Frankreich neue Aussichten. Edgar Allan Poe beschreibt einen Automaten, den François-Joseph de Camus (geboren 1672) Ludwig XIV. schenkte: Eine Kutsche, die von naturgetreuen Pferden gezogen wurde, auf einem quadratischen Tisch fuhr und vor dem König hielt; dann stieg ein Lakai von seinem Bock, öffnete den Wagenschlag und heraus trat eine Dame, die dem König eine Bittschrift überreichte. Nachdem alle Figuren wieder Platz genommen hatten, knallte der Kutscher mit der Peitsche, und das Gefährt begab sich zu seinem Ausgangspunkt zurück. Der König ließ das Gefährt 1709 einschmelzen, obwohl es, der Beschreibung Poes zufolge, weitestgehend aus Holz bestand.
Tanzbär mit seinem Führer. Beim Stundenschlag zieht der Orientale an der Kette des Tanzbären und beide drehen ihre Köpfe. Süddeutschland, um 1585 |
Der Zeichner ist zum Beispiel in der Lage, drei verschiedene Konterfeis, einen Hund namens Toutou und das Emblem einer von einem Schmetterling gezogenen Puttenkutsche zu zeichnen. Demgegenüber konnte die Pianistin nur die unter ihren Händen befindlichen zehn Tasten bedienen, dies jedoch mit großer Anmut. Im Jahre 1785 stellte schließlich Peter Kintzing (1746-1816) den Automaten einer Hackbrettspielerin vor, deren Sockel und Instrument David Roentgen in Neuwied fertigte. Diese Dame bediente ihr Instrument - eine Art Harfe, die mit Klöppeln angeschlagen wird - mit außerordentlicher Grazie. Denn sie bewegte zu ihrem Spiel nicht nur den Kopf und die Augen, sondern hob auch atmend ihre Brust.
Rückansicht einer Präzisionspendeluhr. Um die Reibung zu verringern,sind die Zapfen frei auf den großen Rädern gelagert. England, urn 1770 |
Musikautomaten
Viele der genannten Apparate verbinden mit ihrem Bewegungsschauspiel ein musikalisches Ereignis. Der Ehrgeiz der Konstrukteure um die Mitte des 18. Jahrhunderts, von Automaten echte Musikinstrumente spielen zu lassen, stellt den Gipfelpunkt mechanischer Kunstfertigkeit dar. Allerdings blieb hier die Verwunderung über die Fähigkeiten des Automaten größer als der Genuß an der Musik, die er hervorbrachte. Und so gab es eine eigenständige Entwicklung des Musikautomaten, bei dem das vornehmliche Ziel in der Qualität und Vielfalt der hervorgebrachten Klänge lag.
Die Glockenspiele an den mittelalterlichen Uhrtürmen läuteten die Geschichte der Musikautomaten ein. In kleinerem Format waren die Spieluhren schon lange bekannt, die seit jeher nach demselben Prinzip wie die heutigen Spieldosen funktionieren: Die Feder treibt eine Walze mit Stiften an, die ihrerseits die klingenden Metallzungen anreißen. Urvater der Musikautomaten ist jedoch ein halbautomatisches Instrument, nämlich die Orgel. Sie war in ihren Grundzügen schon in der Antike bekannt: Ein Blasebalg erzeugt den notwendigen Luftdruck in den Pfeifen. Der Klangvielfalt sind beim Orgelbau kaum Grenzen gesetzt: Die Orgel kann auch andere Instrumente nachahmen. Rein technisch gesehen trägt der Orgelspieler zur Klangerzeugung ›nur‹ die Melodie bei und ist durch einen Automaten ersetzbar: Ähnliche Stiftwalzen wie in der Spieluhr betätigen nun das Hebelwerk der Tastatur. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren Standuhren mit eingebauten Musikautomaten an den Fürstenhöfen in Mode. Eine solche Uhr im Musikinstrumenten-Museum Berlin aus der Zeit um 1780 ist immerhin mit 81 Pfeifen in drei Registern ausgestattet und kann den Stundenschlag mit einem Orgelkonzert begleiten. Musikautomaten waren mit eigens für diesen Zweck komponierten Stücken bespielt, wobei sich auch bedeutende Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven und Weber eines Beitrags nicht enthielten.
Carl Maria von Weber zollte einem lebensgroßen automatischen Trompetenspieler seine volle Bewunderung: Der Automat vermochte nicht nur auf einer echten Trompete mit gutem Ansatz und reinem Ton zu spielen, sondern sogar Zweiklänge und Doppeltriller hervorzubringen. Er war von der Instrumentenbauerfamilie Kaufmann in Dresden um 1810 konstruiert worden und steht als Apparat noch ganz in der Tradition des 18. Jahrhunderts, etwa des Flötenspielers von Vaucanson. Mit einer anderen Erfindung griffen die Kaufmanns jedoch einer späteren Entwicklung vor: 1851 baute Friedrich Theodor Kaufmann (1823-1872) einen Automaten, der aus mehreren Instrumenten bestand und den er zu Recht ›Orchestrion‹ nannte. Solche Orchestrions wurden in vielen Varianten - darunter mit eingebauten Orgeln, Klavieren, Xylophonen, Becken und Trommeln - noch Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und in Kneipen aufgestellt, wo sie mit einer Münze in Gang gesetzt werden konnten. Auch sie wurden noch mit Stiftwalzen betrieben.
Wegen dieser Walzen, die in aufwendiger Handarbeit hergestellt werden mußten, war das Repertoire begrenzt. Abhilfe schufen - für kleinere Spielautomaten - Metallscheiben mit herausgestanzten Metallzungen. Die Scheiben konnten maschinell und somit erheblich billiger produziert werden. Sie sind die Vorläufer der Schallplatten, genaugenommen eigentlich der CD's, weil auch sie schon digitale Information übertrugen. Für größere Automaten, wie zum Beispiel für Leierkästen, entwickelte man eine noch preisgünstigere Technik: ein pneumatisches System, das mit gelochten Papierrollen betrieben wurde. Auf diesem System fußte auch das Pianola - ein Automat, der 1895 von der nordamerikanischen Firma Aeolian erfunden wurde und zur Bedienung handelsüblicher Klaviere diente. Er erregte genauso wie die früheren Musikautomaten das Interesse der Komponisten. Von Igor Strawinsky gibt es Klavierrollen, die dem natürlichen Spiel des Pianisten möglichst nahe kommen sollten, und Paul Hindemith komponierte Stücke für das Pianola, die manuell nicht mehr spielbar waren.
Quelle: Dedo von Kerssenbrock-Krosigk: Die Mechanische Erbauung. In: Automatenwelten. FreiZeitzeugen des Jahrhunderts. Hrg. Wilhelm Hornbostel & Nils Jockel. Prestel, München/New York, 1998, ISBN 3-78913-2022-X. Seite 8 - 17.
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