8. Februar 2010

Ludwig van Beethoven: Die Werke für Violoncello und Klavier

Die Duosonaten für Klavier und Violoncello, wie sie Beethovens Opus 5 1796 als kammermusikalische Novität einführte, markieren die endgültige Emanzipation des »kleinen Basses«, dessen Ursprünge bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen und der sich zunächst hauptsächlich mit der Generalbaß- und Orchesterfunktion bescheiden mußte. Entwicklung der Spieltechnik und Erweiterung der Aufgaben gingen Hand in Hand. In den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fixierte der Virtuose Jean-Louis Duport, dessen Spiel Beethoven zu Violoncell-Werken angeregt hat, die Grundsätze der Finger- und Bogentechnik. Um die Mitte des Jahrhunderts wurde der Dorn oder Stachel eingeführt, der dem Instrument sicheren Halt bietet und zudem die Resonanz vergrößert, damit sich der männlich-baritonale Klang des Cellos als Melodie-Instrument voll entfalten kann. Zuvor hatte das Violoncello bereits im aufkommenden Streichquartett und Streichtrio die Rolle des Baßfundaments übernommen. Gleichzeitig wuchs seine Bedeutung im symphonischen Orchester. Rasch begeisterten sich auch Amateure für das in Mode kommende Instrument. Zu ihnen zählte König Friedrich Wilhelm II. von Preußen. Dem gekrönten Musikliebhaber zu Gefallen hatte Mozart in einigen späten Streichquartetten den Part des Violoncells durch melodisch-kantable Aufgaben vergrößert. Beethoven widmete dem Preußenkönig die beiden Duosonaten op. 5, die bahnbrechenden Erstlinge der klassisch-romantischen Cello-Literatur.

Diese beiden für Duport und den Berliner Hof komponierten Sonaten sind zweisätzig, wobei die auffallend umfangreichen und gedankentiefen Adagio-Einleitungen den langsamen Satz vertreten, das neuartige Sonatenprinzip die sorgfältig ausgeführten Kopfsätze beherrscht und die Schlußsätze, besonders das Dur-Rondo der g-moll-Sonate, dem Brauch genügen, dem Virtuosen ein klangvolles, dankbares Spielstück an die Hand zu geben. Das Klavier hat sich, wie es sich für den Pianisten Beethoven von selbst versteht, vollends der Begleitfunktion begeben; es tritt als bravourös behandeltes Instrument in Erscheinung, das sich in großangelegten Passagen ergeht und nicht selten das Cello in den Schatten drängt. Die Kopfsätze dieser beiden Werke strotzen von Einfällen; der Durchführungsteil der F-dur-Sonate moduliert von A-dur über d-moll in romantisierende Des-dur-Regionen; das nach einem langen, vielgliedrigen Vorspiel anhebende Allegro molto des g-moll-Werkes bewegt sich mit ungestümer Kraft in »Pathetique«-Nähe. Auch die Finalsätze weisen ungewöhnliche Züge auf; so wird zu Beginn des Finales der ersten Sonate die F-dur-Basis erst nach verschleiernden Dominantmodulationen erreicht. Das Rondo des zweiten Werkes überrascht durch ein rhythmisch pointiertes C-dur-Intermezzo.

Pierre Fournier (1906-1986)

