Trilogie der Leidenschaft nannte Goethe die Zusammenfassung von drei Gedichten, von denen An Werther im Frühling 1824 in Weimar, Aussöhnung schon im Sommer 1823 in Marienbad und Elegie kurz danach auf der Rückreise von Karlsbad nach Thüringen geschrieben wurde. Da aber alle drei Gedichte im Magnetfeld von Goethes leidenschaftlicher Neigung zu Ulrike von Levetzow (1804-1899) und des Abschieds von ihr entstanden sind, bilden sie ein organisches Ganzes, von dem Goethe selbst (zu Eckermann, 1831) sagte:
»Zuerst hatte ich bloß die Elegie, dann erweckte die polnische Pianistin Szymanowska, die denselbigen Sommer [wie Ulrike, 1823] mit mir in Marienbad gewesen war, durch ihre reizenden Melodien in mir einen Nachklang jener jugendlichen seligen Tage. Die Strophen, die ich ihr widmete, sind daher auch ganz in Versmaß und Ton jener Elegie gedichtet und fügen sich dieser wie von selbst als versöhnender Ausgang. Dann wollte [der Verleger] Weygand eine neue Ausgabe des Werther veranstalten und bat mich um eine Vorrede, ein willkommener Anlaß zu meinem Gedicht An Werther. Da ich aber noch einen Rest jener Leidenschaft [zu Ulrike] im Herzen hatte, so gestaltete sich das Gedicht wie von selbst zu einer Introduktion jener Elegie. So kam es denn, daß alle drei jetzt beisammenstehenden Gedichte von demselben liebesschmerzlichen Gefühl durchdrungen wurden und jene Trilogie der Leidenschaft sich bildete, ich wußte nicht wie.«
Dieses »ich wußte nicht wie« war in der Tat berechtigt, denn in Wirklichkeit entstand das Gedicht Aussöhnung für die »zierliche Tonallmächtige« Mme Marie Szymanowska (1795-1831, eine der größten Klaviervirtuosinnen jener Zeit) als erstes der Trilogie. Goethe sagte, dieses Gedicht »drücke die Leiden einer bangenden Seele aus«, ein Bangen, das aber keineswegs der schönen Pianistin, sondern der jungen Ulrike von Levetzow galt, die der Dichter sogar heiraten wollte, was aber deren Mutter behutsam zurückwies. Aus dem Gefühl der nach dieser Absage weiter flammenden Liebe, des Verlustes und der Versagung erhoben sich dann auf der Heimfahrt durch Böhmen und Deutschland (zum Teil im rumpelnden Reisewagen) die ebenmäßigen Stanzen der Elegie als »Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustandes«, wie es in Goethes Tagebuch heißt. In dem Gedicht, das alle Phasen der Liebe des Dichters durchläuft, wird zugleich in gewaltigen Visionen die böhmische Landschaft, die Natur, das Weltall selbst aufgerufen, um die Beglückung durch das Ewig-Weibliche im Bilde der Geliebten zu beschwören.
Joan Miró: Silence, 1968 |
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Obschon zwischen den beiden Gedichten Eins und Alles (6. Oktober 1821) und Vermächtnis (12. Februar 1829) eine Spanne von fast acht Jahren besteht, gehören sie dennoch zueinander, ja greifen zum Teil auch wörtlich ineinander über. Zwar scheinen die Schlußzeilen des ersten (»Denn alles muß in Nichts zerfallen, wenn es im Sein beharren wlll«) den Anfangszeilen des zweiten (»Kein Wesen kann zu nichts zerfallen…«) zu widerstreiten, aber nur oberflächlich, denn der Unterschied zwischen »in Nichts« und »zu nichts« ist tiefgreifend und über beiden schwebt das Vereinheitlichende »Das Ewige regt sich fort in allen«. Für beide Gedichte gilt Goethes Wort an Eckermann (13. Februar 1829, also am Tage nach dem Entstehen von Vermächtnis ausgesprochen): »Die Gottheit ist wirksam im Lebendigen, aber nicht im Toten. Sie ist im Werdenden und sich Verwandelnden, aber nicht im Gewordenen und Erstarrten.«
Beide Gedichte sind von der Gottesidee umschlossen, die sich in der Natur manifestiert, durch die der Mensch in seinem »Fromm-Sein« (Elegie) sich Gott bzw. der Gottheit annähert. Der Mensch muß sich zur höchsten Vernunft befähigen, um an die Gottheit zu rühren, »die sich in Urphänomenen, physischen wie sittlichen, offenbart, hinter denen sie sich hält und die von ihnen ausgehen.« (zu Eckermann am gleichen Tage).