»Inter Lacrimas et Luctum«, zwischen Tränen und Trauer, schrieb Beethovcn auf ein Exemplar der Sonate op. 69, die ohne äußeren Anlaß 1807/08 zur Zeit der Fünften und Sechsten Symphonie entstand und in ihrem kantablen Charakter das Violoncell-Gegenstück zum Violinkonzert darstellt. Das als unbegleitete Cello-Kantilene erklingende Allegro-Hauptthema legt den Charakter des Werkes auf Lyrik und Wohllaut fest. Die breitgeschwungene, schwärmerische Melodie wendet sich kurz nach Beginn, als man eine pathetische Steigerung erwartet, zweimal resignierend nach Moll. Das Seitenthema setzt keinen Kontrast, sondern führt die gesangvolle Linie weiter. - In synkopierten Rhythmen steigt das a-moll-Scherzo auf und wendet sich über e-moll und C-dur zu einer Trio-Melodie in A-dur, deren liedartiger Charakter nur durch dynamische Beleuchtungseffekte abgewandelt wird, ähnlich dem Trio im Scherzo der Siebenten Symphonie. Wie verschwenderisch Beethoven im Opus 69 mit seinen Einfällen umgegangen ist, belegt das kostbare Adagio cantabile; sein weiches E-dur bricht nach 18 Takten ab und macht einem Allegro vivace Platz, dessen beide Themengruppen den kantablen Duktus des ersten Satzes aufgreifen. Die mild ausklingende Coda faßt den Grundcharakter des Werkes zusammen: gesangvolle Würde, ruhige Bewegtheit und lyrische Anmut.

Die beiden Sonaten op. 102 aus dem Jahre 1815 sind die kühnsten, problematischsten Duo-Kompositionen Beethovens, unmittelbare Vorboten seines Spätstils: Verknüpfungen von Phantasie-Sonate und strenger, polyphoner Form, waghalsige Erweiterungen des Ausdrucksbereichs auf Kosten des klangsinnlichen Reizes. Dic C-dur-Sonate zeigt sich in der Struktur der ungefähr gleichzeitig entstandenen Klaviersonate op. 101 verwandt. Beethoven nannte sie im Manuskript eine »freie Sonate«. Sie hebt an mit einem Andante, dessen schwärmerisches Thema von den duettierenden Stimmen phantasieartig ausgesponnen wird; die Praxis der Introduktion aus Opus 5 kehrt wieder, allerdings in weit komplizierterer Gestalt. Das Allegro vivace setzt in a-moll mit energischer, geballter Kraft ein. Wuchtige Oktaven schießen hoch, der improvisatorische Zug der Einleitung wird abgelöst durch einen strengen, auf knappen Raum konzentrierten Sonatensatz. Im schroffen Nebeneinander der Gegensätze nimmt dieser geballte Hauptsatz bereits die Züge der letzten Klaviersonaten vorweg. Das Violoncello wird weit weniger als in den drei vorausgegangenen Sonaten als ein Instrument behandelt, dessen Eignung für die Kantilene besondere Rücksicht vcrlangt. Der konzertante Charakter ist verschwunden; unter Verzicht auf sinnlichen Klangreiz werden die Instrumente als Partner eines Zwiegesprächs gegeneinander gesetzt. - Nach dem con fuoco und in a-moll schließenden Allegrosatz greift ein kurzes Adagio in C-dur das Phantasieren des Andante-Beginns auf. Eine kurze Melodie zieht vorüber. Der Sechsachtel-Rhythmus der Introduktion kehrt wieder und verklammert das Final-Allegro mit dem Kopfsatz. Der Typus der »freien Sonate«, an den die Romantik anknüpfen sollte, ergeht sich in phantasievollen Verzweigungen. Das Finale im raschen Zweiviertel-Rhythmus wendet die Energie des ersten Allegros ins Spielerische. Überraschungsmomente, bizarre Modulationen und kontrapunktische Passagen reihen sich aneinander, bis die Sonate in C-dur ausklingt.

Wilhelm Kempff (1895-1991)

Die zweite Sonate in D-dur galt lange Zeit als unrealisierbar und als Beweis für Beethovens Mißachtung der instrumentalen Möglichkeiten. Die widerborstige und in der Tat kaum spielbare Schlußfuge nahmen die Zeitgenossen zum Anlaß, über Beethovens Behandlung des strengen Satzes zu spotten und ihm vorzuwerfen, er könne keine schulgerechte Fuge schreiben. Die dreisätzige Sonate ist in ihrem geistigen und technischen Anspruch bis heute das heikelste Werk für Violoncello neben Bachs Solosuiten geblieben. Das Allegro con brio setzt sogleich mit jener energisch heranrollenden Sechzehntelfigur ein, die als Ausdruck drängender Kraft fast leitmotivisch aus den Violinsonaten op. 30 bekannt ist. Die aufbegehrende Energie spricht aus den Oktaven- und Dezimensprüngen des Hauptthemas, aus dem wuchtig gemeißelten Klaviersatz, aus den markanten Einsätzen des Violoncellos und vor allem aus der konzentrierten Geschlossenheit der Konzeption. Beethovens Sonaten-Spätstil triumphiert: rascher Wechsel der Gefühlsgegensätze, lapidarer Aufbau, gedrängte Kürze, schneidende Kühnheit des Modulatorischen, Verzicht auf jedes gefällige Entgegenkommen zugunsten der kompositorischen Einheitlichkeit. Nur in der Coda meldet sich vorübergehend das elegische Element. - Das Adagio con molto sentimento d'affetto hebt mit einem schwermütigen d-moll-Gesang in den tiefen Klangregistern an und mündet im Mittelteil in eine vcrheißungsvolle D-dur-Melodie, ehe es wieder in die Moll-Bezirke absinkt. Im reichen Figurenwerk erinnert es an die Satzkunst der späten Streichquartette und an die letzten Klaviersonaten. - Die Fuge (D-dur, ¾-Takt) setzt attacca ein. Sie ist Beethovens erster Versuch, einen neuen Fugentypus zu schaffen, die Vorläuferin der imposant ausgedehnten, dramatischen und konzessionslosen Fugen der späten Zeit. Ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Klangsinnlichen, ihre sonatenhaft gefärbten Durchführungen, ihr unwirsches Stakkato und ihre geballte Energie mußten das zeitgenössische Publikum verstören. Doch sollte diese kniffligste aller Violoncell-Fugen nur das Vorspiel sein für Beethovens Auseinandersetzung mit der Königin der kontrapunktischen Formen.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) Diese geschmackvolle, 18 cm hohe Bronze ist käuflich erwerbbar im französisch-niederländischen-englischen Musikshop Tasset. In der selben Machart gibt es auch Bach, Mozart und Chopin.

Die drei Variationenzyklen für Klavier und Violoncello setzen eine Kunstform fort, die Beethoven zeitlebens mit Eifer gepflegt hat. Die zwölf Variationen über ein Thema aus Händels Oratorium »Judas Maccabäus« gehören zeitlich und stilistisch in die Nachbarschaft von Opus 5, also in die Zeit, als Beethoven sich vom Spiel des Virtuosen Duport inspirieren ließ. Die ungemein populäre Melodie des von Beethoven hochverehrten Händel nimmt im wesentlichen den Verlauf figurativer Variationen, wobei sich die Grundtonart G-dur nur in der vierten und achten Abwandlung nach g-moll verdüstert. Hauptsächlich geht es darum, ein prägnantes, optimistisches Thema in verschiedenen spieltechnischen Möglichkeiten (Kantilenen, Triolenketten, Stakkato-Passagen) vorzuführen. Fast zur gleichen Zeit entstanden auch die zwölf Variationen über »Ein Mädchen oder Weibchen« aus Mozarts »Zauberflöte«. Sie sind reicher, interessanter und gewichtiger. Die zehnte Variation in f-moll könnte das Adagio aus einer frühen Klaviersonate sein; in der elften Variation dagegen meldet sich ein fast schon Schubertscher Klaviersatz; der Schluß ist eine besonders reizvolle Phantasie über die Papageno-Sphäre.