Joan Miró: Triptychon: Hoffnung eines zum Tode Verurteilten, Tafel I, 1974 |
ln einer Zeit, die gültige Lyrik mit Erlebnisdichtung gleichsetzte, bedeutete der Begriff »Gedankendichtung« die Notbrücke, auf der man Schillers philosophische Gedichte als Dichtung retten und vor dem Verdammungsurteil »Lehrdichtung« bewahren zu können glaubte. Als Schiller mit lyrischer Dichtung begann - in der Anthologie auf das Jahr 1782, galten Lehrgedichte schon als veraltet, ob sie sich nun unverhüllt als solche darboten, wie Die Alpen des Albrecht von Haller (1729) oder sich in anmutig-scherzhafte Erzählungen versteckten wie Wielands Musarion (1768). Es muß also auffallen, mit welcher Entschiedenheit sich der junge Dichter der Konfession von Gedanken und Überzeugungen zuwandte. Von Anfang also, schon in der Rühmung der kosmischen Harmonie, welche die Anthologie durchzieht, spricht wahrhaftige, persönliche Bekenntnisdichtung. So führt denn von den Gedichten an Laura bis zu den großen Elegien von 1795 der eine, gleiche Weg.
Das mächtige Bild der Eingangsstrophe in Die Macht des Gesanges von 1795 lebt aus sich selbst und doch ist in ihm, in der Gewalt des Bergstroms, der aus dunkler Tiefe hervorbricht, Sinnbildlichkeit enthalten: Sie teilt sich unausgesprochen in der unmittelbaren Wirkung und Stimmung der Gebirgslandschaft mit. In diesem Introitus wird aber auch schon der Gang der Nemesis spürbar, das Anzeichen tiefer Notwendigkeit und hoher Berufung. Derart hängen die mittleren Strophen mit der ersten insgeheim, aber dicht zusammen. Der stürmischen Gewalt des Bergstroms hält die andersartige, aber ebenso mächtig andringende Szene am Schluß die Waage: die Heimkehr aus der Fremde in die Arme der Mutter. So führt eine einzige, starke Bewegung von jenem Anfang auf diesen Schluß zu. Jetzt erst leuchtet die Sinnbildlichkeit klar hindurch: Schillers Lehre von der heilenden, wiederherstellenden Kraft des Schönen und der Kunst. Das Gedicht behält indessen seine Wirkung und seinen Rang auch dann, wenn dem Hörer die ästhetischen Briefe unbekannt sind.
Joan Miró: Triptychon: Hoffnung eines zum Tode Verurteilten, Tafel II, 1974 |
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
im Pentameter drauffällt sie melodisch herab.