Die sieben Variationen über das »Zauberflöten«-Duett »Bei Männern, welche Liebe
fühlen« halten zwar weitgehend den Sechsachtel-Rhythmus der Melodie fest, ergehen sich aber ungezwungener, brillanter und freizügiger als ihre Vorgänger. Klavier- und Violoncellpart sind gleich virtuos gesetzt. Rhythmik und Harmonik geben sich sehr differenziert. Der Typus der Charaktervariation - das Werk entstand 1801 zur Zeit der Zweiten Symphonie - bricht sich Bahn, zumal im Final-Allegro, das den freudigen Elan einiger mittlerer Klaviersonaten vorwegnimmt.

Mit fünf kontrastreichen Sonaten und drei Variationenzyklen hat Beethoven das Violoncello als Duo-Instrument in der kammermusikalischen Praxis verankert. Die solistischen Möglichkeiten des »kleinen Basses« - das bedeutet nämlich Violoncello in wörtlicher Übersetzung - waren nun endgültig erwiesen. Das Violoncello wurde, bei Virtuosen wie bei Amateuren, das Ausdrucksmittel des Vornehm-Feinsinnigen. Die Romantik erhob das Cello zu einem zentralen Instrument. Es wirft ein Licht auf Beethovens MittlersteIlung zwischen Klassik und Romantik, daß er die Ausdrucksmöglichkeiten des Cellos erkannt, erweitert und für die Zukunft gefestigt hat.

Quelle: Karl Schumann, im Booklet

TRACKLIST


LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827) 

The Music for Cello and Piano
Die Werke für Violoncello und Klavier
CEuvre integrale pour violoncelle et piano
Opera integrale per violoncello e pianoforte
Obras completas para violonchelo y piano

PIERRE FOURNIER, cello
WILHELM KEMPFF, piano

Live recordings
Konzertmitschnitte
Enregistrements publics
Registrazioni dal vivo
Grabaciones en directo


COMPACT DISC I                                                           [65'20] 

Sonata for Piano and Violoncello in F major op. 5 No. 1                  [21'31] 
Sonate für Klavier und Violoncello F-dur   
Sonate pour piano et violoncelle en fa majeur   
Sonata per pianoforte e violoncello in fa maggiore   
Sonata para piano y violonchelo en fa mayor   
[01] 1. Adagio sostenuto - Allegro                                       [14'31] 
[02] 2. Rondo. Allegro vivace                                             [7'00] 

Sonata for Piano and Violoncello in G minor op. 5 No. 2                  [21'43] 
g-moll - en sol mineur - in sol minore - en sol menor   
[03] 1. Adagio sostenuto e expressivo - Allegro molto più tosto presto   [13'00] 
[04] 2. Rondo. Allegro                                                    [8'43] 

Sonata tor Piano and Violoncello in A major op. 69                       [21'52] 
A-dur - en la majeur - in la maggiore - en la mayor   
[05] 1. Allegro ma non tanto                                              [9'10] 
[06] 2. Scherzo. Allegro molto                                            [5'36] 
[07] 3. Adagio cantabile - Allegro vivace                                 [7'06] 


COMPACT DISC 2                                                           [67'37] 

Sonata for Piano and Violoncello in C major op. 102 No. 1                [15'05] 
C-dur - en ut majeur - in do maggiore - en do mayor   
[01] 1. Andante - Allegro vivace                                          [8'03] 
[02] 2. Adagio - Tempo d'Andante - Allegro vivace                         [7'02] 

Sonata for Piano and Violoncello in D major op. 102 No. 2                [20'07]
D-dur - en re majeur - in re maggiore - en re mayor
[03] 1. Allegro con brio                                                  [6'38]
[04] 2. Adagio con molto sentimento d'affetto - attacca:                  [8'49]
[05] 3. Allegro - Allegro fugato                                          [4'40]

[06]-[18] Twelve Variations (in G major) on a Theme                      [12'07]
from Handel's oratorio "Judas Maccabaeus" WoO 45 ("See, the conquering hero comes")
Zwölf Variationen (G-dur) über ein Thema aus Händels Oratorium »Judas Maccabäus«
Douze Variations (en sol majeur) sur un theme extrait de l'oratorio «Judas Macchabee» de Haendel
Dodici variazioni (in sol maggiore) su un tema dell'oratorio "Giuda Maecabeo" di Händel
Doce variaciones (en sol mayor) sobre un tema del oratorio «Judas Macabeo» de Händel

[19]-[26] Seven Variations (in E flat major) on the Duet                  [9'15]
"Bei Männern, welche Liebe fühlen" WoO 46 from Mozart's opera "The Magic Flute"
Sieben Variationen (Es-dur) über das Duett
»Bei Männern, welche Liebe fühlen« aus Mozarts Oper »Die Zauberflöte«
Sept Variations (en mi bémol majeur) sur le duo
«Bei Männern, welche Liebe fühlen» extrait de l'opera «La Flüte enchantée» de Mozart
Sette variazioni (in mi bemolle maggiore) sul duetto
"Bei Männern, welche Liebe fühlen" dall'opera "Il flauto magico" di Mozart
Siete variaciones (en mi bemol mayor) sobre el dueto
«Bei Männern, welche Liebe fühlen» de la «Flauta Mágica» de Mozart

[27]-[39] Twelve Variations (in F major) on the Theme                    [10'40]
"Ein Mädchen oder Weibchen" op. 66 from "The Magic Flute"
Zwölf Variationen (F-dur) über das Thema
»Ein Mädchen oder Weibchen« aus »Die Zauberflöte«
Douze Variations (en fa majeur) sur le theme
«Ein Mädchen oder Weibchen» extrait de «La Flute enchantée»
Dodici variazioni (in fa maggiore) sul tema
"Ein Mädchen oder Weibchen" da "Il flauto magico"
Doce variaciones sobre el tema
«Ein Mädchen oder Weibchen» de la «Flauta Mágica»



Recording: Paris, Salle Pleyel, 2/1965
Executive Producer: Otto Gerdes - Recording Producer: Karl Faust
Tonmeister (Balance Engineer): Heinz Wildhagen
® & © 1966 ADD

August von Kloeber (1793-1864), Ludwig van Beethoven, 1818, Bleistiftzeichnung Beethoven-Haus Bonn, Mödling, 1818. – Zeichnung ; 40,0 x 27,5 cm, Sammlung H. C. Bodmer, HCB BBi 3/20 Zwei Inschriften von der Hand Kloebers auf der Zeichnung: oben: "ich danke für heute, wenn sie aber erlauben / komme [von Kloeber durchstrichen] belästige ich Sie noch einmal auf eine / 1/4 Stunde wenn ich diese / Data erst auf die / Leinwand getragen / habe"; unten: "wenn das Bild". - Als Beilagen wurden eine weitere Studie (Hände) Kloebers (HCB BBi 3/20a) und ein Brief aus dem Jahr 1863 mit den Erinnerungen des Malers an die Begegnung mit Beethoven in Mödling 1818 überliefert (Handschriftenkatalog HCB BBi 3/20b).
Anders als viele der sehr idealisierenden und pathetischen Darstellungen Beethovens vermittelt die Zeichnung, die August von Kloeber im Sommer 1818 in Mödling schuf, einen recht unmittelbaren und natürlichen Eindruck von Beethovens äußerer Erscheinung. Wie sich der Maler später erinnerte, empfand auch Beethoven selbst diese Studie als sehr lebensnah - insbesondere seine Frisur sei sehr gut getroffen.

August von Kloeber schuf nach dieser Zeichnung zwei weitere Beethoven-Portraits. Eines davon, ein Ölgemälde, ist heute verschollen. Es zeigte Beethoven zusammen mit seinem Neffen in der freien Natur. Erhalten blieb dagegen die einige Jahre nach der Bleistiftstudie entstandene Kreidezeichnung, die das Bildnis Beethovens bereits stärker idealisiert. (Von dieser Darstellung existierten offenbar noch zwei weitere Fassungen, die sich aber ebenfalls nicht erhalten haben.)