Wohl nur in dieser federnden, durch den Reim nicht beschwerten, sozusagen spiritualen Form wurde das Erstaunliche möglich: die Verwandlung eines weit ausgreifenden, reich gegliederten Gedankenganges in ein leibhaftes Gehen und sinnenhaftes Umschauen. Das Fortschreiten des wandernden Dichters durch Flur und Wald gleitet hinüber und hinein in die Bewegung der Geschichte. Derart wird die Elegie Der Spaziergang wohl zum Höhepunkt von Schillers Lehrdichtung. Sie enthält die Idee vom Dreischritt der menschlichen Existenz: die glückhafte Frühe des Kindes und der jungen Völker, in welcher das noch ungeteilte Menschentum traumhaft sicher der Leitung durch den Instinkt folgt, sodann die Mittelzeit, das Erwachen zur Freiheit und zur Wahl deshalb aber auch zur inneren Entzweiung, endlich die Rückkehr des reifen Menschen zum Frieden des Anfangs - ein Weg, der freilich nicht eigentlich zurück, sondern hinauf führt, zur Versöhnung der Freiheit mit dem Glück. Sie gelingt jedoch nur in einer bestimmten Region, durch das Hereinwirken einer eigentlich jenseitigen, wenn auch nicht außerirdischen Macht, der Schönheit, in der Kunst. Die Heilung des Menschen von der notwendigen Versehrung durch die »bange Wahl zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden«, wie das Gedicht Das Ideal und das Leben sagt - darin bestehen Die Macht des Gesanges, das Geheimnis der Schönheit und die Sendung der Kunst. Am Ende der herrlichen Reihe von hochgemuten Gedichten, die alle jene Botschaft vom Paradies am Anfang, vom Eintritt in Würde und Unsal der Geschichte, von der Wiederbringung durch die Macht des Schönen verkünden - Der Tanz, Der Genius, Das Glück, Die Teilung der Erde —, am Ende dieser Reihe steht denn die einzige Klage, das einzige Totenlied, die Nänie schlechthin »Auch das Schöne muß sterben …«. Dieses Gedicht bezeichnet das harte und stumpfe Ende von Schhillers so oft gefeiertem, in Wahrheit aber keineswegs grenzenlosem Optimismus.
Quelle: Johannes Urzidil (Goethe) bzw. Gerhard Storz (Schiller), im Booklet. Beide – im Übermaß redseligen – Texte wurden von mir drakonisch gekürzt
Track 6: Johann Wolfgang von Goethe: Dem aufgehenden Vollmonde (25.August 1828)
TRACKLIST JOHANN WOLFGANG VON GOETHE ALTERSLYRIK Sprecher: Wilhelm Borchert FRIEDRICH SCHILLER GEDANKENLYRIK Sprecher: Gert Westphal Johann Wolfgang von Goethe - Alterslyrik Trilogie der Leidenschaft (1823/24): (01) An Werther 4:26 (02) Elegie 10:39 (03) Aussöhnung 1:59 (04) Bei Betrachtung von Schillers Schädel (1826) 2:56 (05) Chinesisch-deutsche Tages- und Jahreszeiten (1827) 6:31 Dornburger Gedichte (1828): (06) Dem aufgehenden Vollmonde (25. August) 1:02 (07) Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten (September) 0:53 (08) Der Bräutigam (1828) 1:40 (09) Eins und Alles (1823) 1:22 (10) Vermächtnis (1829) 2:29 Friedrich Schiller - Gedankenlyrik (11) Der Genius (1795) 4:07 (12) Das Glück (1799) 5:46 (13) Der Tanz (1796) 2:26 (14) Die Macht des Gesanges (1795) 2:34 (15) Nänie (1800) 1:26 (16) Die Worte des Glaubens (1798) 1:40 (17) Die Worte des Wahns (1800) 1:44 (18) Epigramme: Der beste Staat - Die beste Staatsverfassung - 3:40 Politische Lehre - An die Gesetzgeber - Würde des Menschen - Das Ehrwürdige - Das Höchste - Die idealische Freiheit - Die Führer des Lebens (19) Poesie des Lebens (1799) 2:02 (20) Sprüche des Konfuzius (1800) 1:55 (21) Der Pilgrim (1803) 1:46 (22) An die Freunde (1803) 2:46 Total Time 66:55 Aufnahme: Juli 1967 / August 1966 Projektleitung: Dr. Sören Meyer-Eller - Produzent: Hanno Pfisterer Redaktion: Joachim Berenbold - Titelgestaltung: Thomas Christian (P) 1967/1965 (C) 1996 Historische Aufnahmen, mono