In den 1840er Jahren schufen die Berliner Lithographen Theodor Neu und Carl Fischer nach dieser Kreidezeichnung verschiedene Lithographien - unter Aufsicht des Malers, wie in der Aufschrift einiger Drucke ausdrücklich betont wird. Durch die weite Verbreitung dieser Lithographien, die von zahlreichen Künstlern des 19. Jahrhunderts kopiert und nachgestochen wurden, gelangte dieses Beethoven-Portrait zu besonderer Beliebtheit. Kloebers Bleistiftzeichnung fand dagegen erst im 20. Jahrhundert eine größere Beachtung.

Quelle: Beethovenhaus Bonn

Harald Eggebrecht: Große Cellisten, Piper Verlag, München 2007; 407 S., 24,90 €

Buchtipp: Harald Eggebrecht hat ein schönes Buch über große Cellisten geschrieben

Er besaß schon immer eine tiefe und echte Neigung zu Musikern, die mit ihrem Instrument schier verwachsen und auf vier Saiten zum Paradies vordringen. Nun hat sich der Münchner Musikjournalist Harald Eggebrecht den Cellisten zugewandt. Diese Berufsgruppe wurde in der ferneren Vergangenheit von schier mythischen Meistern wie Pablo Casals, Gregor Piatigorksy und Emanuel Feuermann angeführt; verjüngt wird sie seit geraumer Zeit von Hochbegabungen wie Daniel Müller-Schott, Alban Gerhardt, der gefeierten Sol Gabetta und anderen. Zu Hochzeiten des Cellospiels gab es ein hinreißend-vielköpfiges Ensemble von Künstlern mit gänzlich unterschiedlichem Naturell, nennen wir nur Janos Starker, Pierre Fournier, Jacqueline du Pré, Enrico Mainardi, Paul Tortelier. Noch heute sind in Heinrich Schiff, Natalia Gutman, Mischa Maisky, Pieter Wispelwey, Yo-Yo Ma oder David Geringas beeindruckend vitale Persönlichkeiten des Fachs Dauergäste auf den internationalen Konzertpodien. Kürzlich fiel in Mstislaw Rostropowitsch die russische Birke der Zunft um.

Mag das Cello mit der Wirkungsmacht der Geige nicht ganz konkurrieren können, so kommt es doch zu Eggebrechts und unserer Freude als Soloinstrument nicht aus der Mode. Das Violoncello gilt als Resonanzraum des Expressiven, als Feuerstelle der Authentizität; selten sind Cellisten Blender. Im Gegensatz zur Violine hat das Cello das Erdgeschoss des Streicherklangs gemietet, doch besitzt es einen Fahrstuhl in die Höhe und eine Durchreiche zum Himmel.

Um Musiker, die wie Nachtalben nur im Dunkeln gründeln, handelt es sich bei Cellisten kaum je. Auch diese Musiker sind Sänger und Redner, Marktschreier und natürlich Melancholiker, sie können kreischen und flöten, lispeln und brüllen. Das Cello ist die menschliche Stimme in Baritonlage. Trotzdem hängt, wenn dieses Instrument erklingt, alles vom Wesen des Musikus ab, was er aus seinem Gerät macht.

Das Buch bietet aufschlussreiche, feinsinnige Protokolle von Karrieren, Stilen und Temperamenten. Pablo Casals war über seine cellistische Bravour hinaus eine »moralische Instanz«; Emanuel Feuermann erwies sich als furiose Persönlichkeit, die ihre Virtuosität einzig als Schlüssel zur künstlerischen Freiheit verstanden wissen wollte; der unvergessliche Gregor Piatigorsky besaß einen »federnden, muskulösen Celloton von jugendlicher Kraft«, wenn er etwa Tschaikowskys Rokoko-Variationen spielte.

Eggebrecht hat nicht alle der großen Cellisten live gehört, aber sein Schallarchiv ist bestens bestückt und erlaubt ihm Schilderungen von hohem Einfühlungsvermögen und barocker Formulierlust. Bei Eggebrecht kann sich der Leser oft vorstellen, wie es klingt – das ist fraglos die schönste Eigenschaft, die ein Musikjournalist besitzen kann. Ein weiterer Pluspunkt ist in der liebenswürdigen Integration der Bratsche zu sehen, die es als Soloinstrument allenfalls verschämt zu Ehren bringt und die im modernen Musikbetrieb oft in derben Witzen verfeuert wird.

Einen Tag nach dem Fall der Mauer reiste Mstislaw Rostropowitsch nach Berlin und spielte am 11. November 1989 am Checkpoint Charlie für die wiedervereinigten Berliner Cello.

Dass es auf der Viola Künstler von Erlauchtheit und Grandezza gab und gibt, daran erinnert Eggebrecht ohne jede Bemühtheit in zwei Interludien seines Buchs. In der Tat, was wäre unsere Musikwelt ohne Tabea Zimmermann? Widersprechen möchte man Eggebrecht allerdings in einigen Details. In seinem Einleitungsessay schreibt er vom »zunehmend älter« werdenden Publikum, eine Fehlprognose, die der statistischen Realität kurioserweise nicht entspricht, obwohl sich die höhere Lebenserwartung der Neuzeit auch in Konzertsälen herumgesprochen hat.

Die Alarmmeldung, die jungen Cellisten von heute musizierten häufig »seltsam beiläufig, unaufgeregt und ohne existenzielle Dringlichkeit«, scheint wirklich verfrüht; ein Kenner der Szene wie Eggebrecht muss doch wissen, dass mancher Musiker erst im Lauf des Lebens in die Zonen seines Eigentlichen vordringt und für seine Jugend nicht voreilig gescholten werden sollte.

Nach Formulierungen wie »unwiderstehliche Mischung aus Kraft, Geschmeidigkeit, Sentiment und Humor« möchte man den großen Rucksack Sprache, den der Autor mitführt, ein wenig leeren – um danach zu animierter Lektüre umgehend wieder Platz zu nehmen – wenn auch nicht auf der »vordersten Stuhlkante«, Eggebrechts lustigstem Konstruktionsfehler.

Quelle: Wolfram Goertz: Fahrstuhl zum Himmel, in: Die Zeit, 08.11.2007 Nr. 46

Buch bestellen bei Buecher.de oder bei Amazon

Der Spiegel, Nr. 27, 1966 - Der Artikel als PDF

Im Spiegel Nr. 27 des Jahrgangs 1966 ist eine Besprechung der Originalausgabe der Aufnahmen von Fournier und Kempff erschienen:
"Ludwig van Beethoven: Gesamtwerk für Klavier und Violoncello:
An Sonaten für Klavier und Cello, die er einführte, schrieb Beethoven fünf. Eine davon, Opus 102 Nr. 2, galt lange als nicht spielbar - der Meister ("Glaubt Er, daß ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?") baute auf Solisten vom Format eines Pierre Fournier und Wilhelm Kempff: Der Pianist aus Jüterbog und der Cellist aus Paris, beide international gepriesen, vereinen deutsches Romantiker-Wallen und kalten Intellekt zur perfekten Klingstück-Kunst. (Deutsche Grammophon 138 993/5; 75 Mark.)"

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Reposted on August 22, 2014

Hörbeispiel

CD 1, Track 5: Cellosonate in A op 69 - I Allegro ma non tanto

1 Kommentar:

classic hat gesagt…

Wilhelm Kempff is a pianist that I love more and more.

I own a double cd with Beethoven cello works (I think sonatas) by Pierre Fournier, But I don't remember the pianist. Anyway, I especially love the Judas Maccabaeus variations, that I played myself with a good cello professor, almost 20 years ago! Thank you very much.

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