Track 16: Friedrich Schiller: Die Worte des Glaubens (1798)
Miró auf Mallorca
»Das Schauspiel des Himmels überwältigt mich«
Joan Miró: Triptychon: Les trois bleus, Tafel I, 1961 |
Die ersten Bilder, die im neuen Atelier oberhalb der Bucht von Cala Mayor entstehen, haben diese ihn überwältigenden Erlebnisse zum Thema, teilweise kommen sie sogar im Titel zum Ausdruck. 1960 malt Miro das erste Bild zum Thema Einsamkeit Solitude I, 1968 das wunderbar poetische Werk Silence, ein kalligraphisches Bild, vital in der Farbe und übermütig in den wild über die Leinwand gestreuten schwarzen Lettern, die den Titel Schweigen schon wieder fast in Frage stellen. Zeitlich zwischen diesen zwei programmatischen Bildern vertraut er ganz auf die suggestive Wirkung einer entrückenden, immateriell erscheinenden Farbe: Blau, genauer Azur, in allen Nuancen, das ihn schon seit den frühen Pariser Jahren fasziniert. Dieses Blau von Himmel und Meer findet seine künstlerische Entsprechung in dem ersten großen Triptychon, das Miró im neuen Sertschen Atelier auf Mallorca malt. Er nennt es Les trois bleus, die drei Blaus. Blau ist die Farbe seiner Träume. Das teilt er uns in einem 1925 in Paris entstandenen poetischen Bild mit. Der darin lesbare Satz ›Ceci est la Couleur de mes rêves‹ verweist auf einen großen blauen Farbfleck am Rande einer sonst leeren Leinwand.
Joan Miró: Triptychon: Les trois bleus, Tafel II, 1961 |
Joan Miró: Triptychon: Les trois bleus, Tafel III, 1961 |
Joan Miró: Vorbereitende Zeichnungen für das Triptychon »Les trois bleus« |
Mit seinem festen Wohnsitz auf Mallorca beginnt für Miró auch eine rege Reisetätigkeit. Anlaß sind Ausstellungsprojekte und Aufträge für Wandgestaltungen in Paris, New York, Zürich, Düsseldorf, Rom, London, Mailand, Tokio. Die Reisen bleiben nicht ohne Einfluß auf seine Kunst, vor allem nicht die Aufenthalte in den Vereinigten Staaten und Japan. Die Malerei der New York-School — Drip Painting, Color field, Lyrical Abstraction — beeindruckt Miró und hinterläßt Spuren in seiner Malerei. ln Japan, wohin er zweimal reist, zum ersten Mal 1966 anläßlich einer Ausstellung in Tokio und Kyoto, das zweite Mal 1996, um einen Ausstellungspavillon in Osaka zu gestalten, faszinieren ihn vor allem die Zen-Malerei und die Keramik.
Quelle: Barbara Catoir: Miró auf Mallorca. Prestel, München/New York, 1995, (Pegasus). ISBN 3-7913-1478-5. Seiten 49 bis 56.
Miró vor dem begonnenen Triptychon »Hoffnung eines zum Tode Verurteilten«, 1974 |
Joseph Freiherr von Eichendorff: »Und die Welt hebt an zu singen« (gelesen von Gert Westphal). Sowie Gustav Klimts Blick auf die Frauen.
Von den »Worten des Glaubens« zu den »Worten des Wahns« und anderen deutschen melancholischen Gedichten. Dazu paßt Hieronymus Bosch. - Telemann und Watteau auch?
Mehr Bilder von Joan Miró, eingeweicht von Wolfgang Kemp, bespielt von Joseph Haydn.
CD Info and Scans (Tracklist, Covers, Pictures) 21 MB
embedupload --- MEGA --- Depositfile --- Bigfile
Unpack x312.rar and read the file "Download Links.txt" for links to the Flac+Cue+Log files [66:55] 4 parts 319 MB
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